Europäischer Gerichtshof Urteil, 16. Feb. 2017 - C-219/15

ECLI:ECLI:EU:C:2017:128
16.02.2017

Gericht

Europäischer Gerichtshof

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Februar 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Rechtsangleichung — Industriepolitik — Richtlinie 93/42/EWG — Konformitätsprüfung von Medizinprodukten — Vom Hersteller beauftragte benannte Stelle — Pflichten dieser Stelle — Fehlerhafte Brustimplantate — Herstellung unter Verwendung von Silikon — Haftung der benannten Stelle“

In der Rechtssache C‑219/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2015, in dem Verfahren

Elisabeth Schmitt

gegen

TÜV Rheinland LGA Products GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.‑C. Bonichot, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Frau Schmitt, vertreten durch Rechtsanwältin R. Schultze-Zeu und Rechtsanwalt H. Riehn,

der TÜV Rheinland LGA Products GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin I. Brock, Rechtsanwalt M. Schweiger und D. Anderson, QC,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Möller und K. Petersen als Bevollmächtigte,

Irlands, vertreten durch E. Creedon, L. Williams und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Toland, BL,

der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, F. Gloaguen und J. Traband als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. September 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. 2003, L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/42) sowie der Abschnitte 3.3, 4.3, 5.3 und 5.4 ihres Anhangs II.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Elisabeth Schmitt und der TÜV Rheinland LGA Products GmbH (im Folgenden: TÜV Rheinland) wegen der Haftung Letzterer als benannte Stelle für Schäden, die Frau Schmitt durch fehlerhafte Brustimplantate aus Silikon entstanden sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/42

3

Die Richtlinie 93/42 wurde durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. 2007, L 247, S. 21) geändert. Diese Änderungen betreffen jedoch Vorschriften, die ab dem 21. März 2010 anzuwenden und folglich im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht einschlägig sind.

4

Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/42 bedürfen „[d]ie einzelstaatlichen Bestimmungen, die der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Patienten, der Anwender und gegebenenfalls Dritter im Hinblick auf die Anwendung der Medizinprodukte dienen, … der Harmonisierung, um den freien Verkehr dieser Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten“.

5

Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 93/42 müssen „Medizinprodukte … für Patienten, Anwender und Dritte einen hochgradigen Schutz bieten und die vom Hersteller angegebenen Leistungen erreichen. Die Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung des in den Mitgliedstaaten erreichten Schutzniveaus ist eines der wesentlichen Ziele dieser Richtlinie“.

6

Nach Art. 2 der Richtlinie 93/42 treffen „[d]ie Mitgliedstaaten … alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Produkte nur in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie bei sachgemäßer Lieferung, Installation, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen“.

7

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/42 sieht eine der Alternativen für die Konformitätsbewertung für Produkte der Klasse III – mit Ausnahme der Sonderanfertigungen und der für klinische Prüfungen bestimmten Produkte – vor, die der Hersteller wählen muss, damit die CE-Kennzeichnung angebracht werden kann. Konkret besteht diese Alternative darin, das Verfahren der EG-Konformitätserklärung (vollständiges Qualitätssicherungssystem) gemäß Anhang II einzuhalten.

8

Aus Art. 11 Abs. 9 der Richtlinie 93/42 geht hervor, dass sich der Hersteller, wenn das Verfahren der Konformitätsbewertung die Beteiligung einer benannten Stelle voraussetzt, im Rahmen der Aufgaben, für die diese Stelle benannt worden ist, an eine Stelle seiner Wahl wenden kann. Art. 11 Abs. 10 bestimmt, dass diese Stelle mit ordnungsgemäßer Begründung alle Informationen oder Angaben verlangen kann, die zur Ausstellung und Aufrechterhaltung der Konformitätsbescheinigung im Hinblick auf das gewählte Verfahren erforderlich sind.

