Europäischer Gerichtshof Urteil, 30. Juni 2016 - C-200/14

ECLI:ECLI:EU:C:2016:494
bei uns veröffentlicht am30.06.2016

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

30. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit — Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität — Nationale Regelung, die Modalitäten für die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern mit Zinsen festlegt — Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über solche Ansprüche auf Erstattung, die sich aus der Unionsrechtsordnung herleiten — Ratenweise Erstattung über fünf Jahre — Erstattung unter der Bedingung, dass Mittel aus einer Steuererhebung vorhanden sind — Keine Möglichkeit der Zwangsvollstreckung“

In der Rechtssache C‑200/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu, Rumänien) mit Entscheidung vom 20. März 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2014, in dem Verfahren

Silvia Georgiana Câmpean

gegen

Administrația Finanțelor Publice a Municipiului Mediaș, jetzt Serviciul Fiscal Municipal Mediaş,

Administrația Fondului pentru Mediu

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Frau Câmpean, vertreten durch D. Târşia, avocat,

der rumänischen Regierung, vertreten durch R. H. Radu als Bevollmächtigten im Beistand von V. Angelescu und D. M. Bulancea, Berater,

der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal, G.‑D. Balan und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Februar 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 EUV, der Grundsätze, denen die Erstattung nationaler, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobener Steuern genügen muss, sowie der Art. 17, 20, 21 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Silvia Georgiana Câmpean auf der einen sowie der Administraţia Finanţelor Publice a Municipiului Mediaş (Öffentliche Steuerverwaltung der Gemeinde Mediaş, Rumänien) und der Administraţia Fondului pentru Mediu (Umweltfonds-Amt, Rumänien) auf der anderen Seite über die Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer, die Frau Câmpean bei der Zulassung eines aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Kraftfahrzeugs zu entrichten hatte, sowie auf die Zahlung der dazugehörigen Zinsen.

Der rumänische Rechtsrahmen

3

Die Legea nr. 9 privind taxa pentru emisiile poluante provenite de la autovehicule (Gesetz Nr. 9 betreffend die Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen) vom 6. Januar 2012 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 17 vom 10. Januar 2012, im Folgenden: Gesetz Nr. 9/2012) führte eine Schadstoffsteuer für Fahrzeuge der Klassen M1 bis M3 und N1 bis N3 ein. Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Gesetzes entstand die Pflicht zur Entrichtung dieser Steuer u. a. bei der erstmaligen Zulassung eines Kraftfahrzeugs in Rumänien.

4

Art. XV der Ordonanţa de urgenţă a Guvernului nr. 8 pentru modificarea și completarea unor acte normative și alte măsuri fiscal-bugetare (Dringlichkeitsverordnung Nr. 8 der Regierung zur Änderung und Ergänzung einiger Rechtsakte sowie anderer steuerlich-haushaltlicher Maßnahmen) vom 26. Februar 2014 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 151 vom 28. Februar 2014, im Folgenden: OUG Nr. 8/2014) sieht vor:

„(1)   Die Zahlung der Beträge, die durch eine gerichtliche Entscheidung über die Erstattung der Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen, über die Zinsen bis zur vollständigen Zahlung und über die Prozesskosten festgesetzt werden, sowie aller sonstigen von den Gerichten festgesetzten Beträge, die bis zum 31. Dezember 2015 vollstreckbar werden, erfolgt innerhalb von fünf Kalenderjahren durch eine jährliche Zahlung von 20 % dieses Wertes.

(2)   Die in Abs. 1 vorgesehenen Anträge der Steuerpflichtigen auf Erstattung werden nach den Bestimmungen der [Ordonanţa Guvernului nr. 92 privind Codul de procedură fiscală (Regierungsverordnung Nr. 92 über die Steuerverfahrensordnung) vom 24. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 941 vom 29. Dezember 2003, im Folgenden: OG Nr. 92/2003)], mit späteren Änderungen und Ergänzungen, innerhalb von 45 Tagen nach der Einreichung bearbeitet, und die Zahlung der Jahrestranchen erfolgt gemäß dem vom Umweltfonds-Amt festgelegten Plan.

(3)   Die in Abs. 1 vorgesehene Frist läuft ab dem Zeitpunkt, an dem die in Abs. 2 genannte Frist abläuft.

(4)   Solange die in Abs. 1 vorgesehene Frist läuft, wird jedes Zwangsvollstreckungsverfahren von Rechts wegen ausgesetzt.

(5)   Die in Abs. 1 vorgesehenen Beträge, die aufgrund der vorliegenden Dringlichkeitsverordnung gezahlt werden, werden anhand des vom Nationalen Statistikinstitut bekannt gemachten Verbraucherpreisindexes aktualisiert.

(6)   Das bei der Zahlung auf Vollstreckungstitel anzuwendende Verfahren wird durch gemeinsamen Erlass des Ministers für Umwelt und Klimawandel und des Ministers für öffentliche Finanzen unter Beachtung der in Abs. 1 vorgesehenen Frist festgelegt.

(7)   Zahlungen auf ausstehende Beträge aus bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorliegenden Dringlichkeitsverordnung erteilten Vollstreckungstiteln, aus denen die Zwangsvollstreckung noch nicht eingeleitet worden ist, werden nach Maßgabe der Bestimmungen der Abs. 1 bis 6 vorgenommen.“

5

In der Begründung der OUG Nr. 8/2014 wurde deren Erlass u. a. gerechtfertigt mit den „bisherigen Schwierigkeiten in Bezug auf die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über die Erstattung der Umweltsteuer und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen angesichts der negativen Auswirkungen der Zwangsvollstreckung von Vollstreckungstiteln nach den allgemeinen Rechtsvorschriften sowohl auf den Haushalt des Umweltfonds-Amts als auch auf den allgemeinen konsolidierten Haushalt unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, Sonderregelungen mit zeitlich begrenzter Anwendbarkeit über die Zwangsvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu schaffen, mit denen die Erstattung der Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen angeordnet worden ist. Das Fehlen solcher Bestimmungen hätte nämlich die Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Haushalts zur Folge und gleichzeitig sowohl die Nichteinhaltung der vom Umweltfonds-Amt übernommenen nationalen Verpflichtungen als auch die Nichteinhaltung der Rumänien als Mitgliedstaat der Europäischen Union obliegenden Verpflichtungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes“.

