Europäischer Gerichtshof Urteil, 19. Dez. 2018 - C-219/17

ECLI:ECLI:EU:C:2018:1023
bei uns veröffentlicht am19.12.2018

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. Dezember 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Beaufsichtigung von Kreditinstituten – Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut – Von der Richtlinie 2013/36/EU sowie den Verordnungen (EU) Nr. 1024/2013 und (EU) Nr. 468/2014 geregeltes Verfahren – Mehrteiliges Verwaltungsverfahren – Ausschließliche Entscheidungsbefugnis der Europäischen Zentralbank (EZB) – Klage gegen vorbereitende Handlungen der zuständigen nationalen Behörde – Vorwurf einer Verletzung der Rechtskraft einer nationalen Entscheidung“

In der Rechtssache C‑219/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 23. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2017, in dem Verfahren

Silvio Berlusconi,

Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest)

gegen

Banca d’Italia,

Istituto per la Vigilanza Sulle Assicurazioni (IVASS),

Beteiligte:

Ministero dell’Economia e delle Finanze,

Banca Mediolanum SpA,

Holding Italiana Quarta SpA,

Fin. Prog. Italia di E. Doris & C. s.a.p.a.,

Sirefid SpA,

Ennio Doris,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, T. von Danwitz, K. Jürimäe und C. Lycourgos sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, J. Malenovský, E. Levits und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Berlusconi und der Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest), vertreten durch A. Di Porto, R. Vaccarella, A. Saccucci, M. Carpinelli, B. Nascimbene, R. Baratta und N. Ghedini, avvocati,

–        der Banca d’Italia, vertreten durch M. Perassi, G. Crapanzano, M. Mancini und O. Capolino, avvocati,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch M. A. Sampol Pucurull als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, H. Krämer, K.‑P. Wojcik und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Zentralbank (EZB), vertreten durch G. Buono, C. Hernández Saseta und C. Zilioli als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 256 Abs. 1 AEUV und von Art. 263 Abs. 1, 2 und 5 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Silvio Berlusconi und der Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest) auf der einen sowie der Banca d’Italia und dem Istituto per la Vigilanza sulle Assicurazioni (IVASS) (Versicherungsaufsichtsbehörde) (Italien) auf der anderen Seite über die Kontrolle des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 CRDIV-Richtlinie

3        In Art. 22 („Anzeige und Beurteilung eines geplanten Erwerbs“) der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338, sogenannte Eigenkapitalrichtlinie, im Folgenden: CRD‑IV-Richtlinie) heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass eine natürliche oder juristische Person oder gemeinsam handelnde natürliche oder juristische Personen (im Folgenden ‚interessierter Erwerber‘), die beschlossen hat bzw. haben, an einem Kreditinstitut eine qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen, mit der Folge, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % erreichen oder überschreiten würde oder das Kreditinstitut ihr Tochterunternehmen würde (im Folgenden ‚beabsichtigter Erwerb‘), den für das Kreditinstitut, an dem eine qualifizierte Beteiligung erworben oder erhöht werden soll, zuständigen Behörden diese Tatsache vor dem Erwerb schriftlich unter Angabe des Umfangs der geplanten Beteiligung zusammen mit den einschlägigen Informationen nach Artikel 23 Absatz 4 anzuzeigen hat bzw. haben. …

(2)      Die zuständigen Behörden bestätigen dem interessierten Erwerber umgehend, in jedem Fall jedoch innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Erhalt der Anzeige sowie dem etwaigen anschließenden Erhalt der in Absatz 3 genannten Informationen schriftlich deren Eingang.

Die zuständigen Behörden verfügen über höchstens 60 Arbeitstage ab dem Datum der schriftlichen Bestätigung des Eingangs der Anzeige und aller von dem Mitgliedstaat verlangten Unterlagen, die der Anzeige nach Maßgabe der in Artikel 23 Absatz 4 genannten Liste beizufügen sind (im Folgenden ‚Beurteilungszeitraum‘), um die Beurteilung nach Artikel 23 Absatz 1 (im Folgenden ‚Beurteilung‘) vorzunehmen.

Die zuständigen Behörden teilen dem interessierten Erwerber zum Zeitpunkt der Bestätigung des Eingangs der Anzeige mit, zu welchem Zeitpunkt der Beurteilungszeitraum abläuft.

(3)      Die zuständigen Behörden können erforderlichenfalls – spätestens am 50. Arbeitstag des Beurteilungszeitraums – weitere Informationen anfordern, die für den Abschluss der Beurteilung erforderlich sind. Eine derartige Anforderung ergeht schriftlich und führt die benötigten Informationen im Einzelnen auf.

Der Beurteilungszeitraum wird für die Dauer ab dem Zeitpunkt der Anforderung von Informationen durch die zuständigen Behörden bis zum Eingang der entsprechenden Antwort des interessierten Erwerbers ausgesetzt. Die Aussetzung darf 20 Arbeitstage nicht überschreiten. Es liegt im Ermessen der zuständigen Behörden, weitere Ergänzungen oder Klarstellungen zu den Informationen anzufordern, doch führt dies nicht zu einer Aussetzung des Beurteilungszeitraums.

