Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 19. Apr. 2011 - 5 Sa 325/10
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von anteiliger Jahreszuwendung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der tarifliche Anspruch auf die Jahreszuwendung (Weihnachtsgeld) durch einen Beschäftigungssicherungstarifvertrag wirksam abbedungen worden ist.
- 2
Der 1959 geborene Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Hafenfacharbeiter beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Hafenarbeitnehmer beschäftigt und an die Hafenbetriebe ausleiht. Auf diese Weise erhalten die rund 60 Hafenarbeiter der Beklagten eine stetige Beschäftigung. Die Finanzierung des Geschäfts erfolgt über die den Hafenbetrieben in Rechnung gestellten Leistungen sowie über Umlagezahlungen aller Hafenbetriebe. Der Kläger verdient, wenn er produktiv eingesetzt wird 13,35 EUR brutto in der Stunde. Kann er nicht produktiv eingesetzt werden, erhält er einen Garantielohn, der sich auf rund 8,00 EUR beläuft; dieser wird aus der Umlage finanziert.
- 3
Die Hafenbetriebe zahlen an die Beklagte pro Einsatzstunde eines Arbeitnehmers einen Betrag, der ungefähr 80 Prozent über dem Stundenlohn des Arbeitnehmers liegt. Durch diesen Aufschlag werden alle weiteren Kosten der Beklagten finanziert. Nach Angaben der Beklagten kann sie ein ausgeglichenes Ergebnis erwirtschaften, wenn die Einsatzquote ihrer Arbeitnehmer bei ungefähr 80 Prozent der Gesamtjahresarbeitszeit liegt. Liegt sie darunter, treten rechnerische Verluste auf, die aus dem Gesamthafenfond oder durch Zuschüsse der Mitgliedsbetriebe ausgeglichen werden müssen.
- 4
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer des Gesamthafenbetriebes R., gültig ab 1. Januar 2008, anwendbar. Nach § 8 dieses Tarifvertrages steht dem Kläger ein Weihnachtsgeld ("Jahreszuwendung") in Höhe von 173 Bruttogrundstundenlöhne zu. Weiter heißt es in dem Tarifvertrag wörtlich:
- 5
"§ 8 Jahreszuwendung
...
4.
- 6
Arbeitnehmer, die in dem Kalenderjahr, für das die Jahreszuwendung gezahlt werden soll, keine Arbeitsleistung erbracht haben, haben keinen Anspruch auf die Jahreszuwendung. Bei unverschuldeten Fehlzeiten (Krankheit, Elternzeit, betriebsbedingte Fehlzeiten) über sechs Kalendermonate hinaus hat der Arbeitnehmer Anspruch auf so viele 12tel der Jahreszuwendung, wie er volle Kalendermonate gearbeitet hat. Dies gilt nicht für Arbeitnehmer, die wegen eines grobfahrlässig oder vorsätzlich verschuldeten Arbeitsunfalls arbeitsunfähig sind. Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Jahreszuwendung nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zum Gesamthafenbetrieb Rostock stehen oder deren Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt gekündigt ist, haben ebenfalls keinen Anspruch auf Zahlung einer Jahreszuwendung. Arbeitnehmer, die unverschuldet einen Arbeitsunfall erlitten haben, erhalten die volle Jahreszuwendung.
5. ..."
- 7
Die jährlichen Kosten dieser Jahreszuwendung werden bei der Beklagten mit rund 170 TEUR kalkuliert.
- 8
Der Einbruch des weltweiten Handelsvolumens in Folge der Finanzkrise 2008 hatte auch zum Rückgang des Hafenumschlags und damit auch zum Rückgang der Nachfrage nach den Leistungen der Beklagten durch die Hafenbetriebe geführt. Vor diesem Hintergrund schloss die Beklagte mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft v., Landesbezirk Nord, einen ab Juni 2009 geltenden Beschäftigungssicherungstarifvertrag zum Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer des Gesamthafenbetriebes R. (im Folgenden als BeschSichTV bezeichnet) in dem zur Jahreszuwendung folgende Formulierungen enthalten sind:
- 9
"§ 1 Maßnahmen
- 10
Zum Erreichen der Sicherung der Arbeitsplätze werden folgende Maßnahmen ungesetzt:
- 11
Die im Kalenderjahr 2009 angefallenen Verluste (*Protokollnotiz 1) werden maximal in Höhe der Jahreszuwendung der Arbeitnehmer ausgeglichen. Sind die Verluste aus nicht geleisteten Schichten geringer als die Summe der Jahreszuwendungen, wird der Differenzbetrag anteilig ausgezahlt.
