Europäischer Gerichtshof Urteil, 17. Jan. 2019 - C-168/17

ECLI:ECLI:EU:C:2019:36
bei uns veröffentlicht am17.01.2019

Gericht

Europäischer Gerichtshof

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

17. Januar 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen – Vertragskette mit dem Ziel, einer Organisation eine Bankgarantie zu gewähren, die in einer Liste betreffend das Einfrieren von Geldern aufgeführt ist – Zahlung von Gebühren gemäß Gegengarantieverträgen – Verordnung (EU) Nr. 204/2011 – Art. 5 – Begriff ‚Gelder, die einer in Anhang III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführten Organisation zur Verfügung gestellt werden‘ – Art. 12 Abs. 1 Buchst. c – Begriff ‚Garantieanspruch‘ – Begriff ‚Person oder Organisation, die im Namen einer der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b genannten Person handelt‘“

In der Rechtssache C‑168/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 23. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2017, in dem Verfahren

SH

gegen

TG,

Beteiligte:

UF

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von SH, vertreten durch J. Burai-Kovács und G. Stanka, ügyvédek, sowie Á. Mohay, jogi iroda vezetője,

–        von TG, vertreten durch B. Kutasi und Á. Szenczy, ügyvédek, sowie E. Rosenfeld, avocat,

–        von UF, vertreten durch Z. Völgyesiné Hontvári und A. Szerencsés, ügyvédek,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch G. Koós und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und D. Klebs als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Havas und E. Paasivirta als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von erstens Art. 5, Art. 9 und Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 des Rates vom 2. März 2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen (ABl. 2011, L 58, S. 1), zweitens Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung in der durch die Verordnung (EU) Nr. 45/2014 des Rates vom 20. Januar 2014 (ABl. 2014, L 16, S. 1) geänderten Fassung und drittens Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/44 des Rates vom 18. Januar 2016 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 (ABl. 2016, L 12, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines bei der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) anhängigen Rechtsstreits zwischen zwei ungarischen Banken, SH und TG, über die Zahlung von Garantiegebühren im Zusammenhang mit einer Bankgarantie, die eine libysche Bank, die Sahara Bank, einer libyschen Auftraggeberin, der Staatlichen Baubehörde Libyens (Libyan Housing and Infrastructure Board, im Folgenden: HIB), gewährt hatte, und von Gebühren für die von TG der Sahara Bank gewährten Gegengarantie.

 Rechtlicher Rahmen

 Internationales Recht

3        Angesichts der groben und systematischen Verletzung der Menschenrechte in Libyen verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 26. Februar 2011 auf der Grundlage von Art. 41 in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1970 (2011), mit der restriktive Maßnahmen gegen diesen Staat eingeführt werden.

4        In den Ziff. 17 und 21 dieser Resolution heißt es, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

„17.      beschließt ferner, dass alle Mitgliedstaaten alle sich in ihrem Hoheitsgebiet befindenden Gelder, anderen finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Eigentum oder unter der direkten oder indirekten Kontrolle der in Anlage II zu dieser Resolution genannten oder von dem Ausschuss nach Ziffer 24 benannten Personen oder Einrichtungen oder von Personen oder Einrichtungen, die in ihrem Namen oder auf ihre Anweisung handeln, oder von in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle befindlichen Einrichtungen stehen, unverzüglich einfrieren werden, und beschließt ferner, dass alle Mitgliedstaaten sicherstellen werden, dass ihre Staatsangehörigen oder Personen oder Einrichtungen innerhalb ihres Hoheitsgebiets für die in Anlage II dieser Resolution genannten oder von dem Ausschuss benannten Personen oder Einrichtungen oder zu ihren Gunsten keine Gelder, finanziellen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung stellen;

21.      beschließt ferner, dass die in Ziffer 17 enthaltenen Maßnahmen eine benannte Person oder Einrichtung nicht daran hindern, Zahlungen zu leisten, die aufgrund eines vor der Aufnahme der Person oder Einrichtung in die Liste geschlossenen Vertrags geschuldet werden, wenn nach Feststellung der betreffenden Staaten die Zahlung weder direkt noch indirekt von einer nach Ziffer 17 benannten Person oder Einrichtung entgegengenommen wird und nachdem die betreffenden Staaten dem Ausschuss die Absicht mitgeteilt haben, solche Zahlungen zu leisten oder entgegenzunehmen oder gegebenenfalls die Aufhebung der Einfrierung von Geldern, anderen finanziellen Vermögenswerten oder wirtschaftlichen Ressourcen zu diesem Zweck zu genehmigen, wobei diese Mitteilung zehn Arbeitstage vor einer solchen Genehmigung zu erfolgen hat“.

 Unionsrecht

 Beschluss 2011/137/GASP

5        Zur Durchführung der Resolution 1970 (2011) nahm der Rat der Europäischen Union den Beschluss 2011/137/GASP vom 28. Februar 2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen (ABl. 2011, L 58, S. 53) an.

6        Art. 6 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses bestimmt:

„(1)      Sämtliche Gelder, anderen finanziellen Vermögenswerte und wirtschaftlichen Ressourcen, die sich im Eigentum oder unter der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle der nachstehenden Personen und Organisationen befinden, werden eingefroren:

a)      Personen und Organisationen, die in der Anlage II der Resolution 1970 (2011) … aufgeführt sind, sowie weitere vom Sicherheitsrat oder vom Ausschuss im Einklang mit Nummer 22 der Resolution 1970 (2011) benannte Personen und Organisationen, oder in ihrem Namen oder auf ihre Anweisung handelnde Personen oder Organisationen oder in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle stehende Organisationen, gemäß der Auflistung in Anhang III;

b)      nicht in Anhang III erfasste Personen und Organisationen, die an der Anordnung, Kontrolle oder anderweitigen Steuerung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen gegen Personen in Libyen beteiligt sind oder sich mitschuldig machen, auch indem sie sich an der Planung, Befehligung, Anordnung oder Durchführung völkerrechtswidriger Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder zivile Einrichtungen, einschließlich Bombardierungen aus der Luft, beteiligen oder sich mitschuldig machen, oder in ihrem Namen oder auf ihre Anweisung handelnde Personen oder Organisationen, oder in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle stehende Organisationen gemäß der Auflistung in Anhang IV.

