Europäischer Gerichtshof Schlussantrag des Generalanwalts, 24. Jan. 2019 - C-720/17

ECLI:ECLI:EU:C:2019:63
bei uns veröffentlicht am24.01.2019

Gericht

Europäischer Gerichtshof

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 24. Januar 2019(1)

Rechtssache C720/17

Mohammed Bilali

gegen

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2011/95/EU – Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz – Subsidiärer Schutz – Art. 19 – Aberkennung des subsidiären Schutzstatus – Reichweite der Gründe – Nationale Rechtsvorschriften, die eine Aberkennung des Status aufgrund eines Irrtums der Verwaltung über die tatsächlichen Umstände vorsehen – Zulässigkeit – Aufhebung des Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“






I.      Einleitung

1.        Darf sich eine zuständige nationale Behörde auf die Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU(2) stützen, um den subsidiären Schutzstatus eines Staatenlosen abzuerkennen, und dies wegen einer fehlerhaften Beurteilung des Bedarfs an internationalem Schutz, für die sie allein verantwortlich ist?

2.        Darum geht es im Wesentlichen in der Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich).

3.        Diese Frage wird im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Mohammed Bilali, der sich als staatenlos bezeichnet, und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) (im Folgenden: Amt) über dessen Entscheidung aufgeworfen, den Herrn Bilali zuerkannten subsidiären Schutzstatus aufgrund einer unzutreffenden Bestimmung seines Herkunftslandes von Amts wegen abzuerkennen.

4.        Die Frage ist neu, und die Antwort des Gerichtshofs wird es ermöglichen, eine vorhandene Unbestimmtheit in den einzelstaatlichen Gepflogenheiten zu beseitigen, die der letzte Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen(3) besonders anschaulich beleuchtet(4).

5.        Die Prüfung der gestellten Frage wird es in einem ersten Schritt erforderlich machen, die Bedeutung und die Tragweite der Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie 2011/95 zu analysieren, in dem die Gründe abschließend aufgezählt sind, aus denen die Mitgliedstaaten den subsidiären Schutzstatus aberkennen können bzw. müssen. Nach Vornahme dieser Prüfung werde ich zu dem Ergebnis gelangen, dass der genannte Artikel einer Aberkennung des besagten Status in einem Fall wie dem in Rede stehenden, in dem der Betroffene den Schutz aufgrund eines Fehlers der zuständigen nationalen Behörde zu Unrecht erhalten hat, entgegensteht.

6.        Die Prüfung der gestellten Frage wird es in einem zweiten Schritt erforderlich machen, den Gegenstand und die Rechtsnatur der Entscheidung zu klären, die die zuständige nationale Behörde unter diesen Umständen zu erlassen hat.

7.        Ich werde insoweit erläutern, dass in einem Fall wie dem in Rede stehenden, in dem die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die geforderten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus erfolgen muss. Diese Lösung weist nämlich den doppelten Vorteil auf, dass die sehr strengen Bestimmungen des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung(5) nicht extensiv ausgelegt zu werden brauchen und zugleich ein Maximum an Verfahrensgarantien und die vollständige Einhaltung der Fairness sichergestellt sind, die einer Person zusteht, die keinerlei Verantwortung für den von der Verwaltung begangenen Fehler trägt. Sie ist auch geboten, wenn die Integrität des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gewahrt werden soll, da fehlerhafte Zuerkennungen korrigiert werden müssen, um zu gewährleisten, dass der internationale Schutz nur Personen gewährt wird, die ihn wirklich benötigen.

8.        Da das Unionsrecht keine spezifischen Bestimmungen hinsichtlich der Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten vorsieht, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, werde ich erläutern, dass diese Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung unterliegen, wobei dies jedoch unter dem Vorbehalt steht, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität eingehalten werden.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2011/95

9.        Die Bestimmungen von Kapitel V („Voraussetzungen für subsidiären Schutz“) der Richtlinie 2011/95 sowie deren in Kapitel VI („Subsidiärer Schutzstatus“) vorgesehene Bestimmungen sollen gewährleisten, dass nur Personen, die die speziell vorgeschriebenen materiellen Voraussetzungen erfüllen, der internationale Schutzstatus und die damit verbundenen Rechte zuerkannt werden.

10.      Kapitel V der Richtlinie 2011/95 enthält die Art. 15 bis 17. Während Art. 15 dieser Richtlinie einen „[e]rnsthafte[n] Schaden“ definiert, beinhaltet Art. 16 eine mit „Erlöschen“ überschriebene Klausel, die bestimmt:

„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.

(2)      Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

…“

11.      Art. 17 der Richtlinie 2011/95 beinhaltet seinerseits eine mit „Ausschluss“ überschriebene Klausel. Dieser Artikel lautet:

„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

a)      ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;

b)      eine schwere Straftat begangen hat;

c)      sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen;

d)      eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält.

(2)      Absatz 1 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3)      Die Mitgliedstaaten können einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen von der Gewährung subsidiären Schutzes ausschließen, wenn er vor seiner Aufnahme in dem betreffenden Mitgliedstaat ein oder mehrere nicht unter Absatz 1 fallende Straftaten begangen hat, die mit Freiheitsstrafe bestraft würden, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat begangen worden wären, und er sein Herkunftsland nur verlassen hat, um einer Bestrafung wegen dieser Straftaten zu entgehen.“

12.      In Kapitel VI dieser Richtlinie bestimmt Art. 18 die Voraussetzungen für die „Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus“ wie folgt:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.“

13.      Dagegen legt Art. 19 der Richtlinie 2011/95, um dessen Auslegung hier ersucht wird, die Voraussetzungen fest, unter denen die Mitgliedstaaten diesen Status aberkennen, beenden oder seine Verlängerung ablehnen müssen. Er lautet:

„(1)      Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG[(6)] gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.

