Landgericht Kiel Beschluss, 29. Sept. 2014 - 2 Qs 69/14
Tenor
Die Beschlagnahme des undatierten, beim Amtsgericht am 1. September 2014 eingegangenen, an die Eltern des Beschuldigten gerichteten Briefes wird aufgehoben.
Die Landeskasse trägt die notwendigen Auslagen des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren.
Gründe
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Die Beschwerde des Beschuldigten hat Erfolg.
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Die Beschlagnahme des undatierten, an die Eltern des Beschuldigten gerichteten Briefes war aufzuheben, da ein Beweisverwertungsverbot besteht.
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Eine Beschlagnahme ist unzulässig, wenn der zu beschlagnahmende Gegenstand nicht zum Beweis verwendet werden darf (Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. A., § 94 Rn. 19). Im vorliegenden Fall war die Beschlagnahme ganz offensichtlich in der Annahme erfolgt, dass die Briefkontrolle gem. § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO zuvor angeordnet worden war. Entsprechendes ergibt sich auch aus der Nichtabhilfeentscheidung. Eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO ergibt sich aber weder aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kiel über die Beschränkungen in der Untersuchungshaft vom 3. August 2014 noch aus dem Aufnahmeersuchen vom selben Tag. Aus der Formulierung der Ziff. II. 2. des Aufnahmeersuchens folgt lediglich, dass nicht beschwerende Anordnungen über den Verkehr mit der Außenwelt wie etwa die Anordnung der Beförderung von Briefen nach Durchsicht dem zuständigen Staatsanwalt/Amtsanwalt/Jugendrichter in Kiel überlassen werden. Die Briefkontrolle selbst ist dagegen nicht angeordnet worden. Auch der Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 19. August 2014 stellt ausschließlich fest, dass die Haftkontrolle inklusive der Briefkontrolle dem Amtsgericht Kiel obliegt. Damit wird lediglich die Zuständigkeitsfrage geregelt. Dass die Briefkontrolle im Beschluss ausdrücklich genannt worden ist, ist für ihre Anordnung nicht ausreichend, da sich ein entsprechender Beschlussinhalt nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergibt. Gegen eine Anordnung der Briefkontrolle i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO spricht bereits, dass eine entsprechende Anordnung eine Begründung voraussetzt.
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Fehlt damit die Rechtsgrundlage für die Kontrolle des Briefes, entscheidet sich die Frage, ob hieraus ein Beweisverwertungsverbot folgt, anhand einer umfassenden Abwägung der betroffenen Rechtsgüter. Insoweit ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Beschlagnahme letztlich lediglich auf der irrtümlichen Annahme des Gerichts beruhte, dass die Briefkontrolle bereits angeordnet worden war. Andererseits ist mit dem Briefgeheimnis ein grundrechtlich geschützter Bereich betroffen. Darüber hinaus hätte einer Anordnung der Briefkontrolle hier entgegen gestanden, dass eine Gefährdung des Zwecks der Untersuchungshaft durch einen Schriftverkehr des Beschuldigten in Anbetracht des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr und unter Berücksichtigung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikte nicht vorgelegen hätte. Bei den vorgeworfenen Taten handelt es sich zudem zwar um Delikte eines erheblichen Schweregrades, nicht aber um Straftaten etwa im Rang von Kapitalverbrechen. Ein entscheidender Erkenntnisgewinn hinsichtlich der vorgeworfenen Taten ist aus dem Brief zudem nicht zu ziehen. Soweit der Brief Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur des Beschuldigten zulässt, muss diese Erwägung zurücktreten. Nach einer Gesamtabwägung der vorgenannten Umstände ist letztlich von einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der aus dem Brief gewonnenen Erkenntnisse auszugehen, so dass die Beschlagnahme aufzuheben war.
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Referenzen - Gesetze
Strafprozeßordnung - StPO | § 119 Haftgrundbezogene Beschränkungen während der Untersuchungshaft
(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass
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der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen, - 2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind, - 3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf, - 4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird, - 5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.
(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.
(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit
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der für ihn zuständigen Bewährungshilfe, - 2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle, - 3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe, - 4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder, - 5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht, - 6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes, - 7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes, - 8.
dem Europäischen Parlament, - 9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, - 10.
dem Europäischen Gerichtshof, - 11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten, - 12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten, - 13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, - 14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, - 15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, - 16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, - 17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen, - 18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte, - 19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet, - a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und - b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.