9

Art. 16 Abs. 6 der Richtlinie 93/42 lautet:

„Stellt eine benannte Stelle fest, dass einschlägige Anforderungen dieser Richtlinie vom Hersteller nicht erfüllt wurden oder nicht länger erfüllt werden, oder hätte eine Bescheinigung nicht ausgestellt werden dürfen, so setzt sie – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – die ausgestellte Bescheinigung aus oder widerruft sie oder erlegt Beschränkungen auf, es sei denn, dass der Hersteller durch geeignete Abhilfemaßnahmen die Übereinstimmung mit diesen Anforderungen gewährleistet. Die benannte Stelle unterrichtet die zuständige Behörde, falls die Bescheinigung ausgesetzt oder widerrufen wird oder Beschränkungen auferlegt werden oder sich ein Eingreifen der zuständigen Behörde als erforderlich erweisen könnte. Der Mitgliedstaat unterrichtet die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission.“

10

Nach Anhang II („EG-Konformitätserklärung“) Abschnitt 1 der Richtlinie 93/42 stellt „[d]er Hersteller … sicher, dass das genehmigte Qualitätssicherungssystem für die Auslegung, die Fertigung und die Endkontrolle der betreffenden Produkte nach Maßgabe des Abschnitts 3 angewandt wird; er unterliegt der förmlichen Überprüfung (Audit) gemäß Abschnitt 3.3 und Abschnitt 4 und der EG-Überwachung gemäß Abschnitt 5“.

11

In Abschnitt 3.2 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 heißt es:

„Mit Hilfe des Qualitätssicherungssystems muss die Übereinstimmung der Produkte mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie auf allen Stufen von der Auslegung bis zur Endkontrolle sichergestellt werden. Alle Einzelheiten, Anforderungen und Vorkehrungen, die der Hersteller für sein Qualitätssicherungssystem zugrunde legt, müssen in eine systematisch geführte und nach Strategien und schriftlichen Verfahrensanweisungen geordnete Dokumentation, beispielsweise in Form von Programmen, Plänen, Handbüchern und Aufzeichnungen zur Qualitätssicherung, aufgenommen werden.

…“

12

Abschnitt 3.3 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 sieht vor:

„Die benannte Stelle führt eine förmliche Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems durch, um festzustellen, ob es den Anforderungen nach Abschnitt 3.2 entspricht. Bei Qualitätssicherungssystemen, die auf der Umsetzung der entsprechenden harmonisierten Normen beruhen, geht sie von der Übereinstimmung mit diesen Anforderungen aus.

Mindestens ein Mitglied des Prüfteams muss Erfahrungen mit der Bewertung der betreffenden Technologie haben. Das Bewertungsverfahren schließt eine Besichtigung der Betriebsstätten des Herstellers und, falls dazu hinreichend Anlass besteht, der Betriebsstätten der Zulieferer des Herstellers und/oder seiner Subunternehmer ein, um die Herstellungsverfahren zu überprüfen.

Die Entscheidung wird dem Hersteller mitgeteilt. Die Mitteilung enthält die Ergebnisse der Überprüfung und eine Begründung der Entscheidung.“

13

Abschnitt 4.1 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 bestimmt:

„Zusätzlich zu den ihm gemäß Abschnitt 3 obliegenden Verpflichtungen stellt der Hersteller bei der benannten Stelle einen Antrag auf Prüfung der Auslegungsdokumentation zu dem Produkt, dessen Herstellung bevorsteht …“

14

Nach Abschnitt 4.2 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 gilt:

„Aus dem Antrag müssen die Auslegung, die Herstellung und die Leistungsdaten des betreffenden Produkts hervorgehen. Der Antrag enthält die … Dokumente, anhand deren die Beurteilung, ob das Produkt den Anforderungen dieser Richtlinie entspricht, möglich sein muss.“

15

Abschnitt 4.3 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 sieht vor:

„Die benannte Stelle prüft den Antrag und stellt, falls die Auslegung den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht, dem Antragsteller eine EG-Auslegungsprüfbescheinigung aus. Die benannte Stelle kann verlangen, dass für die Antragstellung zusätzliche Tests oder Prüfungen durchgeführt werden, damit die Übereinstimmung mit den Anforderungen dieser Richtlinie beurteilt werden kann. Die Bescheinigung enthält die Ergebnisse der Prüfung, die Bedingungen für ihre Gültigkeit sowie die zur Identifizierung der genehmigten Auslegung erforderlichen Angaben und gegebenenfalls eine Beschreibung der Zweckbestimmung des Produkts.