...
- 12
§ 4 Anpassung
1.
- 13
Der Betriebsrat des Gesamthafenbetriebes R. erhält monatlich die Gewinn- und Verlustrechnung des [es folgen die Namen der Beklagten und einer als Organgesellschaft fungierenden GmbH].
2.
- 14
Bei der Veränderung der gegenwärtigen Umlage erfolgt umgehend eine Information über die Anpassung des Fixkostenanteils."
- 15
Die in § 1 erwähnte Protokollnotiz hat folgenden Wortlaut:
- 16
"Protokollnotiz 1: Die im Kalenderjahr 2009 angefallenen Verluste durch nicht geleistete Schichten zur Rückstellung der Jahreszuwendung werden maximal in Höhe der Jahreszuwendung der Gesamthafenarbeiter ausgeglichen."
- 17
Die volle Jahreszuwendung 2009 nach dem Manteltarifvertrag würde sich beim Kläger bei einem Stundenlohn von 13,35 EUR auf 2.309,55 EUR brutto belaufen. Im Jahr 2009 hat der Kläger 50 Prozent produktive Schichten für die Hafenbetriebe geleistet; in der übrigen Zeit war Kurzarbeit angeordnet oder er erhielt nur seinen Garantielohn. Die 50 Prozent entsprechen auch der mittleren Einsatzquote der ganzen Belegschaft der Beklagten im Jahre 2009.
- 18
Die Beklagte hat im Rechtsstreit vorgetragen, sie habe das Kalenderjahr 2009 mit einem Verlust in Höhe von rund 4.500,00 EUR abgeschlossen, wobei zum 30. Juni des Jahres der Verlust noch mehr als 65 TEUR betragen hat; das zweite Halbjahr sei positiv gewesen, so dass am Jahresende nur der vergleichsweise geringfügige Verlust übrig geblieben ist.
- 19
Wegen des Verlustes hat die Beklagte für das Jahr 2009 allerdings an ihre Arbeitnehmer unter Berufung auf den Beschäftigungssicherungstarifvertrag überhaupt keine Jahreszuwendung ausgezahlt.
- 20
Der Kläger meint, ihm stünde jedenfalls eine anteilige Jahressonderzuwendung zu, da er immerhin die Hälfte der üblichen produktiven Schichten erbracht habe. Nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung verfolgt er durch die im Mai 2010 eingereichte Klage sein Ziel vor Gericht weiter.
- 21
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. September 2010 (3 Ca 703/10) als unbegründet abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
- 22
Mit der Berufung, die keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel in vollem Umfang weiter.
- 23
Der Kläger meint, da er im Jahr 2009 immerhin 50 Prozent seiner Arbeitszeit produktive Schichten geleistet habe, stünde ihm auch 50 Prozent der Jahreszuwendung also 1.154,77 EUR brutto zu. - Jedenfalls wirke der Tarifvertrag nicht in die Vergangenheit zurück, so dass dem Kläger zumindest zeitanteilig für die fünf Monate bis einschließlich Mai 2009 5/12 der Jahressonderzahlung zustehen; das werde mit dem Hilfsantrag zum Ausdruck gebracht.
- 24
Der Kläger beantragt, das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.154,77 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2009 zu zahlen;
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2. Hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 962,31 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 27
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 29
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dem Kläger stehe wegen des Jahresverlustes gar kein Anspruch auf die Jahreszuwendung zu. Dem Kläger stehe auch kein anteiliger Anspruch zu. Zwar sei der Jahresverlust geringer als die Kosten der Jahreszuwendung; man müsse jedoch bedenken dass im Jahresabschluss entsprechend der Rechtsauffassung der Beklagten Ansprüche auf Jahreszuwendung gar nicht berücksichtigt seien. Würde man diese in den Jahresabschluss mit aufnehmen, wäre der Gesamtverlust höher als die Gesamtkosten der Jahreszuwendung.
