Europäischer Gerichtshof Urteil, 12. Juli 2018 - T-441/14

ECLI:ECLI:EU:T:2018:453
bei uns veröffentlicht am12.07.2018

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

12. Juli 2018 ( *1 )

„Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Stromkabel – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Nachweis der Zuwiderhandlung – Dauer der Beteiligung – Offene Distanzierung – Berechnung der Geldbuße – Schwere der Zuwiderhandlung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑441/14

Brugg Kabel AG mit Sitz in Brugg (Schweiz),

Kabelwerke Brugg AG Holding mit Sitz in Brugg,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Rinne, A. Boos und M. Lichtenegger,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch H. Leupold, H. van Vliet und C. Vollrath als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Israel,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2014) 2139 final der Kommission vom 2. April 2014 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] sowie nach Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache AT.39610 – Stromkabel), soweit er die Klägerinnen betrifft, hilfsweise auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und des Richters R. Barents,

Kanzler: L. Grzegorczyk, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2017

folgendes

Urteil

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

A. Klägerinnen und betroffene Branche

1

Die Klägerinnen, die Kabelwerke Brugg AG Holding und ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft Brugg Kabel AG, sind schweizerische Gesellschaften, die in der Herstellung und Lieferung von erdverlegten Stromkabeln (im Folgenden: Erdkabel) tätig sind.

2

Erd- und Unterwasserkabel werden zur unterirdischen bzw. unterseeischen Übertragung und Verteilung von Strom verwendet. Sie werden in drei Kategorien eingeordnet: Niederspannung, Mittelspannung und Hoch- bzw. Höchstspannung. Hoch- und Höchstspannungskabel werden vorwiegend im Rahmen von Projekten verkauft, die sowohl die Lieferung des Stromkabels nebst Zusatzausrüstung als auch die Verlegung und die weiteren erforderlichen Dienstleistungen beinhalten. Sie werden weltweit an große nationale Netzbetreiber und andere Stromversorgungsunternehmen verkauft, meist im Rahmen von Ausschreibungen.

B. Verwaltungsverfahren

3

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 übermittelte die schwedische Gesellschaft ABB AB der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Reihe von Erklärungen und Unterlagen über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken in der Branche der Herstellung und Lieferung von Erd- und Unterwasserkabeln. Diese Erklärungen und Unterlagen wurden im Rahmen eines Antrags auf Geldbußenerlass im Sinne der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Kronzeugenregelung) eingereicht.

4

Vom 28. Januar bis zum 3. Februar 2009 vollzog die Kommission infolge der Erklärungen von ABB Nachprüfungen in den Räumlichkeiten der Prysmian SpA, der Prysmian Cavi e Sistemi Energia Srl und weiterer betroffener europäischer Gesellschaften, nämlich Nexans SA und Nexans France SAS.

5

Am 2. Februar 2009 stellten die japanischen Gesellschaften Sumitomo Electric Industries Ltd, Hitachi Cable Ltd und J‑Power Systems Corp. einen gemeinsamen Antrag auf Geldbußenerlass nach Rn. 14 der Kronzeugenregelung, hilfsweise auf Herabsetzung der Geldbuße nach Rn. 27 dieser Regelung. In der Folge gaben sie gegenüber der Kommission weitere mündliche Erklärungen ab und übermittelten ihr weitere Unterlagen.

6

Im Laufe der Untersuchung sandte die Kommission mehrere Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) und Rn. 12 der Kronzeugenregelung an Unternehmen der Branche der Herstellung und Lieferung von Erd- und Unterwasserkabeln.

7

Am 30. Juni 2011 leitete die Kommission ein Verfahren ein und nahm eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die an folgende Rechtssubjekte gerichtet wurde: Nexans France, Nexans, Pirelli & C. SpA, Prysmian Cavi e Sistemi Energia, Prysmian, The Goldman Sachs Group, Inc., Sumitomo Electric Industries, Hitachi Cable, J‑Power Systems, Furukawa Electric Co. Ltd, Fujikura Ltd, Viscas Corp., SWCC Showa Holdings Co. Ltd, Mitsubishi Cable Industries Ltd, Exsym Corp., ABB, ABB Ltd, nkt cables GmbH, NKT Holding A/S, Silec Cable SAS, Grupo General Cable Sistemas, SA, Safran SA, General Cable Corp., LS Cable & System Ltd, Taihan Electric Wire Co. Ltd und die Klägerinnen.

8

Vom 11. bis 18. Juni 2012 nahmen die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, mit Ausnahme von Furukawa Electric, an einer Verwaltungsanhörung vor der Kommission teil.

9

Mit Urteilen vom 14. November 2012, Nexans France und Nexans/Kommission (T‑135/09, EU:T:2012:596), und vom 14. November 2012, Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi Energia/Kommission (T‑140/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:597), erklärte das Gericht die zum einen an Nexans und Nexans France, zum anderen an Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi Energia gerichteten Nachprüfungsentscheidungen teilweise für nichtig, soweit sie andere Stromkabel als Hochspannungsunterwasser- und ‑erdkabel und das zu diesen anderen Kabeln gehörende Material betrafen. Im Übrigen wurden die Klagen abgewiesen. Am 24. Januar 2013 legten Nexans und Nexans France ein Rechtsmittel gegen das erstgenannte Urteil ein. Mit Urteil vom 25. Juni 2014, Nexans und Nexans France/Kommission (C‑37/13 P, EU:C:2014:2030), wies der Gerichtshof dieses Rechtsmittel zurück.

10

Am 2. April 2014 erließ die Kommission den Beschluss C(2014) 2139 final in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] sowie nach Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache AT.39610 – Stromkabel) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

C. Angefochtener Beschluss

1.   In Rede stehende Zuwiderhandlung

11

Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses haben sich mehrere Unternehmen in unterschiedlichen Zeiträumen an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV „in Bezug auf Erd- und/oder Unterwasserkabel für Hoch- und Höchstspannung“ beteiligt. Im Wesentlichen hat die Kommission festgestellt, die führenden europäischen, japanischen und südkoreanischen Hersteller von Unterwasser- und Erdkabeln hätten sich von Februar 1999 bis Ende Januar 2009 an einem Netz zwei- und mehrseitiger Zusammenkünfte beteiligt und Kontakte hergestellt, die darauf abgezielt hätten, bei Projekten im Zusammenhang mit Hoch- und Höchstspannungserd- und ‑unterwasserkabeln in bestimmten Gebieten den Wettbewerb einzuschränken, indem sie sich auf die Aufteilung von Märkten und Kunden verständigt und damit den normalen Wettbewerbsprozess verfälscht hätten (Erwägungsgründe 10 bis 13 und 66 des angefochtenen Beschlusses).

12

Das Kartell habe aus zwei Hauptkonfigurationen bestanden, die ein Gesamtkartell gebildet hätten. Konkreter habe das Kartell aus zwei Flügeln bestanden:

der „A/R-Kartellkonfiguration“, zu der die im Allgemeinen als „R‑Mitglieder“ bezeichneten europäischen Unternehmen, die als „A‑Mitglieder“ bezeichneten japanischen Unternehmen und die als „K‑Mitglieder“ bezeichneten südkoreanischen Unternehmen gehört hätten. Diese Konfiguration habe dem Ziel gedient, Gebiete und Kunden unter den europäischen, japanischen und südkoreanischen Herstellern aufzuteilen. Die Aufteilung sei gemäß einer Absprache über das „Heimatgebiet“ erfolgt, nach der die japanischen und die südkoreanischen Hersteller bei Projekten im „Heimatgebiet“ der europäischen Hersteller von Geboten abgesehen hätten, während letztere Hersteller auf den japanischen und den südkoreanischen Markt verzichtet hätten. Hinzugekommen sei die Aufteilung von Projekten in den „Ausfuhrgebieten“ – d. h. der restlichen Welt mit Ausnahme namentlich der Vereinigten Staaten –, für die über einen bestimmten Zeitraum eine „60/40‑Quote“ gegolten habe, was bedeutet habe, dass 60 % der Projekte den europäischen Herstellern und die übrigen 40 % den asiatischen Herstellern vorbehalten worden seien;

der „europäischen Kartellkonfiguration“, die die Aufteilung von Gebieten und Kunden durch die europäischen Hersteller bei Projekten im europäischen „Heimatgebiet“ bzw. bei den europäischen Herstellern zugeteilten Projekten vorgesehen habe (vgl. Abschnitt 3.3 des angefochtenen Beschlusses, insbesondere dessen Erwägungsgründe 73 und 74).

13

Die Kartellteilnehmer hätten sich zum Austausch von Informationen verpflichtet, um die Einhaltung der Aufteilungsvereinbarungen überwachen zu können (Erwägungsgründe 94 bis 106 und 111 bis 115 des angefochtenen Beschlusses).

14

Mit Rücksicht auf ihre jeweilige Rolle bei der Verwirklichung des Kartells teilte die Kommission die verschiedenen Kartellteilnehmer in drei Gruppen ein. Zunächst definierte sie die Kerngruppe des Kartells, zu der zum einen die europäischen Unternehmen Nexans France, die nacheinander am Kartell beteiligten Tochterunternehmen von Pirelli & C., vormals Pirelli SpA (im Folgenden: Pirelli), und Prysmian Cavi e Sistemi Energia, zum anderen die japanischen Unternehmen Furukawa Electric, Fujikura und ihr Gemeinschaftsunternehmen Viscas sowie Sumitomo Electric Industries, Hitachi Cable und ihr Gemeinschaftsunternehmen J‑Power Systems gehört hätten (Erwägungsgründe 545 bis 561 des angefochtenen Beschlusses). Sodann bezeichnete die Kommission eine Gruppe von Unternehmen, die nicht zur Kerngruppe gehört hätten, aber auch nicht als Randbeteiligte des Kartells angesehen werden könnten; hierzu zählte sie ABB, Exsym, Brugg Kabel und das von der Sagem SA, Safran und Silec Cable gebildete Konsortium (Erwägungsgründe 562 bis 575 des angefochtenen Beschlusses). Schließlich betrachtete die Kommission Mitsubishi Cable Industries, SWCC Showa Holdings, LS Cable & System, Taihan Electric Wire und nkt cables als Randbeteiligte des Kartells (Erwägungsgründe 576 bis 594 des angefochtenen Beschlusses).

2.   Verantwortlichkeit der Klägerinnen

15

Brugg Kabel wurde für die unmittelbare Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 14. Dezember 2001 bis zum 16. November 2006 verantwortlich gemacht. Kabelwerke Brugg wurde für haftbar erklärt, weil sie im selben Zeitraum die Muttergesellschaft von Brugg Kabel gewesen sei (Erwägungsgründe 859 bis 861 des angefochtenen Beschlusses).

3.   Verhängte Geldbuße

16

In Art. 2 Buchst. b des angefochtenen Beschlusses wird gegen die Klägerinnen „gesamtschuldnerisch“ eine Geldbuße in Höhe von 8490000 Euro verhängt.

17

Zur Bemessung der Höhe der Geldbußen wandte die Kommission Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 und die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß [dieser Vorschrift] (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen) dargelegte Methode an.

18

Was erstens den Grundbetrag der Geldbußen anging, ermittelte die Kommission zunächst nach Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen den einschlägigen Umsatz (Erwägungsgründe 963 bis 994 des angefochtenen Beschlusses) und setzte dann gemäß den Ziff. 22 und 23 dieser Leitlinien den die Schwere der Zuwiderhandlung widerspiegelnden Anteil an diesem Umsatz fest. Insoweit war sie der Auffassung, dass die Zuwiderhandlung ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsverstößen gehöre, weshalb für ihre Schwere ein Prozentsatz von 15 % angemessen sei. Zudem erhöhte sie den schwerebezogenen Prozentsatz aufgrund des kumulierten Marktanteils und der fast weltweiten, u. a. den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) umfassenden Ausdehnung des Kartells für alle Adressaten um 2 %. Im Übrigen ging sie davon aus, dass das Verhalten der europäischen Unternehmen für den Wettbewerb schädlicher gewesen sei als dasjenige der anderen Unternehmen, da die europäischen Unternehmen über ihre Beteiligung an der „A/R-Kartellkonfiguration“ hinaus auch im Rahmen der „europäischen Kartellkonfiguration“ Kabelprojekte unter sich aufgeteilt hätten. Daher setzte sie den aufgrund der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigenden Umsatzanteil für die europäischen Unternehmen auf 19 % und für die anderen Unternehmen auf 17 % fest (Erwägungsgründe 997 bis 1010 des angefochtenen Beschlusses).

19

Als Multiplikator für die Dauer der Zuwiderhandlung legte die Kommission in Bezug auf die Klägerinnen für den Zeitraum vom 14. Dezember 2001 bis zum 16. November 2006 die Zahl 4,91 zugrunde. Außerdem rechnete sie zum Grundbetrag der Geldbuße einen zusätzlichen Betrag („Eintrittsgebühr“) in Höhe von 19 % des Umsatzes hinzu. Der so berechnete Betrag belief sich auf 8937000 Euro (Erwägungsgründe 1011 bis 1016 des angefochtenen Beschlusses).

20

Was zweitens die Anpassungen des Grundbetrags der Geldbußen anging, stellte die Kommission außer im Fall von ABB keine erschwerenden Umstände fest, die den Grundbetrag der gegen die Kartellteilnehmer jeweils festgesetzten Geldbuße hätten beeinflussen können. Im Bereich der mildernden Umstände entschied sie hingegen, die jeweilige Rolle der verschiedenen Unternehmen bei der Verwirklichung des Kartells in die Höhe der Geldbußen einfließen zu lassen. So verringerte sie den Grundbetrag der Geldbuße gegen die Randbeteiligten des Kartells um 10 % und den Grundbetrag der Geldbuße gegen die Unternehmen, die sich in mittlerem Ausmaß am Kartell beteiligt hatten, um 5 %. Ferner gewährte sie Mitsubishi Cable Industries und SWCC Showa Holdings – für den Zeitraum vor der Gründung von Exsym – sowie LS Cable & System und Taihan Electric Wire eine zusätzliche Ermäßigung in Höhe von 1 %, da sie von bestimmten Teilen der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung keine Kenntnis gehabt hätten und dafür nicht verantwortlich seien. Den zur Kerngruppe des Kartells gehörenden Unternehmen wurde hingegen keinerlei Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße gewährt (Erwägungsgründe 1017 bis 1020 und 1033 des angefochtenen Beschlusses). Überdies gewährte die Kommission Mitsubishi Cable Industries in Anwendung der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen eine zusätzliche Ermäßigung in Höhe von 3 % der gegen sie verhängten Geldbuße wegen wirksamer Mitarbeit außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung (1041. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

21

Schließlich beschloss die Kommission, ABB die Geldbuße zu erlassen und die gegen J‑Power Systems, Sumitomo Electric Industries und Hitachi Cable verhängte Geldbuße um 45 % zu verringern, um der Mitwirkung dieser Unternehmen im Rahmen der Kronzeugenregelung Rechnung zu tragen.

II. Verfahren und Anträge der Parteien

22

Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 16. Juni 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

23

Am 28. September 2016 hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 89 Abs. 3 Buchst. a und d seiner Verfahrensordnung Fragen an die Kommission gerichtet und diese aufgefordert, bestimmte Unterlagen vorzulegen, insbesondere nicht vertrauliche Fassungen der Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte.

24

Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung ist die Berichterstatterin der Achten Kammer (neue Besetzung) zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

25

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 hat die Kommission die Fragen des Gerichts beantwortet und die erbetenen Unterlagen vorgelegt, mit Ausnahme der nicht vertraulichen Fassungen der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte seitens Nexans France, Nexans, The Goldman Sachs Group, Sumitomo Electric Industries, Hitachi Cable, J‑Power Systems, Furukawa Electric, Fujikura, Mitsubishi Cable Industries, Exsym, nkt cables, NKT Holding, Silec Cable, Grupo General Cable Sistemas, Safran, General Cable, LS Cable & System, ABB, Pirelli & C., Prysmian, Prysmian Cavi e Sistemi Energia, SWCC Showa Holdings, Taihan Electric Wire und Viscas. Sie hat erklärt, trotz ihrer Aufforderung hätten diese Gesellschaften noch keine nicht vertraulichen Fassungen ihrer Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erstellt.

26

Das Gericht (Achte Kammer) hat auf Vorschlag der Berichterstatterin beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. In der Sitzung vom 1. Juni 2017 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

27

Die Klägerinnen beantragen,

Art. 1 Nr. 2, Art. 2 Buchst. b und Art. 3 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit damit wegen ihrer Verantwortlichkeit für eine vom 14. Dezember 2001 bis zum 16. November 2006 begangene einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens gesamtschuldnerisch eine Geldbuße von 8490000 Euro gegen sie verhängt wird;

den angefochtenen Beschluss teilweise für nichtig zu erklären, soweit sie danach wegen vermeintlicher Beteiligung an den verschiedenen Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen, aus denen die einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung bestehen soll, auch für einzelne Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens haftbar gemacht werden;

hilfsweise, die in Art. 2 Buchst. b des angefochtenen Beschlusses gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

28

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

29

Die Klägerinnen beantragen sowohl die teilweise Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses als auch die Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße.

A. Anträge auf Nichtigerklärung

30

Zur Stützung ihrer Anträge auf Nichtigerklärung machen die Klägerinnen sechs Klagegründe geltend. Mit dem ersten Klagegrund rügen sie eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren, mit dem zweiten die Unzuständigkeit der Kommission für Drittstaatenverstöße ohne Auswirkung im EWR. Der dritte betrifft einen Beurteilungsfehler und einen Verstoß gegen die in Art. 6 Abs. 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie in Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 und 3 EUV garantierte Unschuldsvermutung durch ungerechtfertigte Zuweisung einer Haftung an die Klägerinnen wegen ihrer vermeintlichen Beteiligung an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung. Der vierte Klagegrund bezieht sich auf eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch fehlerhafte Feststellung von Tatsachen und Verfälschung von Beweisen hinsichtlich der vermeintlichen Beteiligung der Klägerinnen am Kartell sowie eine Verletzung der Begründungspflicht. Mit dem fünften Klagegrund wird eine Verletzung „materiellen Rechts“ durch fehlerhafte Anwendung von Art. 101 AEUV bzw. Art. 53 des EWR-Abkommens beanstandet. Der sechste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, eine fehlerhafte Begründung, mehrere Beurteilungsfehler und einen Ermessensmissbrauch durch fehlerhafte Bemessung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße.

1.   Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren

31

Der erste Klagegrund ist in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil betrifft eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Weigerung der Kommission, den Klägerinnen die Auskunftsverlangen und die Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Deutsch zu übermitteln. Im zweiten Teil geht es um eine Verletzung der Verteidigungsrechte durch die Weigerung der Kommission, den Klägerinnen Einsicht in die möglicherweise entlastenden Stellungnahmen anderer Unternehmen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren.

a)   Zur Zustellung der Auskunftsverlangen und der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Englisch

32

Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe ihr Recht auf ein faires Verfahren und ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem sie ihnen die Auskunftsverlangen und die Mitteilung der Beschwerdepunkte ausschließlich auf Englisch zugestellt habe, obwohl Brugg Kabel mehrfach darum gebeten habe, auf Deutsch zu kommunizieren.

33

Aus dem Recht auf ein faires Verfahren, dem Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte und Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK sei abzuleiten, dass die Kommission, wenn sie mit einem in einem Staat außerhalb des EWR ansässigen Unternehmen korrespondiere, die Amtssprache dieses Staates verwenden müsse, wenn diese zu den Amtssprachen der Europäischen Union und zudem zu den Arbeitssprachen der Kommission gehöre. Daher sei die Kommission – wie es im Übrigen in ihrem Dokument mit dem Titel „Antitrust Manual of Procedures“ geregelt sei – im Fall eines Unternehmens wie Brugg Kabel, das im deutschsprachigen Kanton Aargau (Schweiz) ansässig sei, verpflichtet gewesen, die deutsche Sprache zu verwenden oder spätestens vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Verzichtserklärung von diesem Unternehmen einzuholen.

34

Im vorliegenden Fall habe jedoch, nachdem sich die Kommission zunächst auf Englisch an Brugg Kabel gewandt habe, eine Beamtin der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission in einem Telefonat vom 23. Oktober 2009 gegenüber den Verfahrensbevollmächtigten von Brugg Kabel angegeben, die Kommission könne ihrem Gesuch um Übermittlung einer deutschsprachigen Fassung des Auskunftsverlangens vom 20. Oktober 2009 nicht nachkommen, da sich der Sitz dieses Unternehmens nicht in einem Mitgliedstaat der Union befinde. Erst nach dieser Weigerung hätten die Verfahrensbevollmächtigten von Brugg Kabel eine bloß auszugsweise Übersetzung des Auskunftsverlangens vom 20. Oktober 2009 beantragt, wie aus dem Schreiben an die Kommission vom 27. Oktober 2009 hervorgehe. Entgegen der Behauptung der Kommission habe Brugg Kabel also nicht bis zur Anhörung vor dem Anhörungsbeauftragten gewartet, um zu verlangen, dass sich die Kommission auf Deutsch an sie wende. Zudem sei der Wunsch von Brugg Kabel, Deutsch als Verfahrenssprache zu verwenden, eindeutig daraus erkennbar, dass sie sämtliche Auskunftsverlangen sowie die Mitteilung der Beschwerdepunkte in dieser Sprache beantwortet habe.

35

Die Weigerung der Kommission, Brugg Kabel die Auskunftsverlangen und die Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Deutsch zuzustellen, habe es erforderlich gemacht, Zeit für die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche aufzuwenden, wodurch die Zeit, die sie normalerweise ihrer Verteidigung hätte widmen können, verkürzt worden sei. Entgegen dem Vorbringen der Kommission genügten die Englischkenntnisse innerhalb dieses Unternehmens nicht dafür, dass hier den Anforderungen nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK genügt worden wäre. Vielmehr fänden sowohl das Tagesgeschäft als auch die Tagungen des Führungspersonals und der Controller regelmäßig auf Deutsch statt. Ebenso sei Deutsch die Sprache, in der die interne Korrespondenz von Brugg Kabel geführt werde und die Unternehmensunterlagen wie die Jahresberichte oder das Führungshandbuch erstellt würden, die erst anschließend von externen Dienstleistern ins Englische übersetzt würden. Auch komme es nicht darauf an, dass die klagegegenständlichen Kontakte zwischen Brugg Kabel und den anderen Kabelherstellern überwiegend auf Englisch erfolgt seien, da es sich dabei um rein technische Ausführungen eines Mitarbeiters im Fachjargon der Kabelhersteller gehandelt habe, wohingegen die Mitteilung der Beschwerdepunkte komplexe Vorwürfe enthalten habe, die Brugg Kabel einwandfrei habe nachvollziehen müssen, um sich in technischer und juristischer Hinsicht mit ihnen auseinandersetzen zu können.