6

Der Ordinul nr. 365/741 al ministrului mediului şi schimbărilor climatice şi al ministrului finanţelor publice privind aprobarea Procedurii de efectuare a plăţilor sumelor prevăzute prin hotărâri judecătoreşti având ca obiect restituirea taxei pe poluare pentru autovehicule şi a taxei pentru emisiile poluante provenite de la autovehicule şi a modelului şi conţinutului unor formulare şi pentru modificarea anexei nr. 4 la Ordinul ministrului mediului şi schimbărilor climatice şi al viceprim-ministrului, ministrul finanţelor publice, nr. 490/407/2013 pentru aprobarea Procedurii de restituire a sumelor prevăzute la art. 7, 9 şi 12 din Ordonanţa de urgenţă a Guvernului nr. 9/2013 privind timbrul de mediu pentru autovehicule, precum şi a sumelor stabilite de instanţele de judecată prin hotărâri definitive şi irevocabile (Erlass Nr. 365/741 des Ministers für Umwelt und Klimawandel und des Ministers für öffentliche Finanzen zur Annahme des Verfahrens für die Zahlung der Beträge, die durch gerichtliche Entscheidung über die Erstattung der Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen festgesetzt werden, zur Annahme der Art und des Inhalts bestimmter Formulare und zur Änderung des Erlasses Nr. 490/407/2013 des Ministers für Umwelt und Klimawandel und des Vizepremierministers, des Ministers für öffentliche Finanzen, zur Annahme des Verfahrens zur Erstattung der in den Art. 7, 9 und 12 der Dringlichkeitsverordnung Nr. 9/2013 der Regierung über die Umweltgebühr für Kraftfahrzeuge sowie der von den gerichtlichen Instanzen in endgültigen und unwiderruflichen Entscheidungen festgesetzten Beträge) vom 19. März 2014 (im Folgenden: Erlass Nr. 365/741/2014) wurde nach Art. XV Abs. 6 der OUG Nr. 8/2014 erlassen und sieht Anwendungsvorschriften für diesen Art. XV vor.

7

Art. 1 Abs. 2 und 3 dieses Erlasses bestimmt:

„(2)   Die Zahlung der Beträge, die durch eine gerichtliche Entscheidung über die Erstattung der Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen, über die Zinsen bis zur vollständigen Zahlung und über die Prozesskosten festgesetzt werden, sowie aller sonstigen von den Gerichten festgesetzten Beträge, die bis zum 31. Dezember 2015 vollstreckbar werden, erfolgt nach Art. XV der [OUG Nr. 8/2014] innerhalb von fünf Kalenderjahren durch eine jährliche Zahlung von 20 % dieses Wertes.

(3)   Die von den Steuerpflichtigen gestellten Anträge auf Erstattung der in Abs. 2 genannten Beträge werden nach den Bestimmungen der [OG Nr. 92/2003] innerhalb von 45 Tagen nach der Einreichung bearbeitet, und die Zahlung der Jahrestranchen erfolgt gemäß dem hierfür genehmigten Jahrestranchen-Plan …“

8

Art. 3 dieses Erlasses sieht vor:

„Die in Art. 1 Abs. 2 genannten Beträge einschließlich aller sich aus der Aktualisierung zum Zeitpunkt der Zahlung ergebenden Ausgleichsbeträge werden durch Mittel gedeckt, die von der [Umweltsteuer] aus dem Haushalt des Umweltfonds beglichen werden.“

9

Anhang 1 des Erlasses Nr. 365/741/2014 legt in seinem Kapitel I das Verfahren fest, das auf die Zahlung der in Art. XV Abs. 1 der OUG Nr. 8/2014 genannten Beträge, die durch gerichtliche Entscheidung über die Erstattung der Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge und der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen festgesetzt werden, anwendbar ist.

10

Nach diesem Anhang 1 Kapitel I Nrn. 7 und 19 gilt:

„7.

Dem Antrag auf Erstattung sind zur Prüfung folgende Unterlagen beizufügen:

a)

eine beglaubigte Abschrift des vollstreckbaren Urteils;

b)

das Ausweisdokument der natürlichen Person oder des Vertreters der juristischen Person nebst einer Abschrift der ihr übertragenen Vollmacht;

19.

Bei Zahlung der einzelnen Jahrestranchen gemäß dem in Nr. 11 festgelegten Zahlungsplan der aktualisierten Beträge und Zinsen bearbeitet die zuständige Steuerbehörde eventuelle Erstattungen und zahlt sie unter Berücksichtigung aller im Namen des Zahlungsempfängers zum Fälligkeitszeitpunkt jeder Tranche bestehenden Steuerschulden aus …“

11

In Art. 1 der Ordonanţa Guvernului nr. 22 privind executarea obligaţiilor de plată ale instituţiilor publice, stabilite prin titluri executorii (Regierungsverordnung Nr. 22 über die Vollstreckung von durch einen Vollstreckungstitel festgestellten Forderungen gegenüber öffentlichen Einrichtungen) vom 30. Januar 2002 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 81 vom 1. Februar 2002) in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: OG Nr. 22/2002) heißt es:

„(1)   Durch einen Vollstreckungstitel festgestellte Forderungen gegen öffentliche Einrichtungen und Behörden werden mit Beträgen beglichen, die zu diesem Zweck in deren Haushalten oder, je nach Fall, in den Kostentiteln, in die die jeweilige Zahlungspflicht einzuordnen ist, bewilligt wurden.