…“

16

Abschnitt 5.1 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 lautet:

„Mit der Überwachung soll sichergestellt werden, dass der Hersteller die Verpflichtungen, die sich aus dem genehmigten Qualitätssicherungssystem ergeben, ordnungsgemäß einhält.“

17

In Abschnitt 5.2 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 heißt es:

„Der Hersteller gestattet der benannten Stelle die Durchführung aller erforderlichen Inspektionen und stellt ihr alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung, insbesondere:

die Dokumentation über das Qualitätssicherungssystem;

die Daten, die in dem die Auslegung betreffenden Teil des Qualitätssicherungssystems vorgesehen sind, wie z. B. Ergebnisse von Analysen, Berechnungen, Tests usw.;

die Daten, die in dem die Herstellung betreffenden Teil des Qualitätssicherungssystems vorgesehen sind, wie z. B. Kontroll-, Test- und Kalibrierungsberichte, Berichte über die Qualifikation des betreffenden Personals usw.“

18

Nach Abschnitt 5.3 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 führt „[d]ie benannte Stelle … regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch, um sich davon zu überzeugen, dass der Hersteller das genehmigte Qualitätssicherungssystem anwendet, und übermittelt dem Hersteller einen Bewertungsbericht“. Weiter sieht Abschnitt 5.4 vor, dass diese Stelle „unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen [und dabei] erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen [kann]“.

19

Anhang XI der Richtlinie 93/42 enthält die „Mindestkriterien für die Beauftragung der zu benennenden Stellen“, u. a. in Bezug auf deren verstärkte Unabhängigkeit und wissenschaftliche Fachkenntnis. Insbesondere geht aus Abschnitt 3 hervor, dass in einer benannten Stelle „ausreichend wissenschaftliches Personal vorhanden [sein muss], das die entsprechenden Erfahrungen und Kenntnisse besitzt, um die medizinische Funktion und Leistung der Produkte, für die die Stelle benannt worden ist, in Bezug auf die Anforderungen dieser Richtlinie … zu beurteilen“. Weiter geht aus Abschnitt 6 hervor, dass eine solche Stelle „eine Haftpflichtversicherung abschließen [muss], es sei denn, diese Haftpflicht wird vom Staat aufgrund nationalen Rechts gedeckt oder die Prüfungen werden unmittelbar von dem Mitgliedstaat durchgeführt“.

Richtlinie 2003/12/EG

20

Nach Art. 1 der Richtlinie 2003/12/EG der Kommission vom 3. Februar 2003 zur Neuklassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der Richtlinie 93/42 (ABl. 2003, L 28, S. 43) werden Brustimplantate als Medizinprodukte der Klasse III eingestuft.

21

Diese Richtlinie ist am 1. September 2003 in Kraft getreten. Aus ihren Art. 2 und 3 geht hervor, dass Brustimplantate, die vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht wurden, vor dem 1. März 2004 als Medizinprodukte der Klasse III erneut einem Konformitätsbewertungsverfahren zu unterziehen waren.

Deutsches Recht

22

Laut der Vorlageentscheidung wurde die Richtlinie 93/42 durch das Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) und die Medizinprodukte-Verordnung in deutsches Recht umgesetzt.

23

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 und § 37 Abs. 1 MPG sowie § 7 Abs. 1 Nr. 1 der Medizinprodukte-Verordnung dürfen Medizinprodukte der Klasse III nur in den Verkehr gebracht werden, wenn die Voraussetzungen des Konformitätsbewertungsverfahrens gemäß Anhang II der Richtlinie 93/42 erfüllt sind.

24

Aus verschiedenen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Auslegung durch die deutsche Rechtsprechung geht hervor, dass zum einen aufgrund eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz eine deliktische Haftung entstehen und zum anderen unter bestimmten Umständen ein Dritter in die aus einem Vertrag folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen werden kann.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

25

Am 1. Dezember 2008 ließ sich Frau Schmitt in Deutschland Brustimplantate einsetzen, die in Frankreich hergestellt worden waren.

26

Die inzwischen insolvent gewordene Herstellerin dieser Implantate hatte den TÜV Rheinland mit der Überprüfung ihres Qualitätssicherungssystems beauftragt. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass diese benannte Stelle im Rahmen ihres Tätigwerdens in den Jahren 1998 bis 2008 acht jeweils im Voraus angekündigte Besichtigungen bei der Herstellerin durchführte. Während dieses Zeitraums nahm der TÜV Rheinland weder Einsicht in Geschäftsunterlagen noch ordnete er eine Produktprüfung an.

