Landgericht Frankenthal (Pfalz) Beschluss, 26. Nov. 2015 - 1 T 267/15
1. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Grünstadt vom 06.08.2015, Az. M 465/07, abgeändert:
Die Pfändung des auf dem Konto der Beschwerdeführerin bei der Sparkasse A, Kontonummer X durch Gutschrift vom 09.04.2015 verbuchten Zahlbetrages der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 3.048,72 € wird aufgehoben und der Betrag zur Auszahlung an die Beschwerdeführerin freigegeben.
2. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Die Wirkungen dieses Beschlusses treten erst mit Rechtskraft desselben ein.
Gründe
I.
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Die Parteien streiten um die Freigabe von Guthaben auf einem Konto.
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Die Antragstellerin ist Inhaberin des P-Kontos bei der Sparkasse A mit der Kontonummer X, in welches u.a. die Antragsgegnerin aus einem Titel des Amtsgerichts Braunschweig vom 09.10.1998, Az. 61 B 04516/98 aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Grünstadt vom 18.11.2008, Az. M 1388/08, vollstreckt.
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Auf dieses Konto überwies und überweist das Jobcenter D. W. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin, aber auch der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder B, geb. XX.XX.XXXX, sowie C, geb. XX.XX.XXXX.
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Mit Bescheid vom 02.04.2015 setzte das Jobcenter für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 30.09.2015 zugunsten der Antragstellerin sowie der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder Zahlungsbeträge - betreffend B in der Zeit von April 2015 bis einschließlich Juni 2015 monatlich 241,84 € (Regelbedarf 53,37 € zzgl. Bedarf für Unterkunft und Heizung 188,47 €) und von Juli 2015 bis einschließlich September 2015 monatlich 225,52 € (Regelbedarf 37,05 € zzgl. Bedarf für Unterkunft und Heizung 188,47 €) und C in der Zeit von April 2015 bis einschließlich Juni 2015 monatlich 209,09 € (Regelbedarf 20,62 € zzgl. Bedarf für Unterkunft und Heizung 188,47 €) und von Juli 2015 bis einschließlich September 2015 monatlich 225,52 € (Regelbedarf 37,05 € zzgl. Bedarf für Unterkunft und Heizung 188,47 €) fest.
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Mit weiterem Bescheid vom gleichen Datum setzte das Jobcenter unter Aufhebung eines Bescheids vom 12.12.2014 weitere Zahlungen für den Zeitraum vom 01.10.2014 bis einschließlich 31.03.2015 fest, die im Einzelnen wie folgt aufgegliedert sind:
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- vom 01.10.2014 bis 31.12.2014 monatlich 415,00 € mehr als bisher bewilligt
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- vom 01.01.2015 bis 31.03.2015 monatlich 450,93 € mehr als bisher bewilligt
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Am 09.04.2015 überwies das Jobcenter deshalb einen Gesamtbetrag von 3.048,72 € auf das vorbezeichnete Konto, wobei in dem Verwendungszweck aufgeführt wurde:
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"54312//0002045/54312 1 / 438,94 EUR 2/ 2.609,78 EUR 52019021664/17020".
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Dadurch wies Konto einen Guthabenbetrag von 3.134,58 €, bei einem verfügbaren Betrag von 783,93 € auf.
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Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.05.2015, beim Amtsgericht Grünstadt am Folgetag eingegangen, begehrte die Antragstellerin die Freistellung des Betrages von 3.048,72 € von der Pfändung sowie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung in dieser Höhe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den bei der Akte (Bl. 26 ff.) befindlichen Schriftsatz verwiesen.
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Das Amtsgericht stellte mit Beschluss des Rechtspflegers vom 29.05.2015 die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Schuldnerantrag einstweilen nach §§ 850k Abs. 4, 732 Abs. 2 ZPO ein.
- 13
Nachdem die Antragsgegnerin innerhalb gewährter Frist keine Stellungnahme beim Amtsgericht abgegeben hatte, wies der Rechtspfleger beim Amtsgericht Grünstadt mit Beschluss vom 06.08.2015 den Antrag der Antragstellerin vom 28.05.2015 mit der Maßgabe des Wirksamwerdens mit Rechtskraft zurück und begründete dies damit, dass §§ 850k und 765a ZPO nur den Schuldner, nicht aber Dritte schütze und Nachzahlungen für mehrere Monate vom Vollstreckungsgericht nicht freigegeben werden könnten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss bei der Akte (Bl. 36 f.) Bezug genommen.