(4)      Die zuständigen Behörden dürfen die Aussetzung nach Absatz 3 Unterabsatz 2 um bis zu 30 Arbeitstage ausdehnen, wenn der interessierte Erwerber in einem Drittland ansässig ist oder beaufsichtigt wird oder eine natürliche oder juristische Person ist, die nicht einer Beaufsichtigung nach dieser Richtlinie oder den Richtlinien 2009/65/EG, 2009/138/EG oder 2004/39/EG unterliegt.

(5)      Entscheiden die zuständigen Behörden nach Abschluss der Beurteilung, Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb zu erheben, so setzen sie den interessierten Erwerber innerhalb von zwei Arbeitstagen und innerhalb des Beurteilungszeitraums schriftlich unter Angabe der Gründe davon in Kenntnis. Vorbehaltlich nationaler Rechtsvorschriften kann eine Begründung der Entscheidung auf Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Diese Bestimmung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, den zuständigen Behörden zu gestatten, derartige Informationen auch ohne entsprechenden Antrag des interessierten Erwerbers der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

(6)      Erheben die zuständigen Behörden innerhalb des Beurteilungszeitraums keinen schriftlichen Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb, so gilt dieser als genehmigt.

(7)      Die zuständigen Behörden können eine Frist für den Abschluss eines beabsichtigten Erwerbs festlegen und diese Frist gegebenenfalls verlängern.

(8)      Die Mitgliedstaaten stellen an die Anzeige eines direkten oder indirekten Erwerbs von Stimmrechten oder Kapital an die zuständigen Behörden und die Genehmigung eines derartigen Erwerbs durch diese Behörden keine strengeren Anforderungen, als in dieser Richtlinie vorgesehen ist.

…“

4        Art. 23 („Beurteilungskriterien“) der CRD‑IV-Richtlinie bestimmt:

„(1)      Bei der Beurteilung der Anzeige nach Artikel 22 Absatz 1 und der Informationen nach Artikel 22 Absatz 3 haben die zuständigen Behörden im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird, und unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Einflusses des interessierten Erwerbers auf jenes Kreditinstitut die Eignung des interessierten Erwerbers und die finanzielle Solidität des beabsichtigten Erwerbs anhand folgender Kriterien zu prüfen:

a)      Leumund des interessierten Erwerbers,

b)      Leumund, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung gemäß Artikel 91 Absatz 1 aller Mitglieder des Leitungsorgans und aller Mitglieder der Geschäftsleitung, die die Geschäfte des Kreditinstituts infolge des beabsichtigten Erwerbs führen werden,

c)      finanzielle Solidität des interessierten Erwerbers, insbesondere in Bezug auf die Art der tatsächlichen und geplanten Geschäfte des Kreditinstituts, an dem der Erwerb beabsichtigt wird,

(2)      Die zuständigen Behörden können gegen den beabsichtigten Erwerb nur dann Einspruch erheben, wenn es dafür berechtigte Gründe auf der Grundlage der in Absatz 1 genannten Kriterien gibt oder die vom interessierten Erwerber vorgelegten Informationen unvollständig sind.

…“

5        Art. 119 („Einbeziehung von Holdinggesellschaften in die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis“) Abs. 1 der CRD‑IV-Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften gegebenenfalls in die Beaufsichtigung auf konsolidierter Basis einzubeziehen.“

 SSM-Verordnung

6        Im elften Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63, sogenannte Verordnung über den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, im Folgenden: SSM-Verordnung) heißt es:

„Es sollte … eine Bankenunion in der Union geschaffen werden, die sich auf ein umfassendes und detailliertes einheitliches Regelwerk für Finanzdienstleistungen im Binnenmarkt als Ganzes stützt und einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie neue Rahmenbedingungen für die Einlagensicherung und die Abwicklung von Kreditinstituten umfasst. …“

7        Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) der SSM-Verordnung bestimmt:

„Durch diese Verordnung werden der [Europäischen Zentralbank (EZB)] mit voller Rücksichtnahme auf und unter Wahrung der Sorgfaltspflicht für die Einheit und Integrität des Binnenmarkts auf der Grundlage der Gleichbehandlung der Kreditinstitute mit dem Ziel, Aufsichtsarbitrage zu verhindern, besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen, um einen Beitrag zur Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union und jedem einzelnen Mitgliedstaat zu leisten.

Diese Verordnung berührt nicht die Verantwortlichkeiten und dazu gehörenden Befugnisse der zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben, die der EZB nicht durch diese Verordnung übertragen wurden.