27

Im Jahr 2010 stellte die zuständige französische Behörde fest, dass die Herstellerin Brustimplantate unter Verwendung von Industriesilikon herstellte, das nicht den geltenden Qualitätsstandards entsprach. Daher ließ sich Frau Schmitt im Jahr 2012 ihre Implantate entfernen.

28

Nach Auffassung von Frau Schmitt kam der TÜV Rheinland seinen Verpflichtungen nicht hinreichend nach, daher forderte sie von dieser benannten Stelle vor den deutschen Gerichten Schmerzensgeld in Höhe von 40000 Euro. Außerdem begehrte sie die Feststellung der Ersatzpflicht dieser Stelle für künftig entstehende materielle Schäden. Sie trug dafür vor, der TÜV Rheinland hätte durch Einsichtnahme in die Lieferscheine und Rechnungen erkennen können, dass von der Herstellerin nicht das genehmigte Silikon verwendet worden sei.

29

Das Klagebegehren blieb sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtszug ohne Erfolg.

30

Das Berufungsgericht stellte erstens fest, der TÜV Rheinland hafte nicht unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung im Rahmen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, da der zwischen dieser benannten Stelle und der Herstellerin geschlossene Vertrag rein privatrechtlich und Frau Schmitt in diesen nicht eingebunden sei. Sinn und Zweck der Tätigkeit des TÜV Rheinland sei nicht der Schutz Dritter, da die Zertifizierungstätigkeit nur dazu diene, die Einhaltung der Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zu gewährleisten. Durch die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrags gegen den Willen der Vertragsparteien und ohne ein entsprechendes berechtigtes Interesse würde die Haftung der benannten Stelle uferlos ausgeweitet.

31

Zweitens hafte der TÜV Rheinland auch nicht nach Deliktsrecht, da die benannte Stelle nicht zum Schutz der Patienten tätig werde. Zudem könne dem TÜV Rheinland keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden, da er regelmäßig angekündigte Besichtigungen durchgeführt habe, was ausreiche, soweit kein Verdacht für eine nicht ordnungsgemäße Produktion gegeben sei.

32

Frau Schmitt legte daraufhin Revision beim vorlegenden Gericht ein.

33

Nach dessen Auffassung kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nach deutschem Recht maßgeblich darauf an, zu welchem Zweck eine benannte Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren einbezogen wird und welche Pflichten der benannten Stelle im Rahmen dieses Verfahrens auferlegt sind.

34

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es für die Antwort auf die Frage, ob § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG als Schutzgesetz anzusehen sei, entscheidend auf Inhalt und Zweck der Richtlinie 93/42 im Allgemeinen und speziell ihres Anhangs II ankomme. Nach deutschem Recht sei eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen solle, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Insoweit komme es darauf an, ob der Gesetzgeber, der die in Rede stehende Norm erlassen habe, gerade einen Rechtsschutz bestimmter Personengruppen, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen werde, gewollt oder zumindest auch gewollt habe. Außerdem müsse in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den diese Norm gestellt sei, geprüft werden, ob der Gesetzgeber die Absicht haben konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses eine Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden zu knüpfen.

35

Ferner führt das vorlegende Gericht in Bezug auf eine etwaige drittschützende Wirkung des zwischen der in Rede stehenden Herstellerin und dem TÜV Rheinland geschlossenen Vertrags aus, dass dies unter bestimmten Voraussetzungen der Fall sein könne, etwa wenn diese Herstellerin ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung eines Dritten wie Frau Schmitt in die Vertragspflichten der benannten Stelle habe. Für die Auslegung des Vertrags nach deutschem Recht sei von wesentlicher Bedeutung, welche Zwecke die Richtlinie 93/42 allgemein mit dem Konformitätsbewertungsverfahren und insbesondere durch die Einbeziehung der benannten Stelle mittels des betreffenden Vertrags verfolge.

36

Jedenfalls sei es für eine Haftung des TÜV Rheinland erforderlich, dass er gegen ein Schutzgesetz oder eine Vertragspflicht verstoßen habe. Um feststellen zu können, ob ein solcher Verstoß vorliegt, möchte das vorlegende Gericht wissen, welchen konkreten Inhalt die sich aus den Abschnitten 3.3, 4.3, 5.3 und 5.4 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 ergebenden Pflichten haben. Es fragt sich nämlich, welcher Art die einer benannten Stelle wie dem TÜV Rheinland obliegenden Pflichten sind, insbesondere was das Überwachungs- und Kontrollniveau betrifft, das diese Stelle im Rahmen ihrer Vor-Ort-Kontrollen beim Hersteller sicherstellen muss.

