Landgericht München II Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 Qs 19/18

bei uns veröffentlicht am10.07.2018
vorgehend
Amtsgericht Ebersberg, 1 Ds 57 Js 7409/18, 18.06.2018

Gericht

Landgericht München II

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 18.06.2018 aufgehoben.

2. Dem Beschwerdeführer wird als Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Dr. Adam Ahmed, Rumfordstrasse 42, 80469 München, beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit Anklageschrift vom 18.04.2018 (Bl. 24/25 d.A.) erhob die Staatsanwaltschaft München II die öffentliche Klage gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort. Dem Beschwerdeführer wird darin zur Last gelegt, am 28.12.2017 in einer Parkgarage den Geschädigten Si. im Verlaufe eines Gerangels gegen eine Parkhaussäule geschubst, in der Folge seinen Pkw gegen den Geschädigten Si. gelenkt und ihn dabei verletzt und sich schließlich entfernt zu haben, ohne Feststellungen zu ermöglichen. Nach Zustellung der Anklageschrift wurde das Hauptverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 06.06.2018 eröffnet und mit Verfügung vom selben Tag Termin zur Hauptverhandlung auf den 02.07.2018 bestimmt.

Mit Schreiben vom 10.06.2018 (Bl. 34 d.A.) beantragte der Angeklagte, ihm Herrn Rechtsanwalt Dr. Ad. Ah. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Nach Erholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 18.06.2018 (Bl. 38/39 d.A.) den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der Begründung ab, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Die Mitwirkung eines Verteidigers sei auch nicht wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen könne.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25.06.2018 (Bl. 41/42), beim Amtsgericht Ebersberg am selben Tag eingegangen, Beschwerde ein und berief sich zur Begründung auf sein konventionsrechtlich verbürgtes Recht auf ein faires Strafverfahren. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 26.06.2018 (Bl. 43/44 d.A.) nicht ab und legte die Akten dem Landgericht München II vor. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 02.07.2018 wurde jedenfalls seitens der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

II.

1. Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere steht § 305 Satz 1 StPO der Zulässigkeit der Beschwerde nach herrschender und zutreffender Meinung nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 141, Rn. 10 a). Nachdem im vorliegenden Fall die Akten dem Berufungsgericht noch nicht gem. § 321 Satz 2 StPO vorgelegt worden sind, ist auch einerseits die Beschwerde nicht prozessual überholt. Anderseits hat das Landgericht weiterhin als Beschwerdegericht und nicht als originär in der Hauptsache zuständiges Gericht zu entscheiden. Schließlich ist der Beschwerdeführer, nachdem seinem Antrag keine Beschränkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nur für den ersten Rechtszug zu entnehmen ist, ungeachtet der Tatsache, dass das Verfahren im ersten Rechtszug durch Verkündung des Urteils am 02.07.2018 abgeschlossen ist, weiterhin durch die Entscheidung vom 18.06.2018 beschwert.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, da die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 2 StPO gegeben sind. Nach dieser Vorschrift bestellt der Vorsitzende des Gerichts auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Der Beschwerdeführer bestreitet im vorliegenden Fall ausweislich seiner schriftlichen Einlassung vom 02.02.2018 (Bl. 8/9 d.A.) jedenfalls die ihm zur Last gelegten Körperverletzungen zum Nachteil des Geschädigten Si. Das Ergebnis der Beweisaufnahme hängt mithin davon ab, ob und inwieweit die Strafrichterin dessen Aussage für glaubhaft hält. Bei einer Beweislage, in der grundsätzlich Aussage gegen Aussage steht, ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers regelmäßig angezeigt (vgl. Thomas/Kämpfer, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2014, § 140 Rn. 39 m.w.N.), es sei denn, zu der Aussage des Belastungszeugen kommen weitere belastende Indizien hinzu, so dass von einer schwierigen Beweiswürdigung dann nicht mehr gesprochen werden kann (OLG Celle, StV 2009, 8). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das Ausgangsgericht zur Hauptverhandlung weitere Zeugen geladen hat, die im Ermittlungsverfahren teilweise Angaben gemacht haben, die im Widerspruch zu den Ausführungen des Belastungszeugen stehen. Bei einer solchen Sachlage, bei der das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen bei den Angaben des Belastungszeugen angebracht ist, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer im Falle der Verurteilung mit einer Freiheits- und Nebenstrafe und mithin nicht unerheblichen Rechtsfolgen zu rechnen hat, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Sicherung eines fairen Verfahrens geboten. Nachdem insofern angesichts der Begründung der angegriffenen Entscheidungen nicht auszuschließen ist, dass das Ausgangsgericht die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten hat, war der Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg aufzuheben und über den Antrag des Beschwerdegerichtes in eigener Zuständigkeit zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 2, 473 Abs. 1 StPO. Bei der Beschwerdeentscheidung gegen die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung handelt es sich - nach von der Kammer als überzeugend angesehener Auffassung (vgl. BayObLG, StV 2006, 6) - um eine verfahrensabschließende Entscheidung, die der Kostenentscheidung bedarf.

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Referenzen - Gesetze

Landgericht München II Beschluss, 10. Juli 2018 - 2 Qs 19/18 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 304 Zulässigkeit


(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

Strafprozeßordnung - StPO | § 140 Notwendige Verteidigung


(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Strafprozeßordnung - StPO | § 464 Kosten- und Auslagenentscheidung; sofortige Beschwerde


(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind. (2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft da

Strafprozeßordnung - StPO | § 305 Nicht der Beschwerde unterliegende Entscheidungen


Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaub

Strafprozeßordnung - StPO | § 321 Aktenübermittlung an das Berufungsgericht


Die Staatsanwaltschaft übersendet die Akten an die Staatsanwaltschaft bei dem Berufungsgericht. Diese übergibt die Akten binnen einer Woche dem Vorsitzenden des Gerichts.

Referenzen

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden.

Die Staatsanwaltschaft übersendet die Akten an die Staatsanwaltschaft bei dem Berufungsgericht. Diese übergibt die Akten binnen einer Woche dem Vorsitzenden des Gerichts.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.

(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.

(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.