(2)      Die Mitgliedstaaten können einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus aberkennen, diesen beenden oder seine Verlängerung ablehnen, wenn er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Artikel 17 Absatz 3 von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen.

(3)      Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen eine Verlängerung ab, wenn

a)      er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Artikel 17 Absätze 1 und 2 von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist;

b)      eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen seinerseits, einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend war.

(4)      Unbeschadet der Pflicht des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, gemäß Artikel 4 Absatz 1 alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist der Mitgliedstaat, der ihm den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels keinen oder nicht mehr Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“

2.      Richtlinie 2013/32/EU

14.      Gemäß ihrem Art. 1 werden mit der Richtlinie 2013/32/EU(7) gemeinsame Verfahrensvorschriften für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95 eingeführt.

15.      Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

o)      ‚Aberkennung des internationalen Schutzes‘ die Entscheidung einer zuständigen Behörde, einer Person die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie [2011/95] abzuerkennen, diese zu beenden oder nicht mehr zu verlängern“.

16.      In ihrem Kapitel IV („Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes“) lautet Art. 44 der Richtlinie 2013/32:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer bestimmten Person eingeleitet werden kann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten, die darauf hindeuten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung ihres internationalen Schutzes bestehen.“

17.      Art. 45 dieser Richtlinie führt die Garantien auf, über die die betreffende Person in Fällen verfügt, in denen die zuständige nationale Behörde in Erwägung zieht, den dieser Person zuerkannten internationalen Schutz nach Maßgabe der Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 abzuerkennen.

B.      Österreichisches Recht

18.      § 8 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl(8) vom 16. August 2005 sieht vor:

„(1)      Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.      der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird …

(6)      Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 [des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (Verfahrensgesetz für das [Amt])(9) vom 16. August 2012] nicht unzulässig ist.

…“

19.      § 9 AsylG 2005 bestimmt:

„(1)      Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.      die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

(2)      Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1.      einer der in Art. 1 Abschnitt F der [Genfer Konvention] genannten Gründe vorliegt;

2.      der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3.      der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens … rechtskräftig verurteilt worden ist. …

…“

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage

20.      Herr Bilali, der sich als staatenlos bezeichnet, stellte am 27. Oktober 2009 beim Amt einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes.

21.      Das Amt, das der Ansicht war, dass das Herkunftsland von Herrn Bilali Algerien sei, lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. März 2010 ab und ordnete darüber hinaus die Abschiebung des Betroffenen in dieses Land an. Mit Urteil vom 8. April 2010 hob der Asylgerichtshof (Österreich) den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes auf und verwies die Rechtssache zur erneuten Prüfung an das Amt zurück.

22.      Mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 lehnte das Amt den Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Flüchtling ab, erkannte ihm aber gleichwohl den subsidiären Schutzstatus zu. Aus diesem Bescheid geht hervor, dass die Identität des Betroffenen nicht feststeht und er „vermutlich Staatsangehöriger von Algerien“ ist.

23.      Gegen den Bescheid über die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling legte der Betroffene Beschwerde ein. Der Bescheid, mit dem ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden war, ist inzwischen rechtskräftig geworden.

24.      Mit Urteil vom 16. Juli 2012 hob der Asylgerichtshof den Bescheid über die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling erneut auf und begründete dies u. a. damit, dass zum Herkunftsland des Betroffenen lediglich Vermutungen angestellt worden seien. Er verwies die Rechtssache wiederum zur erneuten Prüfung an das Amt zurück.

25.      Im Rahmen dieser erneuten Prüfung und nach Erstattung einer Anfragebeantwortung durch die Staatendokumentation (Österreich) kam das Amt zu dem Schluss, dass der Betroffene nicht das algerische, sondern aufgrund seiner Abstammung das marokkanische und das mauretanische Staatsangehörigkeitsrecht beanspruchen könne.

26.      Daher lehnte es den Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Flüchtling mit Bescheid vom 24. Oktober 2012(10) ab. Außerdem erkannte das Amt, nachdem es festgestellt hatte, dass „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes niemals vorgelegen [haben]“ und sich auf „die irrige Annahme“, dass Algerien das Herkunftsland des Betroffenen sei, gegründet hätten, diesem den am 27. Oktober 2010 zuerkannten subsidiären Schutzstatus von Amts wegen ab und entzog ihm die im Rahmen des genannten Status erteilte befristete Aufenthaltsgenehmigung. Schließlich lehnte das Amt den Antrag des Betroffenen auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Bezug auf das Herkunftsland Marokko ab und ordnete seine Abschiebung in dieses Land an.

27.      Der Betroffene legte Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht (Österreich) ein, die lediglich zur Aufhebung des Bescheids führte, mit dem seine Abschiebung angeordnet worden war.

28.      In diesem Kontext legte der Betroffene eine außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof ein.

29.      Dieser hat Zweifel an der Auslegung von Art. 19 der Richtlinie 2011/95, der vorsieht, in welchen Fällen der subsidiäre Schutzstatus aberkannt werden kann.