37

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Zu den Vorlagefragen

Zur zweiten und zur dritten Frage

38

Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die an erster Stelle und zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42 dahin auszulegen sind, dass der benannten Stelle eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten.

39

Hierzu ist festzustellen, dass zwar einige der den benannten Stellen gemäß Anhang II der Richtlinie 93/42 obliegenden Pflichten konkret zu ergreifende Maßnahmen betreffen. So hat die benannte Stelle bei der förmlichen Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems des Herstellers nach Abschnitt 3.3 des Anhangs II eine Besichtigung der Betriebsstätten des Herstellers durchzuführen. Außerdem muss sie im Rahmen der Überwachung des Herstellers nach Abschnitt 5.3 des Anhangs II regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durchführen.

40

Die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42 sehen jedoch keine generelle Pflicht der benannten Stelle zur Durchführung von unangemeldeten Inspektionen, zu Produktprüfungen und/oder zur Sichtung von Geschäftsunterlagen des Herstellers vor.

41

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die benannte Stelle gemäß den Abschnitten 3.2, 3.3 und 4.1 bis 4.3 des Anhangs II der Richtlinie 93/42 verpflichtet ist, zum einen den vom Hersteller gestellten Antrag auf Prüfung der Auslegungsdokumentation zu analysieren, aus dem die Auslegung, die Herstellung und die Leistungsdaten des betreffenden Produkts hervorgehen müssen, und zum anderen zu bestimmen, ob mit Hilfe des vom Hersteller vorgesehenen Qualitätssicherungssystems die Übereinstimmung der Produkte mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie sichergestellt wird. Zudem muss sich die benannte Stelle gemäß Abschnitt 5.1 des Anhangs II davon überzeugen, dass der Hersteller die Verpflichtungen, die sich aus dem genehmigten Qualitätssicherungssystem ergeben, ordnungsgemäß einhält.

42

Anhang II der Richtlinie 93/42 sieht ausdrücklich verschiedene Maßnahmen vor, die es der benannten Stelle ermöglichen, ihren Überwachungspflichten nachzukommen. Aus Abschnitt 5.4 des Anhangs II geht hervor, dass die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen und dabei erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen kann.

43

Weiter geht aus Art. 11 Abs. 10 der Richtlinie 93/42 hervor, dass die benannte Stelle mit ordnungsgemäßer Begründung alle Informationen oder Angaben verlangen kann, die zur Ausstellung und Aufrechterhaltung der Konformitätsbescheinigung im Hinblick auf das gewählte Verfahren erforderlich sind. Der Hersteller ist daher im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung verpflichtet, der benannten Stelle gemäß Abschnitt 5.2 des Anhangs II der Richtlinie die Durchführung aller erforderlichen Inspektionen zu gestatten und ihr alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

44

Mehrere Beteiligte, die Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben haben, machen geltend, dass nach dem Wortlaut und der Systematik der Richtlinie alle diese Maßnahmen fakultativ seien und die benannten Stellen insoweit über ein weites Ermessen verfügen müssten.

45

Wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausführt, muss den benannten Stellen zwar in Anbetracht der nach Anhang XI der Richtlinie 93/42 gestellten strengen Anforderungen an ihre Unabhängigkeit und ihre wissenschaftliche Fachkenntnis ein angemessener Ermessensspielraum zuerkannt werden. Jedoch blieben die Verpflichtungen nach Art. 16 Abs. 6 der Richtlinie 93/42 ebenso wie die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Pflichten inhaltsleer, wenn dieser Ermessensspielraum keiner Beschränkung unterläge. Wenn die benannte Stelle bei Vorliegen von Hinweisen darauf, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 möglicherweise nicht erfüllt, berechtigt wäre, untätig zu bleiben, ließe sich nicht sicherstellen, dass sie ihre Rolle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung wahrnimmt.

46

Folglich obliegt den benannten Stellen eine mit ihrem Tätigwerden im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung verbundene allgemeine Sorgfaltspflicht, da sie nach Art. 16 Abs. 6 der Richtlinie 93/42 festzustellen haben, ob die EG-Konformitätserklärung aufrechterhalten werden kann.