(2)   Durch einen Vollstreckungstitel festgestellte Forderungen gegen öffentliche Einrichtungen und Behörden dürfen nicht mit Beträgen beglichen werden, die im Haushalt zur Deckung der Kosten der laufenden Verwaltung einschließlich der Personalkosten zu dem Zweck bewilligt worden sind, die gesetzlichen Aufgaben und Ziele zu erfüllen, für die sie veranschlagt worden sind.“

12

Art. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„Beginnt die Vollstreckung einer durch einen Vollstreckungstitel festgestellten Forderung wegen fehlender Mittel nicht oder wird sie aus diesem Grund nicht fortgesetzt, so ist die schuldnerische Einrichtung verpflichtet, innerhalb von 6 Monaten diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, damit sie ihrer Zahlungspflicht nachkommen kann. Diese Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner auf Antrag des Gläubigers eine vom zuständigen Vollstreckungsorgan übermittelte Mahnung erhalten hat.“

13

In Art. 3 der OG Nr. 22/2002 heißt es:

„Kommt die öffentliche Einrichtung ihrer Zahlungspflicht innerhalb der Frist nach Abs. 2 nicht nach, so kann der Gläubiger die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung und/oder anderen auf diesem Gebiet anwendbaren Rechtsvorschriften betreiben.“

14

Art. 101 des Ordinul ministrului finanţelor publice nr. 2336 pentru aprobarea Procedurii de punere în aplicare a titlurilor executorii în baza cărora se solicită înfiinţarea popririi conturilor autorităţilor şi instituţiilor publice deschise la nivelul unităţilor Trezoreriei Statului (Erlass Nr. 2336 des Finanzministers zur Annahme der Verfahren zur Durchsetzung von Vollstreckungstiteln, auf deren Grundlage die Pfändung von bei der Staatskasse eröffneten Konten staatlicher Behörden und Einrichtungen eingerichtet wird) vom 19. Juli 2011 mit späteren Änderungen und Ergänzungen (im Folgenden: Erlass Nr. 2336/2011) sieht vor:

„(1)   Genehmigt der Richter die Pfändungsmaßnahme, so unterliegen der Vollstreckung nur die gepfändeten Beträge, über die der Schuldner verfügt oder die ihm ein Drittschuldner schuldet, aus denen die gegen die öffentlichen Einrichtungen und Behörden festgestellten Forderungen beglichen werden können, unbeschadet der Beschränkungen nach Art. 1 Abs. 2 der [OG] Nr. 22/2002 – genehmigt und ergänzt durch das Gesetz Nr. 288/2002 – mit späteren Änderungen und Ergänzungen.

(2)   Für die Fälle nach Abs. 1 gilt das Verfahren zur Durchsetzung von Vollstreckungstiteln nach den Art. 1 bis 10 entsprechend.“

15

Das Steuerverfahren wurde durch die OG Nr. 92/2003 eingeführt.

16

Art. 116 („Verrechnung“) bestimmt in seinen Abs. 1, 2, 4 und 6:

„(1)   Forderungen des Staates sowie territorialer Verwaltungseinheiten und deren Untereinheiten, die Abgaben, Steuern, Beiträge oder andere gegenüber dem konsolidierten allgemeinen Haushalt geschuldete Beträge darstellen, erlöschen durch Verrechnung mit Forderungen des Schuldners, die zurückzuzahlende, zu erstattende oder aus dem Haushalt zu zahlende Beträge darstellen, und zwar bis zur Höhe der jeweils kleineren Beträge, wenn beide Parteien gegenseitig sowohl die Gläubiger- wie auch die Schuldnereigenschaft besitzen, vorausgesetzt, die betreffenden Forderungen werden von derselben öffentlichen Behörde, einschließlich deren untergeordneter Einheiten, verwaltet.

(2)   Steuerforderungen des Schuldners werden mit gegenüber demselben Haushalt bestehen Verbindlichkeiten verrechnet; der verbleibende Betrag wird anschließend unter Beachtung der Bestimmungen von Abs. 1 anteilsmäßig mit den gegenüber anderen Haushalten bestehenden Verbindlichkeiten verrechnet.

(4)   Wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, erfolgt die Verrechnung von Rechts wegen in dem Zeitpunkt, in dem die Forderungen gleichzeitig bestehen sowie einredefrei, bezifferbar und fällig sind.

(6)   Die Verrechnung wird von der Steuerbehörde auf Antrag des Schuldners oder von Amts wegen festgestellt …“

17

Art. 24 („Durchführungspflicht“) Abs. 1 der Legea contenciosului administrativ nr. 554 (Gesetz Nr. 554 über Verwaltungsstreitsachen) vom 2. Dezember 2004 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 1154 vom 7. Dezember 2004) in geänderter Fassung sieht vor:

„Ist die staatliche Behörde aufgrund einer erfolgreichen Klage verpflichtet, einen Verwaltungsakt zu erlassen, zu ersetzen oder abzuändern, ein anderes Schriftstück zu erstellen oder bestimmte Verwaltungshandlungen vorzunehmen, erfolgt die Durchführung rechtskräftiger Entscheidungen freiwillig innerhalb der darin vorgesehenen Frist oder, wenn eine solche Frist nicht angegeben ist, innerhalb von längstens 30 Tagen von dem Zeitpunkt an, in dem die Entscheidung rechtskräftig geworden ist.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18

Frau Câmpean ließ in Rumänien ein in Deutschland erworbenes Gebrauchtfahrzeug zu. Zum Zweck dieser Zulassung zahlte Frau Câmpean am 18. Januar 2012 einen Betrag von 2737 rumänischen Lei (RON) (ungefähr 615 Euro) nach der durch das Gesetz Nr. 9/2012 vorgesehenen Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen.

19

Mit einer am 21. Februar 2012 beim Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu, Rumänien) erhobenen Klage beantragte Frau Câmpean mit der Begründung, dass diese Steuer mit dem Unionsrecht unvereinbar sei, die Erstattung dieses Betrags sowie die Zahlung der dazugehörigen, bis zum tatsächlichen Zeitpunkt der Erstattung berechneten Zinsen.

20

Da das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Steuer mit dem Unionsrecht hatte, beschloss es mit Entscheidung vom 15. November 2012, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen.

21

Mit Beschluss vom 3. Februar 2014, Câmpean und Ciocoiu (C‑97/13 und C‑214/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:229) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass Art. 110 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuer wie der vom Gesetz Nr. 9/2012 vorgesehenen Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen entgegensteht. Der Gerichtshof hat die Wirkungen seiner Entscheidung nicht zeitlich begrenzt.

