Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 12. Apr. 2018 - 4 Sa 208/17

bei uns veröffentlicht am12.04.2018

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Stralsund, Kammern Neubrandenburg, vom 19.09.2017 – 13 Ca 256/16 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz, nachdem dieser ein ihr überlassener Generalschlüssel gestohlen worden war.

2

Die langjährig bei der Klägerin beschäftigte Beklagte ist seit Februar 2016 als Wohnheimleiterin tätig. Anfang März 2015 nahm die Klägerin den Wohnheimschlüssel und Bauzeichnungen für den Neubau eines Wohnheims nach der Arbeit. Dazu hat die Beklagte im Kammertermin unbestritten vorgetragen, dass sie diese Gegenstände nach einem auswärtigen Termin mitgenommen habe, da sie nicht mehr ins Wohnheim zurückgefahren sei. Den Schlüssel und die Bauzeichnungen beließ die Beklagte in ihrem PKW, einem VW Caddy, den sie abgeschlossen in dem Carport auf ihrem Privatgrundstück abstellte. Das Grundstück der Beklagten war durch ein elektrisches Schiebetor gesichert. Am 03.03.2015 kam es gleichwohl zum Diebstahl des Pkw samt Bauunterlagen und Schlüssel.

3

Die Klägerin ließ daraufhin ihre Schließanlage, die rund 250 Schließanlagenzylinder und entsprechende Schlüssel umfasste, zu einem Preis von 9.726,64 € auswechseln. Der Versicherer der Klägerin übernahm hierfür die Kosten bis zur Haftungshöhe von 3.000,00 €. Den Differenzbetrag von 6.726,64 € hat die Klägerin gegenüber der Beklagten klageweise geltend gemacht.

4

Sie hat behauptet, dass der Beklagten bei Übergabe des nunmehr gestohlenen Schlüssels mitgeteilt worden sei, dass es sich um einen Generalschlüssel handele. Außerdem sei die Beklagte darüber belehrt worden, dass sie im Verlustfalle haftbar sei. Dass der Schlüssel in dem Fahrzeug über Nacht verblieben sei, stelle einen Sorgfaltsverstoß dar. Es komme erschwerend hinzu, dass sich mit den Bauunterlagen Bezugsunterlagen im Kfz befunden hätten. Erst dadurch sei es Dritten möglich, den Generalschlüssel der Klägerin zuzuordnen. Die Klägerin habe sofort reagiert und im Büro, in den Verwaltungsräumen und im Sekretariat die Schlösser ausgetauscht. Um im Übrigen Diebstahlsschäden vorzubeugen, habe sie sich veranlasst gesehen, die gesamte Schließanlage wechseln zu lassen.

5

Die Beklagte hat bestritten, dass es erforderlich gewesen sei, die gesamte Schließanlage auszutauschen und dass es sich bei dem ihr überlassenen Schlüssel um einen Generalschlüssel gehandelt habe. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass ihr Fahrzeug von ihrem Privatgrundstück gestohlen werde. In ihrem Heimatort sei es in den letzten 25 Jahren weder zu Wohnungseinbruchdiebstählen gekommen, noch seien Fahrzeuge von den Wohngrundstücken entwendet worden.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 10.09.2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch habe, da der Beklagten allenfalls leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Es sei für sie nicht vorhersehbar gewesen, dass ihr auf ihrem umfriedeten Grundstück geparkten Pkw gestohlen werden würde. Insofern sei sie nicht gehalten gewesen, den Dienstschlüssel und die Bauunterlagen nicht im Fahrzeug zu belassen, sondern mit ins Haus zu nehmen.

7

Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts und des Parteivortrags erster Instanz wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil (Blatt 113 – 118 d. A.) verwiesen.

8

Gegen dieses der Klägerin am 25.10.2017 zugestellte Urteil wendet sie sich mit der rechtzeitig beim Landesarbeitsgericht eingelegten und begründeten Berufung.