47

Demnach hat die benannte Stelle, wie auch die Generalanwältin in Nr. 54 ihrer Schlussanträge feststellt, eine Sorgfaltspflicht dahin, dass sie bei Hinweisen darauf, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 möglicherweise nicht erfüllt, alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen muss, um den Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 der Richtlinie und den in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Pflichten nachzukommen.

48

Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42 in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 dahin auszulegen sind, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2, 3.3, 4.1 bis 4.3 und 5.1 des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen.

Zur ersten Frage

49

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 93/42 dahin auszulegen ist, dass zum einen die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird und zum anderen eine schuldhafte Pflichtverletzung der benannten Stelle folglich deren Haftung gegenüber diesen Empfängern begründet.

50

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof unter Bezugnahme auf insbesondere die Erwägungsgründe 3 und 5 der Richtlinie 93/42 bereits entschieden hat, dass diese nicht nur auf den Schutz der Gesundheit im engeren Sinne, sondern auch auf die Sicherheit von Personen gerichtet ist und dass sie außerdem nicht nur die Anwender von Medizinprodukten und die Patienten, sondern ganz allgemein „Dritte“ betrifft (Urteil vom 19. November 2009, Nordiska Dental, C‑288/08, EU:C:2009:718, Rn. 29). Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie als solche dem Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte dient.

51

Zwar obliegt es in erster Linie dem Hersteller, zu gewährleisten, dass das Medizinprodukt den Anforderungen der Richtlinie 93/42 entspricht, doch sieht die Richtlinie auch für die Mitgliedstaaten und die benannten Stellen Verpflichtungen vor, die diesem Zweck dienen.

52

Insoweit ist zum einen zu den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten festzustellen, dass ihnen die Richtlinie 93/42 neben der Pflicht nach Art. 2, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Produkte nur in den Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie die Anforderungen der Richtlinie erfüllen, besondere Verpflichtungen in Bezug auf die Marktüberwachung auferlegt. Wie der Gerichtshof in den Rn. 35 bis 38 des Urteils vom 24. November 2016, Lohmann & Rauscher International (C‑662/15, EU:C:2016:903), dargelegt hat, ermöglicht es nämlich die Kombination aus diesen Verpflichtungen im Rahmen der Schutz-, Beobachtungs- und Melde- sowie Gesundheitsüberwachungsverfahren, die alle in der Richtlinie vorgesehen sind, die Gesundheit und die Sicherheit von Personen zu schützen.

53

Zum anderen ergibt sich in Bezug auf das Tätigwerden der benannten Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung aus dem Wortlaut und der Systematik der Richtlinie 93/42, dass durch dieses Verfahren die Gesundheit und die Sicherheit von Personen geschützt werden sollen.

54

Angesichts dessen ist zu bestimmen, ob die Richtlinie 93/42 vorschreibt, dass durch eine schuldhafte Pflichtverletzung der benannten Stelle im Rahmen dieses Tätigwerdens ihre Haftung gegenüber den Endempfängern der Medizinprodukte begründet werden kann.

55

Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich weder aus dem Umstand, dass eine Richtlinie bestimmten Stellen Überwachungspflichten auferlegt, noch daraus, dass diese Richtlinie auch den Schutz der Geschädigten bezweckt, zwingend ergibt, dass sie Rechte zugunsten der Geschädigten für den Fall schaffen soll, dass die betreffenden Stellen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, was insbesondere dann gilt, wenn die Richtlinie keine ausdrückliche Bestimmung enthält, die derartige Rechte gewährt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2004, Paul u. a., C‑222/02, EU:C:2004:606, Rn. 38 bis 40).

56

Ebenso ist festzustellen, dass angesichts dessen, dass sich in der Richtlinie 93/42 keinerlei Angaben zu den Modalitäten der Begründung der zivilrechtlichen Haftung der benannten Stellen finden, nicht davon ausgegangen werden kann, dass durch diese Richtlinie die Voraussetzungen geregelt werden sollten, unter denen die Endempfänger der Medizinprodukte eventuell eine Entschädigung wegen der von den benannten Stellen begangenen Pflichtverletzungen verlangen können.

57

Jedenfalls reicht allein der Umstand, dass die benannten Stellen nach Abschnitt 6 des Anhangs XI der Richtlinie 93/42 zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet sind, in Ermangelung jeder weiteren Präzisierung hierzu nicht für die Annahme aus, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten vorschreibt, den durch eine schuldhafte Pflichtverletzung der benannten Stellen geschädigten Endempfängern der Medizinprodukte einen Entschädigungsanspruch gegenüber diesen Stellen zu garantieren.