36

Des Weiteren habe die Kommission die Verteidigungsrechte der Klägerinnen vor dem Gericht verletzt, indem sie in ihrer Klagebeantwortung englisch- und französischsprachige Zitate verwendet habe, ohne deren Übersetzung mitzuliefern, wie es Art. 35 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 vorschreibe. Dieser Mangel habe nicht im Stadium der Gegenerwiderung geheilt werden können, da ein solches Nachholen angesichts der bereits in der Klageschrift erhobenen Sprachenrüge nicht mehr zulässig sei. Daher seien sämtliche Ausführungen in der Klagebeantwortung, die solche Zitate enthielten, als unzulässig zurückzuweisen.

37

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

38

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die EMRK zwar, solange die Union ihr nicht beigetreten ist, kein Rechtsinstrument darstellt, das formell in die Unionsrechtsordnung übernommen worden ist, nach Art. 6 Abs. 3 EUV aber die durch die EMRK anerkannten Grundrechte als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die in ihr enthaltenen Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben wie die durch die EMRK verliehenen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Weiter ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK jede angeklagte Person das Recht hat, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden.

40

Nach der Rechtsprechung kann die Kommission nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 6 EMRK angesehen werden (vgl. Urteil vom 10. März 1992, Shell/Kommission, T‑11/89, EU:T:1992:33, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Überdies schließt die Beachtung von Art. 6 EMRK nicht aus, dass in einem Verfahren verwaltungsrechtlicher Natur eine „Strafe“ zunächst von einer Verwaltungsbehörde verhängt wird, die selbst nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK genügt, vorausgesetzt, dass die Entscheidung dieser Behörde anschließend der Kontrolle durch ein Rechtsprechungsorgan mit Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 35). Demnach können sich die Klägerinnen gegenüber der Kommission nicht auf einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK berufen.

41

Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die Beachtung der Verteidigungsrechte, die durch Art. 41 der Charta zu einem Wesensbestandteil des Rechts auf eine gute Verwaltung erhoben wird, unter allen Umständen zu gewährleisten ist, namentlich in jedem Verfahren, das zu Sanktionen führen kann, auch wenn es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt. Im letzteren Fall setzt dies voraus, dass die betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung zu nehmen (vgl. Urteil vom 27. September 2012, Shell Petroleum u. a./Kommission, T‑343/06, EU:T:2012:478, Rn. 82 und 88 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Außerdem folgt aus der Rechtsprechung, dass die Kommission die Verteidigungsrechte der von einem Verwaltungsverfahren, das zu Sanktionen führen kann, betroffenen Unternehmen auch in Voruntersuchungsverfahren zu beachten hat, da verhindert werden muss, dass die Verteidigungsrechte in solchen Verfahren in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden; insbesondere gilt dies bei Nachprüfungen, die für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung auszulösen, von entscheidender Bedeutung sein können (Urteil vom 14. November 2012, Nexans France und Nexans/Kommission, T‑135/09, EU:T:2012:596, Rn. 41).

43

Nach Maßgabe der oben in den Rn. 38 bis 42 dargelegten Grundsätze ist zu prüfen, ob die Verteidigungsrechte der Klägerinnen dadurch verletzt wurden, dass ihnen die Auskunftsverlangen und die Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Englisch zugestellt wurden.

44

Was erstens die Zusendung der Auskunftsverlangen auf Englisch anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass – wie oben in Rn. 42 ausgeführt – die Pflicht der Kommission, bei Untersuchungen, die vor der eigentlichen Eröffnung des Kartellverfahrens erfolgen, die Verteidigungsrechte zu beachten, verhindern soll, dass diese Rechte bei solchen Untersuchungen in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden. Aus demselben Grund muss die Kommission die Verteidigungsrechte insbesondere bei Nachprüfungen beachten, denn diese können für die Erbringung von Beweisen für rechtswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen, die geeignet sind, deren Haftung auszulösen, von entscheidender Bedeutung sein.

45

Es ist davon auszugehen, dass dieser Grundsatz auch für Auskunftsverlangen gilt, die die Kommission im Zuge der Voruntersuchung an die betroffenen Unternehmen richtet, da die Antworten auf diese Auskunftsverlangen von der Kommission wie im vorliegenden Fall dafür verwendet werden können, den Beweis für rechtswidrige Verhaltensweisen dieser Unternehmen zu erbringen.

46

Allerdings ist festzustellen, dass die Auskunftsverlangen, die die Kommission am 7. April 2009, am 20. Oktober 2009, am 31. März 2010 und am 29. November 2010 an Brugg Kabel gerichtet hat, zwar auf Englisch verfasst waren, die Klägerinnen jedoch ausweislich der Akten in der Lage waren, sie hinreichend zu verstehen, um jedes von ihnen zu beantworten. Ferner ist hervorzuheben, dass Brugg Kabel nur die Übersetzung bestimmter Passagen des Auskunftsverlangens der Kommission vom 20. Oktober 2009 erbeten hat und, nachdem die Kommission diese Übersetzungen übermittelt hatte, dieses Auskunftsverlangen beantwortet hat. Überdies ist hervorzuheben, dass die Kommission keineswegs von Brugg Kabel gefordert hat, die Auskunftsverlangen auf Englisch zu beantworten. Folglich ist festzustellen, dass Brugg Kabel in der Lage war, ihren Standpunkt zu den von der Kommission angeforderten Informationen sachdienlich zu äußern.

47

Soweit das Vorbringen der Klägerinnen so zu verstehen sein sollte, dass die in ihrem Schreiben vom 27. Oktober 2009 angesprochene Weigerung der Kommission, die Auskunftsverlangen auf Deutsch an Brugg Kabel zu richten, einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 4 der Charta darstelle, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Diese Bestimmung besagt nämlich, dass sich jede Person in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union werden kann und eine Antwort in derselben Sprache erhalten muss. Im vorliegenden Fall hat sich aber die Kommission an Brugg Kabel gewandt, um von ihr eine Antwort zu erhalten, und nicht umgekehrt.

48

Was zweitens die Zustellung der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Englisch anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass entsprechend den obigen Ausführungen in Rn. 42, wenn die Kommission die Verteidigungsrechte im Rahmen einer Voruntersuchung berücksichtigen muss, dies erst recht nach der förmlichen Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens gilt, das zum Erlass von Sanktionen gegen die betroffenen Unternehmen führen kann.

49

Allerdings ist im vorliegenden Fall unabhängig davon, wie gut genau das Personal und die Führungskräfte der Klägerinnen die englische Sprache beherrschten, festzustellen, dass die Klägerinnen ausweislich des Schreibens von Brugg Kabel an die Kommission vom 1. September 2011 nicht etwa zum Zweck der Übersetzung eine Fristverlängerung für die Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdepunkte beantragt haben, sondern um über mehr Zeit zu verfügen, um sämtliche Aktenstücke und die zahlreichen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Behauptungen im Detail zu prüfen, und zwar unter Berücksichtigung der beschränkten Ressourcen, die sie dieser Aufgabe widmen konnten. Es ist aber kaum vorstellbar, dass die Klägerinnen, hätten sie tatsächlich Schwierigkeiten gehabt, die englische Fassung der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu verstehen, oder mehr Zeit für deren Übersetzung benötigt, dies nicht erwähnt hätten, um ihren Antrag auf Fristverlängerung für die Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu begründen. Zudem ist festzustellen, dass sie durchaus in der Lage waren, die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu beantworten, wenn auch in deutscher Sprache, was ebenfalls belegt, dass sie über hinreichende Englischkenntnisse verfügten, um Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung zu verstehen und in sachdienlicher Weise dazu Stellung zu nehmen.

50

Demnach ist das Vorbringen der Klägerinnen, ihre Verteidigungsrechte seien im Verwaltungsverfahren dadurch verletzt worden, dass ihnen die Auskunftsverlangen und die Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Englisch zugestellt wurden, als unbegründet zurückzuweisen.

51

Soweit die Klägerinnen darüber hinaus geltend machen, ihre Verteidigungsrechte seien im vorliegenden Gerichtsverfahren verletzt worden, ist von vornherein festzustellen, dass dieses Vorbringen nur als ins Leere gehend zurückgewiesen werden kann, soweit damit ein Klagegrund gestützt wird, der die Verletzung der Verteidigungsrechte von Brugg Kabel im Verwaltungsverfahren betrifft.

52

Im Übrigen kann dem Vorbringen der Klägerinnen, bestimmte Passagen der Klagebeantwortung seien als unzulässig zurückzuweisen, weil sie wegen fehlender Beachtung der Verfahrenssprache ihre Verteidigungsrechte verletzten, nicht gefolgt werden.

53

Insoweit steht fest, dass die Verfahrenssprache der vorliegenden Rechtssache Deutsch ist. Überdies ergibt sich aus Art. 35 § 3 Abs. 1 und 2 der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Klagebeantwortung galt, dass die Verfahrenssprache insbesondere bei den mündlichen Ausführungen und in den Schriftsätzen der Parteien einschließlich aller Anlagen anzuwenden ist und dass Urkunden, die in einer anderen Sprache abgefasst sind, eine Übersetzung in der Verfahrenssprache beizugeben ist.

54

Demnach war die Kommission verpflichtet, von den fremdsprachigen Zitaten in der Klagebeantwortung eine Übersetzung in der Verfahrenssprache vorzulegen. Dieser Verpflichtung konnte sich die Kommission nicht allein deshalb entziehen, weil der als Anlage zur Klageschrift beigefügte angefochtene Beschluss eine Übersetzung mancher dieser Zitate enthielt oder weil andere Zitate aus Anlagen zur Klageschrift stammten oder weil es sich um Äußerungen eines Mitarbeiters der Klägerinnen handelte.

55

Jedoch ist festzustellen, dass die Kommission diesen Formfehler korrigiert hat, indem sie die Übersetzung der in Rede stehenden Zitate in den Anlagen zur Gegenerwiderung vorgelegt hat.

56

Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen stand der Umstand, dass sie bereits in der Klageschrift die Nichtbeachtung der Verfahrenssprache gerügt hatten, einer solchen Korrektur nicht entgegen. Diese Rüge betraf nämlich die von der Kommission im Verwaltungsverfahren verwendete Sprache, die keine Bindungswirkung für die Verfahrenssprache des Gerichtsverfahrens entfaltet.

57

Demzufolge können die in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache verfassten Passagen der Klagebeantwortung nicht als unzulässig angesehen werden.

58

Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

b)   Zur Weigerung der Kommission, Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren

59

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, ihre Verteidigungsrechte verletzt zu haben, indem sie sich geweigert habe, ihnen oder ihren Prozessbevollmächtigten Einsicht in die nicht vertrauliche Fassung der Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren – mit Ausnahme einer sehr beschränkten Einsicht in die Antworten von ABB und J‑Power Systems –, obwohl diese Antworten möglicherweise entlastendes Beweismaterial insbesondere zum Gegenstand des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains (Frankreich) – das die Kommission irrigerweise als den Beginn der Beteiligung von Brugg Kabel an der Zuwiderhandlung ansehe – sowie zur Unterbrechung der Beteiligung von Brugg Kabel an der Zuwiderhandlung im Laufe des Jahres 2005 enthielten.

60

Die Offenlegung der Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte sei umso mehr gerechtfertigt, als zum einen, wie der Gerichtshof mit Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6), entschieden habe, die Kommission nicht allein entscheiden dürfe, welche Schriftstücke der Verteidigung dienlich seien, wozu sie im Übrigen auch nicht in der Lage gewesen sei, und zum anderen den Klägerinnen die Beteiligung an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung vorgeworfen werde, womit sie für Verhaltensweisen anderer Unternehmen haftbar gemacht würden, an denen sie nicht teilgenommen und von denen sie gegebenenfalls nicht einmal gewusst hätten.

61

Entgegen dem Vorbringen der Kommission hätte die Gewährung von Akteneinsicht in die möglicherweise entlastenden Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte im vorliegenden Fall nicht die Wirkung gehabt, den Abschluss des Verwaltungsverfahrens auf unbestimmte Zeit zu verzögern, zumal die Kommission anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte bereits Akteneinsicht gewährt habe.

62

Im Übrigen könne von den Klägerinnen zum Nachweis, dass die möglicherweise entlastenden Schriftstücke ihrer Verteidigung dienlich gewesen wären, nicht verlangt werden, genaue Angaben zum Inhalt dieser Schriftstücke zu machen, in die sie ja gerade keine Einsicht gehabt hätten. Das Erfordernis eines entsprechenden Anfangsbeweises, wie es aus dem von der Kommission angeführten Urteil vom 27. September 2012, Shell Petroleum u. a./Kommission (T‑343/06, EU:T:2012:478), hervorgehe, diene dazu, die Beweislast der Unternehmen, denen die Kommission die Einsicht in ein entlastendes Schriftstück versagt habe, zu erleichtern, und dürfe nicht so ausgelegt werden, dass dieser Beweis unmöglich zu erbringen sei. Im vorliegenden Fall genüge es, wenn die Klägerinnen, wie sie es getan hätten, darauf hinwiesen, dass die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigen könnten, dass keiner der angeblichen Kartellbeteiligten das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains als „R‑Treffen“ bezeichnet habe, bei dem Brugg Kabel sich an der Umsetzung des Kartells beteiligt habe.

63

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

64

Insoweit ist als Erstes festzustellen, dass die Auffassung der Klägerinnen, die Kommission sei verpflichtet gewesen, ihnen Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren, weil sie nicht allein über die Relevanz der im Laufe des Verfahrens eingegangenen Schriftstücke für ihre Verteidigung entscheiden dürfe, nicht durchgreift.

65

Nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 gibt die Kommission nämlich vor einer Entscheidung gemäß den Art. 7, 8, 23 oder 24 Abs. 2 dieser Verordnung den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das von ihr betriebene Verfahren richtet, Gelegenheit, sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die sie in Betracht gezogen hat. Diese Vorschrift besagt zudem, dass „[d]ie Kommission … ihre Entscheidung nur auf die Beschwerdepunkte [stützt], zu denen sich die Parteien äußern konnten“, und dass „[d]ie Beschwerdeführer … eng in das Verfahren einbezogen [werden]“.

66

Demnach besteht der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen insbesondere darin, es den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den in den Akten der Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie zu den Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte auf deren Grundlage gelangt ist, sachgerecht Stellung nehmen können (Urteil vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, EU:C:2003:531, Rn. 125). Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen und insbesondere die effektive Ausübung des Anhörungsrechts sicherstellen sollen.

67

Nach der Rechtsprechung bedeutet das Recht auf Akteneinsicht, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Dazu gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen (Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Allerdings wird das betroffene Unternehmen erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, und verfügt dann zur Sicherstellung der wirksamen Ausübung seiner Verteidigungsrechte über ein Recht auf Zugang zu den Akten. Folglich gehört die Antwort anderer Beteiligter auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte grundsätzlich nicht zu den Unterlagen der Ermittlungsakte, die die Beteiligten einsehen können (Urteile vom 30. September 2009, Hoechst/Kommission, T‑161/05, EU:T:2009:366, Rn. 163, vom 12. Juli 2011, Toshiba/Kommission, T‑113/07, EU:T:2011:343, Rn. 42, und vom 12. Juli 2011, Mitsubishi Electric/Kommission, T‑133/07, EU:T:2011:345, Rn. 41).

69

Wenn sich allerdings die Kommission auf eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine dieser Antwort beigefügte Anlage stützen will, um in einem Verfahren nach Art. 101 Abs. 1 AEUV oder Art. 53 Abs. 1 des EWR-Abkommens das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, muss den anderen Beteiligten dieses Verfahrens Gelegenheit gegeben werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern. Unter solchen Umständen stellt nämlich die fragliche Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder die Anlage zu dieser Antwort Material dar, das die verschiedenen Unternehmen, die an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein sollen, belastet (Urteile vom 12. Juli 2011, Toshiba/Kommission, T‑113/07, EU:T:2011:343, Rn. 43, und vom 12. Juli 2011, Mitsubishi Electric/Kommission, T‑133/07, EU:T:2011:345, Rn. 42).

70

In gleicher Weise stellt eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder eine Anlage zu dieser Antwort ein entlastendes Beweismittel dar, wenn sie für die Verteidigung eines Unternehmens von Bedeutung sein kann, da sie es diesem Unternehmen ermöglicht, sich auf Beweisstücke zu berufen, die nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommission in diesem Verfahrensstadium stehen. In diesem Fall muss dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, die fragliche Passage oder das fragliche Dokument zu prüfen und sich zu ihm zu äußern (Urteile vom 12. Juli 2011, Toshiba/Kommission, T‑113/07, EU:T:2011:343, Rn. 44, und vom 12. Juli 2011, Mitsubishi Electric/Kommission, T‑133/07, EU:T:2011:345, Rn. 43).

71

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Ziff. 8 der Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV, Artikel 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (ABl. 2005, C 325, S. 7) vorsieht, dass die „Akte der Kommission“ in einem Wettbewerbsverfahren aus sämtlichen Schriftstücken bzw. Dokumenten besteht, die von der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission während des Verfahrens erhalten, erstellt oder zusammengestellt wurden. In Ziff. 27 dieser Mitteilung heißt es sodann:

„Die Akteneinsicht wird auf Antrag und in der Regel einmalig nach Übermittlung der Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährt, damit der Grundsatz der Fairness und die Verteidigungsrechte der Betroffenen gewahrt bleiben. In der Regel wird daher keine Einsicht in die Erwiderungen der übrigen Betroffenen auf die Beschwerdepunkte der Kommission gewährt.

Der Betroffene erhält dagegen Einsicht in Dokumente, die nach Übermittlung der Beschwerdepunkte in einem späteren Verfahrensstadium eingehen, sofern diese Dokumente neues be- oder entlastende Beweismaterial zu den gegen diesen Betroffenen in den Beschwerdepunkten erhobenen Vorwürfen darstellen können. Dies gilt insbesondere insofern, als sich die Kommission auf neue Beweise zu stützen beabsichtigt.“

72

Demzufolge ist es entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen Sache der Kommission, die Informationen in den Dokumenten, die sie nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte erhalten hat, einer ersten Würdigung im Hinblick auf ihren möglicherweise entlastenden Charakter zu unterziehen, wenn ein betroffenes Unternehmen Einsicht in solche Dokumente beantragt.

73

Insoweit können sich die Klägerinnen nicht auf die Rechtsprechung berufen, nach der es nicht allein Sache der Kommission ist – die die Beschwerdepunkte mitteilt und die Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion trifft –, die für die Verteidigung des betroffenen Unternehmens nützlichen Schriftstücke zu bestimmen, da diese Erwägung, die sich auf Dokumente bezieht, die in den Akten der Kommission enthalten sind, auf Antworten anderer betroffener Parteien auf die von der Kommission mitgeteilten Beschwerdepunkte keine Anwendung finden kann (Urteil vom 27. September 2012, Shell Petroleum u. a./Kommission, T‑343/06, EU:T:2012:478, Rn. 89).

74

Im Übrigen ist auch die Auffassung der Klägerinnen zurückzuweisen, dass ihnen aufgrund des gegen sie erhobenen Vorwurfs der Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung Einsicht in die Erwiderungen der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren sei, damit sie selbst in diesen Antworten entlastende Beweise ermitteln könnten. Insoweit genügt die Feststellung, dass auch in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 12. Juli 2011, Toshiba/Kommission (T‑113/07, EU:T:2011:343), vom 12. Juli 2011, Mitsubishi Electric/Kommission (T‑133/07, EU:T:2011:345), und vom 27. September 2012, Shell Petroleum u. a./Kommission (T‑343/06, EU:T:2012:478), ergangen sind, den Klägerinnen die Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zur Last gelegt wurde.

75

Als Zweites ist festzustellen, dass ebenso wenig das Argument der Klägerinnen durchgreift, das im Wesentlichen dahin geht, dass die Kommission ihre Verteidigungsrechte verletzt habe, indem sie es auf der Grundlage einer fehlerhaften Beurteilung der Relevanz der in den Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Informationen für ihre Verteidigung abgelehnt habe, ihnen Einsicht in die nicht vertrauliche Fassung dieser Antworten zu gewähren.

76

Wird ein im Besitz der Kommission befindliches Dokument, das als Entlastungsmaterial eingestuft werden kann, weil es geeignet ist, ein Unternehmen, dem die Beteiligung an einem Kartell vorgeworfen wird, zu exkulpieren, diesem Unternehmen nicht übermittelt, sind dessen Verteidigungsrechte verletzt, sofern es nachweist, dass das betreffende Dokument seiner Verteidigung hätte dienlich sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 367).

77

Ein solcher Beweis kann dadurch erbracht werden, dass dargetan wird, dass die Nichtoffenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zum Nachteil des betroffenen Unternehmens beeinflussen konnte oder dass sie der Wahrung der Interessen dieses Unternehmens im Verwaltungsverfahren schaden oder diese Interessenwahrung erschweren konnte (Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 368).

78

Die Möglichkeit, dass ein nicht übermitteltes Schriftstück Einfluss auf den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission hätte haben können, kann nur nach einer vorläufigen Prüfung bestimmter Beweise nachgewiesen werden, die zeigt, dass die nicht übermittelten Schriftstücke eine Bedeutung für diese Beweise hätten haben können, die nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen (Urteil vom 14. März 2013, Fresh Del Monte Produce/Kommission, T‑587/08, EU:T:2013:129, Rn. 688).

79

Von Klägern, die eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte rügen, kann insoweit nicht verlangt werden, dass sie in der Klageschrift eine eingehende Argumentation entwickeln oder Bündel von Anhaltspunkten liefern, um nachzuweisen, dass das Verwaltungsverfahren möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn ihnen bestimmtes, ihnen tatsächlich nicht übermitteltes Material zugänglich gewesen wäre. Damit würde eine probatio diabolica von ihnen gefordert (Urteil vom 14. März 2013, Fresh Del Monte Produce/Kommission, T‑587/08, EU:T:2013:129, Rn. 689).

80

Es liegt jedoch beim Kläger, einen ersten Hinweis auf den Nutzen der nicht übermittelten Dokumente für seine Verteidigung zu liefern (Urteil vom 14. März 2013, Fresh Del Monte Produce/Kommission, T‑587/08, EU:T:2013:129, Rn. 690).

81

Im vorliegenden Fall ist also zu prüfen, ob das Vorbringen der Klägerinnen einen ersten Hinweis auf den Nutzen der Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte für ihre Verteidigung liefert.