…“

8        In Art. 4 der SSM-Verordnung heißt es:

„(1)      Im Rahmen des Artikels 6 ist die EZB im Einklang mit Absatz 3 ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig:

c)      Beurteilung der Anzeige über den Erwerb oder die Veräußerung von qualifizierten Beteiligungen an Kreditinstituten, außer im Fall einer Bankenabwicklung und vorbehaltlich des Artikels 15;

(3)      Zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben und mit dem Ziel, hohe Aufsichtsstandards zu gewährleisten, wendet die EZB das einschlägige Unionsrecht an, und wenn dieses Unionsrecht aus Richtlinien besteht, wendet sie die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Richtlinien umgesetzt wurden. Wenn das einschlägige Unionsrecht aus Verordnungen besteht und den Mitgliedstaaten durch diese Verordnungen derzeit ausdrücklich Wahlrechte eingeräumt werden, wendet die EZB auch die nationalen Rechtsvorschriften an, mit denen diese Wahlrechte ausgeübt werden.

…“

9        Art. 6 Abs. 1 der SSM-Verordnung sieht vor, dass die EZB ihre Aufgaben innerhalb eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus wahrnimmt, der aus ihr und den nationalen zuständigen Behörden (National Competent Authorities, im Folgenden: NCA) besteht und in Bezug auf den sie dafür verantwortlich ist, dass er wirksam und einheitlich funktioniert. Nach Art. 6 Abs. 2 unterliegen sowohl die EZB als auch die NCA der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch. Unbeschadet der Befugnis der EZB, Informationen, die von den Kreditinstituten regelmäßig zu übermitteln sind, direkt zu erhalten oder direkt auf sie zuzugreifen, stellen die NCA der EZB insbesondere alle Informationen zur Verfügung, die sie zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben benötigt.

10      Art. 9 („Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse“) Abs. 1 der SSM-Verordnung lautet:

„(1)      Ausschließlich zum Zweck der Wahrnehmung der ihr nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Artikel 5 Absatz 2 übertragenen Aufgaben gilt die EZB nach Maßgabe des einschlägigen Unionsrechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten je nach Sachlage als die zuständige oder die benannte Behörde.

Ausschließlich zu demselben Zweck hat die EZB sämtliche in dieser Verordnung genannten Befugnisse und Pflichten. Ebenso hat sie sämtliche Befugnisse und Pflichten, die zuständige und benannte Behörden nach dem einschlägigen Unionsrecht haben, sofern diese Verordnung nichts anderes vorsieht. Insbesondere hat die EZB die in den Abschnitten 1 und 2 dieses Kapitels genannten Befugnisse.

Soweit zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich, kann die EZB die nationalen Behörden durch Anweisung auffordern, gemäß und im Einklang mit ihrem jeweiligen nationalen Recht von ihren Befugnissen in den Fällen Gebrauch zu machen, in denen diese Verordnung der EZB die entsprechenden Befugnisse nicht übertragen hat. Die nationalen Behörden unterrichten die EZB in vollem Umfang über die Ausübung dieser Befugnisse.“

11      Art. 15 („Beurteilung des Erwerbs von qualifizierten Beteiligungen“) der SSM-Verordnung bestimmt:

„(1)      Ungeachtet der Ausnahmen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c werden alle Anzeigen über den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem in einem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassenen Kreditinstitut und alle damit zusammenhängenden Informationen im Einklang mit dem einschlägigen, auf die Rechtsakte nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 gestützten nationalen Recht an die [NCA] gerichtet, in dem das Kreditinstitut niedergelassen ist.

(2)      Die [NCA] prüft den geplanten Erwerb und leitet die Anzeige gemeinsam mit einem Vorschlag für einen Beschluss, mit dem der Erwerb auf Grundlage der in den Rechtsakten nach Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 festgelegten Kriterien abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, der EZB … zu und unterstützt die EZB nach Maßgabe des Artikels 6.

(3)      Die EZB beschließt auf Grundlage der Beurteilungskriterien des Unionsrechts und im Einklang mit den darin geregelten Verfahren und innerhalb des darin festgelegten Beurteilungszeitraums, ob der Erwerb abzulehnen ist.“

SSM-Rahmenverordnung

12      Die Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (ABl. 2014, L 141, S. 1, und Berichtigung ABl. 2018, L 65, S. 48), die gemäß Art. 4 Abs. 3 der SSM-Verordnung verabschiedet wurde, richtet innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus den Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den NCA ein.

13      Art. 85 („Anzeige des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung gegenüber der NCA“) der SSM-Rahmenverordnung bestimmt:

„(1)      Eine NCA, die eine Anzeige über den geplanten Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem in diesem teilnehmenden Mitgliedstaat niedergelassenen Kreditinstitut erhält, unterrichtet die EZB spätestens fünf Arbeitstage nach der Bestätigung ihres Eingangs gemäß Artikel 22 Absatz 2 der [CRD‑IV-Richtlinie] über die Anzeige.

(2)      Die NCA unterrichtet die EZB, wenn sie den Prüfungszeitraum aufgrund eines Ersuchens um zusätzliche Informationen aussetzen muss. Die NCA übermittelt der EZB solche weiteren Informationen innerhalb von fünf Arbeitstagen nach deren Eingang bei der NCA.