22

Das vorlegende Gericht hat im Rahmen desselben Rechtsstreits ferner Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarkeit der nach Erlass dieses Beschlusses des Gerichtshofs erlassenen nationalen Regelung über die Modalitäten für die Erstattung zu Unrecht gezahlter Steuern, insbesondere des Art. XV der OUG Nr. 8/2014, mit dem Unionsrecht sowie mit bestimmten vom Europarat verabschiedeten Rechtsinstrumenten.

23

Diese Regelung sieht u. a. eine ratenweise Erstattung des zu Unrecht erhaltenen Betrags mit jährlichen Raten von 20 % der verlangten Gesamtsumme sowie der Zinsen und Gerichtskosten über einen Zeitraum von fünf Jahren vor. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts verstößt eine solche Regelung, da sie keine Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb einer angemessenen Frist erlaube, u. a. gegen das Recht auf effektive Erstattung unrechtmäßig erhobener Steuern, gegen das Eigentumsrecht sowie gegen das Recht auf einen fairen Prozess.

24

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu) am 22. April 2014 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof eine erste Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

25

In der Folge hat das vorlegende Gericht in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit das mündliche Verfahren wiedereröffnet. Bei dieser Gelegenheit machte die Klägerin des Ausgangsverfahrens geltend, dass zum einen in Anbetracht des Inkrafttretens von Rechtsakten zur Umsetzung von Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und zum anderen von Rechtsakten, die auf das Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Staat anwendbar seien, wenn dieser Art. XV nicht eingreife, eine Ergänzung des Vorabentscheidungsersuchens durch das vorlegende Gericht erforderlich sei. In der Erwägung, dass diese Rechtsakte eine Verzögerung der Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern an die Einzelnen zur Folge hätten, ohne dass diese im Gegenzug die Möglichkeit hätten, eine Zwangsvollstreckung der Entscheidungen zu betreiben, mit denen ihre Forderungen festgestellt würden, hat das vorlegende Gericht seine erste Vorlagefrage um fünf weitere Fragen ergänzt.

26

Daher ist der Gerichtshof vom Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu) mit den folgenden Vorlagefragen befasst:

1.

Können Art. 6 EUV, die Art. 17, 20 und 21 Abs. 1 sowie Art. 47 der Charta, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Grundsatz der Erstattung der nach dem Unionsrecht verbotenen Abgaben, die Empfehlung Rec(2003)16 des Ministerkomitees des Europarats und die Entschließung 1787 (2011) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats dahin ausgelegt werden, dass sie einer Rechtsvorschrift wie Art. XV der OUG Nr. 8/2014 entgegenstehen?

2.

Können die Vorschriften des Unionsrechts, die in der ersten Vorlagefrage angeführt sind sowie die Empfehlung Rec(2003)16 des Ministerkomitees des Europarats, die Entschließung 1787 (2011) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und die Empfehlung Nr. R (80) 2 des Ministerkomitees dahin ausgelegt werden, dass sie Rechtsvorschriften wie dem Erlass Nr. 365/741/2014, den Art. 1, 2 und 3 der OG Nr. 22/2002 und dem Erlass Nr. 2336/2011 entgegenstehen?

3.

Können die genannten Vorschriften des Unionsrechts und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 22. Juni 1989, Costanzo, 103/88, EU:C:1989:256) dahin ausgelegt werden, dass die nationalen Verwaltungsstellen (im vorliegenden Fall der Steuer- und der Umweltverwaltung) auf dem Gebiet der Steuerverwaltung ergangene gerichtliche Entscheidungen von Amts wegen und unverzüglich durchführen müssen, ohne dass der Erstattungsberechtigte die Zwangsvollstreckung betreiben oder zusätzliche, vom schuldnerischen Beklagten vorgeschriebene Formalitäten beachten müsste?

4.

Innerhalb welchen Zeitraums müssen die nationalen Verwaltungsstellen gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiet der Steuerverwaltung durchführen oder Forderungen von Erstattungsberechtigten mit anderen gegenseitigen Verbindlichkeiten, die Letztere gegenüber dem Staat haben, verrechnen, damit dies nach dem Unionsrecht „unverzüglich“ geschieht?

5.

Kann das Unionsrecht dahin ausgelegt werden, dass Sanktionen wie die in Kapitel II Nr. 1 Buchst. b der Empfehlung Rec(2003)16 des Ministerkomitees des Europarats vorgesehenen (namentlich die Geldbuße nach Art. 24 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 554/2004 über Verwaltungsstreitsachen) auch im Fall der Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen der Verwaltung verhängt werden können, die durch gerichtliche Entscheidung festgestellt worden sind?

6.

Welche Vermögensgegenstände können bei einer Zwangsvollstreckung aus gegen die öffentliche Verwaltung ergangenen gerichtlichen Entscheidungen der Pfändung nach Kapitel II Nr. 2 Buchst. d der Empfehlung Rec(2003)16 des Ministerkomitees des Europarats unterworfen werden?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

27

Die rumänische Regierung macht die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens insgesamt geltend, da die Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nutzlos sei. Sie geht davon aus, dass sich diese Fragen auf die Modalitäten der Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung bezögen, die das vorlegende Gericht in diesem Rechtsstreit, dessen Gegenstand allein die Klage eines Einzelnen auf Erstattung einer vom Staat zu Unrecht erhobenen Steuer sei, erst zu treffen habe. Da das streitige Verfahren noch nicht beendet sei und mangels Darlegung, dass Frau Câmpean beim vorlegenden Gericht Sicherungsmaßnahmen im Hinblick auf die Vollstreckung der von ihm zu erlassenden Entscheidung beantragt habe, gebe es für dieses Gericht keine Veranlassung, die Frage nach den Modalitäten der Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuwerfen.

28

Hilfsweise beruft sich die rumänische Regierung auf die teilweise Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, soweit sich bestimmte Vorlagefragen auf Instrumente des Europarats bezögen, die nicht zum Unionsrecht gehörten.