82

Die Klägerinnen machen geltend, die Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte hätte es ihnen ermöglicht, eine negative Tatsache zu beweisen, nämlich dass weder Pirelli noch Nexans France angegeben hätten, dass das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains, das nach Auffassung der Kommission den Ausgangspunkt der Kartellbeteiligung der Klägerinnen darstelle, ein R‑Treffen gewesen sei. Zudem hätte es die Einsicht in diese Antworten ihnen ermöglicht, zu bestätigen, dass die anderen Kartellmitglieder gewusst hätten, dass sie ihre Kartellbeteiligung im Jahr 2005 unterbrochen hätten.

83

Was erstens das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains anbelangt, ist entgegen dem Vorbringen der Kommission festzustellen, dass der Umstand, dass dieses Treffen in ihrem Auskunftsverlangen vom 31. März 2010 erwähnt wurde und die Klägerinnen Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten dieses Auskunftsverlangens hatten, nicht das Interesse der Klägerinnen an ihrem Antrag auf Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte beseitigt. Der Inhalt der Antworten von Nexans France und Pirelli auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010 – in denen diese Kartellteilnehmer zu ihrer Teilnahme am Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains und zum Gegenstand dieses Treffens nicht Stellung nahmen – lässt nämlich deren diesbezüglichen Standpunkt in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht vorhersehen.

84

Allerdings ist der Umstand, dass sich die anderen Kartellteilnehmer in ihren Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht zur Art des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains geäußert haben, selbst wenn man ihn als erwiesen unterstellt, nicht geeignet, die Verteidigung der Klägerinnen zu stützen.

85

Es steht nämlich fest, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben hat, in Divonne-les-Bains habe am 14. Dezember 2001 ein R‑Treffen stattgefunden und an diesem Treffen hätten jedenfalls Nexans France, vertreten durch Herrn J., Sagem, vertreten durch Herrn V., und Brugg Kabel, vertreten durch Herrn N., teilgenommen.

86

Sollten Nexans France und Sagem angesichts einer solchen Anschuldigung nicht bestrebt gewesen sein, in ihren Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die Art des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains in Abrede zu stellen, würde dies eher belegen, dass sie den Sachverhalt, den ihnen die Kommission insoweit zur Last legte, einräumten.

87

Im Übrigen ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, soweit es darauf gestützt ist, dass Pirelli, deren Teilnahme am Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains die Klägerinnen in ihren eigenen Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt haben (siehe unten, Rn. 156), keine Stellungnahme zur Art dieses Treffens abgegeben habe. Denn da die Kommission Pirelli in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gar nicht vorgeworfen hatte, an diesem Treffen teilgenommen zu haben, kann deren fehlende Stellungnahme zur Art dieses Treffens jedenfalls nicht als Bestätigung des wettbewerbswidrigen oder nicht wettbewerbswidrigen Charakters dieses Treffens angesehen werden.

88

Was zweitens das Argument der Klägerinnen anbelangt, dass die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte sicherlich Angaben enthielten, die belegen könnten, dass sie ihre Kartellbeteiligung im Jahr 2005 unterbrochen hätten, ist festzustellen, dass es diesem Vorbringen an Genauigkeit fehlt. Die Klägerinnen geben nämlich nicht an, welche Tatsachen die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte belegen sollen oder welche konkreten Behauptungen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte in Bezug auf ihre Kartellbeteiligung im Jahr 2005 aufgestellt hat, durch diese Antworten in Frage gestellt werden könnten. Ebenso wenig erläutern die Klägerinnen, wie sie zu der Auffassung kommen, dass die Antworten aller Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte entlastende Beweise hinsichtlich ihrer Kartellbeteiligung im Jahr 2005 enthalten könnten.

89

Folglich ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerinnen nicht geeignet ist, einen ersten Hinweis auf den Nutzen der ihnen nicht übermittelten Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte für ihre Verteidigung zu liefern.

90

Als unbegründet zurückzuweisen ist in Anbetracht der oben in Rn. 73 dargelegten Rechtsprechung auch das von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, die Tatsache, dass die Kommission keine nicht vertrauliche Fassung der Antworten aller Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte erstellt habe, um gegebenenfalls das entlastende Material, das sich darin möglicherweise zugunsten eines Unternehmens befinde, diesem Unternehmen übermitteln zu können, belege, dass die Kommission im vorliegenden Fall den Grundsatz der Waffengleichheit missachtet habe.

91

Somit ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes, und folglich dieser Klagegrund insgesamt, als unbegründet zurückzuweisen.

2.   Zum zweiten Klagegrund: Unzuständigkeit der Kommission für Drittstaatenverstöße ohne Auswirkung im EWR

92

Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission sei nicht dafür zuständig gewesen, Art. 101 AEUV auf Verhaltensweisen außerhalb des EWR und auf außerhalb des EWR zu verwirklichende Projekte anzuwenden, soweit diese keine Auswirkung im EWR gehabt hätten. In Ermangelung von Beweisen dafür, dass die Verhaltensweisen bei jedem dieser Projekte unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen im EWR im Sinne der Rechtsprechung gehabt hätten, habe die Kommission sie nicht einfach der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zuordnen dürfen, um ihre extraterritoriale Zuständigkeit zu begründen; anderenfalls würde ihr das Recht zuerkannt, diese Zuständigkeit uneingeschränkt anzuwenden.

93

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

94

Insoweit ist zur territorialen Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens darauf hinzuweisen, dass die in Art. 101 AEUV enthaltene unionsrechtliche Wettbewerbsregel Vereinbarungen und Verhaltensweisen verbietet, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs „innerhalb des Binnenmarkts“ bezwecken oder bewirken.

95

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen der territorialen Geltung von Art. 101 AEUV in zwei Konstellationen erfüllt sein können.

96

Erstens ist die Anwendung von Art. 101 AEUV berechtigt, wenn die Verhaltensweisen, um die es in dieser Bestimmung geht, im Gebiet des Binnenmarkts verwirklicht werden, und zwar unabhängig davon, von wo sie ihren Ausgang nehmen. Würde man die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Verbote von dem Ort der Bildung des Kartells abhängig machen, liefe dies nämlich offensichtlich darauf hinaus, dass den Unternehmen ein einfaches Mittel an die Hand gegeben würde, sich diesen Verboten zu entziehen (Urteil vom 27. September 1988, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, 89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85 und 125/85 bis 129/85, EU:C:1988:447, Rn. 16).

97

Zweitens ist die Anwendung von Art. 101 AEUV, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, auch dann berechtigt, wenn vorhersehbar ist, dass die Verhaltensweisen, um die es in dieser Bestimmung geht, eine unmittelbare und wesentliche Auswirkung im Binnenmarkt hervorrufen (Urteil vom 25. November 1971, Béguelin Import, 22/71, EU:C:1971:113, Rn. 11). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass mit diesem Ansatz dasselbe Ziel verfolgt wird wie mit dem Ansatz, der auf die Verwirklichung einer Vereinbarung im Unionsgebiet abstellt, nämlich Verhaltensweisen zu unterbinden, die zwar nicht in diesem Gebiet abgesprochen wurden, aber deren wettbewerbsschädliche Wirkungen geeignet sind, im Unionsmarkt spürbar zu werden.

98

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die oben in den Rn. 96 und 97 dargelegten Voraussetzungen der Anwendung von Art. 101 AEUV nicht kumulative, sondern alternative Wege darstellen, um die Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung und Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift zu begründen.

99

Die Kommission hat im angefochtenen Beschluss die Auffassung vertreten, dass sowohl die Voraussetzung, die auf die Umsetzung des Kartells im EWR abstellt, als auch die Voraussetzung, die sich auf die qualifizierten Auswirkungen des Kartells im EWR bezieht, im vorliegenden Fall erfüllt seien (Erwägungsgründe 467 bis 469 des angefochtenen Beschlusses).

100

Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission hätte für jedes einzelne außerhalb des EWR zu verwirklichende Projekt eine hinreichende Auswirkung in der Union nachweisen müssen, um im Sinne der Rechtsprechung die territoriale Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf diesen Bereich des in Rede stehenden Verstoßes zu begründen.

101

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

102

Was die Verwirklichung der Verhaltensweisen des Kartells in Bezug auf außerhalb des EWR zu realisierende Projekte anbelangt, ist festzustellen, dass die Absprache über die „Ausfuhrgebiete“, nach der die europäischen und die asiatischen Hersteller die in diesen Gebieten zu realisierenden Projekte unter sich aufteilten, im EWR-Gebiet umgesetzt wurde. So ergibt sich aus dem 79. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses sowie aus dessen 247. Erwägungsgrund, auf den im 468. Erwägungsgrund verwiesen wird, dass Griechenland nicht zum „europäischen Heimatgebiet“ im Sinne der Absprache über das „Heimatgebiet“ gehörte und die Projekte in Griechenland Gegenstand der Projektaufteilung waren, die unter Beachtung der „60/40‑Quote“ gemäß der Absprache über die „Ausfuhrgebiete“ erfolgte. Zudem geht auch aus den Erwägungsgründen 81 und 82 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die A‑Mitglieder des Kartells davon ausgingen, dass die Projekte, die einen Mitgliedstaat der Union mit einem Drittstaat verbanden, auf die den R‑Mitgliedern des Kartells zugewiesene 60%‑Quote anzurechnen seien, wie etwa bei dem im 232. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Spanien-Marokko-Projekt.

103

Hingegen wurde das Verhalten der europäischen Unternehmen, das gemäß der Absprache über das „Heimatgebiet“ darin bestand, bei Projekten im „Heimatgebiet“ der asiatischen Unternehmen nicht in Konkurrenz zu treten, definitionsgemäß nicht im EWR-Gebiet verwirklicht.

104

Dies bedeutet aber entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht, dass die Kommission für jedes einzelne außerhalb des EWR gemäß der „Heimatgebiet“-Absprache zu verwirklichende Projekt eine hinreichende Auswirkung in der Union hätte nachweisen müssen, um die territoriale Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV zu begründen.

105

Nach der oben in Rn. 97 angeführten Rechtsprechung durfte die Kommission nämlich die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – in der Form, wie sie im angefochtenen Beschluss festgestellt wurde – mit deren vorhersehbaren, unmittelbaren und wesentlichen Auswirkungen im Binnenmarkt begründen.

106

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 101 AEUV auf Verhaltensweisen und Vereinbarungen anwendbar ist, die einem einheitlichen wettbewerbswidrigen Ziel dienen, soweit vorhersehbar ist, dass sie insgesamt unmittelbare und wesentliche Auswirkungen im Binnenmarkt haben werden. Den Unternehmen kann nämlich nicht erlaubt werden, sich der Anwendung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln dadurch zu entziehen, dass sie mehrere demselben Ziel dienende Verhaltensweisen kombinieren, die zwar für sich genommen jeweils keine unmittelbare und wesentliche Auswirkung im Binnenmarkt hervorrufen können, wohl aber zusammen.

107

Das einheitliche Ziel des Kartells bestand aber darin, den Wettbewerb für Projekte, die Hoch- und Höchstspannungsunterwasser- und ‑erdkabel betrafen und in bestimmten Gebieten zu verwirklichen waren, zu beschränken, indem die Aufteilung von Märkten und Kunden vereinbart und damit der normale Wettbewerbsprozess im EWR verfälscht wurde.

108

Daraus folgt, dass die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf den vorliegenden Fall entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen im Hinblick auf die Gesamtwirkung der verschiedenen Verhaltensweisen, die im 493. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses beschrieben werden, einschließlich derjenigen, die außerhalb des EWR zu realisierende Projekte betrafen, zu prüfen war.

109

Die Kommission hat aber im 469. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerfrei befunden, dass die Auswirkungen der Verhaltensweisen und Vereinbarungen, an denen die Kartellmitglieder beteiligt waren, auf den Wettbewerb im EWR einschließlich des Binnenmarkts vorhersehbar, wesentlich und unmittelbar waren.

110

Insoweit reicht es aus, die wahrscheinlichen Auswirkungen einer Verhaltensweise auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, damit das Erfordernis der Vorhersehbarkeit erfüllt ist.

111

Was die Unmittelbarkeit der Auswirkungen der hier in Rede stehenden Verhaltensweisen auf das Unionsgebiet betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Verhaltensweisen zwangsläufig einen direkten Einfluss auf die im Unionsgebiet vorzunehmende Lieferung von Hoch- und Höchstspannungskabeln hatten, da dies gerade der Zweck der verschiedenen Zusammenkünfte und Kontakte der Kartellteilnehmer war (66. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Überdies hatte die unter den Kartellteilnehmern sowohl direkt innerhalb als auch außerhalb des Unionsgebiets vereinbarte Aufteilung vorhersehbare Auswirkungen auf den Wettbewerb in diesem Gebiet, wie die Kommission zutreffend festgestellt hat.

112

Was die Wesentlichkeit der Auswirkungen in der Union angeht, sind die Zahl und die Wichtigkeit der am Kartell beteiligten Hersteller, die nahezu den gesamten Markt abdeckten, das breite Produktspektrum, das von den verschiedenen Absprachen betroffen war, und die Schwere der in Rede stehenden Verhaltensweisen hervorzuheben. Auch ist auf die erhebliche Dauer der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung hinzuweisen, die sich über zehn Jahre erstreckte. All diese Aspekte belegen in der Gesamtwürdigung die Wesentlichkeit der Auswirkungen der in Rede stehenden Verhaltensweisen auf das Unionsgebiet (Erwägungsgründe 66, 492, 493 und 620 des angefochtenen Beschlusses).

113

Folglich ist festzustellen, dass die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung, wie von der Kommission im angefochtenen Beschluss definiert, in den Anwendungsbereich von Art. 101 AEUV fiel und die Kommission dafür zuständig war, sie zu ahnden. Unter diesen Umständen war die Kommission nicht verpflichtet, konkret nachzuweisen, dass die für die Anwendung von Art. 101 AEUV erforderlichen Voraussetzungen für jedes einzelne der außerhalb des EWR zu realisierenden Projekte erfüllt waren.

114

Im Übrigen läuft die Rüge der Klägerinnen, die Kommission habe das Fehlen von Auswirkungen der Absprache über die „Ausfuhrgebiete“ auf den EWR umgangen, indem sie diese Absprache in künstlicher Manier in die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung integriert habe, um Art. 101 AEUV darauf anwenden zu können, in Wirklichkeit darauf hinaus, dass das Bestehen der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung, wie sie von der Kommission im angefochtenen Beschluss dargestellt wird, und nicht die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf diese Zuwiderhandlung in Abrede gestellt wird.

115

Zudem tragen die Klägerinnen nichts vor, was diese Rüge stützen könnte, so dass sie als eine bloße Behauptung zurückzuweisen ist.

116

Nach alledem ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

3.   Zum dritten und zum vierten Klagegrund: Beurteilungsfehler, Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, fehlerhafte Feststellung von Tatsachen, Verfälschung von Beweisen und Verletzung der Begründungspflicht in Bezug auf die vermeintliche Beteiligung der Klägerinnen an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung

117

Zur Stützung des dritten und des vierten Klagegrundes, die zusammen zu prüfen sind, tragen die Klägerinnen mehrere Argumente vor. Erstens beanstanden sie, dass die Kommission unterschiedliche Komponenten des Kartells unter den Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung gefasst habe. Zweitens habe die Kommission hinsichtlich der Unterbrechung ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung ihre Begründungspflicht verletzt und überdies keine ausreichenden Beweise bezüglich des Beginns und der ununterbrochenen Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung erbracht. Drittens werfen die Klägerinnen der Kommission vor, sie für eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung haftbar gemacht zu haben, obwohl sie nicht die Absicht gehabt hätten, zur Erreichung sämtlicher Ziele des Kartells beizutragen, und von bestimmten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen keine Kenntnis gehabt hätten. Viertens hätte die Kommission für jedes Projekt nachweisen müssen, dass sie Kenntnis von den Absprachen gehabt hätten oder sie zumindest für die Heimatmärkte oder die Unterwasserkabel-Projekte hätten vorhersehen können. Fünftens habe die Kommission die Projekte, die angeblich Gegenstand einer Absprache gewesen seien, nicht genau bezeichnet, sondern sich auf Abkürzungen oder generische Bezeichnungen beschränkt; zudem habe sie ein und dasselbe Projekt allein wegen leicht unterschiedlicher Bezeichnung als mehrere verschiedene Projekte dargestellt.

a)   Einleitende Erwägungen

118

Nach der Rechtsprechung hat die Kommission nicht nur die Existenz des Kartells, sondern auch dessen Dauer zu beweisen. Was insbesondere den Nachweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV betrifft, hat die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und Beweise beizubringen, die geeignet sind, das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend zu belegen. Hat das Gericht Zweifel, muss dies dem Unternehmen zugutekommen, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird. Das Gericht kann daher nicht davon ausgehen, dass die Kommission das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn bei ihm noch Zweifel in dieser Hinsicht bestehen; dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der eine Geldbuße verhängt wird, oder eine Klage auf Herabsetzung dieser Geldbuße handelt. In diesem Fall ist nämlich der Grundsatz der Unschuldsvermutung zu beachten, der zu den in der Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört und in Art. 48 Abs. 1 der Charta verankert ist. Angesichts der Art der betreffenden Zuwiderhandlungen sowie der Art und des Schweregrads der ihretwegen verhängten Sanktionen ist der Grundsatz der Unschuldsvermutung insbesondere in Verfahren wegen Verstößen gegen die für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln anwendbar, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können. Somit ist es erforderlich, dass die Kommission aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringt, um die feste Überzeugung zu begründen, dass die behauptete Zuwiderhandlung stattgefunden hat (vgl. Urteil vom 17. Mai 2013, Trelleborg Industrie und Trelleborg/Kommission, T‑147/09 und T‑148/09, EU:T:2013:259, Rn. 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

119

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung muss jedoch nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendig hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung genügen. Es reicht aus, dass das von der Kommission angeführte Indizienbündel bei einer Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt (vgl. Urteil vom 17. Mai 2013, Trelleborg Industrie und Trelleborg/Kommission, T‑147/09 und T‑148/09, EU:T:2013:259, Rn. 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

120

Im Übrigen ist es üblich, dass die Tätigkeiten, mit denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen verbunden sind, im Verborgenen ablaufen, dass die Zusammenkünfte heimlich stattfinden und dass die Unterlagen darüber auf ein Minimum reduziert werden. Selbst wenn die Kommission Schriftstücke findet, die – wie z. B. die Protokolle von Zusammenkünften – eine unzulässige Kontaktaufnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen, handelt es sich folglich normalerweise nur um lückenhafte und vereinzelte Belege, so dass es häufig erforderlich ist, bestimmte Einzelheiten durch Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. In den meisten Fällen muss daher das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteile vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 55 bis 57, und vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, EU:C:2007:52, Rn. 51).

121

Des Weiteren verlangt die Rechtsprechung, dass die Kommission, soweit es an Beweismaterialien fehlt, mit denen die Dauer der Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, zumindest Beweismaterialien beibringt, die sich auf Fakten beziehen, die zeitlich so nahe beieinanderliegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung erfolgt ist (Urteil vom 7. Juli 1994, Dunlop Slazenger/Kommission, T‑43/92, EU:T:1994:79, Rn. 79; vgl. auch Urteil vom 16. November 2006, Peróxidos Orgánicos/Kommission, T‑120/04, EU:T:2006:350, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

b)   Zur Einheitlichkeit der Zuwiderhandlung

122

Die Klägerinnen tragen im Wesentlichen vor, die von der Kommission festgestellten Verhaltensweisen erfüllten nicht die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung. Insbesondere bestehe keine Identität der Waren und Dienstleistungen, da Unterwasserkabel und Erdkabel unterschiedliche Produktmärkte darstellten, nur eine teilweise Identität der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen, da die Klägerinnen, Silec Cable, Mitsubishi Cable Industries, SWCC Showa Holdings, LS Cable & System, Taihan Electric Wire und nkt cables keine Unterwasserkabel herstellten, nur eine teilweise Identität der an den verschiedenen Komponenten des Kartells beteiligten natürlichen Personen, da Pirelli/Prysmian, nkt cables und ABB stets unterschiedliche Vertreter zu den Treffen für Unterwasserkabel einerseits und Erdkabel andererseits geschickt hätten, und keine Identität der Durchführungsmodalitäten der Absprachen, da Unterwasserkabel- und Erdkabel-Projekte stets separat besprochen worden seien und die 60/40-Positionsblätter nach Kabeltypen getrennt erstellt worden seien. Auch habe die Kommission kein Komplementaritätsverhältnis zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen nachgewiesen.

123

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

124

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nach ständiger Rechtsprechung nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortgesetzten Verhalten ergeben kann, selbst wenn ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Vorschrift darstellen könnten. Somit ist, wenn sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt in einen „Gesamtplan“ einfügen, die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes aufzuerlegen (Urteile vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 41, und vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P, EU:C:2017:52, Rn. 55).

125

In der Rechtsprechung sind mehrere Kriterien als für die Beurteilung der Frage maßgeblich herausgearbeitet worden, ob eine Zuwiderhandlung einheitlichen Charakter hat, nämlich die Identität der Ziele der betreffenden Praktiken, die Identität der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die Identität der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen und die Identität der Modalitäten ihrer Durchführung. Weitere Kriterien, die bei dieser Prüfung berücksichtigt werden können, sind die Identität der natürlichen Personen, die für die Unternehmen tätig wurden, und die Identität des räumlichen Anwendungsbereichs der betreffenden Praktiken (Urteil vom 17. Mai 2013, Trelleborg Industrie und Trelleborg/Kommission, T‑147/09 und T‑148/09, EU:T:2013:259, Rn. 60).

126

Im vorliegenden Fall wurden die Absprache über das „Heimatgebiet“ und die im Rahmen der europäischen Kartellkonfiguration innerhalb des EWR vereinbarte Aufteilung der Stromkabelprojekte zeitgleich umgesetzt, betrafen Hochspannungsunterwasser- und ‑erdkabel und schlossen dieselben europäischen Hersteller sowie, was die soeben genannte Absprache und die Absprache über die „Ausfuhrgebiete“ anging, dieselben südkoreanischen und japanischen Hersteller ein. Zudem waren die für die Unternehmen agierenden natürlichen Personen entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen für die verschiedenen Komponenten des Kartells identisch, außer im Fall von Pirelli. Auch standen die verschiedenen Maßnahmen im Zeichen eines gemeinsamen Ziels, nämlich der Einrichtung eines Systems zur Aufteilung des Weltmarkts für Hochspannungskabel, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten.

127

Das Vorbringen der Klägerinnen vermag dies nicht in Frage zu stellen.

