Landgericht Hamburg Beschluss, 23. Aug. 2024 - 326 T 54/24

originally published: 14/11/2024 12:48, updated: 14/11/2024 12:52
Landgericht Hamburg Beschluss, 23. Aug. 2024 - 326 T 54/24
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Amtliche Leitsätze

1. Sozialversicherungsträger haben das Vorliegen eines Insolvenzgrundes in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie andere Gläubiger auch. Die Strafbarkeit der Nichtabführung von Beiträgen ist einer von mehreren Umständen, der bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigten ist. Sie bildet allein jedoch keinen Anlass, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung teilweise außer Kraft zu setzen.

2. Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb ist zur Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit in der Regel ein Vollstreckungsversuch vor Ort zu unternehmen bzw. zu veranlassen, dessen Fruchtlosigkeit glaubhaft zu machen ist. Die Glaubhaftmachung einer fruchtlosen Kontopfändung und der Vortrag, auch bei anderen Sozialversicherungsträgern bestünden offene Forderungen, genügt zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht.

Landgericht Hamburg

Beschluss vom 23. August 2024

Az.: 326 T 54/24

 

 

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 29.07.2024, Az. 67h IN 190/24, wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Gegenstandswert wird auf 10.309,90 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Am 11.07.2024 ging ein Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beim Amtsgericht Hamburg - Insolvenzgericht - ein. In ihrem Antrag führte die Antragstellerin aus, dass die Schuldnerin fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuzüglich Säumniszuschläge, Gebühren und Kosten der Zwangsvollstreckung für den Zeitraum vom 01.11.2023 bis 30.06.2024 in Höhe von insgesamt 10.823,76 EUR schulde. Aufgrund des vorliegenden Rückstandszeitraums von mehr als 6 Monaten sei der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit gegeben.

Mit Verfügung vom selben Tag teilte das Amtsgericht der Antragstellerin mit, dass sie entgegen § 14 Abs. 1 InsO bisher die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe. Insbesondere sei nicht nachzuvollziehen, weshalb in dem Geschäftslokal der Schuldnerin kein Vollstreckungsversuch unternommen worden sei. Die Antragstellerin könne die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin insbesondere durch die Vorlage des Protokolls über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch des Gerichtsvollziehers oder über die Abgabe der Vermögensauskunft der Schuldnerin erbringen. Ferner wurde die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass weder das Amtsgericht Hamburg noch das Landgericht Hamburg der sog. „6-Monats-Rückstands-Indiz-Rechtsprechung“ folgen. Der Antragstellerin wurde durch das Amtsgericht eine Frist zur Nachbesserung von 10 Tagen ab Zustellung der gerichtlichen Verfügung gewährt.

Am 29.07.2024 reichte die Antragstellerin beim Amtsgericht mehrere Drittschuldnererklärungen und Empfangsbekenntnisse der C.Bank im Zusammenhang mit Pfändungsversuchen gegenüber der Schuldnerin im Juni, September und November 2023 sowie im März 2024 ein. Alle Pfändungsversuche bezogen sich auf dasselbe Bankkonto der Schuldnerin.

Durch Beschluss vom 29.07.2024, der Antragstellerin zugestellt am 01.08.2024, wies das Amtsgericht den Eröffnungsantrag als unzulässig ab, weil die Antragstellerin entgegen § 14 Abs. 1 InsO den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit trotz des gerichtlichen Hinweises nicht glaubhaft gemacht habe. Die unternommenen Bankkontenpfändungsversuche änderten hieran nichts, da schon nicht vorgetragen oder ersichtlich oder glaubhaft gemacht sei, dass es sich insoweit um das einzige Konto der Schuldnerin gehandelt habe.

Die Antragstellerin legte am 14.08.2024 sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein. Zur Begründung führte sie an, dass sie ihre unbeglichenen Forderungen gegenüber der Schuldnerin und den Eröffnungsgrund ihrer Ansicht nach glaubhaft gemacht habe. Bereits mit dem Schriftsatz vom 01.07.2024 sei anhand der digitalen Beitragsnachweise belegt worden, dass die Schuldnerin über einen Zeitraum von insgesamt 8 Monaten die selbst gemeldeten Gesamtsozialversicherungsbeträge nicht beglichen habe. Die letzte Zahlung der Schuldnerin habe die Antragstellerin am 16.01.2024, mithin vor 7 Monaten, erhalten. Dieses Zahlungsverhalten komme nach der Rechtsprechung des BGH einer Zahlungseinstellung gleich. Aus den weiteren am 29.07.2024 eingereichten Unterlagen ergebe sich zudem, dass es bei der Schuldnerin bereits zu vorrangigen Kontopfändungen von drei weiteren Gläubigern mit einem Forderungsvolumen von 7.088,87 EUR gekommen sei. Nur 4 Monate später sei das Forderungsvolumen dreier vorrangiger Gläubiger auf einen Betrag von 22.538,98 EUR angestiegen. Der Annahme der Zahlungseinstellung durch die Schuldnerin stehe es auch nicht entgegen, wenn diese außer dem durch die Antragstellerin gepfändeten Konto über weitere Bankkonten verfügt haben sollte. Denn neben der Antragstellerin mussten mit der Deutschen Rentenversicherung und der A. Niedersachen weitere Vollstreckungsgläubiger einen Anstieg ihrer Forderungen hinnehmen. Angesichts dessen erscheine die Annahme weiterer liquider Geschäftskonten der Schuldnerin durch das Amtsgericht als fernliegend.