- 30
Der Kläger missachte die Geschäftsgrundlage des Beschäftigungssicherungstarifvertrages. Man habe zur Jahresmitte 2009 bereits abgesehen, dass die für ein ausgeglichenes Ergebnis notwendige kalkulierte Einsatzquote der gewerblichen Arbeitnehmer in Höhe von rund 80 Prozent unter keinen Umständen mehr erreicht werden könne. Nur durch einen vollständigen Verzicht auf die Jahreszuwendung konnte es gelingen, die Kosten der Beklagten den zu erwartenden Einnahmen aus den Einsätzen der Arbeitnehmer anzunähern. Das Kostendelta, das durch die extrem schlechte Einsatzquote im Jahre 2009 zu entstehen drohte, sei weit höher als die 170 TEUR für die Kosten der Jahreszuwendung gewesen. Es sei daher abwegig anzunehmen, die Beklagte habe die Jahreszuwendung jedenfalls anteilig für die tatsächlichen Einsatzschichten zur Auszahlung bringen wollen. Damit hätte man das Kostenproblem nicht beseitigt bekommen.
- 31
Der Kläger habe bei dieser Situation auch keinen Anspruch auf die anteilige Jahreszuwendung. Denn die Voraussetzungen aus § 1 Satz 3 BeschSichTV ("Besserungsschein") seien nicht erfüllt.
- 32
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist nicht begründet.
- 34
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil es dem Beschäftigungssicherungstarifvertrag im Wege der Auslegung die Aussage entnommen hat, dass die Zahlung der Jahressonderzuwendung für das Jahr 2009 tarifvertraglich ausgeschlossen wurde. Auch eine anteilige Zahlung scheide aus, da die Voraussetzungen des Besserungsscheins nicht eingetreten seien. Dem schließt sich das Berufungsgericht an.
I.
- 35
Der Kläger hat für das Jahr 2009 keinen Anspruch auf die Zahlung der im Manteltarifvertrag vorgesehenen Jahressonderzuwendung.
1.
- 36
Durch § 1 Satz 2 BeschSichTV haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass die Beklagte 2009 keine Jahressonderzuwendung zu zahlen braucht. Dieser Tarifvertrag gilt auch für den Kläger, der Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist.
- 37
Die Tarifvertragsparteien haben in § 1 Satz 2 BeschSichTV vereinbart, dass die im Kalenderjahr 2009 angefallenen Verluste... ausgeglichen werden. Damit haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass die Belegschaft für das Jahr 2009 auf den tariflichen Anspruch auf die Jahreszuwendung verzichtet.
- 38
Der rechtsgeschäftliche Sinn der tariflichen Regelung erschließt sich zwar nicht beim ersten und auch nicht beim zweiten Lesen des Textes, er ist jedoch unter Zuhilfenahme der üblichen Erkenntnismittel der Auslegung von Tarifverträgen noch im erforderlichen Umfang erkennbar.
- 39
Die Tarifvertragsparteien haben geregelt, dass Verluste der Beklagten "ausgeglichen werden". Wenn jemand sagt, er werde die Verluste ausgleichen, meint man damit im Allgemeinen, er werde Zahlungen leisten, die die Verluste neutralisieren. Offensichtlich sind die Tarifvertragsparteien also davon ausgegangen, dass irgendjemand Zahlungen vornimmt, um die Verluste auszugleichen. Da es um Verluste der Beklagten geht, muss derjenige, der nach dem Tarifvertrag zahlen soll, auf Gewerkschaftsseite bzw. auf Seiten der von ihr vertretenen Belegschaft zu suchen sein. - Da die Belegschaft jedoch nicht über Barmittel verfügt, mit denen man durch Zahlung Verluste ausgleichen könnte, kommt hier als Zahlungsvorgang nur der Verzicht auf Ansprüche gegen die Beklagte in Betracht. Denn auch durch den Verzicht auf eigene Ansprüche kann man drohende Verluste ausgleichen.
- 40
Der wahre Gehalt von § 1 Satz 2 BeschSichTV lautet also: "Die im Kalenderjahr 2009 angefallenen Verluste werden... durch Verzicht auf den tariflichen Anspruch auf Jahreszuwendung ausgeglichen." Das sieht der Kläger im Übrigen ähnlich, er hat in der mündlichen Verhandlung den Sinn des BeschSichTV ebenfalls mit einem Verzicht auf die Jahreszuwendung beschrieben.
2.