(2)      Den in Absatz 1 genannten natürlichen oder juristischen Personen oder Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

7        Art. 7 dieses Beschlusses sieht vor:

„Im Zusammenhang mit Verträgen oder Transaktionen, deren Erfüllung unmittelbar oder mittelbar, insgesamt oder teilweise beeinträchtigt wurde durch Maßnahmen, die aufgrund der UNSCR 1970 (2011) beschlossen wurden – einschließlich der Maßnahmen der Union oder der Mitgliedstaaten, die im Einklang mit den relevanten Beschlüssen des Sicherheitsrats, zu deren Umsetzung oder in Verbindung damit getroffen wurden, oder der unter diesen Beschluss fallenden Maßnahmen –, werden keine Forderungen, einschließlich solche nach Schadenersatz, und keine andere derartige Forderung wie etwa ein Aufrechnungsanspruch oder ein Garantieanspruch zugelassen, sofern sie von den in den Anhängen I, II, III oder IV aufgeführten benannten Personen oder Organisationen oder einer anderen Person oder Organisation in Libyen, einschließlich der Regierung Libyens, oder aber einer Person oder Organisation, die über eine solche Person oder Organisation oder zu deren Gunsten tätig wird, geltend gemacht werden.“

 Verordnung Nr. 204/2011

8        Auf der Grundlage des Beschlusses 2011/137 erließ der Rat die Verordnung Nr. 204/2011, die am 3. März 2011 in Kraft trat.

9        In den Erwägungsgründen 1 und 2 dieser Verordnung heißt es:

„(1)      Gemäß der Resolution 1970 (2011) … sind in dem Beschluss [2011/137] ein Waffenembargo, ein Verbot der Ausfuhr von Ausrüstung, die zur internen Repression verwendet werden kann, sowie Einreisebeschränkungen und das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von Personen und Organisationen, die an schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Personen in Libyen unter anderem durch Beteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen beteiligt waren, vorgesehen. Diese natürlichen und juristischen Personen und Organisationen sind in den Anhängen des Beschlusses aufgeführt.

(2)      Einige dieser Maßnahmen fallen in den Geltungsbereich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, und daher bedarf es zu ihrer Umsetzung Rechtsvorschriften auf Ebene der Union, insbesondere um ihre einheitliche Anwendung durch die Wirtschaftsbeteiligten in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.“

10      Art. 1 der Verordnung bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Gelder‘ finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art, die Folgendes einschließen, aber nicht darauf beschränkt sind:

v)      Kredite, Rechte auf Verrechnung, Bürgschaften, Vertragserfüllungsgarantien und andere finanzielle Ansprüche,

vi)      Akkreditive, Konnossemente, Übereignungsurkunden,

b)      ‚Einfrieren von Geldern‘ die Verhinderung jeglicher Form der Bewegung, des Transfers, der Veränderung und der Verwendung von Geldern sowie des Zugangs zu ihnen oder ihres Einsatzes, wodurch das Volumen, die Höhe, die Belegenheit, das Eigentum, der Besitz, die Eigenschaften oder die Zweckbestimmung der Gelder verändert oder sonstige Veränderungen bewirkt werden, die eine Nutzung der Gelder einschließlich der Vermögensverwaltung ermöglichen;

c)      ‚wirtschaftliche Ressourcen‘ Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können;

d)      ‚Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen‘ die Verhinderung ihrer Verwendung für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen, die auch den Verkauf, das Vermieten oder das Verpfänden dieser Ressourcen einschließt, aber nicht darauf beschränkt ist;

…“

11      Art. 5 der Verordnung lautet:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in den Anhängen II und III aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

(2)      Den in den Anhängen II und III aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.

(3)      Die wissentliche und vorsätzliche Beteiligung an Aktivitäten, mit denen unmittelbar oder mittelbar die Umgehung der in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen bezweckt oder bewirkt wird, ist untersagt.“

12      Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 204/2011 bestimmt:

„Artikel 5 Absatz 2 gilt nicht für die Gutschrift auf den eingefrorenen Konten von

b)      Zahlungen aufgrund von Verträgen, Vereinbarungen oder Verpflichtungen, die vor dem Datum, an dem die natürliche oder juristische Person, Organisation oder Einrichtung nach Artikel 5 vom Sanktionsausschuss, vom Sicherheitsrat oder vom Rat benannt wurde, geschlossen bzw. übernommen wurden,

sofern diese … Zahlungen nach Artikel 5 Absatz 1 eingefroren werden.“

13      Art. 12 der Verordnung lautet:

„Im Zusammenhang mit Verträgen oder Transaktionen, deren Erfüllung unmittelbar oder mittelbar, insgesamt oder teilweise beeinträchtigt wurde durch Maßnahmen, die aufgrund der Resolution 1970 (2011) … beschlossen wurden – einschließlich der Maßnahmen der Union oder der Mitgliedstaaten, die im Einklang mit den relevanten Beschlüssen des Sicherheitsrats, zu deren Umsetzung oder in Verbindung damit getroffen wurden, oder der unter diese Verordnung fallenden Maßnahmen –, werden keine Forderungen, einschließlich solche nach Schadenersatz, und keine andere derartige Forderung wie etwa ein Aufrechnungsanspruch oder ein Garantieanspruch zugelassen, sofern sie von der Regierung Libyens oder einer Person oder Organisation für die Regierung Libyens oder für deren Rechnung geltend gemacht werden.“

 Verordnung Nr. 45/2014

14      Mit Art. 1 der Verordnung Nr. 45/2014 wurde Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 wie folgt geändert:

„(1)      Ansprüche im Zusammenhang mit Verträgen und Transaktionen, deren Erfüllung bzw. Durchführung von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar, ganz oder teilweise betroffen ist, einschließlich Schadensersatzansprüche und sonstige derartige Ansprüche, wie etwa Entschädigungsansprüche oder Garantieansprüche, vor allem Ansprüche auf Verlängerung oder Zahlung einer insbesondere finanziellen Garantie oder Gegengarantie in jeglicher Form, werden nicht erfüllt, sofern sie von einer der folgenden Personen, Organisationen oder Einrichtungen geltend gemacht werden:

a)       den in den Anhängen II oder III aufgeführten benannten Personen, Organisationen und Einrichtungen,

b)      allen sonstigen libyschen Personen, Organisationen und Einrichtungen, einschließlich der libyschen Regierung,

c)      sonstigen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die über eine der in Buchstaben a oder b genannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen oder in deren Namen handeln.

…“

15      Die Änderung von Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 ist am 22. Januar 2014 in Kraft getreten.

 Verordnung 2016/44

16      Art. 17 Abs. 1 der am 20. Januar 2016 in Kraft getretenen Verordnung 2016/44 bestimmt:

„Forderungen im Zusammenhang mit Verträgen und Transaktionen, deren Erfüllung bzw. Durchführung von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar, ganz oder teilweise betroffen ist, einschließlich Schadensersatzansprüchen und sonstiger derartige Ansprüche, wie etwa Entschädigungsansprüche oder Garantieansprüche, vor allem Ansprüche auf Verlängerung oder Zahlung einer Obligation, einer Garantie oder eines Schadensersatzanspruchs, insbesondere einer finanziellen Garantie oder eines finanziellen Schadensersatzanspruchs in jeglicher Form, werden nicht erfüllt, sofern sie von einer der folgenden Personen, Organisationen oder Einrichtungen geltend gemacht werden:

a)      den in den Anhängen II oder III aufgeführten benannten Personen, Organisationen und Einrichtungen,

b)      allen sonstigen libyschen Personen, Organisationen und Einrichtungen, einschließlich der libyschen Regierung,

c)      sonstigen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die über eine der in Buchstaben a oder b genannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen oder in deren Namen handeln.“

 Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

17      Am 7. Juli 2009 schlossen die HIB und UF, ein ungarisches Bauunternehmen, einen Vertrag über die Entwicklung öffentlicher Infrastruktur in der Region Zawiya (Libyen) durch UF. Die HIB forderte, dass UF Bankgarantien, die von einer libyschen Bank zu stellen seien, hinterlegte, um zu gewährleisten, dass UF zum einen im Gegenzug zu der erhaltenen Vorauszahlung ihre Verpflichtungen erfüllt (Anzahlungsgarantie) und zum anderen die übernommenen Bauarbeiten erbringt (Erfüllungsgarantie).