(3)      Die NCA teilt der EZB auch das Datum mit, an dem der Beschluss, mit dem der Erwerb einer qualifizierten Beteiligung abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, dem Antragsteller nach einschlägigem nationalem Recht mitzuteilen ist.“

14      Art. 86 („Prüfung des geplanten Erwerbs“) der SSM-Rahmenverordnung bestimmt:

„(1)      Die NCA, der ein geplanter Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut angezeigt wird, prüft, ob der geplante Erwerb alle im einschlägigen Unions- und nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen erfüllt. Nach dieser Prüfung arbeitet die NCA einen Beschlussentwurf für die EZB aus, mit dem der Erwerb abgelehnt oder nicht abgelehnt wird.

(2)      Die NCA übermittelt der EZB den Entwurf des Beschlusses, mit dem der Erwerb abgelehnt oder nicht abgelehnt wird, mindestens 15 Arbeitstage vor Ablauf des nach einschlägigem Unionsrecht festgelegten Prüfungszeitraums.“

15      Art. 87 („Beschluss der EZB über den Erwerb“) der SSM-Rahmenverordnung lautet:

„Die EZB beschließt, ob sie den Erwerb auf Grundlage ihrer Prüfung des geplanten Erwerbs und des Beschlussentwurfs der NCA ablehnt oder nicht ablehnt. Das in Artikel 31 vorgesehene Recht auf rechtliches Gehör findet Anwendung.“

 Italienisches Recht

 Rechtsvorschriften über die Bankenaufsicht

16      Durch Art. 19 des Decreto legislativo n. 385 – Testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 385 – kodifizierte Fassung der Gesetze über das Bank- und Kreditwesen) vom 1. September 1993 (GURI Nr. 230 vom 30. September 1993, Supplemento ordinario) in der durch das Decreto legislativo n° 72 vom 12. Mai 2015 geänderten Fassung (im Folgenden: Bankengesetz), mit dem der Inhalt der CRD‑IV-Richtlinie in italienisches Recht umgesetzt wurde, wird der Banca d’Italia die Zuständigkeit für die Erteilung von Genehmigungen für den Erwerb qualifizierter Beteiligungen an Finanzinstituten übertragen. Art. 19 Abs. 5 stellt klar, dass diese Genehmigungen erteilt werden, wenn „bei Würdigung der Eignung des potenziellen Erwerbers und der finanziellen Solidität des geplanten Erwerbs anhand nachstehender Kriterien geeignete Voraussetzungen für eine solide und umsichtige Führung der Bank vorliegen: der Leumund des potenziellen Erwerbers im Sinne von Art. 25 …“.

17      Gemäß Art. 25 („Kapitalbeteiligungen“) Abs. 1 des Bankengesetzes müssen die Inhaber von Beteiligungen im Sinne von Art. 19 des Bankengesetzes Leumundsanforderungen genügen und Kompetenz- und Zuverlässigkeitskriterien erfüllen, so dass eine solide und umsichtige Führung der Bank gewährleistet ist.

18      Art. 2 Abs. 8 des Decreto legislativo Nr. 72 vom 12. Mai 2015 sah übergangsweise vor, dass die vor Erlass dieses Dekrets geltenden Bestimmungen über die Anforderungen an den Leumund der Inhaber von Beteiligungen an Finanzinstituten weiterhin anzuwenden sind.

19      Die fraglichen Bestimmungen wurden in den Decreto ministeriale n. 144 – regolamento recante norme per l’individuazione dei requisiti di onorabilità dei partecipanti al capitale sociale delle banche e fissazione della soglia rilevante (Ministerialdekret Nr. 144 – Regelung mit Bestimmungen zur Feststellung der Anforderungen an den Leumund der Teilhaber am Gesellschaftskapital der Banken und zur Festlegung des relevanten Schwellenwerts) vom 18. März 1998 aufgenommen, in dessen Art. 1 die Verurteilungen aufgeführt waren, die dem Leumund schaden und dazu führen, dass diese Anforderung nicht erfüllt ist.

20      Art. 2 des Decreto ministeriale Nr. 144 vom 18. März 1998 bestimmt übergangsweise, dass „[für] Rechtssubjekte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorliegenden Regelung am Kapital einer Bank beteiligt sind, … die Nichterfüllung der in Art. 1 genannten Anforderungen, die nicht in der bisher geltenden Regelung vorgesehen waren, keine Rolle [spielt], wenn sie bereits vor diesem Zeitpunkt gegeben war; dies gilt jedoch nur für bereits gehaltene Beteiligungen“.

21      Für qualifizierte Teilhaber an gemischten Finanzholdinggesellschaften galten nach dem gemäß Art. 119 der CRD‑IV-Richtlinie erlassenen Art. 63 des Bankengesetzes dieselben Verpflichtungen wie für qualifizierte Teilhaber an Kreditinstituten.

22      Art. 67a Abs. 2 des Bankengesetzes regelt, dass die Banca d’Italia und das IVASS gemeinsam die Einhaltung dieser Verpflichtungen sicherstellen müssen, wenn diese Gesellschaften ihren Sitz in Italien haben und Muttergesellschaften von Finanzkonglomeraten sind, die ganz oder zum Teil italienisch sind.