30.      Daher hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung dieses Status ausschlaggebend waren?

31.      Der Kläger, die österreichische, die ungarische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Vorbemerkungen

32.      Vor der Prüfung der Frage, die das vorlegende Gericht an den Gerichtshof richtet, ist es wichtig, deren Wortlaut zu klären sowie insbesondere die genannten Rechtsnormen und den Grund zu präzisieren, auf dem der streitige Bescheid beruht. Dieser Grund hat durchaus Folgen für die Rechtsnatur des Bescheids und die Anwendbarkeit der Richtlinie 2011/95.

33.      Was erstens die Rechtsnormen angeht, um deren Auslegung hier ersucht wird, befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu den Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus im Hinblick auf die „unionsrechtlichen Bestimmungen“, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95, aberkennen kann. Unter Berücksichtigung des Wortlauts des Vorlagebeschlusses verstehe ich den Verwaltungsgerichtshof so, dass er sich konkret auf die Bestimmungen von Art. 19 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie bezieht, der die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines betrügerischen Verhaltens der betreffenden Person vorsieht. Das vorlegende Gericht vertritt insoweit die Ansicht, die in dieser Vorschrift angesprochene Fallkonstellation erfasse nicht von vornherein den Fall, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse, aber ohne betrügerische Handlungen des Betroffenen verfügt werde.

34.      Außerdem stelle ich bei Lektüre des Vorlagebeschlusses fest, dass das vorlegende Gericht auch und vor allem eine Auslegung von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 anstrebt, der die Aberkennung des besagten Status aufgrund der Anwendung der Beendigungsklausel von Art. 16 dieser Richtlinie vorsieht. Es fragt sich nämlich, ob die in Art. 19 Abs. 1 der genannten Richtlinie angesprochene Fallkonstellation nicht auch den Fall erfassen kann, dass der Betroffene aufgrund eines „geänderten Kenntnisstandes der Behörde über die … Tatsachenumstände“ nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.

35.      Was zweitens den Grund betrifft, auf dem der streitige Bescheid beruht, so geht aus dem Wortlaut der gestellten Frage zwar hervor, dass der dem Betroffenen zuerkannte Status aufgrund eines geänderten „Kenntnisstandes“ des Amtes aberkannt worden ist; aus dem Vorlagebeschluss und den Unterlagen in der nationalen Akte, über die der Gerichtshof verfügt, ergibt sich in Wirklichkeit allerdings sehr klar, dass diese Änderung nicht auf neue Tatsachen oder Umstände zurückzuführen ist, sondern auf die umfassenderen Untersuchungsmaßnahmen, die das Amt ergriffen hat, um die Mängel seiner Erstprüfung zu beheben sowie den „Irrtum“ und die „irrige Annahme“, von der es hinsichtlich des Herkunftslandes des Betroffenen ausgegangen war, zu korrigieren(11).

36.      So lässt sich dem Vorlagebeschluss entnehmen, dass es dem Amt aufgrund der unzulänglichen bzw. unangemessenen Nachforschungen, die es angestellt hatte, nicht gelungen ist, die Staatsangehörigkeit des Betroffenen ordnungsgemäß nachzuweisen, so dass der Sachverhalt erst nach der Entscheidungsfindung bekannt war. Wie das vorlegende Gericht feststellt, haben „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes niemals vorgelegen“(12). In der vorliegenden Rechtssache steht somit fest, dass das Amt Herrn Bilali den besagten Status von Anfang des Verfahrens an nicht hätte zuerkennen dürfen, da er unter Berücksichtigung seines Herkunftslandes nicht für diesen internationalen Schutz in Betracht kam.

37.      Vor diesem Hintergrund glaube ich daher, dass sich die Frage, die das vorlegende Gericht an den Gerichtshof richtet, im Wesentlichen auf die Feststellung bezieht, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 19 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95, dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein von ihr zu vertretenden Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.

V.      Würdigung

38.      Die Antwort auf die gestellte Frage gliedert sich nach meinem Dafürhalten in zwei Teile. Erstens ist darzulegen, weshalb Art. 19 der Richtlinie 2011/95 unter Berücksichtigung der Bedeutung und der Tragweite dieses Artikels einer Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Beurteilungsfehlers der zuständigen nationalen Behörde hinsichtlich der Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, entgegensteht. Zweitens ist zu prüfen, welche Rechtsnatur die Entscheidung hat, die in einem Fall wie dem in Rede stehenden zu erlassen ist, und welcher Rechtsrahmen für diese Entscheidung gilt.

A.      Tragweite des in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Aberkennungsverfahrens

39.      Das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf einem Gesamtsystem auf Unionsebene harmonisierter Vorschriften. Gemäß Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stützt sich dieses System auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention, die einen „wesentlichen Bestandteil“ des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt(13).

40.      Die Richtlinie 2011/95 bezweckt daher, die zuständigen nationalen Behörden bei der Anwendung dieser Konvention zu leiten, indem sie sich auf gemeinsame Begriffe und Kriterien für die Zuerkennung und Aberkennung eines internationalen Schutzes stützt(14).

41.      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 somit nicht nur im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks dieser Richtlinie auszulegen, sondern auch in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention(15), da die Konsultationen mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge(16) hier eine wertvolle Hilfsquelle darstellen(17).