18      Die Sahara Bank war zwar bereit, die von der HIB geforderten Garantien zu stellen, verlangte von UF aber eine Gegengarantie, die von einer ungarischen Bank zu stellen sei.

19      Am 16. Oktober 2009 schlossen UF und eine ungarische Bank, SH, einen Anzahlungsgegengarantievertrag und einen Erfüllungsgegengarantievertrag, mit denen SH sich verpflichtete, Gegengarantien zugunsten einer anderen ungarischen Bank, TG, zu gewähren, die sie damit beauftragt hatte, die Gegengarantie und das Dokumentenakkreditiv zugunsten der Sahara Bank, die diese verlangt hatte, zu gewähren. In der Folge erteilte SH am 20. November und 16. Dezember 2009 zugunsten TG eine Anzahlungsgegengarantie in Höhe von 69 499 610 libyschen Dinar (LYD) (etwa 49 251 000 Euro) mit dem Ablaufdatum 14. September 2013 und eine Erfüllungsgegengarantie in Höhe von 9 266 615 LYD (etwa 6 567 000 Euro) mit dem Ablaufdatum 15. Juli 2014.

20      Am 24. November und 17. Dezember 2009 erteilte TG zugunsten der Sahara Bank eine Anzahlungsgegengarantie mit dem Ablaufdatum 30. August 2013 und ein unwiderrufliches Dokumentenakkreditiv mit dem Ablaufdatum 30. Juni 2014, so dass die Sahara Bank die von der HIB geforderten Bankgarantien erteilte.

21      Als Gegenleistung für die von TG für die Erteilung dieser Garantien erbrachte Leistung verpflichtete sich SH, ihr vierteljährlich im Voraus eine Vergütung von 1,30 % pro Jahr zu zahlen und ihr die der Sahara Bank entstandenen Gebühren und Steuern sowie ihre Finanzierungskosten und eventuell anfallende Verzugszinsen zu erstatten.

22      Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 233/2011 des Rates vom 10. März 2011 zur Durchführung des Artikels 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 204/2011 (ABl. 2011, L 64, S. 13) wurde die HIB ab dem 11. März 2011 in die Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgenommen.

23      Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 272/2011 des Rates vom 21. März 2011 zur Durchführung des Artikels 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 204/2011 (ABl. 2011, L 76, S. 32) wurde die Sahara Bank ab dem 22. März 2011 in die Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgenommen. Am 2. September 2011 wurde sie gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 872/2011 des Rates vom 1. September 2011 zur Durchführung des Artikels 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 204/2011 (ABl. 2011, L 227, S. 3) wieder von dieser Liste gestrichen.

24      Vom 2. September 2011 bis zum 16. Juli 2013 zahlte TG die Gebühren gemäß des mit der Sahara Bank geschlossenen Gegengarantievertrags an diese Bank.

25      Am 29. November 2012 versuchte die Sahara Bank auf Anforderung der HIB die von TG erteilte Anzahlungsgegengarantie abzurufen. Diese weigerte sich jedoch, tätig zu werden und berief sich dabei auf die Rechtswidrigkeit der Anforderung. Diesbezüglich untersagte der Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn) mit rechtskräftigem Beschluss vom 22. April 2013 eine solche Zahlung, solange die HIB in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt sei.

26      Am 20. Dezember 2012 unterzeichneten SH und TG eine Absichtserklärung, in der sie feststellten, dass keine Anforderungen auf Zahlung der Anzahlungsgarantie erfüllt werden könnten, solange gegen die HIB restriktive Maßnahmen verhängt seien. SH teilte darin ihre Absicht mit, die Gebühren der Anzahlungsgegengarantie und der Erfüllungsgegengarantie, auf die TG und die für sie handelnde Sahara Bank Anspruch erheben könnten, nur unter der Voraussetzung zu zahlen, dass die HIB vor Ablauf dieser beiden Gegengarantien keinen solchen Maßnahmen mehr unterliege. SH verpflichtete sich, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gezahlten und die weiteren Gebühren auf ein Hinterlegungskonto zu zahlen, wobei die Freigabe der gezahlten Beträge nach den in einem zwischen den Parteien und einer Depotbank geschlossenen Hinterlegungsvertrag (im Folgenden: Hinterlegungsvertrag) vorgesehenen Bedingungen erfolgen sollte.

27      Ebenfalls am 20. Dezember 2012 schlossen SH, TG und diese Depotbank den Hinterlegungsvertrag, nach dem die mit den von SH an TG gestellten Gegengarantien zusammenhängenden Beträge sowie die entsprechenden Zinsen hinterlegt und geschützt wurden.

28      Die Parteien des Hinterlegungsvertrags sahen vor, dass die hinterlegten Beträge in dem Fall, dass die HIB nicht vor Ablauf der von SH gewährten Gegengarantien von der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 gestrichen würde, an SH gezahlt werden würden. Sollte die HIB dagegen vorher von der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 gestrichen werden, würden die hinterlegten Beträge an TG zurückerstattet.

29      Nach dem 20. Dezember 2012 zahlte SH die Gebühren, die sie TG für die von dieser gewährten Gegengarantien schuldete, auf dieses Hinterlegungskonto.

30      Die von SH gewährte Anzahlungsgegengarantie lief am 14. September 2013 ab, ohne dass die HIB von der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 gestrichen worden wäre.

31      Infolge der Änderung durch die am 22. Januar 2014 in Kraft getretene Verordnung Nr. 45/2014 verbietet Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 204/2011 die Erfüllung eines u. a. von sonstigen libyschen Personen, Organisationen oder Einrichtungen geltend gemachten Anspruchs im Zusammenhang mit einem Vertrag oder einer Transaktion, deren Erfüllung bzw. Durchführung von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen betroffen ist.

32      Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 74/2014 des Rates vom 28. Januar 2014 zur Durchführung des Artikels 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 204/2011 (ABl. 2014, L 26, S. 1) wurde die HIB mit Wirkung vom 29. Januar 2014 von der Liste des Anhangs III dieser Verordnung gestrichen.