29

Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Insbesondere ist es nicht Sache des Gerichtshofs, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Systems der justiziellen Zusammenarbeit die Richtigkeit der Auslegung des nationalen Rechts durch das nationale Gericht zu überprüfen oder in Frage zu stellen, da diese Auslegung in die ausschließliche Zuständigkeit dieses Gerichts fällt. Der Gerichtshof hat demnach, wenn ihm ein nationales Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, von der Auslegung des nationalen Rechts auszugehen, die ihm dieses Gericht vorgetragen hat (vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 12 und 13 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Im Übrigen darf der Gerichtshof die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 21. Mai 2015, Verder LabTec, C‑657/13, EU:C:2015:331, Rn. 29, und vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Dem Vorbringen der rumänischen Regierung zu folgen, dass das vorlegende Gericht im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits nicht über die Modalitäten der Vollstreckung der Entscheidung befinden könnte, die es im Hinblick auf die von Frau Câmpean erhobene Klage auf Erstattung treffen werde, liefe im vorliegenden Fall auf eine Auslegung des nationalen Rechts hinaus, die in die ausschließliche Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt.

32

Aus der Vorlageentscheidung und ihrer Ergänzung ergibt sich nämlich eindeutig, dass das vorlegende Gericht von seiner Zuständigkeit für die Anwendung der Regelung über die Modalitäten der Vollstreckung der Sachentscheidung, die es zu treffen hat, in dem Verfahrensstadium ausgeht, in dem sich der bei ihm anhängige Rechtsstreit befindet. Ferner verweist Frau Câmpean in ihren Erklärungen darauf, dass sie bei diesem Gericht einen Antrag auf sofortige und unbedingte Vollstreckbarkeit der zu erlassenden Sachentscheidung und auf Nichtanwendung von Art. XV der OUG Nr. 8/2014 auf deren Vollstreckung gestellt habe.

33

Unter diesen Umständen und mangels anderer Gesichtspunkte, die die Annahme erlauben würden, dass die Antworten des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht zweckdienlich wären, kann die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit dieser Fragen, auf die in Rn. 29 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, im vorliegenden Fall nicht widerlegt werden.

34

Als Zweites ist zu dem Vorbringen, mit dem die rumänische Regierung die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens insoweit geltend macht, als es sich auf die Auslegung der in den Vorlagefragen genannten Rechtsinstrumente des Europarats bezieht, darauf hinzuweisen, dass sich die Befugnis des Gerichtshofs, im Wege der Vorabentscheidung Auslegungen vorzunehmen, wie sie sich aus Art. 267 AEUV ergibt, lediglich auf Rechtsvorschriften bezieht, die zum Unionsrecht gehören (Urteil vom 4. Mai 2010, TNT Express Nederland, C‑533/08, EU:C:2010:243, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung), was bei den Rechtsinstrumenten des Europarats, auf die sich das vorlegende Gericht in der ersten, der zweiten, der fünften und der sechsten Vorlagefrage bezieht, nicht der Fall ist. Der Gerichtshof ist daher für eine Entscheidung über diese Fragen nicht zuständig, soweit sie sich unmittelbar auf die Auslegung dieser Rechtsinstrumente beziehen.

35

Unter dem Vorbehalt der in der vorstehenden Randnummer vorgenommenen Klarstellung ist davon auszugehen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig ist, und das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären.

Zu den Vorlagefragen

36

Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung zur Erstattung von unionsrechtswidrig erhobenen Steuern zuzüglich Zinsen, deren Betrag durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen festgestellt wurde, wie der Regelung in Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und im Erlass Nr. 365/741/2014 oder, subsidiär, in den Art. 1 bis 3 der OG Nr. 22/2002 und in Art. 101 des Erlasses Nr. 2336/2011 entgegensteht.

37

Insoweit stellt der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben hat, nach ständiger Rechtsprechung eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die dem Einzelnen aus den diesen Abgaben entgegenstehenden Bestimmungen des Unionsrechts in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Die Mitgliedstaaten sind also grundsätzlich verpflichtet, unionsrechtswidrig erhobene Abgaben mit den dazugehörigen Zinsen zu erstatten (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

38

In Ermangelung einer Unionsregelung zur Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Steuern ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache jedes Mitgliedstaats, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der den Steuerpflichtigen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit keine Bestimmungen erlassen darf, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofs für unionsrechtswidrig erklärt worden ist oder deren Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht sich aus einem solchen Urteil ergibt, Voraussetzungen unterwerfen, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine solche Erstattung anwendbar wären, wenn diese Bestimmung nicht erlassen worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2002, Prisco und CASER, C‑216/99 und C‑222/99, EU:C:2002:472, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. Oktober 2003, Weber’s Wine World u. a., C‑147/01, EU:C:2003:533, Rn. 87).

41

Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind im Licht dieser Grundsätze zu prüfen.

Zum Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

42

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und der Erlass Nr. 365/741/2014, der Durchführungsbestimmungen für diesen Art. XV vorsieht, aus der Zeit nach dem Beschluss vom 3. Februar 2014, Câmpean und Ciocoiu (C‑97/13 und C‑214/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:229), stammen, in dem der Gerichtshof für Recht erkannt hat, dass Art. 110 AEUV einer Steuer wie der Steuer auf Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen entgegensteht. Weiterhin ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass diese Regelung u. a. aufgrund der Schwierigkeiten erlassen wurde, die bei der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über die Erstattung der Beträge der somit zu Unrecht erhobenen Steuer auftraten. Die Regelung bezweckt insoweit die Einführung spezieller Verfahrensmodalitäten für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen mit einem solchen Verfahrensgegenstand.

43

Unter diesen Umständen und in Anbetracht der in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung obliegt dem vorlegenden Gericht die Prüfung, ob diese Verfahrensmodalitäten ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine Erstattung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar wären, wenn diese Regelung nicht erlassen worden wäre.