 Vorschriften für den Verwaltungsprozess

23      Der italienische Verwaltungsprozess sieht eine „azione di ottemperanza“ vor.

24      Insoweit bestimmt Art. 21g Abs. 1 der Legge n. 241 – nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi (Gesetz Nr. 241 – neue Vorschriften für das Verwaltungsverfahren und das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen) vom 7. August 1990 in der durch das Gesetz Nr. 15 vom 11. Februar 2005 geänderten Fassung:

„Eine Verwaltungsentscheidung, die … unter Verletzung oder Umgehung der Rechtskraft erlassen wurde, ist nichtig“.

25      Art. 112 des Codice del processo amministrativo (Verwaltungsprozessordung) sieht vor:

„(1)      Die öffentliche Verwaltung und die anderen Prozessparteien haben den Verfügungen des Verwaltungsgerichts Folge zu leisten.

(2)      Die azione di ottemperanza kann erhoben werden für die Durchführung

c)      der in Rechtskraft erwachsenen Urteile sowie der anderen diesen gleichgestellten Verfügungen des ordentlichen Gerichts, um die Erfüllung der Verpflichtung seitens der öffentlichen Verwaltung zu erzielen, der im Rahmen des entschiedenen Falles ergangenen rechtskräftigen Entscheidung nachzukommen.

…“

26      In Art. 114 Abs. 4 Buchst. b der Verwaltungsprozessordnung heißt es, dass das mit der „azione di ottemperanza“ befasste Gericht, wenn es der Klage stattgibt, „etwaige Handlungen, die die rechtskräftige Entscheidung verletzen oder umgehen, für nichtig [erklärt]“.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

27      Herr Berlusconi hatte in den 1990er Jahren über Fininvest etwa 30 % der Mediolanum SpA erworben, die damals eine gemischte Finanzholdinggesellschaft war und u. a. eine Bank, die Banca Mediolanum SpA, kontrollierte und aus diesem Grund ab 2014 in Italien der Aufsicht über qualifizierte Beteiligungen unterstand.

28      Im Anschluss an das am 1. August 2013 rechtskräftig gewordene Urteil Nr. 35729/13 der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), mit dem Herr Berlusconi der Steuerhinterziehung für schuldig befunden worden war, leiteten die zuständigen italienischen Aufsichtsbehörden, die Banca d’Italia und das IVASS, gegen ihn ein Verfahren ein, das zu einer Entscheidung führte, mit der festgestellt wurde, dass er die in den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehene Leumundsanforderung nicht mehr erfülle und daher die über 9,999 % hinausgehende Beteiligung von Fininvest an Mediolanum abgetreten werden müsse.

29      Herr Berlusconi und Fininvest fochten diese Entscheidung vor italienischen Gerichten an, wobei sie u. a. einen Klagegrund geltend machten, der den zeitlichen Anwendungsbereich der Rechtsvorschriften betraf und mit dem gerügt wurde, dass der Grund für den unzureichenden Leumund, der die Ablehnung des Erwerbs der in Rede stehenden qualifizierten Beteiligung gerechtfertigt habe, vor dem Inkrafttreten der diese Voraussetzung aufstellenden Vorschriften aufgetreten sei und daher nicht in deren Anwendungsbereich falle. Nachdem ihre Klage erstinstanzlich abgewiesen worden war, obsiegten sie als Rechtsmittelführer vor dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), der am 3. März 2016 entschied, dass die vor Erlass der Leumundskriterien geltenden Rechtsvorschriften, auf die sich die Rechtsmittelführer berufen hatten, ungeachtet des gegenläufigen Vorbringens, dass diese Rechtsvorschriften wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht als stillschweigend aufgehoben anzusehen seien, weiterhin anwendbar seien.

30      In der Zwischenzeit ist die gemischte Finanzholdinggesellschaft Mediolanum von ihrer Tochtergesellschaft Banca Mediolanum übernommen worden, wodurch Fininvest zur Inhaberin einer qualifizierten Beteiligung nicht mehr an einer gemischten Finanzholdinggesellschaft, sondern unmittelbar an einem Kreditinstitut wurde. Die Banca d’Italia und die EZB schlossen daraus, dass auf der Grundlage der Art. 22 ff. der CRD‑IV-Richtlinie und der Art. 19 ff. des Bankengesetzes ein neuer Antrag auf Genehmigung dieser qualifizierten Beteiligung erforderlich sei.

31      Entsprechend den Vorgaben der EZB mit Schreiben vom 24. Juni 2016 forderte die Banca d’Italia Fininvest am 14. Juli 2016 auf, binnen 15 Tagen einen Genehmigungsantrag zu stellen. Da dieser Aufforderung nicht nachgekommen wurde, beschloss die Banca d’Italia am 3. August 2016, von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, wobei sie darauf hinwies, dass die Entscheidungskompetenz auf diesem Gebiet gemäß Art. 4 der SSM-Verordnung bei der EZB liege.