128

Zu der Behauptung, die Zuwiderhandlung könne nicht als eine einheitliche Zuwiderhandlung eingestuft werden, da Hochspannungserdkabel und Hochspannungsunterwasserkabel unterschiedliche Produkte seien, die unterschiedlichen Bedürfnissen dienten und letztlich unterschiedliche Märkte darstellten, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Absprache über das „Heimatgebiet“ nicht zwischen den verschiedenen Arten von Kabeln differenzierte. Zweitens ergibt sich entgegen der Darstellung der Klägerinnen aus den von der Kommission angeführten Beispielen für die Funktionsweise der Kontrollmechanismen der „europäischen Kartellkonfiguration“ (Erwägungsgründe 333 bis 338, 399 und 400 des angefochtenen Beschlusses) und der „A/R-Kartellkonfiguration“ (106. Erwägungsgrund dieses Beschlusses), dass Maßnahmen zur Herstellung eines Ausgleichs zwischen Hochspannungsunterwasserkabel- und Hochspannungserdkabel-Projekten erfolgen konnten, so dass aus der Sicht der am Kartell beteiligten Unternehmen insoweit offensichtlich kein Unterschied bestand. Dies wird durch die im 399. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zitierten E‑Mails illustriert, in denen Herr A., ein Mitarbeiter von Prysmian, Herrn R., einem Mitarbeiter von Nexans France, mitteilte, dass er es ablehne, den Vorteil der Vergabe des terrestrischen Teils eines Hochspannungsunterwasserkabel-Projekts an Prysmian durch ein anderes Projekt auszugleichen, aber damit einverstanden sei, einen Unterauftrag gemäß den für die Vergabe eines Projekts in der Union geltenden Grundsätzen auszuarbeiten; dabei wurde nicht danach differenziert, ob es sich bei diesen Projekten um Hochspannungsunterwasserkabel- oder um Hochspannungserdkabel-Projekte handelte.

129

Der Umstand, dass bestimmte am Kartell beteiligte Unternehmen, wie etwa die Klägerinnen, nicht willens oder in der Lage waren, den Zuschlag für Unterwasserkabel-Projekte anzustreben, ist insoweit ohne Belang.

130

Zu der Behauptung der Klägerinnen, bei A/R‑Treffen seien Unterwasserkabel- und Erdkabel-Projekte Gegenstand separater Sitzungen gewesen, genügt die Feststellung, dass, auch wenn bei manchen dieser Treffen die Projekte je nach der betroffenen Art von Kabeln separat besprochen wurden, wie aus den Einladungen zu den Treffen vom 11. September 2003 und vom 28. Januar 2004 hervorgeht, diese Behauptung dadurch widerlegt wird, dass bei anderen Gelegenheiten die Unterwasserkabel- und die Erdkabel-Projekte bei ein und demselben Treffen besprochen wurden. Zur Beantwortung einer Frage des Gerichts hat die Kommission nämlich einen Auszug aus Anhang I des angefochtenen Beschlusses vorgelegt, der eine bestimmte Anzahl von Begegnungen auflistet, für die eindeutig ist, dass sowohl Erd- als auch Unterwasserkabel in einer gemeinsamen Sitzung besprochen wurden. Die Kommission hat darauf hingewiesen, dass dieser Auszug keine Angaben zu Treffen enthalte, bei denen getrennte Sitzungen an aufeinanderfolgenden Tagen stattfanden, oder zu Treffen, bei denen anhand der Organisation klar sei, dass Erd- und Unterwasserkabel-Projekte in getrennten Sitzungen besprochen wurden. Es sei aber festzustellen, dass selbst bei solchen Treffen die gleichen Unternehmensvertreter jeweils für die Diskussion von Erd- und von Unterwasserkabeln anwesend gewesen seien. Darüber hinaus hat die Kommission die in den Fußnoten des genannten Anhangs angeführten Beweise beigefügt, auf die sie ihre Feststellung stützt, dass die Hochspannungsunterwasserkabel- und die Hochspannungserdkabel-Projekte im Zuge der genannten Treffen in gemeinsamen Sitzungen besprochen worden seien.

131

Als die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vom Gericht ersucht wurden, zu diesen Dokumenten Stellung zu nehmen, beschränkten sie sich auf die Aussage, da sie an den A/R‑Treffen nicht teilgenommen hätten, könnten sie deren Ablauf nicht kommentieren.

132

Aus den von der Kommission vorgelegten Beweisen ergibt sich jedoch, dass die Hochspannungsunterwasserkabel- und die Hochspannungserdkabel-Projekte im Rahmen von mindestens 13 A/R‑Treffen, die zwischen dem 22. Februar 2001 und dem 27. März 2003 abgehalten wurden, in gemeinsamen Sitzungen besprochen wurden. Diese Feststellung genügt, um das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, dass Unterwasser- und Erdkabel-Projekte im Rahmen dieser Treffen Gegenstand separater Sitzungen gewesen seien.

133

Zu dem Vorbringen der Klägerinnen, dass auch bei den Treffen der R‑Mitglieder des Kartells die Unterwasser- und die Erdkabel-Projekte separat besprochen worden seien, ist festzustellen, dass die Klägerinnen hierfür keinerlei Beweis anführen.

134

Insoweit ergibt sich aus den Erwägungsgründen 114, 249 und 534 des angefochtenen Beschlusses, dass die Kommission davon ausging, dass die R‑Treffen – denen am Vorabend ein Abendessen vorausgegangen sei, an dem alle anwesenden Mitglieder teilgenommen hätten – mit einem allgemeinen Teil begonnen hätten, in dem die Parteien über die allgemeine Marktlage und die Situation ihrer Unternehmen gesprochen hätten. Weiter heißt es in der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Beschreibung, im Rahmen dieses allgemeinen Teils hätten Nexans France und Pirelli/Prysmian die kleineren europäischen Hersteller, wie etwa die Klägerinnen, über den Verlauf der A/R‑Treffen unterrichtet; anschließend hätten die Teilnehmer über Projekte im EWR und in den „Ausfuhrgebieten“ diskutiert und angegeben, welche Hersteller eine „Präferenz“ oder ein „Interesse“ an einem bestimmten Projekt bekundet hätten bzw. welchen Herstellern eine Präferenz zugestanden worden sei. Diese Beschreibung des Ablaufs der R‑Treffen vermittelt den Eindruck, dass die Parteien über alle Projekte sprachen, ohne zwischen Erd- und Unterwasserkabel-Projekten zu unterscheiden. In der Antwort der Klägerinnen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte heißt es jedoch, dass beim R‑Treffen vom 18. und 19. November 2003 getrennte Treffen für Unterwasserkabel- und Erdkabel-Projekte stattgefunden hätten. Um diesen Punkt zu klären, wurde die Kommission im Wege einer prozessleitenden Maßnahme ersucht, dem Gericht zu erläutern, inwieweit ihr die im Laufe des Verwaltungsverfahrens zusammengetragenen Beweise die Annahme ermöglichten, dass Erdkabel- und Unterwasserkabel-Projekte bei den R‑Treffen gemeinsam besprochen wurden. Zur Beantwortung dieses Ersuchens legte die Kommission die Protokolle des A/R‑Treffens vom 27. März 2003 in Tokyo (Japan), der R‑Treffen vom 23. April 2003 und vom 12. Mai 2005 sowie einen Auszug aus der Antwort von J‑Power Systems auf ein Auskunftsverlangen der Kommission vor.

135

Als die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vom Gericht gebeten wurden, zu diesen Dokumenten Stellung zu nehmen, machten sie, ohne sich konkret auf eines der oben in Rn. 134 genannten Treffen zu beziehen, geltend, diese Treffen hätten zwar jeweils am selben Tag stattgefunden, seien aber in zwei Sitzungen aufgeteilt worden. Die erste Sitzung, die den Unterwasserkabeln gewidmet gewesen sei, habe am Vormittag und die zweite Sitzung, bei der es um die Erdkabel gegangen sei, am Nachmittag stattgefunden. In manchen Fällen hätten die beiden Sitzungen nicht am selben Tag, sondern an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattgefunden. Zudem hätten sich die Teilnehmer dieser verschiedenen Sitzungen zwangsläufig teilweise unterschieden, da die nur an Erdkabeln interessierten Unternehmen wie die Klägerinnen kein einziges Mal an einer Sitzung zu Unterwasserkabeln teilgenommen hätten. Ihrer Kenntnis nach gebe es von keinem dieser Treffen ein Protokoll, in dem von einer gemeinsamen Sitzung die Rede wäre.

136

Allerdings ist zunächst festzustellen, dass ausweislich des Protokolls des R‑Treffens vom 23. April 2003 die Teilnehmer dieses Treffens, darunter die Vertreter von Brugg Kabel, über die Gespräche informiert wurden, die beim A/R‑Treffen von 27. März 2003 geführt worden waren. Aus dem Protokoll des letztgenannten Treffens geht aber hervor, dass es bei diesem Treffen zu Gesprächen über Hochspannungsunterwasserkabel kam. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Brugg Kabel ausweislich des Anhangs I des angefochtenen Beschlusses, ohne dass die Klägerinnen dies bestreiten würden, am R‑Treffen vom 30. Juni und 1. Juli 2004 teilgenommen hat. Aus dem Protokoll dieses Treffens geht aber nicht hervor, dass dort getrennte Gespräche über Unterwasser- und Erdkabel geführt wurden, sondern die besprochenen Projekte werden insoweit ohne besondere Einordnung genannt. Ferner ergibt sich aus dem mit „Ongoing projects“ überschriebenen Abschnitt dieses Protokolls, dass die Projekte „Italy Sardigna“ und „Sarco“ bei dieser Gelegenheit besprochen wurden. Zwar folgt entgegen der Auffassung der Kommission aus dem Auszug aus der Antwort von J‑Power Systems auf ein Auskunftsverlangen der Kommission nicht eindeutig, dass es bei diesen Projekten um Unterwasserkabel ging, da sie in der Tabelle von J‑Power Systems nicht ausdrücklich aufgeführt werden. Jedoch ergibt sich aus dem Protokoll des R‑Treffens vom 30. Juni und 1. Juli 2004, dass das Projekt „Sarco“ Schwierigkeiten unter französischen und italienischen Stromnetzbetreibern aufwarf, was die Feststellung der Kommission bestätigt, dass dieses Projekt eine Verbindung zwischen Sardinien und Korsika betraf und es sich somit um ein Unterwasserkabel-Projekt handelte. Schließlich geht aus dem Protokoll des R‑Treffens vom 12. Mai 2005 hervor, dass die Projekte „Ireland 220 kV“ und „GCC“ bei diesem Treffen angesprochen wurden. Diese Projekte werden aber in dem Auszug aus der Antwort von J‑Power Systems auf das oben genannte Auskunftsverlangen ausdrücklich als Hochspannungsunterwasserkabel-Projekte bezeichnet.

137

Im Übrigen ist der Umstand, dass die Teilnehmer der den Erdkabeln gewidmeten Sitzungen der R‑Treffen nicht genau dieselben waren wie die Teilnehmer der den Unterwasserkabeln gewidmeten Sitzungen dieser Treffen, lediglich Folge der Tatsache, dass bestimmte Kartellteilnehmer keine Unterwasserkabel herstellten und daher weniger Interesse an der Teilnahme an Sitzungen zu dieser Art von Kabeln haben konnten. Mit Blick auf alle weiteren Merkmale des Kartells ist aber allein aufgrund dieses Umstands nicht davon auszugehen, dass es aus zwei separaten Kartellen in Bezug auf Unterwasserkabel bzw. Erdkabel bestanden hätte.

138

Demnach liegt kein Rechtsfehler in der Feststellung der Kommission, dass die Hochspannungsunterwasserkabel-Projekte im Rahmen der R‑Treffen tatsächlich zusammen mit den Hochspannungserdkabel-Projekten besprochen wurden, auch wenn gelegentlich separate Sitzungen abgehalten wurden, wie beim Treffen der Kartellteilnehmer vom 18. und 19. November 2003.

139

Zum Argument der Klägerinnen, dass im Rahmen der „A/R-Kartellkonfiguration“ getrennte Positionsblätter für Unterwasserkabel- und Erdkabel-Projekte erstellt worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass diese Positionsblätter, wie aus dem 99. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, stets dieselbe formale Struktur aufwiesen und dieselbe Aufteilung, d. h. die „60/40‑Quote“, beachteten. Auch wenn dies im angefochtenen Beschluss nicht ausdrücklich festgestellt wird, ist es wahrscheinlich, dass die Notwendigkeit, getrennte Positionsblätter zu erstellen, mit dem Willen zusammenhing, die Unternehmen, die eine der Kabelarten nicht herstellten, nicht zu benachteiligen, was für die Klägerinnen beispielsweise der Fall gewesen wäre, wenn der den R‑Mitgliedern des Kartells zugewiesene Anteil an der „60/40‑Quote“ ausschließlich aus Unterwasserkabel-Projekten bestanden hätte.

140

Zum Argument der Klägerinnen, dass die Kommission die fehlende Komplementarität zwischen den verschiedenen Komponenten des Kartells hätte berücksichtigen müssen, genügt der Hinweis, dass nach der Rechtsprechung bei der Qualifizierung verschiedener Vorgänge als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung nicht zu prüfen ist, ob sie insofern in einem Komplementaritätsverhältnis stehen, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einheitliches Ziel gerichteten Gesamtplans anstreben. Die den Begriff „einheitliches Ziel“ betreffende Voraussetzung bedeutet vielmehr, dass geprüft werden muss, ob es nicht die verschiedenen Verhaltensweisen, die Bestandteil der Zuwiderhandlung sind, kennzeichnende Gesichtspunkte gibt, die darauf hindeuten könnten, dass die von anderen beteiligten Unternehmen vorgenommenen Handlungen nicht das gleiche Ziel oder die gleiche wettbewerbswidrige Wirkung haben und sich daher nicht wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts in einen „Gesamtplan“ einfügen (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P,EU:C:2017:52, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist aber, wie sich aus der oben in Rn. 126 getroffenen Feststellung ergibt, die Voraussetzung, dass die Zuwiderhandlung einem einheitlichen Ziel dient, erfüllt.

141

Nach alledem hat die Kommission rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die verschiedenen Komponenten des Kartells eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV darstellten.

c)   Zur Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

142

Die Klägerinnen beanstanden die Feststellung der Kommission, dass ihre Kartellbeteiligung am 14. Dezember 2001 begonnen habe, und bestreiten, dass ihre Beteiligung ununterbrochen gewesen sei.

1) Zum Beginn der Kartellbeteiligung der Klägerinnen

143

Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains ein R‑Treffen entsprechend der Definition im angefochtenen Beschluss oder ein Treffen, bei dem sie sich an wettbewerbswidrigen Handlungen beteiligt hätten, gewesen sei. Ebenso wenig belegten die von der Kommission angeführten Beweise, dass die Klägerinnen im Zeitraum zwischen dem 14. Dezember 2001 und dem 3. Juli 2002 begonnen hätten, sich am Kartell zu beteiligen.

144

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

145

Insoweit ist zunächst die Auffassung der Klägerinnen zu prüfen, dass die Kommission die Wettbewerbswidrigkeit des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains nicht nachgewiesen habe, bevor gegebenenfalls geprüft wird, ob die von der Kommission erhobenen Beweise ausreichten, um zu belegen, dass die Klägerinnen vor dem 3. Juli 2002 begonnen hatten, sich am Kartell zu beteiligen.

146

Den Akten zufolge lautete die Frage Nr. 4 des Auskunftsverlangens der Kommission vom 31. März 2010 wie folgt:

„Die Kommission verfügt über Informationen, denen zufolge eine Reihe von Treffen sowie Kommunikation auf anderen Wegen (Fax, E‑Mails, Telefon usw.) zwischen den unten unter Buchst. d aufgeführten Wettbewerbern stattgefunden haben. Insbesondere, … dass folgende Vertreter Ihres Unternehmens an solchen Treffen bzw. an einer solchen Kommunikation teilgenommen haben: [Herr N., Herr P. und Herr K.].

Bitte legen Sie zu den unten unter Buchst. d aufgeführten Treffen und gegebenenfalls zu jedem gleichartigen Treffen von Wettbewerbern Folgendes vor bzw. geben Sie Folgendes an:

eine Bestätigung des Datums des Treffens;

wer das Treffen initiiert hat;

wer das Treffen organisiert und einberufen hat;

den genauen Ort des Treffens;

die Namen aller Teilnehmer des Treffens, ihre Funktion und die Namen der Unternehmen, die sie vertreten haben;

die Tagesordnung;

wer die Tagesordnung festgelegt hat;

das Protokoll des Treffens;

das genaue geografische Gebiet, das Gegenstand des Treffens war.

Bitte legen Sie, gleich ob in handgeschriebenem, gedrucktem, digitalem oder sonstigem Format, Kopien aller verfügbaren Dokumente vor, die die unten unter Buchst. d aufgeführten Treffen und gegebenenfalls gleichartige Treffen von Wettbewerbern betreffen.

Bitte geben Sie die Namen und Funktionen aller weiteren Vertreter Ihres Unternehmens an, die an den unten unter Buchst. d aufgeführten Treffen und gegebenenfalls an gleichartigen Treffen von Wettbewerbern teilgenommen haben.“

147

In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010 haben die Klägerinnen bestätigt, dass am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains ein Treffen stattgefunden habe, an dem Herr N. teilgenommen habe. Sie haben auch den vom selben Tag datierenden Kreditkartenbeleg von Herrn N. sowie einen Auszug aus seinem Terminkalender vorgelegt, in dem das Datum, der Ort und die Teilnehmer des Treffens, nämlich Nexans France und Pirelli, vermerkt waren.

148

Im Übrigen hat kein anderer Adressat der Mitteilung der Beschwerdepunkte in seiner Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010 bestätigt, am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains an einem Treffen mit Wettbewerbern teilgenommen zu haben.

149

In Rn. 292 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission jedoch festgestellt, dass am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains ein R‑Treffen stattgefunden habe und dass zumindest Nexans France, vertreten durch Herrn J., Sagem, vertreten durch Herrn V., und Brugg Kabel, vertreten durch Herrn N., daran teilgenommen hätten. Die Anwesenheit von Herrn J. und Herrn V. ergebe sich aus einer E‑Mail, die der Erstgenannte dem Zweitgenannten zu einem späteren Zeitpunkt geschickt habe und in der von dem vorangegangenen Treffen die Rede gewesen sei, an dem sie beide teilgenommen hätten. Die Anwesenheit von Herrn N. ergebe sich aus der Antwort der Klägerinnen auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010.

150

In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte haben die Klägerinnen die Wettbewerbswidrigkeit des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains in Abrede gestellt und geltend gemacht: „Das Treffen … war lediglich ein erfolgloser Versuch von Nexans [France] und Prysmian, Brugg [Kabel] zu einer Teilnahme an den Gesprächen mit anderen Kabelherstellern zu überreden. Brugg [Kabel] weigerte sich jedoch, an den Absprachen teilzunehmen[,] und wurde von den anderen Adressaten der [Mitteilung der Beschwerdepunkte] weiterhin als Außenseiter betrachtet und behandelt …“

151

Im 197. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ausgeführt:

„Wie in dem A/R‑Treffen vom 13. November 2001 vereinbart, fand einen Monat später, am 14. Dezember 2001, im französischen Divonne[-les-Bains] ein Treffen unter Beteiligung de[r] R‑Mitglieder statt. An diesem Treffen waren in jedem Fall die Herren [J.] (Nexans) und [N.] (Brugg [Kabel]) beteiligt. Sehr wahrscheinlich ha[ben] auch Herr [V.] (Sagem) und ein Vertreter von Pirelli teilgenommen.261 ie Räumlichkeiten, ein Schloss in Divonne[-les-Bains], wurden mehrfach auch für Treffen der R‑Unternehmen genutzt.“

152

In Fn. 261 zum 197. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ergänzte die Kommission:

„Die Beteiligung der Herren [J.] und [V.] geht aus einer am 18. Februar 2002 von Herrn [J.] an Herrn [V.] gesandten E‑Mail hervor, die ausdrücklich auf das vorherige Treffen in Divonne[-les-Bains] verwies, an dem beide teilgenommen hatten, siehe ID 318/128, Nachprüfung bei Nexans [France]. Brugg [Kabel] hat die Anwesenheit von Herrn [N.] bestätigt, vergleiche ID 1492/4, Antwort von Brugg [Kabel] vom 7. Mai 2010 auf das Auskunftsverlangen [der Kommission] vom 31. März 2010. In den von Brugg [Kabel] vorgelegten Anlagen wird auch Pirelli genannt, ID 1492/20, Antwort von Brugg [Kabel] vom 7. Mai 2010 auf [dieses] Auskunftsverlangen …“

153

Ferner stellte die Kommission in den Erwägungsgründen 921 und 922 des angefochtenen Beschlusses fest:

„(921)

Brugg [Kabel] war an den Kartellabsprachen seit dem 14. Dezember 2001 beteiligt. An diesem Tag nahm Herr [N.] (Brugg [Kabel]) an einem R‑Treffen in Divonne[-les-Bains] teil (siehe Erwägungsgrund (197)). Die Kabelwerke Brugg AG Holding haftet ebenfalls ab dem 14. Dezember 2001 als Muttergesellschaft für das Verhalten von Brugg [Kabel]. Brugg [Kabel] bestreitet diesen Beginn der Beteiligung. Das Treffen am 14. Dezember 2001 habe keinen wettbewerbswidrigen Charakter gehabt, und Brugg [Kabel] habe an diesem Tag die Zusammenarbeit verweigert.