- 14
Gegen diesen ihr am 25.08.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 08.09.2015 sofortige Beschwerde eingelegt.
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Der Rechtspfleger beim Amtsgericht Grünstadt hat der sofortigen Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung durch Beschluss vom 16.09.2015 nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 25.11.2015 hat der Einzelrichter der Beschwerdekammer die Sache der Kammer zur Entscheidung übertragen.
II.
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Die statthafte und in formeller Hinsicht auch sonst nicht zu beanstandende sofortige Beschwerde führt in der Sache zum Erfolg.
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Die auf dem Konto eingegangene Summe von insgesamt 3.048,72 € unterfällt insgesamt der Pfändungsfreiheit.
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1.) Zunächst ist hinsichtlich des streitgegenständlichen Geldeinganges eine Differenzierung zwischen den einzelnen Rechtsgründen der Zahlung vorzunehmen. So ist aus dem Änderungsbescheid des Jobcenters D. W. vom 02.04.2015 zu entnehmen, dass sich der Zahlbetrag aus verschiedenen Einzelpositionen zusammensetzt. Ausweislich des Änderungsbescheids wurden für die Monate Oktober bis einschließlich Dezember 2014 jeweils 415,00 € angesetzt. Die Monate Januar bis einschließlich März 2015 wurden mit jeweils 450,93 € bemessen. Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 2.597,79 €. Hinzuzusetzen sind die für den Monat April 2015 anzusetzenden Leistungen, die ausweislich des weiteren Bescheids des Jobcenters vom 02.04.2015 insgesamt 450,93 € betrugen.
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2.) Betreffend des Zahlbetrages von 450,93 € folgt die Pfändungsfreiheit bereits aus § 850k Abs. 2 Nr. 1a) und Nr. 1b) ZPO.
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Ausweislich des Leistungsbescheides des Jobcenters vom 02.04.2015 handelt es sich bei diesem Betrag um laufende Sozialleistungen nach dem SGB II. Bei den Berechtigten handelt es sich um Abkömmlinge der Beschwerdeführerin, denen diese nach den Vorschriften der §§ 1601 ff. BGB unterhaltsverpflichtet ist. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 850k Abs. 2 Nr. 1a) ZPO vor. Selbst unterstellt, es bestünde (teilweise) keine Unterhaltsleistung auf der Grundlage gesetzlicher Verpflichtungen (mehr), da die Tochter der Beschwerdeführerin seit April 2014 volljährig ist, so lebt diese - nach wie vor -, was sich aus den Bescheiden des Jobcenters ergibt, mit der Beschwerdeführerin in einer Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, wobei die Beschwerdeführerin die Leistungen als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft erhalten hat. Letzteres ergibt sich einerseits aus der Vermutung des § 38 Abs. 1 SGB II und andererseits aus den Angaben in den Bescheiden des Jobcenters.
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Dieser Betrag ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin freizugeben.
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3.) Auch der Zahlungsbetrags von insgesamt 2.597,79 € für die Monate Oktober 2014 bis einschließlich März 2015 ist von der Pfändung nicht umfasst.
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a) Soweit das Amtsgericht seine Rechtsauffassung auf Beschlüsse des Amtsgerichts Hannover vom 06.06.2008 (105 M 55427/08), des Landgerichts Berlin vom 14.10.2013 (51 T 656/13) und des Landgerichts Koblenz vom 23.01.2015 (2 T 46/15) stützt, wird die mangelnde Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Konstellationen verkannt.
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Dem Amtsgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, dass mit der Zahlung von Sozialleistungen auf ein Konto die Sozialleistungen grundsätzlich ihre Eigenschaft als solche verlieren und zu Kontoguthaben werden (vgl. etwa BGH NJW 1988, 709). Der hier zu beurteilende Fall liegt jedoch anders.