32      Nachdem die Banca d’Italia die Unterlagen von Fininvest erhalten hatte, legte sie der EZB gemäß Art. 15 Abs. 2 der SSM-Verordnung einen Beschlussvorschlag vom 23. September 2016 vor, in dem die Beurteilung des Leumunds der Erwerber der fraglichen Beteiligung an der Banca Mediolanum negativ ausfiel und die EZB aufgefordert wurde, den Erwerb abzulehnen.

33      Die EZB schloss sich der Argumentation der Banca d’Italia an und billigte einen Beschlussentwurf, den sie Herrn Berlusconi und Fininvest zur Stellungnahme übermittelte. Die EZB erließ am 25. Oktober 2016 einen endgültigen Beschluss.

34      In diesem Beschluss stellte die EZB fest, dass begründete Zweifel hinsichtlich des Leumunds der Erwerber der Beteiligung an der Banca Mediolanum bestünden. Da Herr Berlusconi, der Mehrheitsaktionär und tatsächliche Eigentümer von Fininvest, der indirekte Erwerber der Beteiligung an der Banca Mediolanum sei und wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden sei, erfülle er nicht die Leumundsanforderung, die das nationale Recht an die Inhaber qualifizierter Beteiligungen stelle. Herr Berlusconi habe zudem weitere Unregelmäßigkeiten begangen, und gegen ihn und andere Mitglieder der Leitungsorgane von Fininvest seien weitere Verurteilungen ergangen.

35      Aus diesen Gründen nahm die EZB an, dass die Erwerber der qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum diese Leumundsanforderung nicht erfüllten und ernsthafte Zweifel an ihrer Fähigkeit bestünden, in Zukunft eine solide und umsichtige Führung dieses Kreditinstituts zu gewährleisten. Die EZB lehnte deshalb den Erwerb der qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch Herrn Berlusconi und Fininvest ab.

36      Erstens fochten Herr Berlusconi und Fininvest den Beschluss der EZB vom 25. Oktober 2016 vor dem Gericht der Europäischen Union (Rechtssache Fininvest und Berlusconi/EZB, T‑913/16) mit einer Nichtigkeitsklage an. Zweitens erhob Fininvest Klage vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), um die Nichtigerklärung der Handlungen der Banca d’Italia zur Vorbereitung dieses Beschlusses der EZB zu erwirken. Drittens erhoben Herr Berlusconi und Fininvest beim Consiglio di Stato (Staatsrat) eine „azione di ottemperanza“.

37      Im Rahmen der zuletzt genannten Klage machen Herr Berlusconi und Fininvest geltend, der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils genannte Beschlussvorschlag sei wegen Verletzung der Rechtskraft des in Rn. 29 des vorliegenden Urteils genannten Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) nichtig, das im Rahmen eines Rechtsstreits über ihre qualifizierte Beteiligung an Mediolanum ergangen sei. Die Banca d’Italia hat dagegen u. a. eingewandt, dass die nationalen Gerichte für diese Klage nicht zuständig seien, da es vorbereitende Handlungen seien, die keinen Entscheidungscharakter hätten und auf den Erlass einer Entscheidung gerichtet gewesen seien, für die ein Unionsorgan ausschließlich zuständig sei, und die ebenso wie die endgültige Entscheidung in die alleinige Zuständigkeit des Unionsrichters fielen.

38      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) hat die Klagen von Herrn Berlusconi und Fininvest verbunden und die Ansicht vertreten, dass das betreffende Verfahren sowohl einem „einheitlichen Verfahren“, dessen Handlungen ausschließlich vom Unionsrichter kontrolliert werden könnten, als auch einem „mehrteiligen Verfahren“ ähnele, dessen zum nationalen Abschnitt gehörende Handlungen von den nationalen Gerichten kontrolliert werden könnten, und zwar selbst dann, wenn dieser nationale Abschnitt mit einer Handlung ende, die für die Unionsbehörde, die für die abschließende Entscheidung zuständig sei, unverbindlich sei.

39      Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 263 Abs. 1, 2 und 5 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass eine Klage gegen Maßnahmen – Einleitung von Verfahren, Ermittlungsmaßnahmen und die Unterbreitung nicht bindender Vorschläge –, die die zuständige NCA im Rahmen eines Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 1 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung, den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung und den Art. 19, 22 und 25 des Bankengesetzes getroffen hat, in die Zuständigkeit der Unionsgerichte fällt, oder dahin, dass eine solche Klage in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt?

2.      Sind insbesondere die Unionsgerichte zuständig, wenn gegen solche Handlungen keine allgemeine Anfechtungsklage, sondern eine Nichtigkeitsklage wegen einer behaupteten Verletzung oder Umgehung der Rechtskraft des Urteils vom 3. März 2016 des Consiglio di Stato (Staatsrat) erhoben wird, die im Rahmen eines Verfahrens zur Umsetzung eines Urteils im Sinne der Art. 112 ff. der Verwaltungsprozessordung – d. h. im Rahmen eines besonderen Rechtsinstituts der nationalen Verwaltungsprozessordung – erfolgt und deren Entscheidung die Auslegung und Feststellung der objektiven Grenzen der Rechtskraft dieses Urteils nach den nationalen Rechtsvorschriften voraussetzt?