(922)

Mehrere Indizien sprechen jedoch dafür, dass Brugg [Kabel] bereits vor diesem Zeitpunkt an den Kartellabsprachen beteiligt war (Erwägungsgründe (161), (167) und (186)). Der Zweck des Treffens am 14. Dezember 2001 könnte durchaus darin bestanden haben, Brugg [Kabel] zur Beteiligung am Kartell zu bewegen. Dies ändert jedoch nichts am wettbewerbswidrigen Charakter des Treffens. Nexans und Prysmian hatten im A/R‑Treffen am 13. November 2001 versprochen, dass sie regelmäßige R‑Treffen organisieren würden. Mit dem Treffen am 14. Dezember 2001 kamen sie der eingegangenen Verpflichtung nach (Erwägungsgrund (188)). In den R‑Treffen teilten die europäischen Kartellmitglieder Projekte im EWR und in den Ausfuhrgebieten auf (siehe zum Beispiel Erwägungsgrund (315)). Es sind keine Beweismittel dafür verfügbar, dass Brugg [Kabel] in diesem Treffen erklärt hätte, sich an der Absprache nicht beteiligen zu wollen. Allerdings ist belegt, dass die Bemühungen von Nexans [France] und Prysmian erfolgreich waren. Im A/R‑Treffen am 30. Januar 2002 unterrichteten Nexans [France] und Pirelli die anderen Teilnehmer: ‚Brugg [Kabel] und Sagem [waren] zu diesem Treffen eingeladen‘ [‚Brugg and Sagem [were] invited in the meeting‘] und ‚wird fortgesetzt‘ [‚will continue‘] (Erwägungsgrund (206)). Und in den Aufzeichnungen zum A/R‑Treffen am 5. April 2002 wurde auf eine ‚zunehmend kooperative Atmosphäre im Umgang mit Brugg [Kabel], Sagem und nkt‘ verwiesen [‚gradually growing cooperative atmosphere with Brugg [Kabel], Sagem and nkt‘] (Erwägungsgrund (212)). Bereits im April 2002 beabsichtigte Brugg [Kabel], selbst ein R‑Treffen zu organisieren. Dieses Treffen wurde zwar abgesagt. Ein zweites von Brugg [Kabel] organisiertes Treffen fand dann aber am 3. Juli 2002 statt (Erwägungsgrund (217)). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Brugg [Kabel] die Organisation eines Kartelltreffens im April 2002 beabsichtigt hätte, wenn die Kartellmitgliedschaft damals nicht bereits bestanden hätte.“

154

Aus den Erwägungsgründen 197, 921 und 922 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass die Kommission der Auffassung war, es gebe direkte Beweise für die Teilnahme der Klägerinnen, vertreten durch Herrn N., an einem Treffen mit Wettbewerbern, das am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains abgehalten worden sei, sowie ein hinreichendes Bündel indirekter Beweise für die Teilnahme, wenn nicht von Sagem, dann doch zumindest von Nexans France und Pirelli, an diesem Treffen, sowie dafür, dass dieses Treffen ein R‑Treffen gewesen sei, d. h. ein Treffen der Mitglieder der „europäischen Kartellkonfiguration“.

155

Was erstens die Teilnahme der Klägerinnen, vertreten durch Herrn N., an einem Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains anbelangt, genügt die Feststellung, dass sie nicht bestritten wird.

156

Zweitens ist zur Teilnahme anderer europäischer Kabelhersteller an diesem Treffen festzustellen, dass, wie aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, die Anwesenheit der Vertreter von Nexans France und Pirelli bei diesem Treffen von den Klägerinnen selbst in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010 angegeben wurde.

157

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in der E‑Mail von Herrn J. an Herrn V. vom 18. Februar 2002 eindeutig auf ein Treffen in Divonne-les-Bains Bezug genommen wird. Darüber hinaus ergibt sich die Tatsache, dass andere Personen als Herr J. und Herr V. an diesem Treffen teilgenommen haben, recht eindeutig aus folgender Passage: „Anknüpfend an unser Treffen in Divonne[-les-Bains] schlage ich Ihnen, da die anvisierten Termine 6. und 7. März für einige von uns nicht mehr passen, letztlich vor, das Treffen am Nachmittag des 28. Februar in Paris abzuhalten (der Ort wird Ihnen später mitgeteilt).“

158

Die Tatsache, dass Safran in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 31. März 2010 die Anwesenheit des Vertreters von Sagem, HerrnV., bei einem Ende 2001 in Divonne-les-Bains abgehaltenen Treffen nicht bestätigt hat, ist insoweit unbeachtlich, da Safran, wie sich aus ihrer Antwort ergibt, aus praktischen Gründen außerstande war, diese Information zu dementieren oder zu bestätigen.

159

Jedoch enthält die E‑Mail von Herrn J. vom 18. Februar 2002, wie die Klägerinnen geltend machen, weder einen Hinweis auf das Datum des Treffens, von dem in dieser E‑Mail die Rede ist, noch auf die Teilnahme der Klägerinnen an diesem Treffen, noch auf den Gegenstand dieses Treffens, so dass sich auf ihrer Grundlage nur feststellen lässt, dass Herr J. und Herr V. zu einem unbestimmten Zeitpunkt, aber notwendigerweise vor dem Datum dieser E‑Mail an einem Treffen in Divonne-les-Bains mit anderen Personen teilgenommen haben, deren Identität ebenfalls ungewiss ist. Demzufolge kann allein aus dieser E‑Mail nicht geschlossen werden, dass Sagem, vertreten durch Herrn V., beim Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains anwesend war.

160

Die oben in den Rn. 156 bis 159 geprüften Beweise reichen aus, um festzustellen, dass der Vertreter der Klägerinnen, Herr N., sowie die Vertreter von Nexans France und Pirelli am 14. Dezember 2001 an einem Treffen in Divonne-les-Bains teilgenommen haben. Hingegen erlauben sie nicht die sichere Feststellung, dass der Vertreter von Sagem, Herr V., an diesem Treffen teilgenommen hat.

161

Drittens ist zur Art des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains zum einen festzustellen, dass in dieser Stadt regelmäßig Treffen der R‑Mitglieder des Kartells stattfanden, bei denen die Teilnehmer, nachdem die Vertreter von Nexans France und Pirelli – später von Prysmian – die anderen europäischen Hersteller über die im Rahmen des vorhergehenden A/R‑Treffens geführten Gespräche informiert hatten, die im europäischen „Heimatgebiet“ zu realisierenden Projekte und die in den „Ausfuhrgebieten“ zu realisierenden Projekte, die den R‑Mitgliedern des Kartells zugewiesen worden waren, unter sich aufteilten (315. Erwägungsgrund und Anhang I des angefochtenen Beschlusses). Dass es üblich war, solche Treffen in dieser Stadt abzuhalten, wird dadurch illustriert, dass einige Teilnehmer dieser Treffen zuweilen sogar von der Notwendigkeit sprachen, zu „divonnieren“ (364. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

162

Zum anderen ist festzustellen, dass die von der Kommission im angefochtenen Beschluss angeführten Beweise belegen können, dass das erste R‑Treffen des Kartells tatsächlich am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains stattfand.

163

So ergibt sich aus den Notizen eines Mitarbeiters von J‑Power Systems über die beim A/R‑Treffen vom 13. November 2001 geführten Gespräche, die im 188. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnt werden, dass Nexans France und Pirelli bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen hatten, dass Gespräche zwischen den R‑Mitgliedern des Kartells zukünftig einmal pro Monat stattfinden würden.

164

In den Notizen eines Mitarbeiters von J‑Power Systems über die beim A/R‑Treffen vom 30. Januar 2002 geführten Gespräche, die im 206. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnt werden, heißt es in einem mit „Organisation – R‑Seite“ überschriebenen Abschnitt:

„[Brugg Kabel] und Sagem zum Treffen eingeladen. Wird fortgesetzt. ABB wollte sich nie beteiligen. [Nkt cables] könnte gebraucht werden, da auf dem Exportmarkt aktiver.“

165

Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Notizen eines Mitarbeiters von J‑Power Systems über die beim A/R‑Treffen vom 30. Januar 2002 geführten Gespräche verdeutlichten lediglich, dass die anderen Kartellteilnehmer beim Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains weiterhin erfolglos versucht hätten, sie zur Teilnahme an den Treffen und Gesprächen des Kartells zu überreden. Hätten sie sich bei diesem Treffen nach langjähriger Weigerung tatsächlich zur Teilnahme an den Gesprächen bereit erklärt, wäre dies beim A/R‑Treffen vom 30. Januar 2002 mit Sicherheit als wesentliche Neuigkeit berichtet worden. In diesem Sinne habe Herr J. nach dem R‑Treffen vom 3. Juli 2002, an dem sie teilgenommen hätten, in einer E‑Mail vom 4. September 2002 an Herrn O., einen Mitarbeiter von J‑Power Systems, im Hinblick auf das A/R‑Treffen vom 6. und 7. September 2002 geschrieben: „Wir haben mittlerweile regelmäßig Kontakt zu [Brugg Kabel]“.

166

Zudem könne das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains genauso gut die Fortführung der bei einem Treffen vom 21. November 2001 in Paris (Frankreich) begonnenen Verhandlung über einen Subunternehmervertrag mit Nexans France für ein Projekt in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) zum Gegenstand gehabt haben.

167

Allerdings ist der Kommission darin beizupflichten, dass die Notizen eines Mitarbeiters von J‑Power Systems über die beim A/R‑Treffen vom 30. Januar 2002 geführten Gespräche im Gegenteil belegen, dass es sich bei dem Gegenstand des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains – an dem die Klägerinnen, wie sie einräumen, durch ihren Vertreter Herrn N. teilgenommen haben – in der Tat um den eines Treffens der R‑Mitglieder des Kartells handelte.

168

Die oben in Rn. 164 zitierte Passage aus den Notizen eines Mitarbeiters von J‑Power Systems über die beim A/R‑Treffen vom 30. Januar 2002 geführten Gespräche bezieht sich nämlich auf den Stand der Beteiligung der europäischen Kabelhersteller an einem Treffen der „europäischen Kartellkonfiguration“, und nicht auf die Weigerung, der Einladung zur Teilnahme an einem solchen Treffen Folge zu leisten. In Bezug auf Brugg Kabel und Sagem ergibt sich dies aus der Verwendung des Ausdrucks „zum Treffen eingeladen“ und der fehlenden Erwähnung irgendeiner entsprechenden Weigerung dieser Unternehmen. Es ergibt sich außerdem aus der Erwähnung der lang anhaltenden Weigerung von ABB, sich an multilateralen Kontakten zu beteiligen, durch den Satz „ABB wollte sich nie beteiligen“, wodurch die Nichtteilnahme dieses Unternehmens am R‑Treffen belegt wird, sowie aus dem Satz, wonach „[nkt cables] gebraucht werden [könnte], da auf den Exportmärkten aktiver“. Somit lässt sich aus dieser Passage schließen, dass Brugg Kabel und Sagem an einem R‑Treffen teilgenommen haben und weiterhin an solchen Treffen teilnehmen werden.

169

Diese Auslegung wird durch die verschiedenen Argumente der Klägerinnen nicht in Frage gestellt.

170

Zunächst enthält die am 4. September 2002 von Herrn J., einem Mitarbeiter von Nexans France, an Herrn O., einen Mitarbeiter von J‑Power Systems, gesandte E‑Mail entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen keine besondere Aussage zu Brugg Kabel. Herr J. stellt darin lediglich fest, wie bedeutsam es sei, sich der Kartellbeteiligung von Exsym auf Seiten der A‑Mitglieder des Kartells zu versichern, nachdem mittlerweile Kontakte zu nkt cables, Sagem und Brugg Kabel bestünden: „Wir haben mittlerweile regelmäßig Kontakt zu [nkt cables], [Sagem], [Brugg Kabel], wenn wir Exsym nicht an Bord haben, bringt das nichts.“

171

Sodann ist kaum anzunehmen, dass sich ein Unternehmen zur Teilnahme an einem Treffen mit Wettbewerbern bereit erklärt, bei dem es von diesen zur Beteiligung an einem wettbewerbswidrigen Verhalten überredet werden soll, wenn es ohnehin die Absicht hat, einen solchen Vorschlag abzulehnen. Hätten die Klägerinnen nicht beabsichtigt, an einem wettbewerbswidrigen Treffen teilzunehmen, hätten sie ihre Teilnahme ganz einfach absagen können.

172

Schließlich ist die alternative Erklärung der Klägerinnen, dass das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains genauso gut ein Treffen gewesen sein könne, bei dem es um einen bereits bei einem früheren Treffen vom 21. November 2001 in Paris thematisierten Subunternehmervertrag mit Nexans France für ein Projekt in Abu Dhabi gegangen sei, schwerlich mit der Behauptung der Klägerinnen vereinbar, dass das Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains lediglich ein erfolgloser Versuch von Nexans France und Pirelli gewesen sei, sie zur Beteiligung am Kartell zu überreden. Zudem wird die Glaubhaftigkeit dieser Erklärung zum einen dadurch erschüttert, dass aus dem Terminkalender von Herrn N. – den die Klägerinnen zur Beantwortung eines Auskunftsverlangens der Kommission vorgelegt haben – hervorgeht, dass dieser Mitarbeiter am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains nicht nur Nexans France, sondern auch Pirelli treffen sollte. Es ist aber schwer vorstellbar, weshalb Pirelli an einem Treffen hätte teilnehmen sollen, bei dem es nur um den Abschluss eines Subunternehmervertrags zwischen den Klägerinnen und Nexans France ging. Zum anderen ist festzustellen, dass die Klägerinnen keinerlei Beweis zum Gegenstand des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains vorgelegt haben, wohingegen sie dies in Bezug auf das Treffen vom 21. November 2001 in Paris getan haben.

173

Zu diesem letzten Punkt ist darauf hinzuweisen, dass es den Klägerinnen zwar, wie sie geltend machen, freisteht, eine andere Auslegung des Sachverhalts zu vertreten als die Kommission, um deren Schlussfolgerungen zur Art des Treffens vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains in Frage zu stellen, es dem Gericht jedoch obliegt, die Glaubhaftigkeit dieser Auslegung insbesondere anhand des Beweismaterials – ob von den Klägerinnen vorgelegt oder nicht – zu prüfen. Wie die Kommission ausführt, folgt aber aus den von den Klägerinnen als Anlagen zur Erwiderung vorgelegten Dokumenten, dass im Rahmen des Schriftwechsels im Vorfeld des Treffens vom 21. November 2001 in Paris der Gegenstand dieses Treffens eindeutig benannt wurde. In der E‑Mail von Herrn C., einem Mitarbeiter von Nexans France, an Herrn N., einen Mitarbeiter von Brugg Kabel, heißt es nämlich: „Angesprochene Themen: Subunternehmervertrag für Brugg betreffend Stromkreis B des Projekts“.

174

Wäre es bei dem Treffen vom 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains, wie die Klägerinnen behaupten, ebenfalls um den Abschluss des in Rede stehenden Subunternehmervertrags gegangen, wäre das Thema dieses Treffens wahrscheinlich im Schriftverkehr zu dessen Vorbereitung erwähnt worden. Derartige Dokumente haben die Klägerinnen aber nicht vorgelegt. Überdies ist festzustellen, dass die am selben Tag von Herrn N. an Herrn C. gesandte E‑Mail im Abschnitt „Tagesordnung“ den Vermerk „Vertragsverhandlungen und Unterzeichnung“ enthält, was es in Ermangelung entsprechender Beweise wenig glaubhaft erscheinen lässt, dass diese Verhandlungen beim oben genannten Treffen fortgesetzt wurden.

175

Aufgrund der oben in den Rn. 145 bis 174 dargelegten Erwägungen ist festzustellen, dass die Kommission rechtlich hinreichend dargetan hat, dass die Klägerinnen, vertreten durch Herrn N., am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains an einem Treffen der R‑Mitglieder des Kartells teilgenommen haben. Somit war die Kommission berechtigt, dieses Datum als den Beginn der Kartellbeteiligung der Klägerinnen anzusehen.

2) Zur ununterbrochenen Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

176

Die Klägerinnen machen geltend, dass die ihnen zur Last gelegten Verhaltensweisen, wie die Kommission in der Begründung des angefochtenen Beschlusses mehrfach anerkenne, einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlungen darstellten, was eine Unterbrechung dieser Verhaltensweisen impliziere. Damit bestehe ein Widerspruch zwischen Art. 1 des verfügenden Teils des angefochtenen Beschlusses, in dem die Klägerinnen für die Beteiligung an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht würden, und den diesen Artikel stützenden Gründen.

177

Zudem hätten sich die Klägerinnen, da das Kartell 2005 eine Krise durchlaufen habe, nicht offen davon distanzieren müssen, um zu zeigen, dass sie ihre Teilnahme unterbrochen hätten, was zwischen dem 12. Mai 2005, dem Tag des Ausscheidens ihres Mitarbeiters Herrn P., und dem 8. Dezember 2005 der Fall gewesen sei. Diese Unterbrechung habe auf dem Willen ihrer neuen Unternehmensführung beruht, das neue schweizerische Kartellrecht einzuhalten. Dies ergebe sich aus dem Schriftverkehr zwischen Herrn N. und dem Koordinator des R‑Flügels des Kartells, Herrn J., sowie aus dem Schriftverkehr zwischen Letzterem und mehreren Kartellbeteiligten, die sich über die Konkurrenz beschwert hätten, die ihnen die Klägerinnen bei verschiedenen Projekten gemacht hätten.

178

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

179

Insoweit ist erstens zum angeblichen Widerspruch zwischen der Begründung und dem verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Frage, ob die den Klägerinnen zur Last gelegte Zuwiderhandlung fortgesetzt oder fortdauernd war, festzustellen, dass die Kommission in der deutschsprachigen Fassung des angefochtenen Beschlusses die Ausdrücke „einheitliche und fortgesetzte“ sowie „einzige und fortdauernde“ verwendet hat. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen lässt sich daraus aber nicht ableiten, dass die Kommission damit eine wie auch immer geartete Unterbrechung ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung eingeräumt hätte, da die beiden Ausdrücke einen ähnlichen semantischen Gehalt haben und jeweils den Gedanken ausdrücken, dass eine gleichförmige Verhaltensweise ohne Unterbrechung angedauert hat.

180

Überdies heißt es im 620. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses: „Aufgrund der Beweismittel ist festzustellen, dass die Parteien das einheitliche Ziel des Kartells im Zeitraum vom 18. Februar 1999 bis zum 29. Januar 2009 ohne Unterbrechungen verfolgten.“ Desgleichen ergibt sich auch aus Tabelle 8 („Multiplikatoren für die Dauer der Beteiligung an der Zuwiderhandlung“) im 1012. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass die Kommission keine Unterbrechung zwischen dem Beginn der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung, dem 14. Dezember 2001, und dem Ende dieser Beteiligung, dem 16. November 2006, festgestellt hat.

181

Folglich besteht hinsichtlich der Einheitlichkeit und der Fortdauer der Zuwiderhandlung kein Widerspruch zwischen der Begründung des angefochtenen Beschlusses und dessen verfügendem Teil.

182

Zweitens ist zur angeblichen Unterbrechung der Kartellbeteiligung der Klägerinnen zwischen dem 12. Mai 2005 und dem 8. Dezember 2005 sogleich darauf hinzuweisen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss, anders als die Klägerinnen suggerieren, das Unterlassen der Feststellung, dass diese ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Laufe des Jahres 2005 unterbrochen hatten, nicht mit deren fehlender offener Distanzierung vom Kartell begründet, sondern auf Beweise für das Fortdauern dieser Beteiligung gestützt hat.

183

Die Klägerinnen weisen auf bestimmte Passagen aus dem Schriftverkehr zwischen Herrn N. und Herrn J. hin, um darzutun, dass sie aus ihrer Sicht ihre Kartellbeteiligung ausgesetzt hatten.

184

So zitieren sie eine E‑Mail von Herrn N. vom 10. Mai 2005, in der dieser schrieb, dass er am R‑Treffen vom 11. und 12. Mai 2005 nicht teilnehmen wolle, wobei er sich darauf bezog, dass Herr P. Ende Mai 2005 aus dem Unternehmen ausscheide und es einen Wechsel in der Unternehmensführung gebe.

185

Sie zitieren außerdem eine E‑Mail von Herrn J. vom 26. Oktober 2005, in der dieser sich gegenüber Herrn N. über die von den Klägerinnen betriebene aggressive Konkurrenz beschwerte, wobei er sich wie folgt äußerte:

„Wir haben den Eindruck, dass Sie in Bezug auf das oben genannte Projekt ziemlich aggressiv werden. Aus unserer Sicht ist dieses Projekt unserem Freund, [Herrn R. C.], vorzubehalten, und wir glauben, dass es unvernünftig ist, sich bei dieser Art von Projekt im Land ihres Sitzes aggressiv zu verhalten.“

186

Nach Auffassung der Klägerinnen wurde die Unterbrechung ihrer Beteiligung in einer am 9. Dezember 2005 von Herrn J. an Herrn N. gesandten E‑Mail ausdrücklich bestätigt; darin schrieb Herr J.: „… mittlerweile ist [Herr P.] gegangen, und Sie haben sich aus den ‚Seminaren‘ zurückgezogen.“ Die Klägerinnen heben hervor, dass Herr J. in derselben E‑Mail auch Herrn N. gefragt habe, ob er wieder an den Treffen teilnehme, und wie folgt um Bestätigung gebeten habe: „Sind Sie offiziell zurück in den Seminaren? Wir hoffen sehr, dass Sie dies bestätigen können.“

187

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die E‑Mail von Herrn N. vom 10. Mai 2005 wie folgt formuliert war:

„Aufgrund der derzeitigen Spannungen wegen der Entwicklung des Falls Al Aweer und des derzeitigen Wechsels in der Unternehmensführung von [Brugg Kabel] wird [Herr P.] [Brugg Kabel] bis Ende Mai 2005 verlassen. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass [Brugg Kabel] am kommenden Seminar nicht teilnehmen wird.

Wir hoffen, dass AWEER sich so entwickeln wird, wie wir es früher besprochen haben, so dass eine Teilnahme in Zukunft wieder in Betracht kommt. …“

188

Dem ist zum einen zu entnehmen, dass die Entscheidung, am R‑Treffen vom 11. und 12. Mai 2005 nicht teilzunehmen, durchaus mit dem Ausscheiden von Herrn P. und der neuen Unternehmensführung bei Brugg Kabel, aber auch mit den Spannungen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Projekts „Al Aweer“ begründet wurde, und zum anderen, dass diese Entscheidung ausschließlich dieses eine Treffen betraf. Zudem schloss Herr N., wie sich ebenfalls aus seiner E‑Mail vom 10. Mai 2005 ergibt, nicht aus, an späteren Treffen teilzunehmen, falls sich das oben genannte Projekt entsprechend den früher geführten Gesprächen entwickelte. Demnach kann diese E‑Mail entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht als Mitteilung einer Aussetzung ihrer Kartellbeteiligung angesehen werden.

189

Desgleichen ist darauf hinzuweisen, dass Herr N. in einer E‑Mail vom 14. Juni 2005 an Herrn J. in Bezug auf eine Ausschreibung in Kuwait Folgendes schrieb:

„Habe die Abwesenheit von [Herrn R. von Nexans France] beim Treffen zur Vorbereitung des Bietverfahrens bemerkt.

Beabsichtige, [kein Angebot abzugeben], prüfe aber noch, ob dies ‚politisch akzeptabel‘ ist.

Werde im Fall der [Abgabe eines Angebots] um Rat fragen.

Habe Ihre Bemerkung zum Kabelunglück zur Kenntnis genommen und stimme zu. …“

190

Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Bemerkung zum Kabelunglück auf eine frühere E‑Mail von Herrn J. vom 14. Juni 2005 bezieht, in der dieser geschrieben hatte: „Bitte beachten Sie, dass Sie möglicherweise wegen der Reparatur eines Kabelschadens kontaktiert werden, der sich unlängst im selben Land ergeben hat. Bitte geben Sie in diesem Fall Bescheid (wir werden Anweisungen erhalten, was uns helfen wird, die Kontakte wiederherzustellen).“

191

Dem E‑Mail-Austausch zwischen Herrn J. und Herrn N. vom 14. Juni 2005 ist zu entnehmen, dass die Klägerinnen zu dieser Zeit Kontakte zu Herrn J., dem Koordinator der R‑Mitglieder des Kartells, zum Zweck der Durchführung des Kartells unterhielten.