9

Die Klägerin hält das arbeitsgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens für fehlerhaft. Das Arbeitsgericht habe nicht davon ausgehen dürfen, dass es für die Beklagte nicht vorhersehbar gewesen wäre, dass Ihr Fahrzeug gestohlen werden könnte. Dabei habe auch berücksichtigt werden müssen, dass der Beklagten bekannt gewesen sei, dass es sich um einen Generalschlüssel gehandelt habe, der aufgrund der zusätzlich vorhandenen Bauunterlagen zugeordnet werden konnte. Insofern sei von grober Fahrlässigkeit auszugehen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 29.01.2018 (Blatt 163 – 174 d. A.) Bezug genommen.

11

Die Klägerin beantragt,

12

das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 19.09.2017, Az. 13 Ca 256/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.726,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB jährlich seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 05.03.2018, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Blatt 181 - 184 d. A.), als rechtlich zutreffend. Außerdem bestreitet sie, das es sich bei dem Schlüssel um einen Generalschlüssel gehandelt habe.

16

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 12.04.2018 (Blatt 192 f. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

17

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Sie ist im Sinne der §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig.

II.

18

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit zutreffender Begründung richtig entschieden. Auf diese wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen kein anderes Ergebnis.

19

Im Hinblick auf die Berufungsbegründung sind die folgenden Ausführungen veranlasst:

1.

20

Vorliegend geht es um die Frage, ob und inwieweit der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber durch Verletzung von Sorgfaltspflichten des Arbeitnehmers entstandene Schäden haftet. Es geht also um die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber.

21

Nach der dazu gefestigten Rechtsprechung liegt hier ein Schadensereignis im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit vor.

2.

22

Allerdings führt die Schadensverteilung nach dem Grad des Verschuldens unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass die Beklagte keine Ersatzpflicht trifft.

a)

23

Bei Vorsatz bzw. grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer den Schaden in der Regel alleine zu tragen. Bei leichter Fahrlässigkeit trägt den Schaden in voller Höhe der Arbeitgeber. Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Schaden unter Berücksichtigung aller Umstände quotal zu verteilen (ErfK/Preis, 18. Aufl., § 619 a BGB Rn. 13 m. w. N.).

b)

24

Die allein in Betracht kommende grobe Fahrlässigkeit scheidet aus. Diese liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in einem ungewöhnlich hohen Grad verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (ErfK a. a. O. Rn. 15). Anhaltspunkte dafür sind nach dem unstreitigen Sachverhalt weder ersichtlich noch vorgetragen. Alleine der Umstand, dass es sich um einen “wertvollen Schlüssel“ gehandelt hat und die Beklagte davon Kenntnis hatte, genügt dafür nicht. Auch sind keine Umstände dafür ersichtlich, dass die Beklagte damit rechnen oder auch nur in Erwägung ziehen musste, dass ihr Fahrzeug aufgebrochen beziehungsweise ganz gestohlen werden würde. Dies gilt auch deshalb, weil es sich weder um ein besonderes noch besonders hochpreisiges Auto gehandelt hat, bei dem man mit einem Diebstahl hätte rechnen müssen. Auch ist zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug durch ein elektrisches Schiebetor gegen Diebstahl gesichert war. Zwar ist der Klägerin, wie hier erlebt, zuzugestehen, dass auch ein solches Tor kein überwindbares Hindernis für interessierte Diebe darstellt. Zu rechnen ist mit einem derartigen Geschehensablauf nach Auffassung der Kammer allerdings nicht. Zugunsten der Beklagten ist außerdem zu berücksichtigen, dass etwas Vergleichbares noch nie vorher an ihrem Wohnort vorgefallen ist.

25

Auch ein Fall der mittleren Fahrlässigkeit, der eine Schadensteilung zur Folge hätte, liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. Mittlere Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, der rechtlich missbilligte Erfolg bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt voraussehbar und vermeidbar gewesen wäre (ErfK a. a. o. Rn 16). Auch dafür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Selbst in Kenntnis der Beklagten von der Bedeutung des Schlüssels war der missbilligte Erfolg, die Wegnahme des Fahrzeugs der Beklagten inclusive des Schlüssels nicht voraussehbar. Angesichts der konkret geschilderten Umstände sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die diesen Geschehensablauf hätten voraussehen lassen.

26

Folglich bleibt nur ein Fall der leichten Fahrlässigkeit, der eine Haftung der Beklagten nicht zur Folge hat.

27

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

III.

28

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 Abs. 1 ZPO).

29

Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2. ArbGG besteht nicht.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)