58

Nach ständiger Rechtsprechung schließt allerdings die durch die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. 1985, L 210, S. 29) eingeführte Regelung die Anwendung anderer Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung nicht aus, sofern diese auf anderen Grundlagen – etwa Verschulden – beruhen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, EU:C:2006:6, Rn. 47).

59

Folglich unterliegen nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung gemäß der Richtlinie 93/42 obliegenden Pflichten die Haftung dieser Stelle gegenüber den Endempfängern der Medizinprodukte begründen kann, vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

60

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 93/42 dahin auszulegen ist, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Endempfängern begründen kann, unterliegen vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

Zum Antrag auf zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils

61

Irland hat in seinen schriftlichen Erklärungen beantragt, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen, falls der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Richtlinie 93/42 im Fall einer schuldhaften Pflichtverletzung einer benannten Stelle im Rahmen ihres Tätigwerdens im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt der Klasse III eine unmittelbare und uneingeschränkte Haftung dieser benannten Stelle gegenüber den Empfängern des betreffenden Produkts vorsieht.

62

Insoweit genügt die Feststellung, dass aus der Antwort auf die erste Frage hervorgeht, dass die Richtlinie keine solche Haftung vorsieht.

63

Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.

Kosten

64

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 sind dahin auszulegen, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2, 3.3, 4.1 bis 4.3 und 5.1 des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen.

 

2.

Die Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Endempfängern begründen kann, unterliegen vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

 

Silva de Lapuerta

Regan

Bonichot

Fernlund

Rodin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Februar 2017.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Die Präsidentin der Ersten Kammer

R. Silva de Lapuerta


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 16. Feb. 2017 - C-219/15

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Referenzen - Gesetze

Europäischer Gerichtshof Urteil, 16. Feb. 2017 - C-219/15 zitiert 4 §§.

Gesetz über Medizinprodukte


Medizinproduktegesetz - MPG

Verordnung über Medizinprodukte


Medizinprodukte-Verordnung - MPV

Medizinprodukte-Verordnung - MPV 2002 | § 7 Konformitätsbewertungsverfahren für die sonstigen Medizinprodukte


(1) Für Medizinprodukte der Klasse III, mit Ausnahme der Produkte nach Absatz 5 und 9, hat der Hersteller 1.das Verfahren der EG-Konformitätserklärung (vollständiges Qualitätssicherungssystem) nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG oder2.das Verfahr

Referenzen

(1) Für Medizinprodukte der Klasse III, mit Ausnahme der Produkte nach Absatz 5 und 9, hat der Hersteller

1.
das Verfahren der EG-Konformitätserklärung (vollständiges Qualitätssicherungssystem) nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG oder
2.
das Verfahren der EG-Baumusterprüfung nach Anhang III der Richtlinie 93/42/EWG in Verbindung mit dem Verfahren der EG-Prüfung nach Anhang IV der Richtlinie 93/42/EWG oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Produktion) nach Anhang V der Richtlinie 93/42/EWG
durchzuführen.

(2) Für Medizinprodukte der Klasse IIb, mit Ausnahme der Produkte nach Absatz 5 und 9, hat der Hersteller

1.
das Verfahren der EG-Konformitätserklärung (vollständiges Qualitätssicherungssystem) nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG mit Ausnahme der Nummer 4 oder
2.
das Verfahren der EG-Baumusterprüfung nach Anhang III der Richtlinie 93/42/EWG in Verbindung mit dem Verfahren der EG-Prüfung nach Anhang IV oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Produktion) nach Anhang V oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Produkt) nach Anhang VI der Richtlinie 93/42/EWG
durchzuführen.

(3) Für Medizinprodukte der Klasse IIa, mit Ausnahme der Produkte nach Absatz 5 und 9, hat der Hersteller

1.
das Verfahren der EG-Konformitätserklärung nach Anhang VII der Richtlinie 93/42/EWG in Verbindung mit dem Verfahren der EG-Prüfung nach Anhang IV oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Produktion) nach Anhang V oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Produkt) nach Anhang VI der Richtlinie 93/42/EWG oder
2.
das Verfahren nach Absatz 2 Nr. 1
durchzuführen.