192

Dies ergibt sich auch aus einer E‑Mail vom 21. Oktober 2005, die ebenfalls von Herrn N. an Herrn J. gesandt wurde und in der Herr N. u. a. schrieb:

„Nach unserer kooperativen Haltung beim Abschluss des MEW/60: 18‑09‑2005 für 92 km XLPE 132 kV, was es TEC ermöglicht, sich diesen ersten XLPE in [Kuwait] zu sichern, haben wir wenig Verständnis für ihr Verhalten bei …

Als wir unsere Zusammenarbeit für MEW/60 bestätigt haben, habe ich Ihnen gegenüber dieses Projekt erwähnt und darauf vertraut, dass diese Nachricht an TEC weitergeleitet würde. [Brugg Kabel] ist sehr interessiert und eigentlich nur durch die Aktionen von TEC gehindert, die noch nicht in der Vorauswahl ist. Das Preisniveau liegt mittlerweile unter … 100. …

Ich weise bloß noch einmal darauf hin, dass von [Brugg Kabel] immer wieder Zusammenarbeit verlangt wird, während viele an ‚Alzheimer‘ leiden.“

193

Dass die Klägerinnen im Jahr 2005 an der Zuwiderhandlung beteiligt waren, wird auch durch zwei E‑Mails bestätigt, die Herr N. im Dezember 2005 und im Januar 2006 an Herrn J. sandte.

194

So schrieb Herr N. in einer E‑Mail vom 12. Dezember 2005:

„Die neue (junge) Unternehmensführung von [Brugg Kabel] hat Angst, weil in der Schweiz ein neues Kartellrecht gilt und wir die Anweisung vom Aufsichtsrat haben, uns daran zu halten. Sie wissen, dass ich 2005 dennoch so gehandelt habe, als ob … (z. B. [Kuwait]).

Wir haben das Niveau nicht verdorben!

Alle Teilnehmer der ‚Seminare‘ können auf ein sehr gutes Jahr 2005 zurückblicken.

… und alle befinden sich in einer ausgezeichneten Lage. …“

195

Des Weiteren schrieb Herr N. in einer E‑Mail vom 24. Januar 2006 in Bezug auf ein Projekt in Kuwait an Herrn J.:

„Ich stelle einmal mehr fest, dass wir die Lage sehr unterschiedlich sehen. Obwohl Eure Auftragsbücher prallvoll sind, verlangt Ihr ständig immer mehr. Für mich ist es schwierig, eine Überlebenspolitik zu entwickeln, die Euch passt! Trotzdem war ich lange naiv genug, daran zu glauben … Daher habe ich jahrelang für eine Abstimmung mit Großen gearbeitet …

Es gab viel Geschäft im Jahr 2005 (wir haben so gut wie alles Euch überlassen):

z. B.

‚A‘ MEW 101 (was 082 mehr als aufwiegt)

‚K‘ MEW/60 92km XLPE 132 kV

‚[Pirelli]‘ ME/EW/66-2005/06

‚A‘ MEW/52/2006-06

Und um nur eine kleine Zusammenarbeit zu erwähnen, die ich über Dich von ‚A‘ in Katar erbeten habe: Man wimmelt mich ab, gibt vor, man könne nichts mehr machen usw. usw. Gleichzeitig schnappen sich [Nexans] und ABB GTC/22/04 mit 102 km 132 kV 1x2000mm2. …“

196

Ferner wies Herr N. in seiner E‑Mail vom 24. Januar 2006 in Bezug auf einen Verstoß gegen die Kartellabsprachen, dessen die Klägerinnen hinsichtlich des MEW 082 beschuldigt wurden, darauf hin, dass dies geschehen sei, „ohne die Preise abstürzen zu lassen!“.

197

Aus diesem Schriftwechsel zwischen Herrn J., dem Koordinator der R‑Mitglieder des Kartells, und Herrn N. geht hervor, dass die Klägerinnen aus ihrer Sicht, auch wenn sie aufgrund der Befürchtungen ihrer neuen Unternehmensführung nicht mehr an den Treffen teilnahmen, ihre Beteiligung am Kartell nicht ausgesetzt hatten und sogar aktiv zu dessen Erfolg beitrugen.

198

Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen geht außerdem aus dem E‑Mail-Verkehr zwischen Herrn J. und mehreren Kartellteilnehmern hervor, dass diese davon ausgingen, dass die Klägerinnen selbst im zweiten Halbjahr 2005 am Kartell beteiligt waren.

199

Zwar zeugen die in der Klageschrift zitierten E‑Mails von der Verärgerung, die einige Kartellteilnehmer über das Verhalten der Klägerinnen bei der Durchführung des Kartells zum Ausdruck brachten.

200

So schrieb Herr R. C., ein Mitarbeiter von Prysmian, in einer E‑Mail vom 14. September 2005 an Herrn J.: „Bitte sorgen Sie dafür, dass [Brugg Kabel] kein Problem darstellt.“

201

Der Unmut von Herrn J. und Herrn R. C. über die Haltung von Brugg Kabel wird auch aus einer E‑Mail von Herrn J. an Herrn N. vom 26. Oktober 2005 deutlich, deren Inhalt oben in Rn. 185 wiedergegeben ist.

202

In einer E‑Mail von Herrn R. C. an Herrn J. vom 28. Oktober 2005 kam Ersterer wie folgt auf die Haltung von Brugg Kabel zurück:

„Ich habe gerade erfahren, dass [Brugg Kabel] ihre Bemühungen verstärkt und immer aggressiver wird. Nur damit Du es weißt: Wenn irgendetwas schiefgeht, werden wir [Brugg Kabel] bei jedem einzelnen Projekt (überall) jagen, um dafür zu sorgen, dass sie entweder Aufträge einbüßt oder eine Menge Geld verliert, um an Aufträge zu kommen. … Du weißt, dass ich das NICHT mag, aber genug ist genug. Ich bin geneigt, diese Sache zu einer ‚persönlichen‘ zu machen.“

203

Weiter in Bezug auf die Haltung der Klägerinnen berichtete Herr R. C. in einer E‑Mail an Herrn J. vom 9. November 2005, dass die Klägerinnen um das Projekt „E‑Plus“ kämpfen würden: „[Brugg Kabel] hat offenbar bestätigt, dass sie auf einen Kampf aus ist (Herr [K.] hat das bestätigt).“

204

Herr R. C. bestätigte übrigens in der Folge gegenüber Herrn J. in einer E‑Mail vom 3. Januar 2006, dass er das Projekt „E‑plus“ an die Klägerinnen verloren habe.

205

Der Unmut von Herrn R. C. über die Haltung der Klägerinnen geht auch aus einer E‑Mail vom 16. November 2005 hervor, in der er an Herrn J. schrieb:

„… Eure lieben Freunde von [Brugg Kabel] sind hier in Bezug auf einen weiteren 380‑kV-Auftrag sehr aggressiv … Bedeutet Eure entspannte Haltung gegenüber all diesen Aggressionen, dass Ihr dieses Gebiet aufgebt, Euch die Arroganz von [Brugg Kabel] also egal ist??“

206

Gleichwohl ist festzustellen, dass Herr R. C., wie seiner E‑Mail vom 16. November 2005 zu entnehmen ist, davon ausging, dass die Klägerinnen immer noch an die Kartellregeln gebunden waren; schließlich prangerte er gerade ihren Verstoß gegen diese Regeln an. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte Herr R. C. nämlich überhaupt keinen Grund gehabt, sich gegenüber dem Koordinator der R‑Mitglieder des Kartells, Herrn J., über das Verhalten der Klägerinnen zu beschweren.

207

Im Übrigen ist, wie es die Kommission im 346. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses getan hat, festzustellen, dass der Vorwurf, die Klägerinnen hätten im zweiten Halbjahr 2005 gegen die Kartellregeln verstoßen, nicht dazu führte, dass sie von den anderen Kartellteilnehmern als „outsiders“ angesehen wurden. Dementsprechend waren sie nicht von den koordinierten Maßnahmen betroffen, die beim Treffen vom 15. März 2005 in Divonne-les-Bains, an dem sie teilnahmen, beschlossen worden waren.

208

Überdies ergibt sich aus der am 24. Juni 2005 von Herrn J. erstellten Aufzählung der am Kartell beteiligten Unternehmen, die im 353. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zitiert wird, dass die Klägerinnen nach wie vor als „mittlere“ Mitglieder („medium ones“) des Kartells aufgeführt wurden. Von einem Ausstieg ist dort überhaupt nicht die Rede.

209

Desgleichen folgt, wie die Kommission zutreffend feststellt, aus der im 358. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zitierten E‑Mail von Herrn J. an Herrn I., einen Mitarbeiter von Exsym, und Herrn R. C., einen Mitarbeiter von Prysmian, vom 26. August 2005, dass die Klägerinnen zu diesem Zeitpunkt immer noch als Kartellteilnehmer angesehen wurden. Dort ist in folgenden Worten die Rede von der Notwendigkeit, den Verbleib bestimmter Beteiligter im Kartell sicherzustellen:

„Wenn Sie sagen, dass [Taihan und LS Cable] aus ‚A‘ draußen sind, dann ist [die 40%-Quote] nicht mehr gültig und sollte angesichts der Bilanz der letzten Jahre vielleicht auf 20 reduziert werden. Km ist für [Herrn C. von Pirelli] eindeutig im Minus. Das heißt, entweder sind [Taihan und LS Cable] aus ‚A‘‚draußen‘, und die nächsten beiden [Ölkabel-Projekte] müssen [Herrn C. von Pirelli] zukommen, um die Lage wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wozu Sie bereits Ihr Einverständnis erklärt haben, oder [sie sind] ‚drin‘, und das Rotationssystem muss angewandt werden. Wir haben den Eindruck, dass Sie Schwierigkeiten haben, [Taihan und LS Cable] zu kontrollieren, so wie wir Schwierigkeiten haben, [ABB] und [Brugg Kabel] und [Sagem] oder [nkt cables] zu kontrollieren, aber das heißt [nicht], dass wir sie [aus dem Kartell] ‚rausschmeißen‘ müssten. Es ist einfach eine Tatsache, an die man sich anpassen muss. (Wie es für … oder die Philippinen oder … geschehen ist.) Auch hier liegt es in unserem globalen Interesse, … beizubehalten, daher wird die Vergabe des EDC‑Projekts an [Taihan] oder [LS Cable] uns allen helfen.“

210

Nach der Rechtsprechung kommt es aber für die Beurteilung der Frage, ob sich das betroffene Unternehmen von der rechtswidrigen Vereinbarung distanzieren wollte, entscheidend auf das Verständnis an, das die übrigen Kartellteilnehmer von seiner Absicht hatten (Urteil vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, C‑510/06 P, EU:C:2009:166, Rn. 120).

211

Dieses Ergebnis wird nicht durch die E‑Mail von Herrn J. an Herrn N. vom 9. Dezember 2005 in Frage gestellt, in der Ersterer schrieb, „… mittlerweile ist [Herr P.] gegangen, und Sie haben sich aus den ‚Seminaren‘ zurückgezogen“, und Herrn N. fragte, ob er offiziell zurück in den Treffen sei: „Sind Sie offiziell zurück in den Seminaren? Wir hoffen sehr, dass Sie dies bestätigen können.“ Wie oben in den Rn. 183 bis 210 dargelegt, haben die Klägerinnen nämlich in diesem Zeitraum trotz der Abwesenheit von Herrn N. bei den R‑Treffen des Kartells eindeutig ihre Kartellbeteiligung fortgesetzt.

212

Zurückzuweisen ist auch das Argument, das die Klägerinnen aus einem E‑Mail-Verkehr zwischen Herrn R. C. und Herrn J. vom 9. Januar 2006 ziehen wollen, aus dem sich ergeben soll, dass die Klägerinnen auf die Kontaktanfragen von Nexans France nicht reagiert hätten. Die Klägerinnen haben nämlich selbst eingeräumt, dass sie ihre Kartellbeteiligung zu diesem Zeitpunkt bereits wiederaufgenommen hatten.

213

Folglich hat die Kommission auf der Grundlage der von ihr zusammengetragenen Beweise rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Klägerinnen ohne Unterbrechung vom 14. Dezember 2001 bis zum 16. November 2006 am Kartell beteiligt waren.

d)   Zur Absicht der Klägerinnen, zur Erreichung sämtlicher Ziele des Kartells beizutragen, und zu ihrer Kenntnis von bestimmten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen

214

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe nicht hinreichend belegt, dass sie durch ihr Verhalten zur Erreichung sämtlicher gemeinsamer Ziele des Kartells hätten beitragen wollen. Ein solcher Beleg fehle für die Zuteilung von Unterwasserkabelprojekten, die „Aufteilung der Heimatmärkte“ und die Zuteilung von großvolumigen Projekten. Ebenso wenig enthalte der angefochtene Beschluss genaue Beweise dafür, dass die Klägerinnen von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen der anderen Kartellbeteiligten bei der Vergabe von Unterwasserkabelaufträgen gewusst hätten.

215

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

216

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff der Vereinbarung oder der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise mit wettbewerbswidrigem Ziel im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllten und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollten, an einer einheitlichen und komplexen Zuwiderhandlung beteiligt hat, somit für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten. Dies ist dann der Fall, wenn das Unternehmen nachweislich durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P, EU:C:2017:52, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

217

Es ist somit möglich, dass sich ein Unternehmen an dem gesamten wettbewerbswidrigen Verhalten, das die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildet, unmittelbar beteiligt hat; dann ist die Kommission berechtigt, es für dieses gesamte Verhalten und damit für die Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zur Verantwortung zu ziehen. Es ist auch möglich, dass sich ein Unternehmen nur an einem Teil des wettbewerbswidrigen Verhaltens, das die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildet, unmittelbar beteiligt hat, aber von dem gesamten übrigen rechtswidrigen Verhalten, das die anderen Kartellbeteiligten in Verfolgung der gleichen Ziele beabsichtigten oder an den Tag legten, wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. In einem solchen Fall ist die Kommission ebenfalls berechtigt, dieses Unternehmen für das gesamte wettbewerbswidrige Verhalten, das eine solche Zuwiderhandlung bildet, und damit für die Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zur Verantwortung zu ziehen (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P, EU:C:2017:52, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

218

Im vorliegenden Fall ist erstens zum fehlenden Willen der Klägerinnen, zu sämtlichen gemeinsamen Zielen des Kartells beizutragen, darauf hinzuweisen, dass die von den Kartellteilnehmern beschlossenen Maßnahmen, wie oben in Rn. 126 festgestellt, einem gemeinsamen Ziel dienten, nämlich der Einrichtung eines Systems zur Aufteilung des Weltmarkts für Hochspannungskabel, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten. Dieses System betraf, wie oben in Rn. 128 dargelegt, sowohl Unterwasserkabel- als auch Erdkabel-Projekte.

219

Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen kann der Umstand, dass sie nicht an der Aufteilung der Unterwasserkabel-Projekte beteiligt waren, nicht belegen, dass sie nicht die Absicht hatten, mit ihrem Verhalten zu dem oben in Rn. 218 dargelegten gemeinsamen Ziel des Kartells beizutragen. Wie sie selbst einräumen, beruhte diese Nichtbeteiligung nämlich auf ihren fehlenden Kapazitäten für die Herstellung solcher Kabel, und nicht auf dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen, sich nicht an der Aufteilung solcher Projekte zu beteiligen. Zudem hatten die Klägerinnen – wie aus dem 324. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses deutlich wird, in dem die Kommission feststellt, die Klägerinnen hätten trotz ihrer fehlenden Kapazitäten für die Herstellung von Unterwasserkabeln im engeren Sinne um Präferenzbehandlung bei einem Unterwasserkabel-Projekt in flachen Gewässern gebeten – den Willen, sich im Rahmen des technisch Machbaren an der Aufteilung von Projekten zu beteiligen, die eigentlich die Verlegung von Unterwasserkabeln erforderten.

220

Ebenso wenig überzeugt das Vorbringen der Klägerinnen, ihre Nichtbeteiligung an der Aufteilung großvolumiger Projekte belege, dass sie nicht die Absicht gehabt hätten, mit ihrem Verhalten zum gemeinsamen Ziel des Kartells beizutragen. Zunächst ergibt sich nämlich aus dem angefochtenen Beschluss, dass die Mechanismen des Kartells – ob Informationspflichten, Aufteilungsregeln oder Ausgleichsmechanismen – nicht nach dem Umfang der betreffenden Projekte differenzierten (der Verlust eines Großprojekts konnte durch die Zuteilung mehrerer kleinerer Projekte ausgeglichen werden, und umgekehrt). Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die geltend gemachte Nichtbeteiligung der Klägerinnen an großvolumigen Projekten, wie sie selbst detailliert erläutern, damit zusammenhängt, dass ihre Kapazitäten nicht ausreichten, um bei solchen Projekten die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen. Schließlich geht aus einer E‑Mail von Herrn J. an Herrn I. hervor, dass die Klägerinnen nicht zögerten, Angebote für umfangreiche Projekte abzugeben, wobei sie gegebenenfalls auf Subunternehmen zurückgriffen, um ihre Kapazitätsprobleme zu überwinden.

221

Zurückzuweisen ist auch das Argument der Klägerinnen, sie hätten nicht die Absicht gehabt, die „Aufteilung der Heimatmärkte“ zu beachten. Wie aus dem 108. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hat die Kommission nämlich festgestellt, es gebe Beweise dafür, dass bestimmten R‑Mitgliedern des Kartells bei der Aufteilung von Kabelprojekten ein „Heimatgebiet“ zuerkannt worden sei (z. B. Italien für Nexans France und Prysmian, die Niederlande für Prysmian), in dem sie Vorrang genossen hätten. Die Klägerinnen machen geltend, sie hätten sich, wie durch mehrere Beweise belegt werde, mehrfach geweigert, die Aufteilung der Heimatmärkte zu beachten, indem sie Angebote in Gebieten abgegeben hätten, die als Heimatmarkt anderer Kartellteilnehmer gegolten hätten. Jedoch ist festzustellen, dass die Klägerinnen damit lediglich vortragen, sie hätten eine der Regeln für die Aufteilung von Projekten unter den R‑Mitgliedern des Kartells nicht immer eingehalten, was für sich genommen nicht belegt, dass sie nicht die Absicht hatten, zum gemeinsamen Ziel des Kartells beizutragen. Zudem war es, wie die Klägerinnen einräumen, nicht die „Aufteilung der Heimatmärkte“ an sich, die für sie problematisch war, sondern der Umstand, dass sie, da ihnen von den anderen Kartellteilnehmern kein derartiges Gebiet zuerkannt worden war, nicht konkret davon profitieren konnten.

222

Zweitens ist zur fehlenden Kenntnis von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen in Bezug auf Unterwasserkabel darauf hinzuweisen, dass, wie oben in Rn. 134 dargelegt, die R‑Treffen, an denen Herr N. teilnahm, mit einem allgemeinen Teil begannen, in dessen Rahmen die Vertreter von Nexans France und Pirelli die anderen R‑Mitglieder des Kartells über die Gespräche informierten, die beim vorangegangenen A/R‑Treffen geführt worden waren. Die A/R‑Treffen betrafen aber, wie oben in den Rn. 130 bis 132 festgestellt, die Aufteilung von Erdkabel- und Unterwasserkabel-Projekten in den „Ausfuhrgebieten“ unter den R‑Mitgliedern des Kartells einerseits und den A- sowie den K‑Mitgliedern des Kartells andererseits. Demzufolge hatten die Klägerinnen notwendigerweise Kenntnis davon, dass die Unterwasserkabel-Projekte unter den A- und den R‑Mitgliedern des Kartells aufgeteilt wurden. Was die Kenntnis anbelangt, die die Klägerinnen von der Aufteilung der Unterwasserkabel-Projekte unter den R‑Mitgliedern des Kartells hatten, ist darauf hinzuweisen, dass – selbst in der Annahme, dass die Gespräche über die Unterwasserkabel und die Erdkabel wie beim R‑Treffen vom 18. und 19. November 2003 stets separat geführt wurden und die Vertreter von Brugg Kabel niemals an R‑Treffen teilgenommen haben, bei denen die Erdkabel- und die Unterwasserkabel-Projekte zusammen besprochen wurden, was angesichts der Beweise, die die Kommission zur Beantwortung einer prozessleitenden Maßnahme des Gerichts vorgelegt hat, sehr zweifelhaft erscheint (siehe oben, Rn. 134 bis 138) – der Umstand, dass die Klägerinnen ausweislich der aus der Vorbereitung der Treffen der in Rede stehenden Mitglieder stammenden Dokumente wussten, dass Gespräche über Unterwasserkabel geführt werden würden, hinreichend belegt, dass sie von der genannten Aufteilung wussten oder hätten wissen müssen. Zudem ergibt sich aus der in den Erwägungsgründen 377 und 378 des angefochtenen Beschlusses zitierten E‑Mail von Herrn J. an Herrn N. vom 23. Januar 2006, die die Aufteilung in den „Ausfuhrgebieten“ betrifft, dass die Klägerinnen wussten, dass die Absprachen eine Koordinierung bei den Unterwasserkabel-Projekten vorsahen. In dieser E‑Mail heißt es nämlich: „A hat kein Vertrauen mehr und weigert sich, beim [Kuwait-Projekt] weiter mitzumachen (und lehnt dementsprechend diese Zuteilung ab), wenn [Herr C. von Pirelli] und Du Euch nicht verpflichtet, die künftigen Vereinbarungen über dieses Land einzuhalten. [Herr C. von Pirelli] hat bestätigt, dass sie sich künftig an die Vereinbarungen halten werden, und hat ihr Verhalten (im Zusammenhang mit einem Unterwasserkabel-Projekt) glaubhaft erklärt.“

223

Nach alledem hat die Kommission rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Klägerinnen mit ihrem Verhalten darauf abzielten, im Sinne der oben in den Rn. 216 und 217 dargelegten Rechtsprechung zur Umsetzung der Zuwiderhandlung insgesamt beizutragen, und von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen der anderen Kartellteilnehmer Kenntnis hatten.

e)   Zum Nachweis, dass die Klägerinnen von den Absprachen über die verschiedenen Kabelprojekte Kenntnis hatten

224

Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission hätte nachweisen müssen, dass sie von den Absprachen über jedes Projekt Kenntnis hatten oder sie zumindest für die Heimatmärkte oder die Unterwasserkabel-Projekte vorhersehen konnten.