33      Am 31. Januar 2014 forderte SH die Depotbank auf, den hinterlegten Betrag zu ihren Gunsten freizugeben, da die von ihr gewährte Anzahlungsgegengarantie abgelaufen sei, als die HIB noch in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt gewesen sei. TG verweigerte die nach dem Hinterlegungsvertrag für die Herausgabe des Hinterlegungsbetrags erforderliche Willenserklärung, da die Bedingungen für die Freigabe nicht erfüllt seien.

34      Daraufhin wandte sich SH an das erstinstanzliche Gericht, um die Freigabe des Depots zu erwirken. TG erhob ihrerseits Widerklage auf Zahlung eines Betrags von 2 072 321,18 Euro für die Gebühren, die SH ihr im Rahmen der Erfüllung ihrer Verträge schulde, und für die Gebühren für die Gegengarantie, die sie an die Sahara Bank gezahlt habe.

35      Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage von SH statt, verurteilte diese aber, an TG einen Betrag von 1 352 713,04 Euro zu zahlen. Es war nämlich der Ansicht, dass die gemäß den zwischen SH und TG geschlossenen Gegengarantieverträgen geschuldeten Gebühren nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 204/2011 fielen, da es sich um die Gegenleistung für eine Leistung einer ungarischen juristischen Person handele. Die von TG an die Sahara Bank gezahlten Garantiegebühren fielen hingegen in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 204/2011, so dass TG keine Erstattung von SH verlangen könne.

36      Das Berufungsgericht änderte das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts ab und wies die Widerklage in vollem Umfang ab, da die Parteien des Rechtsstreits mit dem Hinterlegungsvertrag die Bestimmungen der Gegengarantieverträge in Bezug auf das Recht, die damit verbundenen Gebühren zu erheben, und die Fälligkeit dieses Anspruchs geändert hätten. Daraus ergebe sich, dass TG keinen Anspruch auf Zahlung der verschiedenen Gebühren habe, da die HIB nicht vor Ablauf der Gegengarantien von der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 gestrichen worden sei. Darüber hinaus hätte TG auch ohne die Änderung der Verträge keinen Anspruch auf diese Zahlung, da die in der Unionsregelung festgelegten restriktiven Maßnahmen zwingend gewesen seien, so dass TG einer von diesen Maßnahmen betroffenen Organisation keine Garantie habe gewähren dürfen und deshalb auch keinen Anspruch auf Deckung der mit einer solchen Garantie verbundenen Gebühren haben könne. Die von TG an die Sahara Bank gezahlten Garantiegebühren hätten mittelbar der Erfüllung einer in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 204/2011 fallenden Verpflichtung gegenüber der HIB gedient.

37      TG legte gegen die Abweisung ihrer Widerklage Revision bei der Kúria (Oberstes Gericht) ein. Sie rügt, das Berufungsgericht habe die Art. 5 und 12 der Verordnung Nr. 204/2011 falsch ausgelegt, da sich der Anwendungsbereich von Art. 5 lediglich auf Organisationen erstrecke, die in der Sanktionsliste aufgeführt seien, was bei der Sahara Bank aber nicht mehr der Fall sei, und Art. 12 im maßgeblichen Zeitraum nur die libyschen Behörden betroffen habe. Die ihr zustehenden Garantiegebühren seien ebenso wie die der Sahara Bank gezahlten Gebühren Bankgebühren, die keine Garantie darstellten, und ihre Zahlung diene nicht den Interessen der HIB.

38      Sowohl SH als auch UF, Streithelferin zur Unterstützung von SH im Ausgangsrechtsstreit, beantragen beim vorlegenden Gericht, das Berufungsurteil zu bestätigen, da es ihrer Ansicht nach nur darauf ankommt, dass einer der Wirtschaftsteilnehmer in der Kette der von zwischen den Parteien unterzeichneten Verträgen, im vorliegenden Fall die HIB, in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt sei.

39      Das vorlegende Gericht unterscheidet zwischen der zur Sicherung der Erfüllung einer Verpflichtung gestellten Garantie und der als Gegenleistung für die Leistung der Garantieübernahme anfallenden Garantiegebühren. Seiner Ansicht nach wäre die Freigabe der Bankgarantie zugunsten der HIB, wäre sie erfolgt, eine durch die Verordnung Nr. 204/2011 untersagte Zahlung gewesen.

40      Die Widerklage von TG bestehe aus zwei Teilen, von denen der eine die Forderung auf Erstattung der Garantiegebühren, die sie an die Sahara Bank gezahlt habe, und der andere die Gebühren betreffe, die sie aufgrund der mit SH geschlossenen Gegengarantieverträge von dieser fordern könne.

41      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass zur Entscheidung über diese Klage bestimmt werden müsse, ob die Zahlung der Garantiegebühren als mittelbare Zahlung von Geldern, die in irgendeiner Form mit der Bankgarantie in Zusammenhang stehe, angesehen werden könne. Außerdem sei zu bestimmen, ob TG im Hinblick auf dieses Zahlungsverlangen als eine Person betrachtet werden könne, die im Namen einer Person, Organisation oder Einrichtung handele, die den restriktiven Maßnahmen gemäß der Verordnung Nr. 204/2011 unterliege. Es sei außerdem fraglich, ob Art. 9 dieser Verordnung Anwendung finden könne, der Ausnahmen vom Einfrieren der Gelder und der wirtschaftlichen Ressourcen vorsehe.

42      Sollte die Forderung von TG auf Zahlung der verschiedenen Garantiegebühren nicht ganz oder teilweise unter die Verordnung Nr. 204/2011 fallen, sei auf der Grundlage des nationalen Rechts zu entscheiden. Wäre die Zahlung dieser Gebühren als mittelbare Zahlung im Sinne dieser Verordnung anzusehen, ohne dass die Ausnahmeregelung des Art. 9 Anwendung finden könne, müsse die Widerklage abgewiesen werden.

43      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die unterschiedlichen in Rede stehenden Verträge eng miteinander verbunden seien, da sie mit dem einzigen Ziel, eine Bankgarantie zugunsten der HIB zu stellen, abgeschlossen worden seien, und dass sie nicht so behandelt werden könnten, als ob sie autonome, unabhängig voneinander bestehende Verpflichtungen begründeten.

44      Falle die Zahlung der Garantiegebühren in den Anwendungsbereich einer Verordnung zur Festlegung restriktiver Maßnahmen, sei zu bestimmen, welche Verordnung anwendbar sei, nämlich die Verordnung Nr. 204/2001, die zur Zeit des Ablaufs der Gegengarantien gegolten habe, oder die Verordnung 2016/44, die in Kraft getreten sei, als der Rechtsstreit bereits bei den ungarischen Gerichten anhängig und diese Gebühren noch nicht endgültig abgerechnet gewesen seien.

