Landgericht Kiel Urteil, 18. März 2011 - 1 S 276/10

Gericht
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichtes Norderstedt vom 14.09.2010 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.282,03 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 129,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2010 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 03. September 2009 auf dem F. Parkplatz, die künftig entstehen, zu ersetzen.
4. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
- 1
Der Kläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 03.09.2009 auf dem Parkplatz des F. Marktes in xxx ereignet hat. Der Kläger wollte sein Fahrzeug rückwärts rechts neben dem parkenden Fahrzeug der Beklagten zu 1.) in die dort freie Parklücke einparken. Dafür fuhr er zunächst an der Parklücke vorbei, hielt an und fuhr dann schräg rückwärts in Richtung der Parklücke. Dabei kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1.), die rückwärts ausparken wollte.
- 2
Die Beklagte zu 2.) hat 50 % des dem Kläger entstandenen Schadens ausgeglichen. Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage seinen restlichen Schaden geltend.
- 3
Er hat behauptet, vor der Kollision sein Fahrzeug bis zum Stillstand abgebremst und gehupt zu haben, um die Beklagte zu warnen. Die habe jedoch nicht reagiert und sei rückwärts in sein stehendes Fahrzeug hineingefahren.
- 4
Die Beklagten haben behauptet, der Kläger sei zum Zeitpunkt der Kollision noch rückwärts gefahren.
- 5
Das Amtsgericht hat den Kläger und die Beklagte zu 1.) sowie die Zeugen M. und D. gehört und die Beklagten durch die angegriffene Entscheidung vom 14.09.2010 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 512,81 € nebst Zinsen zu zahlen. Es ist davon ausgegangen, dass die Beklagten auf insgesamt 70 % des Schadens haften. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass der Kläger vor der Kollision schon so lange gestanden hätte, als dass sein Verkehrsverhalten nicht mehr mit seiner Rückwärtsfahrt in Zusammenhang gebracht werden müsste. Zwar treffe die Beklagte zu 1.) der größere Mitverursachungsbeitrag, weil sie den rückwärtigen Verkehr nicht ausreichend beachtet habe. Der Annahme einer Unabwendbarkeit für den Kläger stehe jedoch entgegen, dass er vor dem Einparken nicht darauf geachtet habe, ob das neben dem freien Parkplatz stehende Fahrzeug besetzt sei. Wenn er das getan hätte, hätte er die Beklagte zu 1. erkannt und mit einem Rückwärtsfahren rechnen müssen.
- 6
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er behauptet, sofort gebremst und gehupt zu haben, als er die Rückfahrscheinwerfer am Fahrzeug der Beklagten zu 1.) gesehen habe. Er habe zuvor keine Anzeichen für eine Rückwärtsfahrt der Beklagten zu 1.) erkennen können. Er habe zum Zeitpunkt des Zusammenpralls gestanden. Die Beklagte habe sich nicht umgesehen, bevor sie losgefahren sei. Sie habe erst auf sein Hupen reagiert.
- 7
Er ist der Auffassung, dass sie deshalb die Alleinschuld treffe.
- 8
Der Kläger beantragt
- 9
unter Abänderung des am 14.09.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Norderstedt,
- 10
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.282,03 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2010 zu zahlen,
- 11
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 129,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 12
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materielle Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 03.09.2009 auf dem F. Parkplatz, welche künftig entstehen, zu ersetzen.
- 13
Die Beklagten beantragen,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Sie tragen vor: Der Kläger habe bei nicht klarer Verkehrssituation rückwärts eingeparkt. Er habe mit dem Ausparken der Beklagten zu 1.) rechnen müssen. Zum Zeitpunkt der Kollision habe der Kläger nicht bereits längere Zeit gestanden.
- 16
Die Kammer hat den Kläger und die Beklagte zu 1.) in der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2011 persönlich gehört.
II.
- 17
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Beklagten haften zu 100 % des dem Kläger anlässlich des Unfalls vom 03.09.2009 entstandenen Schadens. Das Verschulden der Beklagten zu 1.) überwiegt so stark, dass die Betriebsgefahr des Klägers vollständig zurücktritt. Dass die Beklagte zu 1.) schuldhaft gehandelt hat, indem sie rückwärts aus ihrer Parklücke herausgefahren ist, ohne ausreichend auf den rückwärtigen Verkehr zu achten, hat auch das Amtsgericht unterstellt. Es hat jedoch aus dem Umstand, dass ein längerer Stillstand des Fahrzeuges des Klägers vor der Kollision nicht bewiesen sei und sich der Kläger vor dem Einparken nicht vergewissert habe, dass das neben dem freien Parkplatz stehende Fahrzeug nicht besetzt sei, geschlossen, dass er den besonderen Sorgfaltspflichten eines rückwärts Einparkenden nicht gerecht geworden sei.