 Zu den Vorlagefragen

40      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 263 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte verfahrenseinleitende Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die NCA im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung sowie den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen, und ob diese Frage anders zu beantworten ist, wenn bei einem nationalen Gericht eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen mutmaßlicher Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben wird.

41      Zunächst ist zu klären, wie sich die Beteiligung nationaler Behörden im Lauf eines Verfahrens wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, das zur Vornahme einer Handlung der Union führt, auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den Gerichten der Mitgliedstaaten auswirkt.

42      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 AEUV nur der Gerichtshof der Europäischen Union dafür zuständig ist, Handlungen der Unionsorgane, zu denen die EZB gehört, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

43      Die etwaige Beteiligung nationaler Behörden im Lauf des Verfahrens, das zur Vornahme solcher Handlungen führt, kann deren Einstufung als Handlungen der Union nicht in Frage stellen, wenn die Handlungen der nationalen Behörden eine Stufe in einem Verfahren darstellen, in dem ein Unionsorgan die Befugnis zur endgültigen Entscheidung allein ausübt, ohne durch vorbereitende Handlungen oder Vorschläge nationaler Behörden gebunden zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 93 und 94).

44      In einem solchen Fall, in dem das Unionsrecht nicht darauf abzielt, zwei Zuständigkeitsbereiche – einen nationalen und einen der Union – mit unterschiedlichen Zielen voneinander abzugrenzen, sondern vielmehr die ausschließliche Entscheidungsbefugnis eines Unionsorgans festlegt, hat nämlich der Unionsrichter gemäß seiner auf der Grundlage von Art. 263 AEUV bestehenden ausschließlichen Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, 314/85, EU:C:1987:452, Rn. 17) über die Rechtmäßigkeit der von dem betreffenden Unionsorgan erlassenen endgültigen Entscheidung zu entscheiden und zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes der Beteiligten die etwaigen Mängel der vorbereitenden Handlungen oder Vorschläge der nationalen Behörden zu prüfen, die die Gültigkeit der endgültigen Entscheidung beeinträchtigen könnten.

45      Andererseits fällt eine zu einem Entscheidungsprozess der Union gehörende Handlung einer nationalen Behörde nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Unionsrichters, wenn sich aus der in diesem Bereich geltenden Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und den Unionsorganen ergibt, dass die Handlung der nationalen Behörde eine notwendige Stufe eines Verfahrens zur Vornahme einer Handlung der Union darstellt, in dem die Unionsorgane nur über ein eingeschränktes oder über gar kein Ermessen verfügen, so dass die nationale Handlung das Unionsorgan bindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C‑97/91, EU:C:1992:491, Rn. 9 und 10).

46      Die nationalen Gerichte haben dann über die etwaigen Fehler einer solchen nationalen Handlung zu entscheiden, wobei sie – gegebenenfalls im Wege einer Vorlage an den Gerichtshof – dieselben Prüfungsmaßstäbe wie bei anderen endgültigen Handlungen, die von der betreffenden nationalen Behörde ergriffen werden und Rechte Dritter verletzen können, anzuwenden und eine entsprechende Klage gemäß dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes als zulässig anzusehen haben, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies in einem solchen Fall nicht vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C‑97/91, EU:C:1992:491, Rn. 11 bis 13, vom 6. Dezember 2001, Carl Kühne u. a., C‑269/99, EU:C:2001:659, Rn. 58, und vom 2. Juli 2009, Bavaria und Bavaria Italia, C‑343/07, EU:C:2009:415, Rn. 57).

47      Nachdem dies geklärt wurde, ist festzustellen, dass sich aus Art. 263 AEUV in Verbindung mit dem in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten ergibt, dass Handlungen, die nationale Behörden im Rahmen eines Verfahrens wie dem in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils genannten vornehmen, nicht von den Gerichten der Mitgliedstaaten überprüft werden können.

48      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Wahl eines Verwaltungsverfahrens, das die Vornahme von Handlungen nationaler Behörden zur Vorbereitung einer Rechtswirkungen erzeugenden und potenziell beschwerenden endgültigen Entscheidung eines Unionsorgans vorsieht, zwischen dem Organ und den nationalen Behörden ein besonderes Instrument der Zusammenarbeit einrichten möchte, das auf der ausschließlichen Entscheidungsbefugnis des Unionsorgans beruht.

49      Die Wirksamkeit eines solchen Entscheidungsprozesses setzt jedoch zwangsläufig eine einzige gerichtliche Überprüfung voraus, die nur durch die Unionsgerichte und erst nach Erlass der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung des Unionsorgans vorgenommen wird, die allein verbindliche Rechtswirkungen erzeugen kann, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren können.

50      Insoweit wäre bei einem Nebeneinander nationaler Rechtsbehelfe gegen vorbereitende Handlungen oder Vorschläge von Behörden der Mitgliedstaaten in dieser Verfahrensart und dem in Art. 263 AEUV vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die das vom Unionsgesetzgeber eingerichtete Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Unionsorgans nicht die Gefahr auszuschließen, dass es in ein und demselben Verfahren zu unterschiedlichen Beurteilungen kommt, so dass die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser abschließenden Entscheidung insbesondere dann in Frage gestellt sein könnte, wenn sich diese Entscheidung der Prüfung und dem Vorschlag dieser Behörden anschließt.