225

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

226

Insoweit ist der Kommission darin beizupflichten, dass die generelle Ausgestaltung der Berichtspflichten und der Quotierung sämtliche Projekte betraf, die Gegenstand des Kartells waren, und sich das Nachweiserfordernis auf diesen Charakter des Gesamtplans bezog. Da die R‑Mitglieder des Kartells gerade über die Bekundung von Interesse für bestimmte Projekte selbst tätig werden mussten, um bei einer Projektzuteilung berücksichtigt zu werden, ist es logisch, dass ein kleinerer Hersteller wie die Klägerinnen nicht in Bezug auf sämtliche Projekte ausdrücklich Erwähnung findet. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sie insgesamt an dem gewählten Modus teilnahmen und, wie von der Kommission dargelegt, über die allgemeine Funktionsweise umfassend informiert waren.

f)   Zur Begründung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Bezeichnung der betreffenden Kabelprojekte

227

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, die Projekte, die angeblich Gegenstand einer Absprache gewesen seien, im angefochtenen Beschluss nicht genau bezeichnet zu haben, sondern lediglich Abkürzungen oder generische Bezeichnungen verwendet zu haben. Zudem habe sie ein und dasselbe Projekt allein wegen leicht unterschiedlicher Bezeichnung als mehrere verschiedene Projekte dargestellt.

228

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

229

Insoweit ist festzustellen, dass beispielsweise aus den Erwägungsgründen 234 und 372 des angefochtenen Beschlusses, die zahlreiche Auszüge aus dem Schriftverkehr zwischen den Kartellteilnehmern enthalten, hervorgeht, dass Letztere systematisch in Form von Abkürzungen oder kodierten Andeutungen auf die betreffenden Kabelprojekte Bezug nahmen, was offensichtlich der Verschleierung diente. Unter derartigen Umständen kann die der Kommission nach Art. 296 AEUV obliegende Begründungspflicht nicht dazu führen, dass von ihr verlangt wird, jedes einzelne Projekt, das von den Kartellteilnehmern in ihrem Schriftverkehr erwähnt wurde, genau zu bezeichnen.

230

Nach alledem sind der dritte und der vierte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

4.   Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens

231

Die Klägerinnen trägen vor, in der Anwendung der Rechtsfigur der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung liege ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens.

232

Zur Stützung dieses Klagegrundes verweisen die Klägerinnen lediglich auf die bereits im Rahmen des dritten und des vierten Klagegrundes vorgebrachten Argumente, um darzutun, dass die streitige Zuwiderhandlung keine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung sei. Insbesondere verweisen sie auf ihr Vorbringen zu dem Beginn ihrer Kartellbeteiligung ab dem 14. Dezember 2001, der ununterbrochenen Dauer dieser Beteiligung, der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der Absprachen zu Unterwasserkabeln, ihrer Beteiligung an Absprachen zu Heimatmärkten und ihrer Beteiligung an großvolumigen Projekten. Nachdem dieses Vorbringen bereits im Rahmen der Prüfung des dritten und des vierten Klagegrundes als unbegründet zurückgewiesen worden ist, kann der fünfte Klagegrund mangels eigenständiger Argumentation nur als jeder Grundlage entbehrend zurückgewiesen werden.

233

In Anbetracht der Zurückweisung der Klagegründe 2 bis 5 ist zusammenfassend festzustellen, dass die Kommission die Klägerinnen rechtsfehlerfrei für die Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vom 14. Dezember 2001 bis zum 16. November 2006 haftbar gemacht hat.

5.   Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und ne bis in idem, Verletzung der Begründungspflicht, mehrere Beurteilungsfehler und Ermessensmissbrauch durch fehlerhafte Bemessung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

234

Der sechste Klagegrund gliedert sich in fünf Teile. Mit dem ersten Teil werfen die Klägerinnen der Kommission vor, einen Rechtsfehler begangen und gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen zu haben, indem sie als Umsatzreferenzjahr das Jahr 2004 gewählt habe, das für ihre Wirtschaftskraft und ihren Beitrag zum Kartell nicht repräsentativ sei. Mit dem zweiten Teil rügen sie, die Kommission habe ihre Begründungspflicht und den Grundsatz ne bis in idem verletzt sowie die Schwere der Zuwiderhandlung fehlerhaft beurteilt. Mit dem dritten Teil beanstanden sie, dass die Kommission einen Koeffizienten von 4,91 für die Dauer der Zuwiderhandlung festgesetzt habe. Mit dem vierten Teil tragen sie vor, die Kommission habe hinsichtlich der „Eintrittsgebühr“ ihre Begründungspflicht verletzt. Mit dem fünften Teil rügen sie, die Kommission habe bei der Beurteilung der mildernden Umstände einen Beurteilungsfehler begangen sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

a)   Zum Abstellen auf das Jahr 2004 als Umsatzreferenzjahr für die Bemessung des Grundbetrags der Geldbuße

235

Die Klägerinnen machen geltend, indem die Kommission als Referenzjahr auf das Jahr 2004 anstatt auf das letzte vollständige Geschäftsjahr ihrer Kartellbeteiligung abgestellt habe, sei sie ohne berechtigten Grund von der Grundregel nach Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen abgewichen. Diese Entscheidung habe zu einer Diskriminierung der Klägerinnen geführt, da diese im Jahr 2004 außergewöhnlich hohe Umsatzerlöse im Zusammenhang mit Kabelprojekten erzielt hätten. Um diese Diskriminierung zu vermeiden, hätte die Kommission nach Ansicht der Klägerinnen entweder auf das letzte vollständige Jahr ihrer Kartellbeteiligung, d. h. 2005, abstellen oder einen Durchschnittswert der Jahre 2003 bis 2005 verwenden müssen.

236

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

237

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen hinsichtlich der Bemessung der Geldbuße im Fall eines weltweiten Kartells Folgendes vorsieht:

„Soweit sich eine Zuwiderhandlung in einem Gebiet auswirkt, das über das Gebiet des [EWR] hinausreicht (beispielsweise weltweite Kartelle), gibt der innerhalb des EWR erzielte Umsatz das Gewicht der einzelnen Unternehmen bei der Zuwiderhandlung möglicherweise nicht angemessen wieder. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine Aufteilung der Märkte weltweit vereinbart wurde.

Um in solchen Fällen sowohl den aggregierten Umsatz im EWR als auch das jeweilige Gewicht der einzelnen Unternehmen bei der Zuwiderhandlung wiederzugeben, kann die Kommission den Gesamtwert des Umsatzes mit den betreffenden Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in Zusammenhang stehen, im gesamten (über den EWR hinausreichenden) relevanten räumlichen Markt schätzen, den Anteil der einzelnen beteiligten Unternehmen am Umsatz auf diesem Markt ermitteln und diesen Anteil auf den aggregierten Umsatz derselben Unternehmen innerhalb des EWR anwenden. Das Ergebnis wird als Umsatz bei der Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet.“

238

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, soweit auf den Umsatz der an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen abzustellen ist, um das Verhältnis zwischen den festzusetzenden Geldbußen zu bestimmen, der zu berücksichtigende Zeitraum so abgegrenzt werden muss, dass die ermittelten Umsatzzahlen so weit wie möglich miteinander vergleichbar sind (vgl. Urteil vom 30. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, T‑175/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:369, Rn. 142 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

239

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 für die Berechnung von Geldbußen hinsichtlich des Zeitraums, der für die Bestimmung des für die Bemessung der Geldbuße verwendeten Umsatzes zu berücksichtigen ist, Folgendes vorsieht:

„Zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet die Kommission den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des EWR verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen. Im Regelfall ist der Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr zugrunde zu legen, in dem das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war.“

240

Allerdings ist festzustellen, dass die Verwendung der Formulierung „[i]m Regelfall ist der Umsatz im letzten vollständigen Geschäftsjahr zugrunde zu legen, in dem das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war“ in Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen für die Kommission nicht die Möglichkeit ausschließt, einen anderen Referenzzeitraum zu verwenden, soweit dieser es im Sinne der oben in Rn. 238 angeführten Rechtsprechung ermöglicht, Umsatzzahlen zu ermitteln, die so vergleichbar wie möglich sind.

241

Im vorliegenden Fall geht aus dem angefochtenen Beschluss hervor, dass sich die Kommission für die Berechnung des Grundbetrags der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße auf die in Ziff. 18 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen vorgesehene Methode bezogen hat (Erwägungsgründe 966 und 968 bis 994 dieses Beschlusses). Ferner ist diesem Beschluss zu entnehmen, dass sie sich für die Anwendung dieser Methode nicht auf die im letzten vollständigen Geschäftsjahr der Beteiligung an der Zuwiderhandlung getätigten Verkäufe, sondern auf die Verkaufszahlen des Jahres 2004 gestützt hat (Erwägungsgründe 966 und 968 bis 994 dieses Beschlusses).

242

Die Kommission hat diese Entscheidung erstens damit begründet, dass die auf EWR-Ebene getätigten Verkäufe von Stromkabeln ab 2006 deutlich zugenommen hätten, so dass die Wahl des letzten vollständigen Geschäftsjahrs der Beteiligung an der Zuwiderhandlung bei den Unternehmen, deren Beteiligung an der Zuwiderhandlung nach 2006 geendet habe, für den Zeitraum der Zuwiderhandlung nicht hinreichend repräsentativ wäre. Die Zugrundelegung der Umsätze aller Unternehmen aus dem Jahr 2004 habe es ermöglicht, die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung über ihre gesamte Dauer hinweg sowie das jeweilige Gewicht der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen genauer zu bewerten. Zweitens könne durch die Wahl des Jahres 2004 eine diskriminierende Ungleichbehandlung zwischen Unternehmen, die ihre (unmittelbare) Beteiligung früher beendet hätten, und denen, die sie fortgesetzt hätten, vermieden werden. Zudem sei es ihr nach Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen in einer solchen Situation gestattet, nicht auf die Umsatzzahlen des letzten Geschäftsjahrs der Beteiligung an der Zuwiderhandlung abzustellen (965. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Ferner sei die Wahl eines einheitlichen Referenzjahrs, in dem alle Parteien an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, für die Anwendung von Ziff. 18 der genannten Leitlinien vorzugswürdig, damit das Gewicht der einzelnen Unternehmen bei der Zuwiderhandlung angemessen wiedergegeben werde (966. Erwägungsgrund dieses Beschlusses).

243

Soweit die Klägerinnen argumentieren, die Wahl eines einheitlichen Referenzjahrs sei notwendigerweise willkürlich, da sie sich auf die Kartellteilnehmer je nach dem in diesem Jahr erzielten Umsatz unterschiedlich auswirke, ist auf die Rechtsprechung hinzuweisen, wonach es die Heranziehung eines einheitlichen Referenzjahrs für alle an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen in der Regel ermöglicht, die Geldbußen einheitlich im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz festzusetzen und dabei das Ausmaß der begangenen Zuwiderhandlung anhand der wirtschaftlichen Gegebenheiten im maßgeblichen Zeitraum zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission, C‑196/99 P, EU:C:2003:529, Rn. 129, und vom 16. November 2011, ASPLA/Kommission, T‑76/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:672, Rn. 112).

244

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein bestimmtes Unternehmen gemäß der Rechtsprechung nur dann verlangen kann, dass die Kommission bei ihm auf einen anderen als den im Allgemeinen herangezogenen Zeitraum abstellt, wenn es nachweist, dass der von ihm im letztgenannten Zeitraum erzielte Umsatz aus für dieses Unternehmen spezifischen Gründen weder für seine wirkliche Größe und seine Wirtschaftskraft noch für das Ausmaß der von ihm begangenen Zuwiderhandlung einen Anhaltspunkt bietet (Urteil vom 14. Mai 1998, Fiskeby Board/Kommission, T‑319/94, EU:T:1998:95, Rn. 42).

245

Im vorliegenden Fall machen die Klägerinnen geltend, sie hätten im Jahr 2004 einen außergewöhnlich hohen Umsatz im Bereich der Stromkabel erzielt, da sie das Projekt „BASF“ für 4700000 Schweizer Franken (CHF) und das Projekt „Spanien 9“ für 3200000 CHF abgeschlossen hätten, was für ihren Umsatz während ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung nicht repräsentativ sei. Für diese Behauptung führen sie jedoch keinerlei Beweis an, so dass das Gericht über die tatsächliche Höhe und die Zusammensetzung ihres Umsatzes des Jahres 2004 hinaus nicht beurteilen kann, wie stark dieser Umsatz von dem der Jahre 2003 und 2005 abwich. Im Übrigen heißt es im Geschäftsbericht von Brugg Kabel für das Jahr 2005, dass der Umsatz in diesem Jahr trotz eines schwachen Starts in der ersten Jahreshälfte das Vorjahresniveau erreicht habe, da im zweiten Halbjahr ein sehr guter Auftragseingang im Hochspannungsanlagenbereich zu verzeichnen gewesen sei.

246

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Klägerinnen nicht haben nachweisen können, dass der Kommission ein Fehler unterlaufen ist, als sie für die Bestimmung des Umsatzes, der für die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße zu berücksichtigen war, das Referenzjahr festlegte. Folglich ist der erste Teil des sechsten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

b)   Zur Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung

247

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, hinsichtlich des Umsatzanteils von 19 %, der ihnen gegenüber für die Schwere der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zugrunde gelegt worden sei, ihre Begründungspflicht verletzt und einen Beurteilungsfehler begangen zu haben.

1) Zum Vorwurf der Verletzung der Begründungspflicht hinsichtlich der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils

248

Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe den angefochtenen Beschluss widersprüchlich begründet, indem sie einerseits im 998. Erwägungsgrund klargestellt habe, dass sie für die Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils ausschließlich auf eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung abstelle, deren Schwere sie mit 15 % beziffere, und andererseits im 999. Erwägungsgrund bei den angeblich an der „europäischen Kartellkonfiguration“ beteiligten Unternehmen, die zusätzlich zur Aufteilung im Rahmen der „A/R-Kartellkonfiguration“ eine weitere Aufteilung von Kabelprojekten vorgenommen hätten, den zu berücksichtigenden Umsatzanteil selektiv um 2 % erhöht habe. Mit einer solchen Vorgehensweise widerspreche die Kommission ihrer eigenen Grundannahme, wonach die Aufteilungsmechanismen der letztgenannten und der „europäischen Kartellkonfiguration“ untrennbarer Bestandteil der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung seien. Auf diese Weise würde auf die Klägerinnen ein erster schwerebezogener Prozentsatz von 15 % wegen ihrer Beteiligung an der beide Kartellkonfigurationen umfassenden einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung angewandt, sowie ein zweiter schwerebezogener Prozentsatz von 2 % erneut wegen ihrer Beteiligung an der „europäischen Kartellkonfiguration“. Diese von der Kommission angewandte Logik führe zu einem Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem.

249

Überdies habe die Kommission ihre Begründungspflicht verletzt, indem sie in den Erwägungsgründen 1003 und 1004 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt habe, eine Erhöhung des schwerebezogenen Prozentsatzes sei infolge des gemeinsamen Marktanteils der Kartellbeteiligten und der räumlichen Ausdehnung des Kartells gerechtfertigt, ohne darzulegen, wie sich dieser Aufschlag im Einzelnen zusammensetze. Die Höhe des Aufschlags ergebe sich erst aus der Rückrechnung im Rahmen der „Schlussfolgerungen“ zur Schwere im 1010. Erwägungsgrund dieses Beschlusses.

250

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

251

Insoweit ist erstens zur Erhöhung des schwerebezogenen Prozentsatzes infolge des kumulierten Marktanteils der Kartellteilnehmer und der räumlichen Ausdehnung des Kartells festzustellen, dass das Ausmaß dieser Erhöhung, nämlich zwei Prozentpunkte, aus dem 1010. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, wie die Klägerinnen im Übrigen einräumen. Was den Umstand anbelangt, dass in diesem Beschluss nicht genau angegeben wird, in welchem Ausmaß die beiden zugrunde liegenden Faktoren, d. h. der kumulierte Marktanteil und die räumliche Ausdehnung des Kartells, jeweils zu dieser Erhöhung beitragen, so ist eine derartige Klarstellung im vorliegenden Fall nicht erforderlich, da die Begründung insoweit der Natur des in Rede stehenden Rechtsakts angepasst ist und die Überlegungen der Kommission klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringt, so dass die Klägerinnen die Gründe für die erlassene Maßnahme erkennen können und das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

252

Zweitens ist festzustellen, dass der Vorwurf, die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei hinsichtlich der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils widersprüchlich, auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Beschlusses beruht.

253

Die Klägerinnen tragen im Wesentlichen vor, die Kommission habe das Verhalten der an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen ein erstes Mal beurteilt, als sie den für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteil auf 15 % festgesetzt habe, und sodann dasselbe Verhalten ein zweites Mal beurteilt, als sie einen zusätzlichen Prozentsatz von 2 % für die an der „europäischen“ sowie der „A/R-Kartellkonfiguration“ beteiligten Unternehmen festgesetzt habe.

254

Jedoch ist festzustellen, dass die Kommission im 998. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens, an der die Adressaten des angefochten Beschlusses beteiligt gewesen seien, habe in der Aufteilung von Märkten und Kunden bestanden. Eine derartige Zuwiderhandlung gehöre ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsverstößen, da sie die wichtigsten Parameter des Wettbewerbs verfälsche. Nach Ziff. 23 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen seien solche Verhaltensweisen grundsätzlich streng zu ahnden, und der Schweregrad werde im Allgemeinen am oberen Ende der Bandbreite angesetzt. Daher sei für die Schwere der Zuwiderhandlung ein Prozentsatz von 15 % angemessen.

255

Im 999. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission sodann aus, zusätzlich zu den Aufteilungsmechanismen der „A/R-Kartellkonfiguration“ habe bei EWR-Projekten im Rahmen der „europäischen Kartellkonfiguration“ eine weitere Aufteilung unter den europäischen Herstellern stattgefunden. Diese Machenschaften, an denen ausschließlich die europäischen Hersteller beteiligt gewesen seien, hätten zusätzlich zu der Marktaufteilungsvereinbarung der europäischen, japanischen und südkoreanischen Hersteller zu einer weiteren Beschränkung des Wettbewerbs geführt und somit die Schwere der Zuwiderhandlung erhöht. Die durch die europäische Kartellkonfiguration verursachte zusätzliche Wettbewerbsverzerrung rechtfertige eine Erhöhung des Schweregrads der Zuwiderhandlung um 2 % bei den Unternehmen, die an diesem Teil des Kartells beteiligt gewesen seien.

256

Aus den Erwägungsgründen 998 und 999 des angefochtenen Beschlusses geht klar hervor, dass die Kommission der Auffassung war, dass der Mindestumsatzanteil, der für alle Unternehmen zugrunde zu legen sei, die für die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung haftbar gemacht werden könnten, 15 % betrage, und zwar unabhängig vom Ausmaß ihrer Beteiligung am Kartell, dass aber für die Unternehmen, die sowohl an der „A/R“- als auch an der „europäischen Kartellkonfiguration“ beteiligt gewesen seien, ein zusätzlicher Prozentsatz von 2 % zugrunde zu legen sei, da die wettbewerbsschädlichen Wirkungen der erstgenannten Konfiguration durch die der zweitgenannten verstärkt worden seien.

257

Somit machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, die Begründung des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung sei insoweit widersprüchlich. Ebenso wenig dringt ihre Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem durch, da die in den Erwägungsgründen 998 und 999 des angefochtenen Beschlusses dargelegten Erwägungen der Kommission nicht dazu führen, dass derselbe Sachverhalt zweimal geahndet wird.

2) Zum Vorwurf eines Fehlers durch Nichtberücksichtigung des Umstands, dass die Klägerinnen im Zeitraum der Zuwiderhandlung keine Unterwasserkabel herstellten, im Rahmen der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils

258

Die Klägerinnen machen geltend, gemäß der Rechtsprechung hätte die Kommission bei der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils berücksichtigen müssen, dass sie im Zeitraum der Zuwiderhandlung keine Unterwasserkabel hergestellt hätten. Dieser Verpflichtung habe die Kommission nicht einfach mit dem Argument entgehen können, dass sich dieser Umstand schon hinreichend in dem nicht berücksichtigten Unterwasserkabelumsatz widerspiegele. Dasselbe gelte für den Umstand, dass die Klägerinnen nicht das Heimatmarktprinzip angewandt hätten und sich nicht an der Aufteilung von großvolumigen Projekten beteiligt hätten.

259

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

260

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im 1000. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses im Kern ausgeführt hat, der Umstand, dass die Klägerinnen im Zeitraum der Zuwiderhandlung keine Unterwasserkabel hergestellt hätten, sei bei der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils nicht zu berücksichtigen, da er bereits bei der Bestimmung des Umsatzes berücksichtigt worden sei.

261

Wie die Kommission zutreffend feststellt, ist das einzige Urteil, das die Klägerinnen anführen, um dieser Beurteilung entgegenzutreten, für den vorliegenden Fall irrelevant.

262

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 30. November 2011, Quinn Barlo u. a./Kommission (T‑208/06, EU:T:2011:701), ergangen ist, hat das Gericht nämlich festgestellt, dass die Klägerin keine Kenntnis von Vereinbarungen über andere Produkte hatte oder haben musste. Im vorliegenden Fall hatten die Klägerinnen jedoch, wie oben in Rn. 222 festgestellt, Kenntnis von Vereinbarungen über Unterwasserkabel.

263

Desgleichen betrafen die Absprachen in der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. September 2013, Zucchetti Rubinetteria/Kommission (T‑396/10, EU:T:2013:446), ergangen ist, unterschiedliche Produktgruppen und verschiedene Hersteller. Auch dort hatten die beteiligten Unternehmen keine Kenntnis von allen Arten von Absprachen, und die Beteiligung des klagenden Unternehmens beschränkte sich auf einen nationalen Markt.

264

In den Rechtssachen, in denen das Urteil vom 30. November 2011, Quinn Barlo u. a./Kommission (T‑208/06, EU:T:2011:701), und das Urteil vom 16. September 2013, Zucchetti Rubinetteria/Kommission (T‑396/10, EU:T:2013:446), ergangen sind, konnten die Klägerinnen nicht für das Verhalten der anderen Kartellteilnehmer haftbar gemacht werden, soweit sie davon keine Kenntnis hatten. Im Gegensatz dazu hatten die Klägerinnen im vorliegenden Fall, wie oben in Rn. 223 festgestellt, umfassende Kenntnis vom Umfang der Absprachen und konnten daher berechtigterweise für die gesamte Zuwiderhandlung haftbar gemacht werden.