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Aus § 850k Abs. 2 Nrn. 1a) und 1b) ZPO ergibt sich, dass die hierunter fallenden Beträge zu einer Erhöhung des Freibetrages führen. Ist dies aber der Fall und wird zudem über § 850k Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 ZPO der Pfändungsschutz sogar noch in den dem Leistungsempfang nachfolgenden Monat verlängert, so gilt diese Wertung auch für die hier vorliegenden Leistungen. Die hier vorgenommenen Zahlungen und Leistungen können während des Kalendermonats, in welchem sie dem Konto gutgeschrieben werden, sowie dem ersten nachfolgenden Monat nicht mit anderen Leistungen gleichgesetzt werden. In diesem Aspekt unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt auch von denjenigen, die den Entscheidungen des Amtsgerichts Aschaffenburg (ZVI 2012, 469 - dort Eingang von US-Rentenzahlungen des Sohnes), des Amtsgerichts Schwarzenbek (ZVI 2012, 354 - dort Übertragung von Kontoguthaben auf ein Sparbuch und Nichtweiterleitung auf P-Konto nach Eröffnung selbigen), des Landgerichts Berlin (ZVI 2013, 479 - dort Übergangs- und Krankengeld) und des Landgerichts Koblenz (a.a.O. - dort Nachzahlungen von Erwerbsminderungsrente) zu Grunde lagen.
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b) Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten wird, dass eine Nachzahlung, die einen Zeitraum von mehreren in der Vergangenheit liegenden Monaten umfasst, grundsätzlich nicht vom Schutz des § 850k ZPO umfasst wird, schließt sich die Kammer dieser Auffassung grundsätzlich an. Auch der Annahme, dass Leistungen für die Vergangenheit nicht mehr mit der Vermutung einhergehen, dass der Betrag tatsächlich für den Lebensunterhalt benötigt wird (vgl. etwa Landgericht Koblenz a.a.O. Rn. 5), tritt die Kammer grundsätzlich bei.
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Für den vorliegenden Fall erfordern die hier maßgeblichen Umstände jedoch eine andere Betrachtung und Bewertung. Ausgangspunkt aller Erwägungen muss dabei der Zahlungsgrund und die Art der Leistungen sein, in die vollstreckt werden soll. Hier handelt es sich um Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Grundlage des SGB II, also um steuerfinanzierte, bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistungen des Staates (vgl. Breitkreuz, in: beckOK SozR, 39. Edition, Stand. 01.09.2015, SGB II § 19 Rn. 2), nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sichern sollen (BVerfGE 125, 175).
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Daraus schließt die Kammer, dass entsprechende Nachzahlungen seitens der öffentlichen Hand dem Pfändungsschutz grundsätzlich unterfallen müssen. Dem Vollstreckungsschuldner soll nämlich ein zur notwendigen Lebensführung angemessener Betrag belassen, eine "Kahlpfändung" verhindert werden. Da die Leistungen nach den Intentionen des Gesetzgebers "unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes so weit wie möglich pauschaliert" (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 46) erfolgen, besteht eine Vermutung dafür, dass es sich bei der Zahlung, auf den jeweiligen Monat betrachtet, um die Deckung des menschenwürdigen Bedarfs in Gestalt des Existenzminimums handelt. Dieses soll aber bei einer Pfändung erhalten bleiben.
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Insoweit ist der für den Monat März 2014 in dem Gesamtbetrag von (restlichen) 2.597,79 € enthaltene, im Folgemonat gezahlte Teilbetrag von 450,93 € ebenfalls vorab von der Pfändung auszunehmen. Dies folgt aus einer analogen Anwendung des § 850k Abs. 2 Nrn. 1a) und 1b) ZPO i.V.m. Abs. 1 S. 3 ZPO. Der darin zum Ausdruck gekommene Gedanke, dass pfändungsfreie stehengelassene Leistungen auch im Folgemonat noch von der Pfändungsfreiheit umfasst werden, ist dabei analog auf eine Nachzahlung seitens des Sozialleistungsträgers zu übertragen. Es ist kein durchgreifender Grund dafür ersichtlich, hier zwischen einer tatsächlich erfolgten Auszahlung und einer Nachzahlung (bezogen auf bestehende Leistungsansprüche aus dem Vormonat) zu differenzieren.
