Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 20. Sept. 2013 - 6 P 3/13

published on 20/09/2013 00:00
Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 20. Sept. 2013 - 6 P 3/13
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Zuständigkeit zur Einigung über den Vorsitzenden der Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG.

2

Der antragstellende Personalrat des Städtischen Eigenbetriebs Behindertenhilfe verweigerte die Zustimmung zur Einstellung einer Logopädin durch den Beteiligten, den Betriebsleiter des Eigenbetriebs. Der Beteiligte rief die beim Oberbürgermeister der Stadt in Absprache mit dem dort gebildeten Gesamtpersonalrat ständig eingerichtete Einigungsstelle an. Diese empfahl die Einstellung der Logopädin.

3

Der Antragsteller vertritt den Standpunkt, eine Sitzung der Einigungsstelle habe ohne vorherige Einigung zwischen ihm und dem Beteiligten auf die Person des Vorsitzenden nicht stattfinden dürfen; die zwischen dem Oberbürgermeister und dem Gesamtpersonalrat erfolgte Einigung auf einen Vorsitzenden sei für ihn und den Beteiligten nicht bindend. Seine dahingehenden Feststellungsanträge hat das Verwaltungsgericht abgelehnt: Sei bei einer Stadt durch den Oberbürgermeister und den Gesamtpersonalrat eine ständige Einigungsstelle im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 2 SächsPersVG eingerichtet, so sei diese entscheidungs- bzw. empfehlungszuständig, wenn in einem Mitbestimmungsverfahren zwischen dem Eigenbetriebsleiter und dem Personalrat des Eigenbetriebs keine Einigung erzielt worden sei. Die Zuständigkeit zur Einigung auf den Vorsitzenden der Einigungsstelle liege beim Oberbürgermeister und beim Gesamtpersonalrat.

4

Der Antragsteller verfolgt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrechtsbeschwerde sein Begehren weiter.

5

Der Beteiligte verteidigt den angefochtenen Beschluss und macht sich dessen Begründung zu eigen. Die Belange des Antragstellers würden dadurch hinreichend gewahrt werden, dass dieser die Beisitzer der Einigungsstelle bestimmen dürfe. Für die Zuständigkeit der zwischen dem Oberbürgermeister und dem Gesamtpersonalrat gebildeten Einigungsstelle sprächen auch Gründe der Praktikabilität.

II.

6

Die zulässige Sprungrechtsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts beruht auf der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 88 Abs. 2 SächsPersVG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Kommt im Mitbestimmungsverfahren zwischen dem Eigenbetriebsleiter und dem Personalrat des Eigenbetriebs keine Einigung zustande und ruft einer von ihnen daraufhin die Einigungsstelle (§ 85 SächsPersVG) an, obliegt nicht nur die in § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG geregelte Bestellung der Beisitzer der Einigungsstelle dem Eigenbetriebsleiter und dem Personalrat des Eigenbetriebs, sondern sind diese auch zuständig für die Einigung auf die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle. Dies gilt auch dann, wenn beim Oberbürgermeister der Stadt in Absprache mit dem Gesamtpersonalrat eine Einigungsstelle als ständige Einrichtung (§ 85 Abs. 1 Satz 2 SächsPersVG) eingerichtet und für diese ein Vorsitzender benannt ist. Im Einzelnen:

7

1. Das Gesetz enthält eine ausdrückliche Regelung zur Entscheidungs- bzw. Empfehlungszuständigkeit der Einigungsstelle für den Fall, dass sich "zwischen der obersten Dienstbehörde und der bei ihr bestehenden zuständigen Personalvertretung" keine Einigung ergibt und daraufhin einer der Beteiligten die Erklärung abgibt, die Entscheidung der Einigungsstelle herbeizuführen (§ 79 Abs. 4 SächsPersVG). Diese Regelung ist auf die Konstellation gemünzt, dass zuvor gemäß § 79 Abs. 3 SächsPersVG ein Stufenverfahren bis zur Ebene der obersten Dienstbehörde durchgeführt wurde, dieses aber nicht zu einer Einigung geführt hat.

8

2. Die Möglichkeit zur Anrufung der Einigungsstelle in Konstellationen, in denen kein Raum für ein Stufenverfahren besteht - beispielsweise Mitbestimmungsverfahren zwischen einer obersten Dienstbehörde und dem bei ihr bestehenden Hauspersonalrat -, ist im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, wird von ihm aber als selbstverständlich vorausgesetzt. Diejenigen Beteiligten, die sich im Mitbestimmungsverfahren nicht einigen können, können hier unmittelbar die Einigungsstelle anrufen.