(4) Für Medizinprodukte der Klasse I, mit Ausnahme der Produkte nach Absatz 5 und 9, hat der Hersteller das Verfahren nach Anhang VII der Richtlinie 93/42/EWG durchzuführen.

(5) Für Sonderanfertigungen hat der Hersteller die Erklärung nach Nummer 2.1 des Anhangs VIII der Richtlinie 93/42/EWG auszustellen und Sonderanfertigungen der Klassen IIa, IIb und III bei der Abgabe eine Kopie beizufügen, die für den durch seinen Namen, ein Akronym oder einen numerischen Code identifizierbaren Patienten verfügbar sein muss. Er hat die Dokumentation nach Nummer 3.1 des Anhangs VIII der Richtlinie 93/42/EWG zu erstellen und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Übereinstimmung der hergestellten Medizinprodukte mit dieser Dokumentation zu gewährleisten. Erklärung und Dokumentation sind mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren. Der Hersteller sichert zu, unter Berücksichtigung der in Anhang X der Richtlinie 93/42/EWG enthaltenen Bestimmungen die Erfahrungen mit Produkten in der der Herstellung nachgelagerten Phase auszuwerten und zu dokumentieren und angemessene Vorkehrungen zu treffen, um erforderliche Korrekturen durchzuführen. § 4 Absatz 2 Satz 7 gilt entsprechend.

(6) Für Systeme und Behandlungseinheiten nach § 10 Abs. 1 des Medizinproduktegesetzes hat der Hersteller die Erklärung nach Artikel 12 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 93/42/EWG auszustellen. Die Erklärung ist mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren. Für Systeme und Behandlungseinheiten nach § 10 Abs. 2 des Medizinproduktegesetzes gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(7) Wer Medizinprodukte nach § 10 Abs. 3 Satz 1 des Medizinproduktegesetzes sterilisiert, hat im Hinblick auf die Sterilisation ein Verfahren nach Anhang II oder V der Richtlinie 93/42/EWG durchzuführen und eine Erklärung auszustellen, dass die Sterilisation gemäß den Anweisungen des Herstellers erfolgt ist. Die Erklärung ist mindestens fünf Jahre aufzubewahren.

(8) Wer Medizinprodukte nach § 10 Absatz 3 Satz 2 des Medizinproduktegesetzes aufbereitet, hat im Hinblick auf die Sterilisation und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Produkte ein Verfahren entsprechend Anhang II oder V der Richtlinie 93/42/EWG durchzuführen und eine Erklärung auszustellen, die die Aufbereitung nach einem geeigneten validierten Verfahren bestätigt. Die Erklärung ist mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren.

(9) Für Medizinprodukte aus Eigenherstellung hat der Eigenhersteller vor der Inbetriebnahme eine Erklärung auszustellen, die folgende Angaben enthält:

1.
Name und Anschrift des Eigenherstellers,
2.
die zur Identifizierung des jeweiligen Produktes notwendigen Daten,
3.
die Versicherung, dass das Produkt den in Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG aufgeführten Grundlegenden Anforderungen entspricht, und gegebenenfalls die Angabe der Grundlegenden Anforderungen, die nicht vollständig eingehalten worden sind, mit Angabe der Gründe.
Er hat eine Dokumentation zu erstellen, aus der die Fertigungsstätte sowie Auslegung, Herstellung und Leistungsdaten des Produktes, einschließlich der vorgesehenen Leistung, hervorgehen, so dass sich beurteilen lässt, ob es den Grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG entspricht, und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Übereinstimmung der hergestellten Medizinprodukte mit dieser Dokumentation zu gewährleisten. Erklärung und Dokumentation sind mindestens fünf Jahre und im Falle von implantierbaren Produkten mindestens 15 Jahre aufzubewahren. Der Eigenhersteller sichert zu, unter Berücksichtigung der in Anhang X der Richtlinie 93/42/EWG enthaltenen Bestimmungen die Erfahrungen mit Produkten in der der Herstellung nachgelagerten Phase auszuwerten und zu dokumentieren und angemessene Vorkehrungen zu treffen, um erforderliche Korrekturen durchzuführen. § 4 Absatz 2 Satz 7 gilt entsprechend.

(10) Für unter Verwendung von Gewebe tierischen Ursprungs hergestellte Medizinprodukte gelten die besonderen Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 722/2012.