- 18
Diese Auffassung teilt die Kammer nicht. Der Kläger konnte zu dem Zeitpunkt, als er die Rückscheinfahrlichter am Fahrzeug der Beklagten zu 1.) erkannte, die Kollision nicht mehr verhindern. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich bereits hinter dem Fahrzeug der Beklagten und hatte keine Möglichkeit mehr, dem zurücksetzenden Fahrzeug auszuweichen.
- 19
Er musste nicht bereits deshalb das rückwärtige Einparken abbrechen, weil die Beklagte zu 1.) schon eingestiegen war und in ihrem Fahrzeug saß. Bei der Parkplatzsuche muss ein Fahrer nicht generell darauf achten, ob parkende Fahrzeuge besetzt sind. Das ist auch nicht immer zu erkennen, hängt vielmehr von verschiedenen Umständen wie z. B. den Lichtverhältnissen und dem Neigungswinkel sowie dem Grad der Tönung der Scheiben des parkenden Fahrzeuges ab.
- 20
Selbst wenn in dem Innenraum eines parkenden Fahrzeuges ein Fahrer zu erkennen ist, ist ein Parkplatzsuchender nicht gehindert, einen freien Platz neben diesem Fahrzeug anzufahren. Er darf dort auch rückwärts einparken. Zwar gilt auf einem viel befahrenen Kaufhaus-Parkplatz das Gebot der besonderen Rücksichtnahme. Dieses wird durch ein rückwärtiges Einparken aber nicht verletzt.
- 21
Generell kann ein Parkplatzsuchender darauf vertrauen, dass ein rückwärts Ausfahrender den rückwärtigen Verkehr beachtet. Allerdings hat derjenige, der erkennt, dass das benachbarte Fahrzeug besetzt ist, beim Einparken besondere Sorgfalt walten zu lassen. Diesen Anforderungen ist der Kläger aber gerecht geworden, auch wenn er nicht erkannt hat, dass die Beklagte hinter dem Steuer ihres Fahrzeuges saß. Er hat unmittelbar, nachdem er das Aufleuchten der Rückfahrscheinwerfer am Fahrzeug der Beklagten zu 1.) erkannte, sein Fahrzeug abgebremst und gehupt. Die Kammer geht auch davon aus, dass er sein Fahrzeug bis zum Stillstand abgebremst hat. Mehr konnte er zur Verhinderung einer Kollision nicht tun. Er hat sofort auf das Rückwärtsfahren der Beklagten zu 1.) reagiert und diese gewarnt. Die Distanz zwischen der rückseitigen Stoßstange des Fahrzeuges der Beklagten zu 1.) zum Klägerfahrzeug betrug lediglich 1,5 m. Es blieb dem Kläger keine Zeit, nach vorne oder nach hinten auszuweichen.
- 22
Der Unfall ist allein durch die Beklagte zu 1.) verschuldet worden, die sich nicht ausreichend vergewisserte, dass sich hinter ihr kein anderes Fahrzeug befand, als sie zurücksetzte. Sie hat in ihrer persönlichen Anhörung selbst eingeräumt, das klägerische Fahrzeug erstmals bemerkt zu haben, als sie das Hupen hörte. Erst dann habe sie ihn da stehen sehen. Offensichtlich ist sie angefahren und hat erst dann in den rückwärtigen Spiegel gesehen. Wenn sie – wie notwendig – vor dem Anfahren über die Schulter oder durch einen der Spiegel nach hinten geblickt hätte, hätte sie den Kläger bemerkt und noch reagieren können. So aber erkannte sie den Kläger, der wegen der geringen Distanz zwischen beiden Fahrzeugen keine Chance mehr hatte, den Platz hinter der von der Beklagten zu 1. genutzten Parkbucht zu räumen, zu spät. Ihr Verursachungsanteil überwiegt aufgrund des Verschuldens so stark, dass die Betriebsgefahr, die von dem klägerischen Fahrzeug ausging, vollständig zurücktritt.

Annotations
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.