9

3. Bei Mitbestimmungsverfahren zwischen einem als selbständige Dienststelle im Sinne von § 6 SächsPersVG eingerichteten Eigenbetrieb und dem bei ihm gebildeten (örtlichen) Personalrat besteht kein Raum für die Durchführung eines Stufenverfahrens. Eine Stufenvorlage gemäß § 79 Abs. 3 SächsPersVG an den Oberbürgermeister als oberste Dienstbehörde (vgl. § 79 Abs. 6 SächsPersVG i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 1 SächsGemO) scheidet aus. Der ihm gegenüber stehende Gesamtpersonalrat ist keine bei ihm bestehende Stufenvertretung im Sinne von § 79 Abs. 3 SächsPersVG, sondern dem (örtlichen) Personalrat des Eigenbetriebs personalvertretungsrechtlich gleichgeordnet (vgl. Altvater, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 7. Aufl. 2011, § 69 Rn. 36, 47; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 12. Aufl. 2012, § 69 Rn. 24; Vogelgesang, in: Vogelgesang/Bieler/Kleffner/Rehak, Landespersonalvertretungsgesetz für den Freistaat Sachsen, Band 2, Stand: Juni 2013, G § 79 Rn. 78; allgemein: Beschluss vom 15. August 1983 - BVerwG 6 P 18.81 - BVerwGE 67, 353 <357> = Buchholz 238.36 § 83 NdsPersVG Nr. 1 S. 4). Der Eigenbetriebsleiter sowie der (örtliche) Personalrat des Eigenbetriebs sind berechtigt, bei fehlender Einigung unmittelbar die Einigungsstelle anzurufen. Unbenommen bleibt die Möglichkeit des Oberbürgermeisters, den Eigenbetriebsleiter im Rahmen seiner fachaufsichtlichen Befugnisse (vgl. § 10 SächsEigBG) anzuweisen, die Anrufung der Einigungsstelle zu unterlassen.

10

4. Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG besteht die Einigungsstelle "aus je drei Beisitzern, die von der obersten Dienstbehörde und der bei ihr bestehenden zuständigen Personalvertretung bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen". Mit diesen Festlegungen hat das Gesetz die in § 79 Abs. 4 SächsPersVG ausdrücklich geregelte Konstellation vor Augen, dass die Anrufung der Einigungsstelle nach Durchführung eines Stufenverfahrens durch die oberste Dienstbehörde oder die bei ihr bestehende zuständige Personalvertretung - d.h. den zuständigen Hauptpersonalrat (vgl. § 54 Abs. 1 SächsPersVG) - erfolgt. Das Gesetz folgt insoweit der Vorstellung, dass diejenigen, die den Streit zuletzt in der Hand hatten, sowohl im Hinblick auf ihre thematische Vertrautheit mit dem Streitgegenstand wie unter legitimatorischen Gesichtspunkten am ehesten berufen sind, die personelle Zusammensetzung der Einigungsstelle zu bestimmen.

11

5. Übertragen auf die hier vorliegende Konstellation führt diese Vorstellung zu dem Ergebnis, dass die Beisitzerbestellung bzw. die Einigung auf den Vorsitzenden dem Eigenbetriebsleiter sowie dem Personalrat des Eigenbetriebs obliegen muss. Der Gesamtpersonalrat kann - da er keine Stufenvertretung darstellt und daher mit dem Streit zuvor nicht befasst werden konnte - schwerlich als "zuständige" Personalvertretung im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG aufgefasst werden. Er wäre zudem, da er nicht nur die Beschäftigten des Eigenbetriebs repräsentiert, in geringerem Maß als der Personalrat des Eigenbetriebs zur Beisitzer- bzw. Vorsitzendenbestimmung legitimiert. Zuständige Personalvertretung ist er in einer einstufigen Verwaltung mit verselbständigten Dienststellenteilen nur dann, wenn der Leiter der Gesamtdienststelle in dieser Eigenschaft eine beteiligungspflichtige Maßnahme trifft (vgl. dazu Beschlüsse vom 30. Juli 2010 - BVerwG 6 P 11.09 - Buchholz 250 § 52 BPersVG Nr. 1 Rn. 20 und vom 13. September 2010 - BVerwG 6 P 14.09 - Buchholz 251.92 § 71 SAPersVG Nr. 2 Rn. 17; zur Bildung mehrerer, nebeneinander stehender Einigungsstellen: Altvater, a.a.O. § 71 Rn. 3; Gerhold, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, BPersVG, § 71 Rn. 15 f.; Weber, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 71 Rn. 9 f.; Ilbertz/Widmaier/Sommer, a.a.O. § 71 Rn. 6; a.A. nur in begrifflicher Hinsicht: Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V, K § 71 Rn. 6a und 9).