45      Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Fallen Verpflichtungen zur Zahlung von Garantiegebühren aus Gegengarantieverträgen, die als Teil einer Vertragskette abgeschlossen wurden, um der HIB eine Bankgarantie zu gewähren, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 204/2011 bzw. der Verordnung 2016/44,

a)      wenn eine Bank mit Sitz in der Europäischen Union aufgrund eines Gegengarantievertrags verpflichtet ist, einer libyschen Bank, die in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt ist, Gebühren zu zahlen;

b)      wenn eine Bank mit Sitz in der Union aufgrund eines Gegengarantievertrags verpflichtet ist, einer libyschen Bank, die nicht in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt ist, Gebühren zu zahlen, die Bankgarantie jedoch zugunsten der HIB abgegeben wurde, die in dieser Liste aufgeführt ist;

c)      wenn die Verordnung Nr. 204/2011 nach ihrer Änderung durch die Verordnung Nr. 45/2014 unmittelbare oder mittelbare Zahlungen an alle libyschen Organisationen untersagt;

d)      wenn die Verpflichtung zur Zahlung der Garantiegebühren aufgrund eines Gegengarantievertrags besteht, der zwischen zwei Banken mit Sitz in der Union als Teil einer Vertragskette abgeschlossen wurde, um der HIB eine Bankgarantie zu gewähren;

e)      wenn die Abrechnung der Garantiegebühren nach dem Ende des Garantiezeitraums in einem gerichtlichen Verfahren nach dem Inkrafttreten der Verordnung 2016/44 erfolgt?

2.      Falls die in Frage 1 Buchst. a und b dargestellte Verpflichtung zur Zahlung der Garantiegebühren in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 204/2011 fällt: Können die Garantiegebühren, die einer libyschen Bank – die ebenfalls eine Zeitlang auf der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt war – für die Gewährung einer Anzahlungs- und einer Erfüllungsgarantie zugunsten der HIB gezahlt worden sind, als Gelder angesehen werden, die im Anhang III aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen mittelbar oder unmittelbar zugutekommen?

3.      Ist Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 204/2011 in der Zeit nach ihrer Änderung durch die Verordnung Nr. 45/2014 (Frage 1c) dahin auszulegen, dass die von einer libyschen Bank geltend gemachten und aufgrund eines Gegengarantievertrags von einer Bank mit Sitz in der Union gezahlten Gebühren und Kosten als unmittelbare oder mittelbare Garantieansprüche angesehen werden können?

4.      Ist eine Bank mit Sitz in der Union, die aufgrund eines als Teil einer Vertragskette zum Zweck der Abgabe einer Bankgarantie zugunsten der HIB abgeschlossenen Gegengarantievertrags zur Zahlung von Garantiegebühren an eine libysche Organisation verpflichtet ist (Frage 1d), als Person oder Organisation im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 204/2011 in ihrer durch die Verordnung Nr. 45/2014 geänderten Fassung anzusehen (d. h. als Person oder Organisation, die über eine der in Art. 12 Buchst. a oder b genannten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen bzw. in deren Namen oder für diese handelt)? Können die von dieser Bank gegenüber einer anderen Bank mit Sitz in der Union geltend gemachten Garantiegebühren als unmittelbare oder mittelbare Garantieansprüche angesehen werden?

5.      Betrifft die Ausnahmevorschrift des Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011 alle Arten von Zahlungen?

6.      Ist die Verordnung 2016/44, wenn die Abrechnung der Garantiegebühren nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt (Frage 1e), die die Verordnung Nr. 204/2011 aufhebt, aber eine mit ihr im Wesentlichen identische Regelung enthält, für die Entscheidung des zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreits maßgebend und Art. 17 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin auszulegen, dass die von einer libyschen Bank geltend gemachten und aufgrund eines Gegengarantievertrags von einer Bank mit Sitz in der Union gezahlten Gebühren und Kosten als unmittelbare oder mittelbare Garantieansprüche angesehen werden können? Ist eine Bank mit Sitz in der Union, die aufgrund eines als Teil einer Vertragskette zum Zweck der Abgabe einer Bankgarantie zugunsten der HIB abgeschlossenen Gegengarantievertrags zur Zahlung von Garantiegebühren an eine libysche Organisation verpflichtet ist, als Person oder Organisation im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung anzusehen (d. h. als Person oder Organisation, die über eine der in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a oder b genannten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen bzw. in deren Namen oder für diese handelt)? Können die von dieser Bank gegenüber einer anderen Bank mit Sitz in der Union geltend gemachten Garantiegebühren als unmittelbare oder mittelbare Garantieansprüche angesehen werden?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

46      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Entscheidung im Ausgangsverfahren u. a. davon abhänge, ob die Verordnung Nr. 204/2011 auf Gebühren anzuwenden ist, die aufgrund von Gegengarantieverträgen zu einem Bankgarantievertrag geschuldet sind, gegen dessen Begünstigten restriktive Maßnahmen verhängt wurden.

47      Da sich die einzelnen Vorlagefragen in verschiedener Hinsicht überschneiden, sind sie zusammenzufassen und neu zu formulieren, um dem vorlegenden Gericht möglichst genaue Antworten zu geben.

48      Daher ist davon auszugehen, dass sich das vorlegende Gericht im Wesentlichen fragt, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Anwendung finden: erstens Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011, der verbietet, dass Personen, deren Namen in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt sind, unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, zweitens Art. 12 dieser Verordnung, der die Erfüllung aller Ansprüche im Zusammenhang mit Verträgen und Transaktionen, die von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen betroffen sind, verbietet, drittens Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011, der Ausnahmen von Art. 5 Abs. 2 vorsieht, und viertens Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 2016/44, der Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 ersetzt hat.

 Zu Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011

49      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011 dahin auszulegen ist, dass er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens anzuwenden ist, in dem aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren zu zahlen sind, und zwar erstens von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zweitens von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name nicht mehr in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in dieser Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, und drittens von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union.

50      Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011 dürfen den in den Anhängen II und III aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.

51      Das in dieser Vorschrift vorgesehene Verbot, einer in einer Liste der von restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen aufgeführten Person Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, ist, wie es die Verwendung der Worte „weder unmittelbar noch mittelbar“ belegt, besonders weit gefasst, und erfasst somit jede Handlung, die nach dem anwendbaren nationalen Recht erforderlich ist, damit diese Person tatsächlich die vollständige Verfügungsbefugnis über die betreffenden Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen erlangen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Oktober 2007, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, C‑117/06, EU:C:2007:596, Rn. 50 und 51, vom 29. Juni 2010, E und F, C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 66 und 74, sowie vom 21. Dezember 2011, Afrasiabi u. a., C‑72/11, EU:C:2011:874, Rn. 39 und 40).