51      In Anbetracht dieses Erfordernisses einer einzigen gerichtlichen Überprüfung sind sowohl die Art des nationalen Rechtsbehelfs, mit dem vorbereitende Handlungen nationaler Behörden der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterworfen werden, als auch das Wesen der zu diesem Zweck gestellten Anträge oder vorgebrachten Gründe ohne Belang.

52      Ausgehend von diesen Erwägungen ist das Wesen des Verfahrens zu prüfen, in dessen Verlauf die Handlungen der Banca d’Italia vorgenommen wurden, mit denen der Consiglio di Stato (Staatsrat) im Ausgangsverfahren befasst ist.

53      Dieses Verfahren ist im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus der Bankenunion vorgesehen, in Bezug auf den die EZB nach Art. 6 Abs. 1 der SSM-Verordnung dafür verantwortlich ist, dass er wirksam und einheitlich funktioniert. Mit dem Verfahren soll Art. 22 der CRD‑IV-Richtlinie umgesetzt werden, der für das reibungslose Funktionieren der Bankenunion vorsieht, dass vor jedem Erwerb bzw. jeder Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung an Kreditinstituten eine Genehmigung auf der Grundlage der in Art. 23 der Richtlinie genannten harmonisierten Beurteilungskriterien einzuholen ist.

54      Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der SSM-Verordnung in Verbindung mit deren Art. 15 Abs. 3 und mit Art. 87 der SSM-Rahmenverordnung ist nur die EZB dafür zuständig, nach Abschluss des u. a. in Art. 15 der SSM-Verordnung und in den Art. 85 und 86 der SSM-Rahmenverordnung vorgesehenen Verfahrens den geplanten Erwerb zu genehmigen oder nicht zu genehmigen.

55      Im Rahmen der nach Art. 6 Abs. 2 der SSM-Verordnung durch den Grundsatz der Zusammenarbeit geregelten Beziehungen besteht die Rolle der nationalen Behörden – wie sich aus dieser Vorschrift, aus Art. 15 Abs. 1 und 2 der SSM-Verordnung und aus den Art. 85 und 86 der SSM-Rahmenverordnung ergibt – darin, die Genehmigungsanträge zu registrieren und die allein entscheidungsbefugte EZB insbesondere dadurch zu unterstützen, dass sie ihr alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen mitteilen, die Anträge prüfen und anschließend der EZB einen Beschlussvorschlag übermitteln, an den die EZB nicht gebunden ist und hinsichtlich dessen das Unionsrecht im Übrigen nicht vorsieht, dass er an den Antragsteller zu übermitteln ist.

56      Somit ist das Verfahren, zu dem die bei dem vorlegenden Gericht angefochtenen Handlungen gehören, eines der Verfahren, auf die sich die Ausführungen in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils beziehen.

57      Folglich ist festzustellen, dass allein der Unionsrichter für die – inzidente – Prüfung zuständig ist, ob die Rechtmäßigkeit des Beschlusses der EZB vom 25. Oktober 2016 durch etwaige Mängel beeinträchtigt wird, die der Rechtmäßigkeit der von der Banca d’Italia zur Vorbereitung dieses Beschlusses ergriffenen Handlungen anhaften. Diese Zuständigkeit schließt die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für diese Handlungen aus, ohne dass es insoweit darauf ankommt, dass bei einem nationalen Gericht eine Klage wie die „azione di ottemperanza“ anhängig gemacht worden ist.

58      In letzterer Hinsicht ist entsprechend dem Vorbringen der Kommission festzustellen, dass die ausschließliche Zuständigkeit der EZB für den Beschluss, den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, und die damit zusammenhängende ausschließliche Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Überprüfung der Gültigkeit dieses Beschlusses und die – inzidente – Prüfung, ob die nationalen vorbereitenden Handlungen Mängel aufweisen, die die Gültigkeit des Beschlusses der EZB beeinträchtigen können, dem entgegenstehen, dass ein nationales Gericht über eine Klage entscheidet, mit der bestritten wird, dass eine solche Handlung mit einer nationalen Vorschrift über den Grundsatz der Rechtskraft vereinbar ist (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 62 und 63).

59      Folglich ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 263 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte verfahrenseinleitende Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die NCA im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der CRD‑IV-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der SSM-Verordnung sowie den Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen, und dass es insoweit unerheblich ist, dass bei einem nationalen Gericht eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben worden ist.

 Kosten

60      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 263 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen GerichteverfahrenseinleitendeHandlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Verfahrens nach den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank sowie den Art. 85 bis 87 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Insoweit ist es unerheblich, dass bei einem nationalen Gericht eine besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Verletzung der Rechtskraft einer Entscheidung eines nationalen Gerichts erhoben wordenist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 19. Dez. 2018 - C-219/17

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