- 41
Nach § 1 Satz 2 BeschSichTV ist die Verzichtsleistung der Belegschaft allerdings begrenzt worden durch die Wendung "maximal in Höhe der Jahreszuwendung der Arbeitnehmer". Diese Begrenzung führt nicht zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis, denn die Verluste der Beklagten übersteigen die so bezeichnete Grenze für den Verzicht der Arbeitnehmer.
a)
- 42
Die tarifliche Regelung ist zwar auch insoweit nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick verständlich. Ihr Sinn lässt sich aber auch in dieser Hinsicht noch mit der gebotenen Sicherheit entschlüsseln.
- 43
Wenn man einmal zur Vereinfachung des Aussagegehalts der Tarifnorm an die Stelle "Höhe der Jahreszuwendung der Arbeitnehmer" die 170 TEUR einsetzt, die die Jahreszuwendung kostet, lautet also die Aussage wörtlich, die 2009 angefallenen Verluste werden maximal in Höhe von 170 TEUR (ergänze: durch Verzicht der Arbeitnehmer) ausgeglichen. - Das kann trotz des anderslautenden Wortsinns unschwer in die allgemeinverständlichere Aussage übersetzt werden, dass die Arbeitnehmerschaft den Anspruch auf die Jahreszuwendung verliert, wenn die Verluste 170 TEUR oder mehr ausmachen, sie jedoch den Anspruch teilweise behält, wenn die Verluste zum Jahresende geringer als 170 TEUR ausgefallen sein sollten.
b)
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Daraus kann der Kläger keine Ansprüche herleiten, denn die Beklagte hat das Geschäftsjahr 2009 trotz der vollständigen Nichtberücksichtigung der Kosten der Jahreszuwendung 2009 immer noch mit einem Verlust abgeschlossen.
- 45
Die Unsicherheit über das zu Grunde zu legende Zahlenwerk konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung behoben werden. Maßgebend für die Betrachtung sind die Zahlen aus der Anlage B3 (hier Blatt 89). Danach endete das Jahr 2009 mit einem Verlust in Höhe von rund 4,5 TEUR.
- 46
Der Kläger stellt zu diesem Zahlenwerk auch richtig fest, dass dort gar keine Rückstellungen mehr für die Jahreszuwendung gebildet worden seien. Denn die Beklagte hat die in der ersten Jahreshälfte 2009 monatlich dafür ausgewiesenen Rückstellungen nach Abschluss des Tarifvertrages wieder aufgelöst. Das ist kaufmännisch korrekt; nach dem Verzicht der Belegschaft war es nicht mehr nötig, die Rückstellungen aufrecht zu erhalten.
- 47
Der Kläger zieht aus der Auflösung der Rückstellung aber unzulässige Schlüsse. Aus der Auflösung der Rückstellung kann nicht geschlossen werden, dass das Geld außerplanmäßig und sozusagen zweckwidrig für andere Dinge ausgegeben wurde. Schaut man sich die Zahlen genauer an, stellt man vielmehr fest, dass die Beklagte für Personalaufwand in 2009 insgesamt rund 1,9 Mill EUR aufwenden musste und sie in derselben Zeit aus der Ausleihe der Arbeitnehmer an die Hafenbetriebe nur einen Umsatz in Höhe von 2,16 Mill. EUR erwirtschaften konnte. Der geringe Überschuss der Erlöse über den Personalkosten wurde durch die Materialkosten und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen vollständig aufgezehrt. Bei diesem engen Zahlengerüst kann es keine zweckwidrigen Ausgaben zu Lasten der Belegschaft gegeben haben. Die Zahlen belegen vielmehr, dass das Betriebsergebnis der Beklagten 2009 nur durch den vollständigen Verzicht der Belegschaft auf die Jahreszuwendung halbwegs zum Ausgleich gebracht werden konnte.
c)
- 48
Die Behauptung des Klägers, der Geschäftsführer der Beklagten habe selbst in den Tarifverhandlungen sinngemäß gesagt, wer 50 Prozent der Schichten leiste, erhalte 50 Prozent der Jahreszuwendung, macht die Klage nicht schlüssig.
- 49
Denn selbst wenn die Äußerung irgendwann während der Verhandlungen so gefallen sein sollte, bleibt im Unklaren, ob der Geschäftsführer damit die bereits verabredete Regelung authentisch interpretieren wollte, oder ob es sich nur um eine Aussage im Rahmen der Verhandlungen, als man sich über Einzelheiten noch nicht verständigt hatte, gehandelt hat.