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Der Betrag von weiteren 450,93 € ist daher aufgrund von § 850k Abs. 2 Nrn. 1a) und 1b) ZPO i.V.m. Abs. 1 S. 3 ZPO analog nicht der Pfändung unterworfen und freizugeben.
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c) Hinsichtlich der Monate Oktober 2014 bis einschließlich Februar 2015 greift diese Analogie nicht, da diese außerhalb der Fristen aus § 850k Abs. 2 Nrn. 1a) und 1b) ZPO i.V.m. Abs. 1 S. 3 ZPO liegen.
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Diese Beträge sind jedoch aus anderen Gründen der Beschwerdeführerin zu belassen.
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Die Vermutung, dass diese zur Sicherung des Lebensunterhaltes gezahlten Beträge für in der Vergangenheit liegende Leistungszeiträume nicht mehr zum tatsächlichen Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin benötigt werden, gilt hier nicht. Eine derartige gesetzgeberische Intention vermag die Kammer der Norm des § 850k ZPO nicht zu entnehmen, ebenso wenig anderen Vorschriften. Das Gegenteil ist der Fall. Nach der Gesetzbegründung soll sichergestellt werden, dass der mit der Zahlung der Leistungen verfolgte Zweck auch tatsächlich erreicht wird. Dies formuliert die Gesetzbegründung ausdrücklich für den Fall der Einmalzahlungen im Sinne des § 54 Abs. 2 SGB I (BT-Drucks. 16/7615 S. 19). Nicht anders ist der Fall vorliegende zu beurteilen.
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Auch bei den hier gegenständlichen Beträgen darf die verfassungsrechtliche Grundlage zur Leistungserbringung durch den Staat und deren Zweck nicht außer Betracht gelassen werden. Handelt es sich bei den Leistungen um solche zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfGE 125, 175), so folgt bereits im Umkehrschluss aus der Leistungsintention, dass zwar auch mit weniger Mitteln eine Existenz noch möglich ist, diese allerdings menschenunwürdig wäre. Einen zwingenden Schluss von der Nichtverfügbarkeit der Nachzahlungsbeträge in den entsprechenden Leistungsabschnitten auf die nach Meinung von Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nunmehr nicht mehr zur Deckung des Lebensunterhalts bestehende Notwendigkeit, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Zwar ist den Stimmen in Rechtsprechung und Literatur insoweit zuzustimmen, als gewisse Teilbereiche der menschlichen Existenz nicht nachholbar sind, etwa im Bereich der Ernährung. Im vorliegenden Fall entfallen jedoch in den Monaten Oktober bis Dezember 2014 von der monatlichen Gesamtsumme lediglich 47,66 € (39,11 € für B und weitere 8,55 € für C) und für die Zeit ab Januar 2015 monatlich 73,99 € (53,37 € für B und weitere 20,62 € für C) auf den Regelbedarf, in dem diese Kostenblöcke der menschlichen Existenz enthalten sind. Die restlichen 367,34 € pro Monat für die Monate bis einschließlich Dezember 2014 bzw. 376,94 € pro Monat in den Monaten ab Januar 2015 dienen dem Bedarf an Unterkunft und Heizung, was sich aus den vorliegenden Bescheiden ergibt.
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Die Teile für Unterkunft und Heizung decken damit aber nach dem Zweck des SGB II lediglich die tatsächlich angefallenen Kosten der Unterkunft. Insoweit hat die Nutzung selbiger in der Vergangenheit auch stattgefunden, allein die Bezahlung war nicht erfolgt. Das Argument, dass die entsprechenden Zahlungsbestandteile nicht mehr für den Lebensunterhalt benötigt werden, verfängt in diesem Zusammenhang nicht, die fehlenden Zahlungen können (und müssen) als sog. "existenzsichernde Verpflichtungen (BT-Drucks. 16/7615 S. 14) nachgeholt werden. Gegen die Pfändbarkeit spricht § 54 Abs. 3 Nr. 2a) SGB I, wonach Wohngeld grundsätzlich unpfändbar ist, um zu verhindern, dass durch die Pfändung die Zwecksetzung des Wohngeldes in Gestalt der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens vereitelt wird (BT-Drucks. 15/1516 S. 68).