42.      Die im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorgesehenen Vorschriften über die Aberkennung des internationalen Schutzes beruhen daher in erster Linie auf den in der Genfer Konvention genannten Grundsätzen für die Beendigung des internationalen Schutzes und den Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf diesen Schutz. Da in der Genfer Konvention keine Verfahrensmechanismen festgelegt sind, die eine Aberkennung des erwähnten Schutzes ermöglichen, beruhen die besagten Vorschriften zweitens auf Verfahren, deren Wesen in den Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 erläutert wird und deren Modalitäten den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2013/32 unterliegen.

1.      Gründe für die Aberkennung des internationalen Schutzes

43.      Art. 19 der Richtlinie 2011/95 legt die Verfahrensmechanismen fest, die es ermöglichen, die Aberkennung(18) des subsidiären Schutzstatus im Einklang mit der Genfer Konvention sicherzustellen. So werden in diesem Artikel die Gründe, aus denen die Mitgliedstaaten den genannten Status aberkennen, beenden oder nicht verlängern können bzw. müssen, erschöpfend aufgezählt.

44.      Diese Gründe ergeben sich zum einen aus den Beendigungsklauseln in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention und zum anderen aus den Ausschlussklauseln in Art. 1 Abschnitte D bis F dieser Konvention.

45.      Nach den UNHCR-Richtlinien sind diese Klauseln erschöpfend aufgezählt und eng auszulegen, da die Aberkennung des internationalen Schutzstatus und der Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz diesen Schutz und die damit verbundenen Rechte aufheben. Daher darf – mit Ausnahme der in Art. 1 Abschnitte C bis F der Genfer Konvention ausdrücklich genannten – keine Klausel geltend gemacht werden, um die Tatsache zu rechtfertigen, dass der internationale Schutz nicht mehr erforderlich ist(19).

46.      Der Unionsgesetzgeber hat die erwähnten Klauseln in den Art. 11 und 12 der Richtlinie 2011/95, die Gründe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft und den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorsehen, in Unionsrecht umgesetzt.

47.      Da das Unionsrecht eine subsidiäre Form internationalen Schutzes bereitstellt, hat der Unionsgesetzgeber in den Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95 darüber hinaus Gründe für die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus und den Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz vorgesehen, die den in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f und Abs. 2 sowie Art. 12 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie genannten Gründen nachgebildet sind.

48.      Da der Unionsgesetzgeber sicherstellen will, dass die beiden Formen internationalen Schutzes kohärent und einheitlich sind(20), müssen auch die Gründe für die Aberkennung des subsidiären Schutzes im Licht der Genfer Konvention ausgelegt werden. Demnach sind die Gründe, aus denen ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann oder muss, eng und im Einklang mit dieser Konvention auszulegen.

49.      Wie wir jedoch sehen werden, ist ein Mitgliedstaat durch keinen der vom Unionsgesetzgeber in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Gründe ermächtigt, einen internationalen Schutzstatus aus einem anderen Grund als den von diesem Gesetzgeber in besagter Vorschrift ausdrücklich und abschließend genannten – insbesondere bei einem Fehler, für den seine Verwaltung allein verantwortlich ist – abzuerkennen.

50.      Erstens kann der subsidiäre Schutzstatus gemäß Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 aberkannt werden, wenn die betreffende Person im Sinne von Art. 16 der Richtlinie nicht länger Anspruch auf diesen internationalen Schutz erheben kann.

51.      Es sei in Erinnerung gerufen, dass Art. 16 Abs. 1 der genannten Richtlinie vorsieht:

„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.“

52.      Mit dieser Vorschrift werden die fünfte und die sechste Beendigungsklausel von Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention in Unionsrecht umgesetzt.

53.      Außerdem heißt es in Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95: „Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.“

54.      In der vorliegenden Rechtssache wählt das vorlegende Gericht eine weite Auslegung des Begriffs „Umstände“, da es die Ansicht vertritt, die in Art. 19 Abs. 1 dieser Richtlinie angesprochene Fallkonstellation könne auch den Fall erfassen, dass der Betroffene aufgrund eines „geänderten Kenntnisstandes der Behörde über die … Tatsachenumstände“ nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.

55.      Diese Auslegung ist von vornherein zurückzuweisen, da sie der sehr engen Auslegung der Beendigungsklauseln von Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention entgegensteht.

56.      Wie der UNHCR in seinen Richtlinien(21) ausdrücklich festgestellt hat, sind „[d]ie Beendigungsklauseln … ihrem Wesen nach ‚negativ‘ und … erschöpfend aufgezählt. Sie sollten daher restriktiv ausgelegt werden, und es dürfen keine anderen Gründe analog zur Rechtfertigung der Zurücknahme des Flüchtlingsstatus herangezogen werden“(22). Der UNHCR fügt daher hinzu, dass in Fällen, in denen Fakten bekannt werden, denen zufolge eine Person nie hätte als Flüchtling anerkannt werden dürfen – etwa wenn erst später bekannt wird, dass der Flüchtlingsstatus auf der Grundlage einer falschen Auslegung der Tatsachen zuerkannt worden ist oder die betreffende Person eine andere Staatsangehörigkeit besitzt –, nicht die Aberkennung des Flüchtlingsstatus, sondern seine Aufhebung zu verfügen ist(23).

57.      Die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Auslegung verkennt die ausgesprochen präzise Bedeutung des Begriffs „Umstände“, der im Rahmen der Beendigungsklausel verwendet wird, sowie die Systematik und den Zweck des Rechtstextes, in den sich dieser Begriff einfügt.