- 50
Im Übrigen hat der Kläger seine Behauptung nicht substantiiert auch nachdem die Beklagte sie bestritten hat. Es mag nahe liegen, dass der Kläger kein kalendergenaues Datum nennen kann, an dem die Äußerung gefallen sein soll. Er hätte aber näher dazu vortragen können, in welchem Kontext diese Äußerung gefallen ist, was also zuvor besprochen wurde, wie die Gesprächspartner auf die Äußerung des Geschäftsführers reagiert haben und wie der weitere Verhandlungsverlauf danach war. Insoweit ist ja immerhin erstaunlich, dass der Regelungsansatz, der in der behaupteten Aussage zum Ausdruck kommt, im Wortlaut der tariflichen Regelung keinerlei Niederschlag gefunden hat.
- 51
Dazu ist im Berufungsrechtszug nichts neues vorgetragen worden, obwohl der Kläger ausweislich der Berufungsbegründung selbst erkannt hatte, das das Arbeitsgericht diesen Punkt für so unwichtig gehalten hatte, dass es sich mit ihm in der Urteilsbegründung gar nicht auseinandergesetzt hat. Diese Feststellung hätte Anlass dazu sein müssen, etwas mehr von der Geschichte zu erzählen, in der dieses Zitat vorgekommen sein soll.
3.
- 52
Auch aus den sonstigen Regelungen des BeschSichTV lässt sich der klägerische Anspruch in der geltend gemachten Höhe weder ganz noch teilweise begründen. Der Kläger will, dass ihm die Jahreszuwendung anteilig entsprechend dem Anteil der von ihm erbrachten produktiven Schichten gezahlt wird. Eine dahingehende Regelung kann das Gericht an keiner Stelle des BeschSichTV erkennen.
a)
- 53
Für diesen Anspruch kann sich der Kläger nicht auf die Protokollnotiz zu § 1 Satz 2 BeschSichTV berufen. Auch diese Regelung ist alles andere als klar und sie steht zudem in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum Aussagegehalt von § 1 Satz 2 BeschSichTV selbst. Das Gericht kann und will sich daher nicht festlegen, was die Tarifvertragsparteien mit dieser Protokollnotiz eigentlich zum Ausdruck bringen wollten. Denn jedenfalls lässt sich aus der Protokollnotiz nicht der Standpunkt des Klägers ableiten.
- 54
Die Protokollnotiz verwendet einen engeren Begriff des Verlustes. Während im Tarifvertragstext selbst allgemein von Verlusten die Rede ist, spricht die Protokollnotiz von "Verlusten durch nicht geleistete Schichten". Das knüpft nach Überzeugung des Gerichts an das "Geschäftsmodell" der Beklagten an, die in normalen Jahren zu einem ausgeglichenen Betriebsergebnis kommt, wenn rund 80 Prozent der Jahresarbeitszeit auf produktive Schichten beim Kunden fällt. Wird diese Einsatzquote erreicht, reichen die Aufschläge auf den Bruttolohn, die den Kunden neben dem Bruttolohn in Rechnung gestellt werden, aus, um die weiteren Betriebskosten einschließlich der Jahreszuwendung zu finanzieren. Es handelt sich also nicht um Verluste im Sinne von Rechtsansprüchen Dritter, die die Einnahmen übersteigen, sondern es handelt sich um ausbleibende Einnahmen, die man nur dann - im übertragenen Sinne - als Verluste bezeichnen kann, wenn man sie den prognostizierten Einnahmen gegenüberstellt.
- 55
Gleichwohl gilt auch für diesen Auslegungsansatz: Solange die Umsatzerlöse gerade mal so die Personalkosten, die Materialkosten und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen decken, ist das ein Zeichen dafür, dass die Einnahmesituation so weit von den üblichen Erwartungen negativ abgewichen ist, dass für die Zahlung auch nur einer anteiligen Jahreszuwendung kein Spielraum verbleibt. Die "verdienten" Erlösanteile aus den geleisteten produktiven Schichten bei einer Einsatzquote von 50 Prozent mussten vielmehr vollständig für die mehr oder weniger fixen Kosten wie den Materialaufwand und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen verbraucht werden. Eine anteilige Auszahlung der Jahreszuwendung hätte also auch insoweit zumindest ein positives Betriebsergebnis vorausgesetzt, das nicht vorliegt.
b)
- 56
Für seinen Anspruch kann sich der Kläger auch nicht auf § 1 Satz 3 BeschSichTV berufen, den die Beklagte bildhaft als "Besserungsschein" bezeichnet hat.