44

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist daher dahin auszulegen, dass er dem Erlass von Bestimmungen durch einen Mitgliedstaat entgegensteht, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofs für unionsrechtswidrig erklärt wurde oder deren Unvereinbarkeit mit diesem Recht sich aus einem solchen Urteil ergibt, an Bedingungen knüpfen, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine solche Erstattung anwendbar wären, wenn diese Bestimmungen nicht erlassen worden wären, was hier vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

Zum Grundsatz der Äquivalenz

45

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Grundsatz der Äquivalenz, dass die Mitgliedstaaten für Klagen auf Erstattung einer Steuer, mit denen ein Verstoß gegen das Unionsrecht gerügt wird, keine ungünstigeren Verfahrensmodalitäten vorsehen als diejenigen, die für in Anbetracht ihres Verfahrensgegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Gesichtspunkte entsprechende Klagen gelten, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht gerügt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Grundsätzlich ist es Sache des nationalen Richters, der eine unmittelbare Kenntnis der Verfahrensmodalitäten besitzt, die im innerstaatlichen Recht den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu prüfen, ob diese Verfahrensmodalitäten dem Grundsatz der Äquivalenz entsprechen. Im Hinblick auf die vom nationalen Gericht vorzunehmende Beurteilung kann der Gerichtshof diesem jedoch Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben (vgl. Urteile vom 1. Dezember 1998, Levez, C‑326/96, EU:C:1998:577, Rn. 39 und 40, sowie vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 31).

47

Aus Art. XV Abs. 1 der OUG Nr. 8/2014 ergibt sich, dass diese Bestimmung die Zahlungsmodalitäten für durch gerichtliche Entscheidungen festgesetzte Beträge über die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern, über die bis zum Zeitpunkt der vollständigen Zahlung berechneten Zinsen und über die Prozesskosten sowie für alle sonstigen von den Gerichten festgesetzten Beträge regeln soll. Dieser Art. XV sieht in seinen Abs. 1 bis 4 vor, dass die Zahlung dieser Beträge ratenweise über einen Zeitraum von fünf Jahren durch eine jährliche Zahlung von 20 % ihres Gesamtbetrags erfolgt, dass die Anträge auf Erstattung innerhalb von 45 Tagen nach ihrer Einreichung bearbeitet werden und dass alle Zwangsvollstreckungsverfahren während der in Art. XV Abs. 1 genannten Fünfjahresfrist ausgesetzt werden.

48

Nach Art. 3 des Erlasses Nr. 365/741/2014 werden die geschuldeten Beträge durch Mittel gedeckt, die von der Umweltsteuer aus dem Haushalt des Umweltfonds beglichen werden. Ferner sind den Erstattungsanträgen nach Anhang 1 Nr. 7 des Erlasses Nr. 365/741/2014 zum Zwecke der Prüfung bestimmte Unterlagen wie eine beglaubigte Abschrift des vollstreckbaren Urteils und das Ausweisdokument der natürlichen Person beizufügen. Anhang 1 Nr. 19 dieses Erlasses sieht vor, dass die zuständige Steuerbehörde bei der Zahlung jeder jährlichen Tranche eventuelle Erstattungen bearbeitet und sie unter Berücksichtigung aller im Namen des Zahlungsempfängers zum Fälligkeitszeitpunkt jeder Tranche bestehenden Steuerschulden auszahlt.

49

In ihren schriftlichen Erklärungen hat die rumänische Regierung zur Darlegung, dass diese Verfahrensmodalitäten denen entsprechen, die für gleichartige, auf einen Verstoß gegen nationales Recht gestützte Klagen gelten, das System der über fünf Jahre laufenden Ratenzahlung von Gehaltsansprüchen erläutert, die den Einzelnen nach innerstaatlichem Recht von der öffentlichen Verwaltung geschuldet werden.

50

Sie hat ferner geltend gemacht, dass die Frist von 45 Tagen, innerhalb deren ein Antrag auf Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung über die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuern zu bearbeiten sei, der für die Bearbeitung von Anträgen auf Erstattung von Beträgen, die aus nationalen Haushaltsmitteln beglichen werden, allgemein anwendbaren Frist von 45 Tagen entspreche.

51

Für die Feststellung, ob die Anforderungen des Grundsatzes der Äquivalenz im Ausgangsverfahren gewahrt sind, obliegt dem vorlegenden Gericht in einem ersten Schritt die Prüfung, ob die Klagen, auf die diejenigen Verfahrensmodalitäten anwendbar sind, die nach Ansicht der rumänischen Regierung den in Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und im Erlass Nr. 365/741/2014 vorgesehenen entsprechen, im Hinblick auf ihren Verfahrensgegenstand, ihren Rechtsgrund und ihre wesentlichen Gesichtspunkte einer Klage wie der des Ausgangsverfahrens, mit der ein Verstoß gegen Unionsrecht gerügt wird, entsprechen.

52

Dies scheint – wie auch der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat – bei Klagen auf Erstattung von Gehaltsrückständen, die von der öffentlichen Verwaltung geschuldet werden, nicht der Fall zu sein, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

53

Nachdem es die nationale(n) Klage(n) bestimmt hat, die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Klage, mit der ein Verstoß gegen Unionsrecht gerügt wird entspricht bzw. entsprechen, wird das vorlegende Gericht in einem zweiten Schritt festzustellen haben, ob die für solche nationalen Klagen geltenden Verfahrensmodalitäten nicht tatsächlich günstiger sind als die im Ausgangsverfahren nach Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und dem Erlass Nr. 365/741/2014 anwendbaren.

54

Was schließlich die nationale Regelung betrifft, die nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auf die bei ihm anhängige Rechtssache anwendbar wäre, wenn es davon auszugehen hätte, dass der Äquivalenzgrundsatz Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und dem Erlass Nr. 365/741/2014, d. h. Art. 1 bis 3 der OG Nr. 22/2002 und Art. 101 des Erlasses Nr. 2336/2011, entgegensteht, ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass diese Regelung auf Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Unionsrecht stützen, in anderer Weise angewandt würde als auf entsprechende, auf nationales Recht gestützte Rechtsstreitigkeiten, so dass diese Regelung offenbar eine allgemein auf Verwaltungsstreitsachen anwendbare Regelung darstellt, was in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin des Ausgangsverfahrens auch bestätigt wurde.