58.      Bei den genannten „Umständen“ handelt es sich um diejenigen, die die zuständige nationale Behörde gemäß Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 veranlasst haben, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen(24). Es geht um objektive Umstände im Herkunftsland der betreffenden Person, aufgrund deren das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr geprüft wird, bei Rückkehr in dieses Land einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

59.      Diese Umstände sind demnach entscheidend für die Gewährung des subsidiären Schutzes, weil sie die Unfähigkeit des Herkunftslandes des Antragstellers belegen, Schutz vor solchen Schäden sicherzustellen, und die Befürchtungen des Antragstellers begründen(25). In symmetrischer Weise ist eine Änderung dieser Umstände entscheidend für das Erlöschen des genannten Schutzes(26).

60.      Nach dem Vorbild von Art. 1 Abschnitt C Abs. 5 und 6 der Genfer Konvention und zur Wahrung der Integrität des internationalen Schutzsystems sieht Art. 16 der Richtlinie 2011/95 somit das Erlöschen des subsidiären Schutzes vor, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, „nicht mehr bestehen“ oder sich derart „verändert haben“, dass dadurch die Ursachen behoben worden sind, aufgrund deren dieser Status zuerkannt worden war. Nach dem Willen des Unionsgesetzgebers muss die Veränderung mithin „so wesentlich und nicht nur vorübergehend“ sein, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert.

61.      Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus nur solche Personen betreffen kann, denen der Status aufgrund der Umstände in ihrem Herkunftsland berechtigterweise zuerkannt worden ist, die aber – aus objektiven Gründen im Zusammenhang mit einer Veränderung dieser Umstände – zukünftig keinen internationalen Schutz mehr benötigen. Das Erlöschen des subsidiären Schutzes soll somit nicht die Fehler der Verwaltung korrigieren und kann selbstverständlich nicht von einem so subjektiven und veränderlichen Kriterium wie dem Kenntnisstand der zuständigen nationalen Behörde über die genannten Umstände abhängen.

62.      Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ermächtigt der Widerrufsgrund des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 die zuständige nationale Behörde meiner Meinung nach nicht dazu, den subsidiären Schutzstatus in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abzuerkennen, in dem die Behörde einen Fehler hinsichtlich der Bestimmung des Herkunftslandes des Betroffenen begangen hat, für den sie allein verantwortlich ist.

63.      Zweitens kann der subsidiäre Schutzstatus gemäß Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 aberkannt werden, wenn die betreffende Person, obwohl sie die Voraussetzungen erfüllt, um als Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz anerkannt zu werden, aufgrund der Gefahr, die sie für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, oder aufgrund der besonders schweren Straftaten im Sinne von Art. 17 dieser Richtlinie, die sie begangen haben oder an denen sie beteiligt gewesen sein soll, gleichwohl von der Gewährung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist (Ausschlussklausel).

64.      Mit dieser Vorschrift wird Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention in Unionsrecht umgesetzt.

65.      Eine Prüfung der Vorschrift erübrigt sich, da sich der Betroffene offensichtlich weder strafbar gemacht hat noch irgendeine Gefahr für Österreich darstellt.

66.      Drittens und letztens kann der subsidiäre Schutzstatus aufgrund eines betrügerischen Verhaltens des Statusinhabers aberkannt werden.

67.      Gemäß Art. 19 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95, auf den sich das vorlegende Gericht ausdrücklich bezieht, sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus abzuerkennen, wenn die zuständige nationale Behörde diesen Status aufgrund einer falschen Darstellung oder des Verschweigens von Tatsachen, deren bzw. dessen sich die betreffende Person schuldig gemacht hat, zu Unrecht zuerkannt hat.

68.      Da der Grund für die in dieser Vorschrift vorgesehene Aberkennung in der vorliegenden Rechtssache nicht gegeben ist – Herr Bilali hat die ihn betreffenden Tatsachen weder falsch dargestellt noch verschwiegen –, ist eine Aberkennung seines Status nach dem Wortlaut der Vorschrift offensichtlich nicht zulässig.

69.      Somit ist festzustellen, dass – nach dem Vorbild der in Art. 1 Abschnitte D bis F der Genfer Konvention aufgeführten Gründe – keiner der in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 ausdrücklich vorgesehenen und erschöpfend aufgezählten Widerrufsgründe die zuständige nationale Behörde dazu ermächtigt, dem Betroffenen den subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers hinsichtlich der Bestimmung seines Herkunftslandes, der allein ihr zurechenbar ist, abzuerkennen.

2.      Verfahrensmechanismen zur Aberkennung des internationalen Schutzes

70.      Mit Art. 19 der Richtlinie 2011/95 sollen, wie wir gesehen haben, Verfahrensmechanismen eingeführt werden, die es ermöglichen, den subsidiären Schutzstatus im Einklang mit den Vorschriften der Genfer Konvention abzuerkennen. So werden in diesem Artikel die Gründe, aus denen die Mitgliedstaaten den genannten Status aberkennen, beenden oder nicht verlängern können bzw. müssen, erschöpfend aufgezählt, wobei die anwendbaren Verfahrensvorschriften in den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2013/32 festgelegt sind.