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Das ergibt sich eigentlich bereits aus den bisherigen Ausführungen. Beim Besserungsschein ist wieder von den "Verlusten aus nicht geleisteten Sichten" die Rede, die eigentlich gar keine Verluste sind; vielmehr handelt es sich insoweit nur um in der Planung als notwendig erachtete Einnahmen, die aber wegen der geringen Einsatzquote 2009 gerade nicht erzielt werden konnten. Wegen der Einzelheiten kann auf die Ausführungen im vorausgegangenen Abschnitt verwiesen werden.
- 58
Zu diesen befürchteten Erlöseinbrüchen heißt es nun im Besserungsschein, die Jahreszuwendung werde anteilig gezahlt, wenn die Erlöseinbrüche geringer ausfallen als die "Summe der Jahreszuwendung". Diese Voraussetzung ist offensichtlich nicht erfüllt. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass den Umsatzerlösen 2009 eine produktive Einsatzquote der Belegschaft in Höhe von 50 Prozent zu Grunde liegt. Unstreitig ist auch, dass die Einsatzquote in normalen Jahren bei rund 80 Prozent oder besser liegt. Wenn bei einer Einsatzquote von 50 Prozent durch die Belegschaft Erlöse von rund 2,0 Mill. EUR in 2009 erwirtschaftet wurden (siehe Anlage B3 - Übersicht Betriebsergebnis), wären in normalen Jahren an dieser Stelle Erlöse in Höhe von 3,2 Mill. EUR zu erwarten gewesen (gerechnet für eine Einsatzquote von 80 Prozent). Dabei wären zwar dann auch die gewerblichen Löhne und die Sozialabgaben von rund 1,7 Mill. EUR auf grob geschätzt 2,7 Mill EUR angestiegen. Die weiteren Kosten (Gehälter, Materialaufwand, sonstige betriebliche Aufwendungen) wäre aber mehr oder weniger gleich geblieben, so dass letztlich durch die geringere Einsatzquote Liquidität im Umfang von 0,5 Mill EUR (überschlägig geschätzt) dem Unternehmen entgangen ist. Auch unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten der vorgenommenen Schätzung wird deutlich, dass die "Verluste" aus Mindereinnahmen weit mehr als die Kosten der Jahreszuwendung in Höhe von 170 TEUR ausmachen. Dies wird im Übrigen indirekt auch durch das Betriebsergebnis, das trotz vollständig fehlender Berücksichtigung der Kosten der Jahreszuwendung negativ geblieben ist, bestätigt.
4.
- 59
Auch der Hilfsantrag des Klägers ist nicht schlüssig vorgetragen.
- 60
Die Tarifvertragsparteien wollten erkennbar auf den gesamten Anspruch auf die Jahreszuwendung 2009 verzichten. Wenn man so will, haben sie damit auch über die in den Monaten Januar bis Mai 2009 erdienten Anwartschaften der Belegschaft disponiert. Eine solche rückwirkende Verschlechterung der tariflichen Anspruchslage ist unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzgedankens ohne weiteres möglich und kommt gerade in Zusammenhang mit Beschäftigungssicherungstarifverträgen immer wieder vor. Die hier konkret vereinbarte (unechte) Rückwirkung der Verzichtsregelung ist unter Vertrauensschutzgesichtspunkten völlig unproblematisch, denn sie ist angesichts der befürchteten und später auch eingetretenen Erlöseinbrüche sachlich gerechtfertigt und sie greift nicht unzumutbar in bereits verfestigte Ansprüche der Belegschaft ein.
- 61
Dem Kläger steht daher auch keine anteilige Jahreszuwendung aus den Monaten Januar bis Mai 2009 zu.
II.
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Die Kosten der Berufung trägt der Kläger, da sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).
- 63
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG liegen nicht vor.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 19. Apr. 2011 - 5 Sa 325/10
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Referenzen - Gesetze
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.