Mit Verfügung vom 14.08.2024 half das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde der Schuldnerin nicht ab und legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor. Zur Begründung führte es aus, dass die Antragstellerin durch ihr eigenes Vorbringen bestätige, nicht glaubhaft machen zu können, dass die von ihr dargelegten Kontopfändungsversuche das einzige Bankkonto der Schuldnerin betrafen. Eine erfolglose Pfändung in ein einziges Bankkonto des Schuldners genüge zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes der Zahlungsunfähigkeit jedoch allein nicht. Nichts Anderes gelte für einen mehr als sechsmonatigen Beitragsrückstand gegenüber einem Sozialversicherungsträger.

II.

Die gemäß §§ 4, 6, 34 InsO i.V.m. § 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat zu Recht den Antrag der Antragstellerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin als unzulässig abgewiesen.

Die Antragstellerin hat den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit weder im Rahmen ihrer Antragsschrift noch in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 29.07.2024 oder in ihrer Beschwerdebegründung hinreichend glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin hat sich für die Glaubhaftmachung neben den Zahlungsrückständen der Schuldnerin gegenüber ihr allein auf die Drittschuldnererklärungen der C. Bank gestützt.

Weitere Unterlagen, wie das Protokoll über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch eines Gerichtsvollziehers oder über die Abgabe der Vermögensauskunft der Schuldnerin hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Auch eine eidesstattliche Versicherung der Schuldnerin oder entsprechende schriftliche Erklärungen der Schuldnerin liegen dem Gericht nicht vor. Dasselbe gilt für eine eidesstattliche Versicherung einer sachkundigen Person, aus der sich ergibt, dass die Schuldnerin nicht zahlungsfähig ist.

Das dargelegte Vorbringen der Antragstellerin genügt nicht, um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin glaubhaft zu machen.

Sozialversicherungsträger haben das Vorliegen eines Insolvenzgrundes in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie andere Gläubiger auch. Die Strafbarkeit der Nichtabführung von Beiträgen ist einer von mehreren Umständen, der bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigten ist. Sie bildet allein jedoch keinen Anlass, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung teilweise außer Kraft zu setzen (vgl. dazu nur LG Hamburg, Beschluss v. 25.10.2023 - 303 T 15/23 - Rn. 14; LG Hamburg, Beschluss v. 27.07.2023 - 326 T 19/23 -, Rn. 12, jeweils zit. nach juris; LG Hamburg, Beschluss v. 11.03.2021, ZInsO 2021, 739; LG Hamburg, Beschluss v. 30.06.2010, ZInsO 2010, 1650; LG Hamburg, Beschluss v. 25.11.2011, ZInsO 2012, 225; Amtsgericht München, Beschluss v. 05.02.2009, ZIP 2009, 820 (821 f.); Vuia, in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage 2019, § 14 Rn. 104 m.w.N.). Denn in der Praxis dürfte ein Schuldner eher Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen als beispielsweise Forderungen seiner Warenlieferanten nicht zu begleichen, da er andernfalls Gefahr liefe, den Geschäftsbetrieb nicht fortführen zu können.

Die Antragstellerin kann sich hiernach nicht allein auf ihre Stellung als sog. Institutionelle Gläubigerin zurückziehen. Der vom BGH in seiner Entscheidung vom 13.06.2006 (Az. IX ZB 238/05 juris = ZinsO 2006, 827) aufgestellten Beweisregel, bei Rückständen von mindestens 6 Monaten sei in der Regel von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen, wird nicht gefolgt. Hierauf wurde die Antragstellerin bereits vom Amtsgericht unmittelbar nach Antragstellung hingewiesen, sodass die Antragstellerin ausreichend Gelegenheit hatte, ihren Antrag weiter zu begründen und die notwendige Glaubhaftmachung vorzunehmen.

Auch kommt hinzu, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin nach den eigenen Angaben der Antragstellerin nicht geschlossen ist. Das Amtsgericht hat insoweit zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb die Antragstellerin keinen Vollstreckungsversuch hinsichtlich des Geschäftslokals der Schuldnerin unternommen hat. Denn es besteht vor diesem Hintergrund zumindest die Möglichkeit, dass die Schuldnerin zwar Sozialversicherungsbeiträge (bewusst) nicht zahlt, im Übrigen aber ihre Gläubiger bedient und auch bedienen kann. Dies nachzuprüfen ist nicht Aufgabe des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Die Antragstellerin hätte beispielsweise im Rahmen einer Kassenpfändung hier selbst zunächst weiter versuchen müssen, ihre Forderungen einzuziehen. Dies hat sie jedoch ohne weitere Begründung nicht getan. In Anbetracht dessen genügt es auch nicht, dass die Antragstellerin auf die Drittschuldnererklärungen der C.Bank und darauf verweist, dass auch weitere Vollstreckungsgläubiger offene Forderungen gegenüber der Schuldnerin haben. Da es sich bei diesen Gläubigern ebenfalls um Sozialversicherungsträger handelt, gilt das soeben Gesagte entsprechend. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schuldnerin ihre institutionellen Gläubiger nachrangig behandelt, um zunächst aus ihrer Sicht für den Geschäftsbetrieb relevantere Gläubigerforderungen zu bedienen. Daher führt auch der Einwand der Antragstellerin, dass neben ihr noch zwei weitere institutionelle Gläubiger einen Anstieg ihrer offenen Forderungen hinnehmen mussten und es daher fernliegend erscheine, dass die Schuldnerin über weitere liquide Geschäftskonten neben dem von ihr gepfändeten Konto verfüge, nicht zu einem anderen Ergebnis. Vielmehr ist eine solche Annahme nach den vorstehenden Ausführungen mit dem gegenwärtigen Sach- und Erkenntnisstand gerade vereinbar.

Die Kostenentscheidung und Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf den §§ 4 InsO, 97, 91 ZPO, 23 RVG, 58 GKG, Ziffer 2380 Anlage I zum GKG.

Die Rechtsbeschwerde war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 und 3 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

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