52      Dieser weite und eindeutige Wortlaut gilt daher für jede Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource und somit auch für eine Handlung, die der Erfüllung eines synallagmatischen Vertrags dient und im Gegenzug für die Zahlung einer wirtschaftlichen Gegenleistung zugesagt worden ist (Urteil vom 11. Oktober 2007, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, C‑117/06, EU:C:2007:596, Rn. 56).

53      Darüber hinaus ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Begriff „Gelder und wirtschaftliche Ressourcen“ ebenfalls weit auszulegen ist und Vermögenswerte jeder Art umfasst, unabhängig davon, wie sie erworben wurden (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2010, E und F, C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 69).

54      Erstens befasst sich das vorlegende Gericht mit der Fallkonstellation, dass eine Bank in der Union einer libyschen Bank, deren Name in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt ist, Gebühren zahlen muss, die aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldet sind.

55      Im Ausgangsrechtsstreit geht es zwar um die Zahlung von Gebühren, die aufgrund eines zwischen zwei europäischen Banken geschlossenen Gegengarantievertrags geschuldet sind; die in der vorstehenden Randnummer angeführte Fallkonstellation könnte die Lösung dieses Rechtsstreits jedoch insoweit beeinflussen, als nicht ausgeschlossen ist, dass sich die von TG geforderte Zahlung der Gebühren für die Gegengarantie auch auf die Garantiegebühren bezieht, die die Sahara Bank in Bezug auf den Zeitraum getragen hat, in dem ihr Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt war.

56      Im vorliegenden Fall war die im Ausgangsverfahren in Rede stehende libysche Bank, die Sahara Bank, vom 22. März bis zum 2. September 2011 in dieser Liste aufgeführt, so dass insoweit nur die Verordnung Nr. 204/2011 einschlägig ist.

57      Allein dass – aus welchem Grund auch immer – Geldbeträge an eine solche Bank zu zahlen sind, eröffnet für diese Transaktion den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung, da eine solche Transaktion nach dieser Bestimmung darin besteht, einer Person, deren Name in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt ist, unmittelbar Gelder zur Verfügung zu stellen.

58      Im Übrigen erlaubt, wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Umstand, dass diese Zahlungen im Rahmen einer Transaktion, bei der zwischen Leistung und Gegenleistung ein wirtschaftliches Gleichgewicht besteht, erfolgen und Handlungen zur Erfüllung eines vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 204/2011 geschlossenen Vertrags darstellen, für sich genommen nicht, sie vom Anwendungsbereich dieser Verordnung und den in ihr vorgesehenen Verboten auszunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, C‑117/06, EU:C:2007:596, Rn. 49 und 62).

59      Zweitens stellt sich dem vorlegenden Gericht die Frage, ob die Verordnung Nr. 204/2011 auf Zahlungen von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren anwendbar ist, die eine Bank in der Union an eine lybische Bank getätigt hat, nachdem deren Name von der Liste des Anhangs III dieser Verordnung gestrichen worden war.

60      Diese Zahlungen können keine unmittelbare Zurverfügungstellung von Geldern im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung darstellen, da der Name des Empfängers dieser Gelder nicht in der Liste des Anhangs III und auch nicht in der Liste des Anhangs II dieser Verordnung aufgeführt ist, die ebenfalls von dem in dieser Bestimmung aufgestellten Verbot erfasst wird.

61      Sie könnten jedoch eine mittelbare Zurverfügungstellung von Geldern zugunsten einer Person darstellen, deren Name in der Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführt ist, wie es im vorliegenden Fall bei der HIB der Fall ist, die Begünstigte der Bankgarantien ist, die die Grundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegengarantieverträge bilden, und deren Name vom 11. März 2011 bis zum 29. Januar 2014 in dieser Liste aufgeführt war, d. h. insbesondere nach der Streichung des Namens der Sahara Bank von dieser Liste.

62      Gelder können jedoch nur dann als einer Person, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, mittelbar zur Verfügung gestellt betrachtet werden, wenn sie insbesondere in Anbetracht rechtlicher oder finanzieller Bindungen, die zwischen dem Empfänger der Gelder und einer solchen Person bestehen, an diese Person weitergeleitet werden können oder diese Person die Verfügungsgewalt über diese Gelder hat.

63      Im vorliegenden Fall stellen die der Sahara Bank von TG geschuldeten Gebühren die Gegenleistung der zugunsten der HIB abgegebenen Bankgarantien dar, und zwar in einem Kontext, in dem diese Gebühren von einer ungarischen Bank, nämlich SH, hätten getragen werden sollen. Ihrer Art nach sind diese Gebühren also nicht dazu bestimmt, an die HIB weitergeleitet zu werden. Außerdem lässt sich den dem Gerichtshof vorgelegten Akten nichts dahin entnehmen, dass zwischen der HIB und der Sahara Bank Bindungen wie die in der vorstehenden Randnummer beschriebenen bestehen. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.

64      Schließlich können Zahlungen von aufgrund eines Gegengarantievertrags einer lybischen Bank geschuldeten Gebühren durch eine Bank in der Union nur als im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011 einer Person, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zugutekommend betrachtet werden, wenn diese Zahlungen es auf der Grundlage des Bankgarantievertrags und der Gegengarantieverträge dem in einer dieser Listen aufgeführten Begünstigten der Bankgarantie unmittelbar oder mittelbar erlauben würden, deren Erfüllung durchzusetzen.

65      Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Recht des Begünstigten der Bankgarantie, deren Erfüllung zu verlangen, ganz oder teilweise von der Zahlung der aufgrund eines der Gegengarantieverträge geschuldeten Gebühren abhinge. Dann könnten die Gebührenzahlungen als einer Person, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zugutekommend betrachtet werden.

66      Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die Überprüfungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um auszuschließen, dass die Zahlungen von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren, die eine Bank in der Union, nämlich TG, an eine lybische Bank, im vorliegenden Fall die Sahara Bank, vornimmt, in Anbetracht der Antwort in den Rn. 64 und 65 des vorliegenden Urteils der HIB zugutekommen.

67      Drittens können die von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union vorgenommenen Zahlungen von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren, die zum Teil in der Erstattung der von Letzterer im Rahmen eines anderen Gegengarantievertrags an eine libysche Bank gezahlten Gebühren bestehen, grundsätzlich nicht als Gelder, die einer Person, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, unmittelbar zur Verfügung gestellt werden, in den Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011 fallen.

68      Was die mittelbare Zurverfügungstellung von Geldern an eine solche Person oder die Verwendung der Gelder durch sie anbelangt, gelten die in den Rn. 61 bis 66 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen.

69      Nach alledem ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 204/2011 dahin auszulegen, dass er

–        anwendbar ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zu zahlen sind, und

–        anwendbar ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zu zahlen sind, und

–        grundsätzlich nicht anwendbar ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name nicht mehr in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, oder von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in dieser Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, es sei denn, eine solche Zahlung führt aufgrund der zwischen der Bank, die die Zahlung erhält, und der Organisation, die in dieser Liste aufgeführt ist, bestehenden rechtlichen oder finanziellen Bindungen dazu, dass die fraglichen Gebühren dieser Organisation mittelbar zur Verfügung gestellt werden.