265

Demzufolge haben die Klägerinnen nicht nachweisen können, dass der Kommission ein Fehler unterlaufen ist, als sie bei der Bestimmung des ihnen gegenüber für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils nicht berücksichtigte, dass sie im Zeitraum der Zuwiderhandlung keine Unterwasserkabel hergestellt hatten.

3) Zum Vorwurf der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

266

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, zu Unrecht angenommen zu haben, dass ihre Teilnahme an der „europäischen Kartellkonfiguration“ und damit der zweiten „Zuordnungsebene“ des Kartells einen höheren Schweregrad aufweise und dementsprechend eine Anhebung des ihnen gegenüber für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils um zwei Prozentpunkte gebiete. Dies habe zur Folge, dass sie, weil sie angeblich über die Ergebnisse der im Rahmen der „A/R-Kartellkonfiguration“ geführten Gespräche informiert worden seien, ebenso schwer bestraft würden wie die Unternehmen, die an beiden Konfigurationen aktiv beteiligt gewesen seien, das Gesamtkartell entworfen, koordiniert und durchgesetzt hätten und von den Absprachen auch am meisten profitiert hätten.

267

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

268

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in jedem Einzelfall, wenn sie die Festsetzung von Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht beschließt, die allgemeinen Rechtsgrundsätze einhalten muss, zu denen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung durch die Unionsgerichte gehören. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. das Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (vgl. Urteile vom 27. Juni 2012, Bolloré/Kommission, T‑372/10, EU:T:2012:325, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. Januar 2016, Mitsubishi Electric/Kommission, T‑409/12, EU:T:2016:17, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung).

269

Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 999. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Erhöhung des gegenüber bestimmten an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils um 2 % damit begründet, dass diese Unternehmen an der „europäischen Kartellkonfiguration“ beteiligt gewesen seien, die zusätzlich zu der Marktaufteilungsvereinbarung der europäischen, japanischen und südkoreanischen Hersteller zu einer weiteren Beschränkung des Wettbewerbs geführt habe. Demnach bezog sich das Kriterium, mit dem die Kommission diese Erhöhung begründete, auf die bloße Beteiligung an der „europäischen Kartellkonfiguration“, und nicht darauf, ob diese Beteiligung mehr oder weniger aktiv war. Da die Kommission, wie oben in Rn. 233 festgestellt, die Klägerinnen zu Recht für die Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung einschließlich der „europäischen Kartellkonfiguration“ haftbar gemacht hat, können sie nicht mit Erfolg geltend machen, sie seien ungünstiger behandelt worden als die anderen europäischen Unternehmen, die an derselben Konfiguration beteiligt waren und auf die dieselbe Erhöhung angewandt wurde.

270

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die mehr oder weniger aktive Art der Beteiligung der verschiedenen Adressaten des angefochtenen Beschlusses an der Zuwiderhandlung im Rahmen der Beurteilung der mildernden Umstände Berücksichtigung gefunden hat. So wurden die Klägerinnen in die Gruppe der Nebenbeteiligten eingestuft, wohingegen die Unternehmen, die in der „europäischen“ und der „A/R-Kartellkonfiguration“ eine führende Rolle gespielt hatten, d. h. Nexans France, Pirelli und Prysmian, der Kerngruppe des Kartells zugeordnet wurden. Infolge dieser unterschiedlichen Einstufungen gewährte die Kommission den Klägerinnen eine Herabsetzung der Geldbuße um 5 %, wohingegen sie für Nexans France, Pirelli und Prysmian eine solche Herabsetzung ausschloss. Demnach haben die Klägerinnen nicht nachweisen können, dass die Kommission den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt hat, indem sie ihnen gegenüber dieselbe Erhöhung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde zu legenden Umsatzanteils um 2 % anwandte wie gegenüber Nexans France, Pirelli und Prysmian.

271

Nach alledem ist der zweite Teil des sechsten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

c)   Zur Festsetzung des Multiplikators 4,91 für die Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

272

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, zu Unrecht den Multiplikator 4,91 für die Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung angewandt zu haben. Dies berücksichtige weder, dass die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung vor dem 3. Juli 2002 begonnen habe, noch die Unterbrechung ihrer Kartellbeteiligung, so insbesondere in der Zeit vom 12. Mai 2005 bis 8. Dezember 2005. Demnach hätte die Kommission den Multiplikator 3,79 anwenden müssen.

273

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

274

Insoweit genügt der Hinweis, dass die Kommission, wie oben in Rn. 213 festgestellt, den Beginn der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung zutreffend auf den 14. Dezember 2001 festgesetzt hat und rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass ihre Beteiligung bis zum 16. November 2006 fortdauerte.

275

Folglich ist der dritte Teil des sechsten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

d)   Zur Höhe der Eintrittsgebühr

276

Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, im 1013. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses keine eigenständigen Gründe für die Eintrittsgebühr angeführt, sondern ausschließlich auf die vorangegangenen Erwägungen zur Bemessung des Grundbetrags in den Erwägungsgründen 998 bis 1010 dieses Beschlusses verwiesen zu haben. Gemäß den Ziff. 22 und 25 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen hätte die Kommission berücksichtigen müssen, ob die Klägerinnen objektiv an allen Elementen teilgenommen oder lediglich subjektiv von diesen oder gar nur von Teilen davon gewusst hätten. Die Eintrittsgebühr hätte also reflektieren müssen, dass die Klägerinnen nicht für Absprachen betreffend Unterwasserkabel, Heimatmärkte und großvolumige Projekte verantwortlich gemacht werden könnten.

277

Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

278

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Ziff. 25 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen gilt:

„… unabhängig von der Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung fügt die Kommission einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des Umsatzes im Sinne von Abschnitt A hinzu[,] um die Unternehmen von vornherein an der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken. Dieser Zusatzbetrag kann auch in Fällen anderer Zuwiderhandlungen erhoben werden. Bei der Entscheidung, welcher Anteil am Umsatz zugrunde zu legen ist, berücksichtigt die Kommission mehrere Umstände, u. a. die in Ziffer 22 genannten.“

279

Ziff. 22 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen sieht vor:

„Bei der Bestimmung der genauen Höhe innerhalb dieser Bandbreite berücksichtigt die Kommission mehrere Umstände, u. a. die Art der Zuwiderhandlung, den kumulierten Marktanteil sämtlicher beteiligten Unternehmen, den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die etwaige Umsetzung der Zuwiderhandlung in der Praxis.“

280

Unter ausdrücklicher Stützung auf Ziff. 25 der Leitlinien von 2006 für die Festsetzung von Geldbußen hat die Kommission im 1013. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, für die Bestimmung des konkret anzuwendenden Prozentsatzes würden die in den Erwägungsgründen 998 bis 1010 dieses Beschlusses genannten Umstände berücksichtigt.

281

Es ist aber festzustellen, dass die Erwägungsgründe 998 bis 1002 des angefochtenen Beschlusses die Art der Zuwiderhandlung, der 1003. Erwägungsgrund dieses Beschlusses den kumulierten Marktanteil der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen, der 1004. Erwägungsgrund den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die Erwägungsgründe 1005 bis 1009 die Umsetzung der Zuwiderhandlung betreffen. Hervorzuheben ist, dass die Kommission im 1008. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, dass, wie in Abschnitt 4.3.3 dieses Beschlusses festgestellt, alle Unternehmen von den anderen beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhaltensweisen der anderen Kartellmitglieder gewusst hätten oder sie zumindest vernünftigerweise hätten vorhersehen können und bereit gewesen seien, das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen.

282

Des Weiteren hat die Kommission im 1014. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, der für den zusätzlichen Betrag anzuwendende Prozentsatz betrage für Sumitomo Electric Industries, Hitachi Cable, Furukawa Electric, Fujikura, SWCC Showa Holdings, Mitsubishi Cable Industries, LS Cable & System und Taihan Electric Wire 17 % und für Nexans France, Prysmian, ABB, Brugg Kabel, Safran, Silec Cable, nkt cables und die mit ihnen gesamtschuldnerisch haftbar gemachten Unternehmen 19 %.

283

Soweit die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen geltend machen, der angefochtene Beschluss sei in Bezug auf die Eintrittsgebühr unzureichend begründet, ist daher festzustellen, dass dies nicht zutrifft, da die Klägerinnen in der Lage sind, zu verstehen, aus welchen Gründen die Kommission beschlossen hat, eine Eintrittsgebühr in Höhe von 19 % des Umsatzes gegen sie festzusetzen, und das Gericht in der Lage ist, insoweit die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses zu prüfen.

284

Soweit die Klägerinnen der Kommission darüber hinaus vorwerfen, sie habe bei der Festsetzung der Eintrittsgebühr irrigerweise nicht berücksichtigt, dass sie für die Absprachen über Unterwasserkabel, Heimatmärkte und großvolumige Projekte nicht verantwortlich gemacht werden könnten, genügt der Hinweis, dass die Kommission die Klägerinnen, wie oben in Rn. 233 festgestellt, zu Recht für die Beteiligung an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung haftbar gemacht hat.

285

Folglich ist der vierte Teil des sechsten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

e)   Zu den mildernden Umständen

286

Die Klägerinnen werfen der Kommission erstens vor, einen Fehler begangen zu haben, indem sie sie als Nebenbeteiligte des Kartells eingestuft und ihre Geldbuße daher um 5 % reduziert habe, obwohl ihre passive Rolle im Kartell – die durch ihre störende Haltung und die Versuche, sie zu disziplinieren, belegt werde – es gerechtfertigt hätte, sie als Randbeteiligte einzustufen und ihre Geldbuße folglich um 10 % zu reduzieren. Zweitens sei eine Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gegeben, denn die Rolle der Klägerinnen sei mit derjenigen von nkt cables vergleichbar, die die Kommission als Randbeteiligte eingestuft und deren Geldbuße sie daher um 10 % ermäßigt habe. Drittens habe die Kommission einen Fehler begangen, indem sie im Rahmen der mildernden Umstände nicht berücksichtigt habe, dass dem betroffenen Unternehmen im Fall einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung neben seinem eigenen Verhalten auch fremde Tatbeiträge zugerechnet würden. Im Fall einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung müssten die unterschiedlichen Tatbeiträge auf Ebene der Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße in besonderem Maße berücksichtigt werden. Viertens hätte den Klägerinnen genauso wie Mitsubishi Cable Industries und SWCC Showa Holdings für den Zeitraum vor der Gründung von Exsym, LS Cable & System und Taihan Electric Wire eine zusätzliche Ermäßigung in Höhe von 1 % zugutekommen müssen, weil sie von Teilen der Zuwiderhandlung, insbesondere betreffend Unterwasserkabel und großvolumige Projekte, keine Kenntnis gehabt hätten und somit nicht dafür hafteten.

287

Die Kommission tritt dem gesamten Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

288

Insoweit ist erstens zur Einstufung der Klägerinnen als Nebenbeteiligte des Kartells festzustellen, dass die Klägerinnen vergeblich geltend zu machen versuchen, sie hätten im Kartell eine passive Rolle eingenommen.

289

Denn wie aus dem 572. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zutreffend hervorgeht, waren die Klägerinnen zwar nicht an der Gründung des Kartells beteiligt und haben an keinem A/R‑Treffen teilgenommen, jedoch nahmen ihre Mitarbeiter zwischen Dezember 2001 und November 2006 an mindestens 17 wettbewerbswidrigen Treffen mit R‑Mitgliedern dieses Kartells teil.

290

Ferner ist an die oben in Rn. 175 getroffene Feststellung zu erinnern, dass die von der Kommission zusammengetragenen Beweise entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hinreichend belegen, dass sie am 14. Dezember 2001 in Divonne-les-Bains an einem ersten Treffen der R‑Mitglieder des Kartells teilgenommen haben.

291

Überdies ergibt sich aus den von der Kommission gesammelten Beweisen, dass die Klägerinnen versucht haben, ein R‑Treffen im April 2002 zu organisieren.

292

In einer E‑Mail vom 9. April 2002 mit dem Betreff „Meeting in the area of BRUGG“ (Treffen in der Nähe von Brugg) schrieb Herr N. nämlich:

„Hiermit bestätigen wir die Einladung nach Brugg zum nächsten Treffen. Für das Treffen und das Mittagessen haben wir eine Reservierung in nahe gelegenen privaten Räumlichkeiten … für Donnerstag, den 25. April 2002 getätigt.

Max. 20 Personen. …

Bitte teilen Sie mit, wer/wie viele am Vortag anreisen.

Bitte an die anderen Teilnehmer weiterleiten und Datum und Treffen bestätigen. …“

293

Es ist festzustellen, dass die E‑Mail vom 9. April 2002 von Herrn N. an Herrn J. adressiert ist, den er um Weiterleitung der Information an die anderen Teilnehmer des Treffens bittet, anstatt dies selbst zu tun. Desgleichen bittet Herr N. Herrn J., ihm zu bestätigen, wie viele Personen am Tag vor dem Treffen anreisen werden. Offensichtlich wendet sich Herr N. also an Herrn J. in dessen Eigenschaft als Koordinator des Treffens. Es ist aber unstreitig, dass gerade Herr J. als Koordinator der R‑Mitglieder des Kartells fungierte. Zudem ist festzustellen, dass die Klägerinnen die Ausführungen der Kommission zum Inhalt dieser E‑Mail in ihren Schriftsätzen nicht beanstanden.

294

Ferner räumen die Klägerinnen in ihren Schriftsätzen selbst ein, die praktische Organisation eines Treffens der R‑Mitglieder des Kartells vom 3. Juni 2002 übernommen zu haben. Zwar ist die praktische Organisation solcher Treffen für sich genommen, wie die Klägerinnen geltend machen, kein Anzeichen dafür, dass sie eine Rolle ausübten, die derjenigen eines Kartellkoordinators glich. Zudem steht fest, dass die letztgenannte Rolle, die beispielsweise die Einladung zu den Treffen, den Vorschlag einer Tagesordnung und die Verteilung vorbereitender Dokumente umfasste, im vorliegenden Fall von Herrn J. ausgeübt wurde. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die praktische Organisation eines R‑Treffens von Seiten desjenigen, der sie übernimmt, notwendigerweise den Willen impliziert, aktiv zum Funktionieren des Kartells beizutragen.

295

Im Übrigen greift auch nicht das Vorbringen der Klägerinnen durch, dass ihre passive Rolle bei der Zuwiderhandlung durch ihre zahlreichen Verstöße gegen die Kartelldisziplin belegt werde.

296

Angesichts der sehr zahlreichen, unbestrittenen Beispiele für die Umsetzung des Kartells durch die Klägerinnen, die im 493. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses aufgeführt werden, ist nämlich der Umstand, dass die Klägerinnen in bestimmten Fällen gegen die Regeln über die Arbeitsweise des Kartells verstießen, indem sie sich weigerten, die Heimatmarktregel innerhalb der europäischen Kartellkonfiguration einzuhalten, oder indem sie die im Voraus festgelegte Präferenz bei Projekten in den „Ausfuhrgebieten“ missachteten, nicht ausreichend, um die Feststellung zu entkräften, dass die Absprachen von den Klägerinnen umgesetzt wurden. Wie die Kommission zutreffend ausführt, gilt dies umso mehr, als Kartellen eine gewisse Instabilität wesensimmanent ist, was bedeutet, dass eine vorübergehende Abtrünnigkeit bestimmter Mitglieder und die Repressalien, die sie innerhalb der „europäischen Kartellkonfiguration“ hervorruft, für eine derartige Marktaufteilung typisch sind. In dem Zeitraum der Zuwiderhandlung, für den sie verantwortlich gemacht werden, haben die Klägerinnen die vereinbarten Modalitäten im Wesentlichen dauerhaft eingehalten, wie Herr N. in der oben in den Rn. 195 und 196 zitierten E‑Mail vom 24. Januar 2006 an Herrn J. bestätigt hat. Folglich eignen sich die von den Klägerinnen angeführten Beweise, die mögliche Maßnahmen zu ihrer Disziplinierung betreffen, nicht als Beleg für ihre passive Rolle.

297

Folglich ist festzustellen, dass die Kommission die Klägerinnen rechtsfehlerfrei als Nebenbeteiligte der Zuwiderhandlung eingestuft hat.

298

Das Argument der Klägerinnen, sie hätten sich in Bezug auf die Kartellbeteiligung in derselben Situation wie nkt cables befunden, ist daher als ins Leere gehend zurückzuweisen. Wenn es zuträfe, könnte es nämlich eine Erhöhung der gegen nkt cables verhängten Geldbuße rechtfertigen. Hingegen ist ein derartiger Umstand für die durch mildernde Umstände bedingte Gewährung einer Herabsetzung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße unbeachtlich, da der Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch auf nicht diskriminierende Anwendung einer rechtswidrigen Behandlung begründet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 479).

299

Was zweitens den Vorwurf einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Bezug auf die zusätzliche Herabsetzung der Geldbuße um 1 % anbelangt, genügt die Feststellung, dass das Vorbringen der Klägerinnen, ihnen hätte eine solche Herabsetzung zugutekommen müssen, weil sie von den Absprachen über Unterwasserkabel keine Kenntnis gehabt hätten und nicht an der Aufteilung von großvolumigen Projekten hätten teilnehmen können, auf einer falschen Prämisse beruht, wie bereits oben in den Rn. 219, 220 und 222 festgestellt worden ist.

300

Was drittens die Rüge betrifft, die Kommission hätte bei der Beurteilung der mildernden Umstände berücksichtigen müssen, dass es sich um eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gehandelt habe, ist der Kommission darin beizupflichten, dass die Rechtsfigur der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung für sich genommen keine Herabsetzung der Geldbuße gebietet. Wie oben in Rn. 297 festgestellt, hat die Kommission auf der Grundlage der ihr bekannten Tatsachen zum einen den Beitrag der Klägerinnen zur Umsetzung des Kartells zutreffend beurteilt, indem sie sie in die mittlere Kategorie einstufte. Zum anderen bringt der Umsatz die Wirtschaftskraft der Klägerinnen zum Tragen, und zwar unter ausschließlicher Berücksichtigung der Stromkabel, die sie herstellen. Die Zurechnung von Tatbeiträgen der anderen Kartellbeteiligten kann eine zusätzliche Herabsetzung der Geldbuße nicht rechtfertigen, da sie der von den Beteiligten entwickelten arbeitsteiligen, laufend und streng überwachten Organisationsform des Kartells entsprechen.

301

Demzufolge hat die Kommission weder den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt noch einen Beurteilungsfehler begangen, indem sie die Klägerinnen als Nebenbeteiligte des Kartells einstufte und ihnen daher eine Herabsetzung der Geldbuße um 5 % gewährte.

302

Nach alledem ist der fünfte Teil des sechsten Klagegrundes als unbegründet zu verwerfen und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

303

Nachdem die Prüfung der von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe keinen Rechtsfehler im angefochtenen Beschluss zum Vorschein gebracht hat, sind die Nichtigkeitsanträge in vollem Umfang zurückzuweisen.

B. Zum Antrag auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße

304

Vor der Prüfung des Antrags der Klägerinnen auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeitskontrolle durch die dem Unionsrichter durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt wird. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Sanktion hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme der Gründe zwingenden Rechts, die der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, wie etwa das Fehlen einer Begründung der angefochtenen Entscheidung, ist es Sache des Klägers, gegen die Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen (Urteil vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C‑389/10 P, EU:C:2011:816, Rn. 130 und 131).

305

Die Klägerinnen beantragen die Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße aus den im Rahmen des sechsten Klagegrundes angeführten Gründen. Zum einen ist aber der von den Klägerinnen zur Stützung ihrer Nichtigkeitsanträge geltend gemachte sechste Klagegrund zurückgewiesen worden, zum anderen liegen hier keine Umstände vor, die eine Herabsetzung dieser Geldbuße rechtfertigen könnten. Daher ist der Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße zurückzuweisen.

306

Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kosten

307

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Brugg Kabel AG und die Kabelwerke Brugg AG Holding tragen die Kosten.

 

Collins

Kancheva

Barents

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juli 2018.

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

A. M. Collins

Inhaltsverzeichnis

 

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

 

A. Klägerinnen und betroffene Branche

 

B. Verwaltungsverfahren

 

C. Angefochtener Beschluss

 

1. In Rede stehende Zuwiderhandlung

 

2. Verantwortlichkeit der Klägerinnen

 

3. Verhängte Geldbuße

 

II. Verfahren und Anträge der Parteien

 

III. Rechtliche Würdigung

 

A. Anträge auf Nichtigerklärung

 

1. Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren

 

a) Zur Zustellung der Auskunftsverlangen und der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Englisch

 

b) Zur Weigerung der Kommission, Einsicht in die Antworten der anderen Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu gewähren

 

2. Zum zweiten Klagegrund: Unzuständigkeit der Kommission für Drittstaatenverstöße ohne Auswirkung im EWR

 

3. Zum dritten und zum vierten Klagegrund: Beurteilungsfehler, Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, fehlerhafte Feststellung von Tatsachen, Verfälschung von Beweisen und Verletzung der Begründungspflicht in Bezug auf die vermeintliche Beteiligung der Klägerinnen an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung

 

a) Einleitende Erwägungen

 

b) Zur Einheitlichkeit der Zuwiderhandlung

 

c) Zur Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

 

1) Zum Beginn der Kartellbeteiligung der Klägerinnen

 

2) Zur ununterbrochenen Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

 

d) Zur Absicht der Klägerinnen, zur Erreichung sämtlicher Ziele des Kartells beizutragen, und zu ihrer Kenntnis von bestimmten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen

 

e) Zum Nachweis, dass die Klägerinnen von den Absprachen über die verschiedenen Kabelprojekte Kenntnis hatten

 

f) Zur Begründung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Bezeichnung der betreffenden Kabelprojekte

 

4. Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens

 

5. Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und ne bis in idem, Verletzung der Begründungspflicht, mehrere Beurteilungsfehler und Ermessensmissbrauch durch fehlerhafte Bemessung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

 

a) Zum Abstellen auf das Jahr 2004 als Umsatzreferenzjahr für die Bemessung des Grundbetrags der Geldbuße

 

b) Zur Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung

 

1) Zum Vorwurf der Verletzung der Begründungspflicht hinsichtlich der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils

 

2) Zum Vorwurf eines Fehlers durch Nichtberücksichtigung des Umstands, dass die Klägerinnen im Zeitraum der Zuwiderhandlung keine Unterwasserkabel herstellten, im Rahmen der Bestimmung des für die Schwere der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten Umsatzanteils

 

3) Zum Vorwurf der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

 

c) Zur Festsetzung des Multiplikators 4,91 für die Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

 

d) Zur Höhe der Eintrittsgebühr

 

e) Zu den mildernden Umständen

 

B. Zum Antrag auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße

 

Kosten


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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