71.      Aus dem Wortlaut von Art. 19 der Richtlinie 2011/95 sowie aus der Rechtsnatur der Entscheidungen, auf die sich der Unionsgesetzgeber bezieht, geht sehr klar hervor, dass diese die Behandlung von Personen betreffen, denen der Status berechtigterweise zuerkannt worden ist, die aufgrund einer Entwicklung in ihrem Herkunftsland (Beendigungsklausel) oder ihres eigenen Verhaltens (Ausschlussklausel) zukünftig aber nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben können. Die Entscheidungen, auf die der Unionsgesetzgeber in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 verweist, sollen somit nicht die Situation von Personen regeln, die – beispielsweise aufgrund einer fehlerhaften Ermittlung ihres Bedarfs an internationalem Schutz – einen solchen Schutz nicht hätten erhalten dürfen. Ein Fall wie der in Rede stehende kann somit von vornherein nicht unter die Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie fallen.

72.      Auch die Verfahrensvorschriften über die „Aberkennung des internationalen Schutzes“ in Kapitel IV der Richtlinie 2013/32 lassen das nicht zu.

73.      Es sei daran erinnert, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 44 dieser Richtlinie „sicher[stellen], dass eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer bestimmten Person eingeleitet werden kann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten, die darauf hindeuten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung ihres internationalen Schutzes bestehen“.

74.      Auch wenn der Unionsgesetzgeber hier einen Rechtsbegriff (den Begriff „Aberkennung“) verwendet, der sich von den in den Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 genannten unterscheidet, und sich auf bemerkenswert weite Art und Weise auf das Zutagetreten „neue[r] Elemente oder Erkenntnisse“ bezieht, ist festzustellen, dass der Begriff „Aberkennung des internationalen Schutzes“ in Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 definiert ist als die „Entscheidung einer zuständigen Behörde, einer Person die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie [2011/95] abzuerkennen, diese zu beenden oder nicht mehr zu verlängern“.

75.      Dies wird durch den Verweis in Art. 45 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich bestätigt.

76.      Vor diesem Hintergrund lässt sich der Schluss ziehen, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten lediglich in den in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Fällen hat gestatten wollen, den subsidiären Schutzstatus abzuerkennen oder zu entziehen.

77.      Die erwähnte Vorschrift steht somit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die es der zuständigen nationalen Behörde gestattet, den subsidiären Schutzstatus aus einem anderen Grund als den vom Unionsgesetzgeber in besagter Vorschrift ausdrücklich genannten und erschöpfend aufgezählten Gründen abzuerkennen.

78.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 19 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein ihr zurechenbaren Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.

B.      Anwendbare Rechtsvorschriften

79.      Damit dem vorlegenden Gericht alle sachdienlichen Informationen an die Hand gegeben werden, die es ihm ermöglichen, über den Rechtsstreit, mit dem es befasst ist, zu entscheiden, glaube ich, dass die Prüfung der gestellten Frage es erforderlich macht, den Gegenstand und die Rechtsnatur der Entscheidung zu klären, die die zuständige nationale Behörde zu erlassen hat, wenn dem Betroffenen aufgrund eines ihr zurechenbaren Beurteilungsfehlers zu Unrecht der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist. Der für diese Entscheidung geltende Rechtsrahmen hängt nämlich von der rechtlichen Einstufung der Entscheidung ab.

80.      In der vorliegenden Rechtssache hat das Amt den genannten Status gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt.

81.      Es steht jedoch fest, dass das Amt dem Betroffenen den subsidiären Schutzstatus von Anfang des Verfahrens an nicht hätte zuerkennen dürfen. So geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass es dem Amt nicht gelungen ist, das Herkunftsland des Betroffenen ordnungsgemäß nachzuweisen, weil es die angemessenen Nachforschungen nicht durchgeführt und eine „irrige Annahme“ getroffen hat, so dass „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes niemals vorgelegen [haben]“(27).

82.      Unter Umständen wie den in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, muss nach meinem Dafürhalten die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus erfolgen.

83.      Diese Lösung weist den Vorteil auf, dass die sehr strengen Bestimmungen der Genfer Konvention nicht extensiv ausgelegt zu werden brauchen, mit der Folge einer Ausdehnung des Wortlauts und des Zwecks von Art. 19 der Richtlinie 2011/95, und zugleich ein Maximum an Verfahrensgarantien und die vollständige Einhaltung der Fairness, die einer Person zusteht, die keinerlei Verantwortung für den von der Verwaltung begangenen Fehler trägt, sichergestellt sind.

84.      Sie ist auch geboten, um die Integrität des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu wahren, da fehlerhafte Zuerkennungen korrigiert werden müssen, um zu gewährleisten, dass der internationale Schutz nur Personen gewährt wird, die ihn wirklich benötigen. Wird der Status aufgrund eines Rechts- oder Tatsachenfehlers der mit der Angelegenheit befassten Stelle zuerkannt, empfiehlt der UNHCR insoweit die Aufhebung oder Ungültigkeitserklärung des Rechtsakts über die Zuerkennung dieses Status im Rahmen eines Verfahrens, in dem die allgemeinen Rechtsgrundsätze eingehalten werden. Auch wenn eine Aufhebung oder Ungültigkeitserklärung in der Genfer Konvention nicht ausdrücklich vorgesehen ist, steht sie nach Auffassung des UNHCR voll und ganz mit Ziel und Zweck dieses Übereinkommens in Einklang und ist geboten, um die Integrität der Flüchtlingsdefinition zu wahren(28).