55

In Anbetracht einiger von der Klägerin des Ausgangsverfahrens in ihren schriftlichen Erklärungen vorgebrachter Argumente, die in dem Sinne verstanden werden könnten, dass die Modalitäten der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über aus der Unionsrechtsordnung hergeleitete Ansprüche unabhängig von der Art der Streitsache identisch sein müssten, ist im Übrigen zu betonen, dass die Beachtung des Grundsatzes der Äquivalenz eine Gleichbehandlung von Rechtbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen nationales Recht gerügt wird, und entsprechenden Rechtsbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen Unionsrecht gerügt wird, verlangt und nicht die Äquivalenz nationaler Verfahrensvorschriften, die für Rechtsstreitigkeiten unterschiedlicher Art oder aus unterschiedlichen Rechtsgebieten gelten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2015, Orizzonte Salute, C‑61/14, EU:C:2015:655, Rn. 67, sowie vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Der Äquivalenzgrundsatz ist daher dahin auszulegen, dass er von einem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahrensmodalitäten entgegensteht, die für Klagen auf Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe weniger günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende Klagen, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht gerügt wird. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die erforderlichen Prüfungen durchzuführen, um im Hinblick auf die im bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbare Regelung die Beachtung dieses Grundsatzes zu gewährleisten.

Zum Grundsatz der Effektivität

57

Zu den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes ist als Erstes zu prüfen, ob eine Regelung zur Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer wie die in Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und im Erlass Nr. 365/741/2014 vorgesehene die Ausübung der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich macht, wobei die Stellung der betreffenden Vorschriften im gesamten Verfahren, der Ablauf dieses Verfahrens und die Besonderheiten dieser Vorschriften vor den nationalen Stellen zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 48, sowie vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 36 und 37).

58

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Bürger, dem durch eine gerichtliche Entscheidung ein Anspruch auf Erstattung der streitigen Steuer zugesprochen wurde, sich in Anwendung dieser Regelung an die zuständige Behörde wenden muss, um einen Antrag auf Erstattung des nach dieser Steuer entrichteten Betrags zu stellen, dem die für die Ausführung der dieser Behörde nach dem Vollstreckungstitel obliegenden Verpflichtungen erforderlichen Unterlagen beizufügen sind. Entgegen dem, wovon die Klägerin des Ausgangsverfahrens offenbar ausgeht, scheint eine solche Anforderung als solche und in Ermangelung von Anhaltspunkten insbesondere zum Vorliegen möglicher Hindernisse, wie beispielsweise exorbitanter Kosten eines solchen Verfahrens, die Erstattung dieser Steuern nicht übermäßig zu erschweren, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

59

Anders verhält es sich, wenn einem Bürger, der nach Abschluss eines Gerichtsverfahrens einen solchen Vollstreckungstitel erstritten hat und vor der zuständigen Behörde dessen Vollstreckung verlangt, in Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung eine Frist von fünf Jahren entgegengehalten wird, bevor er die vollständige Erstattung der geschuldeten Beträge erhält, was zur Folge hat, dass die rechtswidrige Situation aufrechterhalten wird, anstatt ihr schnellstmöglich abzuhelfen.

60

Im Übrigen hängt die Erstattung der geschuldeten Beträge nach Art. 3 des Erlasses Nr. 365/741/2014 und den Ausführungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung von der Verfügbarkeit der aus einer Steuer auf Kraftfahrzeuge, nämlich der Umweltsteuer, eingenommenen Mittel ab. Da eine Zwangsvollstreckung nach allgemeinem Recht in Anwendung dieser Regelung während dieser Fünfjahresfrist ausgeschlossen ist, verfügt der Bürger insoweit über keinerlei Mittel, die zuständige Behörde zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen, wenn diese ihnen nicht mehr freiwillig nachkommt.

61

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass eine solche Regelung zur Erstattung von unionsrechtswidrig erhobenen Beträgen, mit den dazugehörigen Zinsen, deren Höhe durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidung festgestellt wurde, den Bürger bei einer Gesamtbetrachtung in eine Situation der anhaltenden Ungewissheit über den Zeitpunkt bringt, zu dem er eine vollständige Erstattung der ohne Rechtsgrund entrichteten Steuer erhalten wird, ohne dass er über Mittel verfügte, die es ihm erlaubten, die Behörde zu zwingen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, wenn sie diese – sei es wegen unzureichender Mittel, sei es aus anderen Gründen – nicht freiwillig erfüllt.

62

Daher erschwert eine Regelung zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern wie die in Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und im Erlass Nr. 365/741/2014 vorgesehene die Ausübung der aus der Unionsrechtsordnung hergeleiteten Rechte übermäßig und genügt nicht der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die volle Wirksamkeit solcher Rechte sicherzustellen.

63

Die rumänische Regierung beschränkt sich darauf, die Einführung dieser Regelung im Wesentlichen mit dem Vorliegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der institutionellen Blockade bei der unverzüglichen Durchsetzung vollstreckbarer gerichtlicher Entscheidungen über unionsrechtswidrig erhobene Steuern zu rechtfertigen.

64

Hierzu genügt jedoch der Hinweis, dass die Mitgliedstaaten, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht Steuern erhoben haben, nach der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verpflichtet sind, diese zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen. Insoweit kann, wie auch der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht gestattet werden, dass sich ein Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Schuldner in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens auf unzureichende Mittel berufen kann, um die Unmöglichkeit der Durchführung einer gerichtlichen Entscheidung zu rechtfertigen, die einem Bürger ein aus der Unionsrechtsordnung hergeleitetes Recht zuspricht.

65

Ebenso wenig kann die den Mitgliedstaaten zuerkannte Verfahrensautonomie hinsichtlich des Erlasses der Modalitäten des Verfahrens zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern mit den dazugehörigen Zinsen so weit gehen, dass ihnen gestattet würde, die Ausübung solcher Rechte aus Gründen, die mit Schwierigkeiten der Umsetzung zusammenhängen, oder aus rein wirtschaftlichen Gründen praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.

66

Daraus folgt, dass der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern zuzüglich Zinsen, deren Höhe durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen festgestellt wurde, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die für die Erstattung dieser Steuern eine Ratenzahlung über fünf Jahre vorsieht und die Vollstreckung solcher Entscheidungen von der Verfügbarkeit der aus einer anderen Steuer eingenommenen Mittel abhängig macht, ohne dass der Bürger über eine Möglichkeit verfügt, die Behörden zu zwingen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, wenn sie ihnen nicht freiwillig nachkommen.