 Zu Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011

70      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 dahin auszulegen ist, dass er – sowohl in der ursprünglichen als auch in der aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung – Anwendung findet, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren zu zahlen sind, und zwar erstens von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zweitens von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die nicht in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer Organisation, die in der Liste aufgeführt ist, zugutekommt, und drittens von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union.

71      Im Wesentlichen verbietet Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 sowohl in seiner ursprünglichen als auch in seiner aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung die Erfüllung aller Ansprüche im Zusammenhang mit Verträgen und Transaktionen, die von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen betroffen sind.

72      Der in diesem Art. 12 vorgesehene Verbotsmechanismus basiert auf drei Elementen.

73      Erstens muss die Erfüllung eines Vertrags oder die Durchführung einer Transaktion von den mit der Verordnung Nr. 204/2011 eingeführten Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar, ganz oder teilweise betroffen sein. Ein Vertrag oder eine Transaktion muss Gegenstand restriktiver Maßnahmen nach dieser Verordnung gewesen sein, damit Art. 12 der Verordnung zur Anwendung kommen kann.

74      Zweitens verbietet Art. 12 der Verordnung die Erfüllung aller Ansprüche im Zusammenhang mit solchen Verträgen oder Transaktionen, z. B. Schadensersatzansprüche, Entschädigungsansprüche oder Garantieansprüche. Wegen seines allgemeinen Charakters und der beispielhaften Natur der durch das Wort „einschließlich“ eingeleiteten Aufzählung der dort genannten Ansprüche, umfasst dieser Art. 12 alle Arten von Ansprüchen, die mit einem Vertrag oder einer Transaktion verbunden sind.

75      Drittens müssen die Ansprüche, die nicht erfüllt werden dürfen, nach der ursprünglichen Fassung des Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 von der Regierung Libyens oder einer Person oder Organisation für die Regierung Libyens oder für deren Rechnung und nach der aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung u. a. von einer nicht in den Anhängen II oder III der Verordnung Nr. 204/2011 aufgeführten libyschen Person, Organisation oder Einrichtung geltend gemacht werden.

76      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Zahlung von aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldeten Gebühren von einem ersten Gegengarantiegeber an den Garantiegeber oder von einem zweiten Gegengarantiegeber an den ersten Gegengarantiegeber grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich des Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 ausgeschlossen sein kann.

77      Zum einen kann nämlich die Erfüllung eines Gegengarantievertrags von den mit dieser Verordnung eingeführten Maßnahmen betroffen sein, wenn der Name des Begünstigten dieser Gegengarantie in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, wie es hier bei der Sahara Bank im Zeitraum vom 22. März bis zum 2. September 2011 der Fall war, oder wenn der Name des Begünstigten der Garantie, die wiederum durch eine Gegengarantie gesichert ist, in dieser Liste aufgeführt ist, wie es hier bei der HIB im Zeitraum vom 11. März 2011 bis zum 29. Januar 2014 der Fall war.

78      Zum anderen stellt ein Anspruch auf Zahlung von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren eine Forderung „im Zusammenhang mit Verträgen“ im Sinne der ursprünglichen Fassung von Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 oder einen Anspruch „im Zusammenhang mit Verträgen“ im Sinne der aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung dar.

79      Ein solcher Anspruch fällt jedoch nur dann unter das Verbot des Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011, wenn er von einer der in diesem Artikel genannten Personen geltend gemacht wird.

80      Soweit Gebühren aufgrund eines Vertrags betroffen sind, mit dem eine Bank in der Union einer libyschen Bank eine Gegengarantie gewährt, fällt eine Zahlungsforderung in den Anwendungsbereich von Art. 12 dieser Verordnung in seiner ursprünglichen Fassung, sofern die libysche Bank als eine für die Rechnung der Regierung Libyens handelnde Organisation betrachtet werden kann, was die einzige in diesem Artikel genannte Kategorie ist, zu denen eine solche Bank im vorliegenden Fall gehören kann.

81      Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die Überprüfungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um festzustellen, ob es möglich ist, die Sahara Bank als für die Rechnung der Regierung Libyens handelnd zu betrachten.

82      Was Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 204/2011 in der aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung anbelangt, fände er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Anwendung, da die libysche Bank, die von der Bank in der Union eine Gegengarantie erhält, eine nicht in Anhang II oder III dieser Verordnung aufgeführte libysche Person, Organisation oder Einrichtung ist, die von dieser Bestimmung erfasst ist.

83      Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt sich allerdings, dass die letzten Zahlungen von TG an die Sahara Bank auf den sie verbindenden Gegengarantievertrag am 16. Juli 2013 erfolgten, so dass die Frage, ob Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 auf diese Zahlungen Anwendung findet, anhand der ursprünglichen Fassung dieses Artikels zu beurteilen ist.

84      Soweit sich der Zahlungsanspruch auf Gebühren bezieht, die aufgrund eines Vertrags geschuldet werden, mit dem eine Bank in der Union einer anderen Bank in der Union eine Gegengarantie gewährt, kann in Anbetracht des Wortlauts von Art. 12 dieser Verordnung in seiner ursprünglichen Fassung jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die letztere Bank als für die Rechnung der Regierung Libyens handelnd zu betrachten ist. Sie erhält diese Gebühren nämlich aufgrund der Bestimmungen eines Vertrags, dessen Gegenstand lediglich die Gewährleistung einer Gegengarantie für eine einer libyschen Bank gewährten Bankgarantie ist.

85      Die Anwendung von Art. 12 dieser Verordnung in seiner aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung ist nur möglich, wenn die Bank in der Union, die von einer anderen Bank in der Union die Zahlung von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren verlangt, eine Person im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 204/2011 ist, der eine Person, Organisation oder Einrichtung betrifft, die im Namen einer der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b genannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen handelt. Diese Bank in der Union muss also entweder im Namen einer Person handeln, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, wie der Name der HIB im Ausgangsverfahren, oder im Namen einer libyschen Person, Organisation oder Einrichtung oder im Namen der libyschen Regierung.