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Hinsichtlich der Regelbedarfsbeträge von insgesamt 47,66 € bzw. 73,99 € monatlich besteht ebenfalls keine Vermutung dafür, dass diese nicht für Leistungen zu verwenden sind, die nachgeholt oder nachgezahlt werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Regelleistungen aus verschiedenen Teilen zusammensetzen und entsprechend dem RBEG fortgeschrieben werden. Hinsichtlich der genauen Zusammensetzung wird auf die in den jeweiligen Jahren geltenden Zusammensetzungen der Beträge verwiesen, wie sie dem RBEG zu entnehmen sind. In diesen sind aber ausweislich § 6 RBEG beispielsweise mit den Kosten in der Abteilung 3 solche für Bekleidung enthalten, die im Falle der nachträglichen Zahlung noch bedarfsnachholend anfallen können. Es ist nicht ersichtlich, dass hier ein in der Vergangenheit bestehender Bedarf aufgrund Zeitablaufes in Wegfall geraten würde.
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Gegen die Pfändbarkeit spricht auch noch ein weiteres Argument. So kommt in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1516 S. 56) zum Ausdruck, dass die Leistungen in Gestalt des ALG II nach dem SGB II nicht mit der Übernahme von Schulden des Hilfeempfängers verbunden sind. Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenn bei der Nachzahlung fehlerhaft zu niedrig angesetzter Leistungen diese den Gläubigern des Sozialleistungsempfängers zu Gute kämen.
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Auch spricht gegen eine Pfändbarkeit, dass dann im Falle der vorwerfbar fehlerhaften Festsetzung der Sozialleistungen dem Empfänger im haftungsrechtlichen Sinne ein Schaden entstünde, der - bei angenommener Vorlage der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen - zu einem Haftungsanspruch gegenüber dem Staat führen würde.
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Insoweit ist eine Pfändbarkeit jedenfalls aus der wertenden Gesamtbetrachtung und auf Grundlage der §§ 850c, 850f Abs. 1 ZPO ausgeschlossen.
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Aus den selben Gründen liegt in dem hier vorliegenden Fall - anders als das Amtsgericht angenommen hat - auch eine unbillige Härte im Sinne des § 765a ZPO vor, sodass eine Pfändbarkeit der entsprechenden Leistungen nicht in Betracht kommt. Ein schutzwürdiges Interesse der Gläubiger an einer Vollstreckung in nachgezahlte Leistungen nach dem SGB II ist nicht zu erkennen. Auf der Seite der Beschwerdeführerin - aber auch der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder - besteht hingegen aus den vorstehend dargelegten Gründen ein schutzwürdiges Interesse am Behalten der (nachträglich gezahlten) Leistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums, das die Interessen der Gläubigerin sichtlich überwiegt.
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Soweit in den vom Amtsgericht zitierten Entscheidungen darauf hingewiesen wird, dass die Beschwerdeführerin bei Vorlage der gesetzlichen Bestimmungen und Bedingungen das Geld Dritter getrennt von ihrem Vermögen anzulegen hat, trifft dies aufgrund der Bestimmungen der §§ 1626, 1642 BGB i.V.m. den in § 1805 BGB niedergelegten Grundsätzen der Vermögenstrennung auch im Verhältnis Elternteil und Kind zwar grundsätzlich zu. Diese Grundsätze sind vorliegend jedoch über die in § 850k Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gekommenen besonderen Wertungen zu korrigieren. Wenn wegen § 850k Abs. 2 ZPO ein jedenfalls eingeschränkter Pfändungsschutz besteht, so darf dieser nicht dadurch umgangen werden, dass die Gelder ohne weiteres zu reinem Kontoguthaben, in welches vollstreckt werden kann, erklärt werden.
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Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da bislang zu den entscheidenden Rechtsfragen keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs veröffentlicht ist und die Kammer mit dieser Entscheidung von der Rechtsprechung anderer erst- und zweitinstanzlicher Gerichte in ähnlich gelagerten tatsächlichen Ausgangskonstellationen abweicht. Insoweit ist eine Klärung der Rechtsfragen bei Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ALG II) aufgrund der über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung für eine Vielzahl von vergleichbaren Fallkonstellationen durch das Rechtsbeschwerdegericht angezeigt.