67

Was als Zweites die Art. 1 bis 3 der OG Nr. 22/2002 und Art. 101 des Erlasses Nr. 2336/2011 betrifft, d. h. die Regelung, die nach Angaben des vorlegenden Gerichts auf die bei ihm anhängige Rechtssache anwendbar wäre, falls Art. XV der OUG Nr. 8/2014 und der Erlass Nr. 365/741/2014 nicht anwendbar wären, führt dieses Gericht ohne nähere Erläuterung aus, dass die Anwendung dieser Regelung die tatsächliche Erstattung der von der öffentlichen Verwaltung geschuldeten Beträge verzögern oder behindern würde.

68

Es steht jedoch fest, dass eine der öffentlichen Verwaltung für die freiwillige Erfüllung ihrer sich aus einem vollstreckbaren Titel ergebenden Verpflichtungen zugestandene Frist von sechs Monaten wie die in den Art. 2 und 3 der OG Nr. 22/2002 vorgesehene für sich allein genommen die Ausübung der den Bürgern aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte nicht übermäßig erschwert. Im Übrigen steht es den Bürgern frei, nach Ablauf dieser Frist ein Zwangsvollstreckungsverfahren gegen die schuldnerische Behörde einzuleiten, wenn diese ihren Verpflichtungen nicht innerhalb der für die freiwillige Erfüllung vorgeschriebenen Frist nachkommt.

69

Wenn eine nationale Regelung wie die Art. 1 bis 3 der OG Nr. 22/2002 und Art. 101 des Erlasses Nr. 2336/2011 allerdings – wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens geltend gemacht hat – die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung über aus der Unionsrechtsordnung hergeleitete Ansprüche über die in den Art. 2 und 3 der OG Nr. 22/2002 vorgesehene Frist von sechs Monaten hinaus verlängert, und zwar schlicht deshalb, weil es in dem für die Erstattung solcher Beträge vorgesehenen Haushaltsposten an Mitteln fehlt, ohne dass der Bürger über eine Möglichkeit verfügt, die Behörden zu zwingen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, sei es durch einen Antrag auf Pfändungsmaßnahmen oder durch andere, von der nationalen Rechtsordnung vorgesehene Mittel, um sicherzustellen, dass die Behörden ihren Verpflichtungen nachkommen, so kann eine solche Regelung den Anforderungen des Grundsatzes der Effektivität nicht genügen, da sie die Erstattung übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen würde. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.

70

Ungeachtet der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Charta auf eine Rechtslage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, da die Erstattung einer unter Verstoß gegen Art. 110 AEUV erhobenen Steuer den Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits bildet und die Mitgliedstaaten nach der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verpflichtet sind, eine solche Steuer und die dazugehörigen Zinsen zu erstatten, sind die Fragen des vorlegenden Gerichts zu den Bestimmungen der Charta nicht zu prüfen, da die vorstehenden Gesichtspunkte diesem Gericht ermöglichen, den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden.

71

Nach alledem ergibt sich Folgendes:

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist dahin auszulegen, dass er dem Erlass von Bestimmungen durch einen Mitgliedstaat entgegensteht, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofs für unionsrechtswidrig erklärt wurde oder deren Unvereinbarkeit mit diesem Recht sich aus einem solchen Urteil ergibt, an Bedingungen knüpft, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine solche Erstattung anwendbar wären, wenn diese Bestimmungen nicht erlassen worden wären. Die Beachtung dieses Grundsatzes ist im vorliegenden Fall vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

Der Äquivalenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er von einem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahrensmodalitäten entgegensteht, die für Klagen auf Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe weniger günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende Klagen, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht gerügt wird. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die erforderlichen Prüfungen durchzuführen, um im Hinblick auf die im bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbare Regelung die Beachtung dieses Grundsatzes zu gewährleisten.

Der Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern zuzüglich Zinsen, deren Höhe durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen festgestellt wurde, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die für die Erstattung dieser Steuern eine Ratenzahlung über fünf Jahre vorsieht und die Vollstreckung solcher Entscheidungen von der Verfügbarkeit der aus einer anderen Steuer eingenommenen Mittel abhängig macht, ohne dass der Bürger über eine Möglichkeit verfügt, die Behörden zu zwingen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, wenn sie ihnen nicht freiwillig nachkommen. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob eine Regelung wie diejenige, die im Ausgangsverfahren bei Fehlen einer solchen Erstattungsregelung anwendbar wäre, den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.

Kosten

72

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist dahin auszulegen, dass er dem Erlass von Bestimmungen durch einen Mitgliedstaat entgegensteht, die die Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofs für unionsrechtswidrig erklärt wurde oder deren Unvereinbarkeit mit diesem Recht sich aus einem solchen Urteil ergibt, an Bedingungen knüpfen, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als diejenigen, die auf eine solche Erstattung anwendbar wären, wenn diese Bestimmungen nicht erlassen worden wären. Die Beachtung dieses Grundsatzes ist im vorliegenden Fall vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

 

Der Äquivalenzgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er von einem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahrensmodalitäten entgegensteht, die für Klagen auf Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe weniger günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende Klagen, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht gerügt wird. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die erforderlichen Prüfungen durchzuführen, um im Hinblick auf die im bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbare Regelung die Beachtung dieses Grundsatzes zu gewährleisten.

 

Der Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung zur Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern zuzüglich Zinsen, deren Höhe durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen festgestellt wurde, wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die für die Erstattung dieser Steuern eine Ratenzahlung über fünf Jahre vorsieht und die Vollstreckung solcher Entscheidungen von der Verfügbarkeit der aus einer anderen Steuer eingenommenen Mittel abhängig macht, ohne dass der Bürger über eine Möglichkeit verfügt, die Behörden zu zwingen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, wenn sie ihnen nicht freiwillig nachkommen. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob eine Regelung wie diejenige, die im Ausgangsverfahren bei Fehlen einer solchen Erstattungsregelung anwendbar wäre, den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Europäischer Gerichtshof Urteil, 30. Juni 2016 - C-200/14

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