86      In einer Vertragskette aus einer Bankgarantie und zwei Gegengarantien kann jedoch grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine Bank in der Union, wenn sie Gebühren erhält, die aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldet sind, den sie mit einer anderen Bank in der Union geschlossen hat, im Namen des Garantiegebers oder des Begünstigten der Bankgarantie handelt. Ein Gegengarantievertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist nämlich ein Vertrag zwischen einem Auftraggeber und einem Gegengarantiegeber, durch den dieser sich einseitig und unwiderruflich verpflichtet, einen bestimmten Betrag an einen Begünstigten auf dessen erste Anforderung zu zahlen, ohne dass das Rechtsverhältnis, das diesem Vertrag zugrunde liegt, geprüft wird. Die Zahlung von aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldeten Gebühren durch den Auftraggeber an den Gegengarantiegeber hat somit allein den Zweck, diesem für die Leistung, die er dem Auftraggeber mit der Stellung der Gegengarantie erbracht hat, eine Vergütung zu gewähren. Der Gegengarantiegeber kann daher nicht als im Namen des Garantiegebers oder des Begünstigten der durch die Gegengarantie gesicherten Bankgarantie handelnd betrachtet werden, wenn er diese Zahlung erhält.

87      Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 ist folglich dahin auszulegen, dass er

–        in seiner ursprünglichen Fassung anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, sowie von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die nicht in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in der Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, sofern die libysche Bank als für die Rechnung der Regierung Libyens handelnd zu betrachten ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist;

–        in seiner aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung nicht anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, sowie von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die nicht in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in dieser Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, sofern diese Gebühren vor Inkrafttreten dieser Verordnung gezahlt wurden, und

–        in seiner ursprünglichen Fassung wie in seiner aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung nicht anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union zu zahlen sind.

 Zu Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011

88      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011 dahin auszulegen ist, dass er auf Zahlungen von Gebühren anwendbar ist, wie sie aufgrund der verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen geschuldet sind.

89      Nach diesem Art. 9 gilt Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung nicht für die Gutschrift auf den eingefrorenen Konten von Zahlungen aufgrund von Verträgen, Vereinbarungen oder Verpflichtungen, die vor dem Datum, an dem die natürliche oder juristische Person, Organisation oder Einrichtung nach diesem Art. 5 vom Sanktionsausschuss, vom Sicherheitsrat oder vom Rat benannt wurde, geschlossen bzw. übernommen wurden, sofern diese Zahlungen nach Art. 5 Abs. 1 eingefroren werden.

90      Somit sind von den Bestimmungen des Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011 nur Zahlungen an Personen erfasst, deren Name in der Liste des Anhangs II oder III dieser Verordnung aufgeführt ist.

91      Im vorliegenden Fall hat die Begünstigte der Bankgarantie, die HIB, seit der Aufnahme ihres Namens in die Liste des Anhangs III der Verordnung Nr. 204/2011 keine Zahlung auf den sie begünstigenden Bankgarantievertrag erhalten. Darüber hinaus hat die Garantiegeberin, die Sahara Bank, ihre Gebühren für die Bereitstellung dieser Garantie von der die Gegengarantie gewährenden Bank, TG, nur innerhalb des Zeitraums erhalten, in dem ihr Name nicht in der Liste dieses Anhangs aufgeführt war.

92      Unter diesen Umständen kann Art. 9 dieser Verordnung somit keine Anwendung finden.

93      Folglich ist Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011 dahin auszulegen, dass er auf Zahlungen von Gebühren, wie sie aufgrund der verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen geschuldet sind, nicht anwendbar ist.

 Zu Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 2016/44

94      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 2016/44 dahin auszulegen ist, dass er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in der die endgültige Abrechnung der von einer Bank in der Union einer anderen Bank in der Union geschuldeten Gegengarantiegebühren nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt.

95      Die Verordnung 2016/44 trat gemäß ihrem Art. 26 am Tag nach ihrer Veröffentlichung imAmtsblatt der Europäischen Union, d. h. am 20. Januar 2016, in Kraft.

96      Die Bestimmungen des Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung entsprechen im Wesentlichen denen des Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 204/2011 in ihrer aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung.

97      Im vorliegenden Fall erfolgten die Zahlungen von TG an die Sahara Bank sämtlich während der Geltung der Verordnung Nr. 204/2011 und können nicht unter die Bestimmungen der Verordnung 2016/44 fallen.

98      Die Zahlungen, die Gebühren betreffen, die aufgrund des zwischen SH und TG geschlossenen Gegengarantievertrags geschuldet sind, werden hingegen von der Verordnung 2016/44 erfasst, da die endgültige Abrechnung und die nachfolgende Zahlung dieser Gebühren bei Inkrafttreten dieser Verordnung noch nicht erfolgt waren.

99      Folglich ist Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 2016/44 dahin auszulegen, dass er auf von einer Bank in der Union einer anderen Bank in der Union geschuldete Gegengarantiegebühren in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in der die endgültige Abrechnung nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt.

 Kosten

100    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 des Rates vom 2. März 2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen ist dahin auszulegen, dass er

–        anwendbar ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldete Gebühren von einer Bank in der Europäischen Union an eine libysche Bank, deren Name in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, zu zahlen sind, und

–        grundsätzlich nicht anwendbar ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der aufgrund eines Gegengarantievertrags geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, deren Name nicht mehr in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, oder von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in dieser Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, es sei denn, eine solche Zahlung führt aufgrund der zwischen der Bank, die die Zahlung erhält, und der Organisation, die in dieser Liste aufgeführt ist, bestehenden rechtlichen oder finanziellen Bindungen dazu, dass die fraglichen Gebühren dieser Organisation mittelbar zur Verfügung gestellt werden.

2.      Art. 12 der Verordnung Nr. 204/2011 ist dahin auszulegen, dass er

–        in seiner ursprünglichen Fassung anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Europäischen Union an eine libysche Bank, die in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, sowie von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die nicht in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in der Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, sofern die libysche Bank als für die Rechnung der Regierung Libyens handelnd zu betrachten ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist;

–        in seiner aus der Verordnung (EU) Nr. 45/2014 des Rates vom 20. Januar 2014 hervorgegangenen Fassung nicht anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die in der Liste des Anhangs III dieser Verordnung aufgeführt ist, sowie von einer Bank in der Union an eine libysche Bank, die nicht in dieser Liste aufgeführt ist, wenn die von der libyschen Bank gewährte Bankgarantie einer in dieser Liste aufgeführten Organisation zugutekommt, zu zahlen sind, sofern diese Gebühren vor Inkrafttreten dieser Verordnung gezahlt wurden, und

–        in seiner ursprünglichen Fassung wie in seiner aus der Verordnung Nr. 45/2014 hervorgegangenen Fassung nicht anwendbar ist, wenn aufgrund von Gegengarantieverträgen geschuldete Gebühren von einer Bank in der Union an eine andere Bank in der Union zu zahlen sind.

3.      Art. 9 der Verordnung Nr. 204/2011 ist dahin auszulegen, dass er auf Zahlungen von Gebühren, wie sie aufgrund der verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen geschuldet sind, nicht anwendbar ist.

4.      Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/44 des Rates vom 18. Januar 2016 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 ist dahin auszulegen, dass er auf von einer Bank in der Europäischen Union einer anderen Bank in der Union geschuldete Gegengarantiegebühren in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in der die endgültige Abrechnung nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Ungarisch.

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