85.      Das Aufhebungsverfahren ist in der vorliegenden Rechtssache umso mehr geboten, als die Vermutungen, auf die sich die zuständige nationale Behörde gestützt hat, das gesamte Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes betreffen, d. h. nicht nur die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft, sondern auch die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Es sei nämlich darauf hingewiesen, dass mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 ein einheitliches Verfahren eingeführt wird, in dessen Rahmen die zuständige nationale Behörde einen Antrag im Licht beider Formen internationalen Schutzes prüft, zunächst unter dem Blickwinkel der Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling und anschließend unter dem Blickwinkel der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes, wobei die Bestimmung des Herkunftslandes des Antragstellers überdies ein Bezugskriterium darstellt, das beiden Formen internationalen Schutzes gemein ist(29).

86.      Im Rahmen der vor ihm erhobenen Klage hat der Asylgerichtshof im Übrigen die Aufhebung der Entscheidung verfügt, mit der das Amt es aufgrund der Vermutungen, auf denen seine Prüfung beruhte, abgelehnt hatte, den Betroffenen als Flüchtling anzuerkennen.

87.      Unter solchen Umständen, unter denen das gesamte Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes mit Mängeln behaftet war und die Person mit Anspruch auf diesen Schutz die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes letztlich nicht erfüllte, wäre es nach meinem Dafürhalten richtiger gewesen, die Aufhebung der Entscheidung über die Zuerkennung des genannten Status auszusprechen.

88.      Das Unionsrecht sieht keine spezifischen Bestimmungen hinsichtlich der Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten vor, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten.

89.      In Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen unterliegen diese Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten daher der nationalen Rechtsordnung, insbesondere den verwaltungsrechtlichen Bestimmungen dieser Rechtsordnung. Eine Rechtssache wie die in Rede stehende gehört somit zu den klassischen Rechtsstreitigkeiten über die Nichtigerklärung einer rechtsbegründenden Handlung aufgrund eines Fehlers der Verwaltung.

90.      Gleichwohl ist die Handlung von besonderer Art, da mit ihr nach dem Unionsrecht internationaler Schutz gewährt wird, der u. a. mit den Rechten auf Aufenthalt und Familienzusammenführung einhergeht, die ebenfalls unter das Unionsrecht fallen.

91.      Dieser Verweis auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ist somit durch die Pflicht zu relativieren, die Grundrechte einerseits und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität andererseits zu beachten(30).

92.      Der Grundsatz der Äquivalenz bedeutet, dass Personen, die durch die Unionsrechtsordnung verliehene Rechte geltend machen, gegenüber solchen, die Rechte rein innerstaatlicher Natur geltend machen, nicht benachteiligt werden.

93.      In einem Fall wie dem in Rede stehenden verlangt die Einhaltung dieses Grundsatzes somit, dass die für die Aufhebung des Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten nicht ungünstiger sind als die für die Aufhebung eines Rechtsakts über die Zuerkennung eines vergleichbaren Status nach nationalem Recht geltenden.

94.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Vergleichbarkeit der Status zu beurteilen, wobei u. a. der Gegenstand dieser Status sowie die mit ihnen verbundenen Rechte und Vergünstigungen, insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen Vergünstigungen, etwa die Erteilung von Aufenthaltstiteln sowie der Zugang zu Sozialschutz, zur medizinischen Versorgung und zum Arbeitsmarkt, zu berücksichtigen sind. Da die Richtlinie 2011/95 eine abschließende Harmonisierung auf dem Gebiet des internationalen Schutzes herbeiführt, wird es erforderlich sein, auf die Status Bezug zu nehmen, die von den Mitgliedstaaten aus familiären oder humanitären Ermessensgründen zuerkannt werden(31).

95.      Was die geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten betrifft, ist außerdem bekannt, dass die meisten Mitgliedstaaten an die Nichtigerklärung einer rechtsbegründenden Handlung aufgrund eines Fehlers, für den die Verwaltungsbehörde allein verantwortlich ist, strenge Anforderungen stellen. Hat ein Antragsteller seinen Antrag gutgläubig gestellt und am Prüfverfahren mitgewirkt und durfte er auf die Richtigkeit und Gültigkeit der Entscheidung vertrauen, überwiegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes normalerweise gegenüber dem Interesse, das ein Staat an der Berichtigung von Fehlern seiner Entscheidungsorgane haben kann.

96.      Unter diesen Umständen ist es Sache des nationalen Gerichts, sich insbesondere zu vergewissern, dass die Aufhebung des internationalen Schutzstatus unter strikter Einhaltung der Garantien für die Fairness des Verfahrens und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt. Um zu vermeiden, dass die Aufhebung unverhältnismäßige Folgen nach sich zieht und zu schweren Schäden für die betreffende Person führt, sind nach meinem Dafürhalten alle relevanten Umstände und insbesondere die Rechte und Vergünstigungen, in deren Genuss diese Person seit der Zuerkennung ihres Status gekommen ist – vor allem eine ihr ermöglichte Familienzusammenführung, die Dauer ihres Aufenthalts und der Grad der wirtschaftlichen und sozialen Integration innerhalb des Mitgliedstaats sowie die Schwierigkeiten, denen sie bei Aufhebung ihres Status ausgesetzt zu werden droht –, zu berücksichtigen.

97.      Was nun den Grundsatz der Effektivität angeht, so verlangt dessen Einhaltung, dass die für die Aufhebung eines Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren(32).

98.      Der Grundsatz der Effektivität ist eng mit dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verbunden und setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten, wenn Privatpersonen nach dem Unionsrecht ein Recht eingeräumt wird, dessen effektiven Schutz sicherzustellen haben, was grundsätzlich bedeutet, dass es einen Rechtsbehelf geben muss.