12

6. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann die Zuständigkeit zur Beisitzerbestellung nicht von der Zuständigkeit zur Einigung über die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle unterschieden werden. Wenn § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG im letzten Satzteil die Einigung über den Vorsitzenden "beiden Seiten" zuweist, wird hiermit ersichtlich an die Zuständigkeitszuweisung angeknüpft, die im ersten Satzteil im Hinblick auf die Beisitzerbestellung vorgenommen wird. Hätte der Gesetzgeber insoweit eine Unterscheidung vornehmen wollen, hätte es für ihn im Lichte der üblichen gesetzesredaktionellen Gepflogenheiten nahegelegen, dies ausdrücklich anzuordnen.

13

7. Keine abweichenden Maßgaben gelten in dem Fall, dass von der in § 85 Abs. 1 Satz 2 SächsPersVG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist, die Einigungsstelle als ständige Einrichtung zu bilden. Die in § 85 Abs. 1 Satz 3 SächsPersVG festgelegten Bestellungs- bzw. Einigungszuständigkeiten beziehen sich sowohl auf diesen Fall wie auf den Fall der anlassbezogenen Bildung einer Einigungsstelle bei Nichteinigung in einem konkreten Mitbestimmungsverfahren. Das Gesetz enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass eine durch die oberste Dienstbehörde und eine bei ihr bestehende Personalvertretung als ständige Einrichtung gebildete Einigungsstelle auch für Entscheidungen bzw. Empfehlungen in Mitbestimmungsverfahren zuständig sein soll, mit denen die oberste Dienstbehörde sowie die bei ihr bestehende Personalvertretung nicht selbst befasst werden könnten. Die erwähnten Gesichtspunkte der Sachnähe und der repräsentativen Legitimation sprechen gegen diese Hypothese. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spricht für sie nicht der Umstand, dass § 85 Abs. 1 Satz 2 SächsPersVG die Einigungsstelle im Singular erwähnt. Der Singular wird auch in den Bestimmungen der § 85 Abs. 1 Satz 1, § 85 Abs. 1 Satz 3 sowie in § 79 Abs. 4 SächsPersVG verwandt, bei denen keinen Zweifeln unterliegt, dass "die Einigungsstelle" als Gattungsbegriff gemeint ist.

ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

3 Referenzen - Gesetze

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß der Beschluß des Landesarbeitsgerichts auf der Nichtanwendung oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht. Sie kann nicht auf die Gründe des § 92b gestützt werden. (2) § 65 fin

(1) Mitglieder des Personalrats sind von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Freistellung darf nicht zur Beeinträcht

Annotations

(1) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß der Beschluß des Landesarbeitsgerichts auf der Nichtanwendung oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht. Sie kann nicht auf die Gründe des § 92b gestützt werden.

(2) § 65 findet entsprechende Anwendung.

(1) Mitglieder des Personalrats sind von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Freistellung darf nicht zur Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen.

(2) Von ihrer dienstlichen Tätigkeit sind nach Absatz 1 freizustellen in Dienststellen mit in der Regel

1.
300 bis 600 Beschäftigten ein Mitglied,
2.
601 bis 1 000 Beschäftigten zwei Mitglieder,
3.
1 001 bis 2 000 Beschäftigten drei Mitglieder,
4.
2 001 bis 3 000 Beschäftigten vier Mitglieder,
5.
3 001 bis 4 000 Beschäftigten fünf Mitglieder,
6.
4 001 bis 5 000 Beschäftigten sechs Mitglieder,
7.
5 001 bis 6 000 Beschäftigten sieben Mitglieder,
8.
6 001 bis 7 000 Beschäftigten acht Mitglieder,
9.
7 001 bis 8 000 Beschäftigten neun Mitglieder,
10.
8 001 bis 9 000 Beschäftigten zehn Mitglieder,
11.
9 001 bis 10 000 Beschäftigten elf Mitglieder.
In Dienststellen mit mehr als 10 000 Beschäftigten ist für je angefangene weitere 2 000 Beschäftigte ein weiteres Mitglied freizustellen. Von den Sätzen 1 und 2 kann im Einvernehmen zwischen Personalrat und der Leiterin oder dem Leiter der Dienststelle abgewichen werden.

(3) Freistellungen können in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach Absatz 2 überschreiten. Freistellungen müssen mindestens 20 Prozent der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit betragen.

(4) Die von ihrer dienstlichen Tätigkeit vollständig freigestellten Personalratsmitglieder erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Höhe der Aufwandsentschädigung. Nur teilweise, aber mindestens für die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit freigestellte Personalratsmitglieder erhalten die Hälfte der Aufwandsentschädigung.