99.      Auch wenn es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Einhaltung dieses Grundsatzes zu überprüfen, stelle ich fest, dass der Betroffene im Rahmen der Ausgangsrechtssache einen Rechtsbehelf vor dem Bundesverwaltungsgericht und anschließend eine außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof betreffend das Verfahren zur Aberkennung seines subsidiären Schutzstatus in Bezug auf das Herkunftsland Algerien hat einlegen können.

100. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, der Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus vorzunehmen.

101. Außerdem ist in Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen klarzustellen, dass die Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung unterliegen, wobei dies jedoch unter dem Vorbehalt steht, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität eingehalten werden.

VI.    Ergebnis

102. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, nach der ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein ihr zurechenbaren Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.

2.      Unter Umständen wie den in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, ist der Mitgliedstaat verpflichtet, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus vorzunehmen.

In Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen unterliegen die Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten, die für die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung, vorausgesetzt, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität werden eingehalten.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).


3      Vgl. Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (ABl. 2010, L 132, S. 11).


4      Vgl. Richterliche Analyse von 2018 mit dem Titel „Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11, 14, 16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“ (insbesondere Kapitel 4.1.3, S. 36).


5      Im Folgenden: Genfer Konvention.


6      Richtlinie des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12).


7      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).


8      BGBl. I, 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005).


9      BGBl. I, 87/2012.


10      Im Folgenden: streitiger Bescheid.


11      Vgl. u. a. Rn. 7, 20 und 22 des Vorlagebeschlusses.


12      Hervorhebung nur hier.


13      Vgl. Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 2011/95.


14      Vgl. Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2011/95.


15      Vgl. entsprechend Urteil vom 31. Januar 2017, Lounani (C‑573/14, EU:C:2017:71, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


16      Im Folgenden: UNHCR.


17      Vgl. 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95.


18      Ich verwende den Begriff „Aberkennung des internationalen Schutzes“, um mich der Definition anzupassen, die der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 gewählt hat, wobei sich dieser Begriff auf die verschiedenen in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Verfahren, nämlich die „Aberkennung“, die „Beendigung“ oder die „Ablehnung der Verlängerung“ des subsidiären Schutzstatus, bezieht.


19      UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Rn. 116 und 117). Vgl. auch – zur Auslegung der Beendigungsklausel – UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („Wegfall der Umstände“-Klauseln).


20      Im Rahmen der Richtlinie 2011/95 führt der Unionsgesetzgeber ein einheitliches Verfahren zur Prüfung des Bedarfs an internationalem Schutz ein und strebt danach, die vorhandenen Unterschiede bei den Rechten, die Flüchtlingen und Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz zuerkannt werden, zu beseitigen.


21      Vgl. Fn. 19 der vorliegenden Schlussanträge.


22      Rn. 116 dieser Richtlinien.


23      Vgl. auch die in Fn. 19 der vorliegenden Schlussanträge angeführten UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz (Rn. 4).


24      Vgl. entsprechend Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a. (C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105), das sich auf die Auslegung der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen Klausel über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft bezieht.


25      In Art. 15 der Richtlinie 2011/95 führt der Unionsgesetzgeber im Übrigen von vornherein die „ernsthafte[n] Sch[ä]den“ auf, die zur Gewährung dieses Schutzes führen können.


26      Vgl. Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a. (C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105, Rn. 68).


27      Vgl. Rn. 7 der Vorlageentscheidung.


28      Vgl. Vermerk des UNHCR vom 22. November 2004 über die Aufhebung des Flüchtlingsstatus, Kapferer, S., „Cancellation of refugee Status“, UNHCR, Legal and Protection Policy Research Series, März 2003, und Informationsvermerk des UNHCR vom 4. September 2003 über die Anwendung der Ausschlussklauseln: Art. 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Kapitel I Buchst. F).


29      Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 sieht vor: „Bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz stellt die Asylbehörde zuerst fest, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt; ist dies nicht der Fall, wird festgestellt, ob der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“ Ferner sei darauf hingewiesen, dass eine „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ gemäß Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 eine Person ist, die u. a. die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt.


30      Vgl. entsprechend Urteile vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 85 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 123 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).


31      Vgl. insoweit 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95.


32      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 9 Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen


(1) Der Ausländer kann sich an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen wenden. Dieser kann in Einzelfällen in Verfahren beim Bundesamt Stellung nehmen. Er kann Ausländer aufsuchen, auch wenn sie sich in Gewahrsam befinden oder sich im T

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(1) Der Ausländer kann sich an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen wenden. Dieser kann in Einzelfällen in Verfahren beim Bundesamt Stellung nehmen. Er kann Ausländer aufsuchen, auch wenn sie sich in Gewahrsam befinden oder sich im Transitbereich eines Flughafens aufhalten.

(2) Das Bundesamt übermittelt dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen auf dessen Ersuchen die erforderlichen Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Artikel 35 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.

(3) Entscheidungen über Asylanträge und sonstige Angaben, insbesondere die vorgetragenen Verfolgungsgründe, dürfen, außer in anonymisierter Form, nur übermittelt werden, wenn sich der Ausländer selbst an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen gewandt hat oder die Einwilligung des Ausländers anderweitig nachgewiesen ist.

(4) Die Daten dürfen nur zu dem Zweck verarbeitet werden, zu dem sie übermittelt wurden.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für Organisationen, die im Auftrag des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland im Bundesgebiet tätig sind.