Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2011 - XI ZR 155/09

published on 03/05/2011 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2011 - XI ZR 155/09
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Amtsgericht Hamburg-St.Georg, 910 C 113/08, 12/08/2008
Landgericht Hamburg, 317 S 131/08, 17/04/2009

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 155/09
Verkündet am:
3. Mai 2011
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im
schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 14. März 2011 eingereicht
werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter Wiechers und die Richter
Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und Pamp

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 17, vom 17. April 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau R. W. (im Folgenden: Schuldnerin) von der Beklagten die Rückgängigmachung verschiedener im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 14. März 2007 erfolgter Belastungsbuchungen aus Einzugsermächtigungslastschriften und Auszahlung des sich danach ergebenden Guthabensaldos.
2
Die Schuldnerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, für das quartalsmäßige Rechnungsabschlüsse vereinbart waren. Sie nutzte das Konto im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 14. März 2007 aktiv zur Vornahme von Auszahlungen und Überweisungen. Ferner wurden in diesem Zeitraum 35 Lastschrifteinzüge dem Konto belastet, wobei es sich überwiegend ersichtlich um wiederkehrende Belastungen aus Strom-, Telefon-, Versicherungs- und Schulgebühren handelt. Zwischen dem 3. Januar 2007 und dem 20. März 2007 erhielt die Schuldnerin 20 Tageskontoauszüge, die neben Auszahlungen, Überweisungen und Kartenverfügungen auch die streitgegenständlichen Lastschriften auswiesen.
3
Mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 15. März 2007 wurde der Kläger zum Treuhänder über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Unter dem 18. April 2007 erklärte der Kläger, sämtliche nicht ausdrücklich von der Schuldnerin genehmigte Lastschriften, bei denen die Widerspruchsfrist bei Verfahrenseröffnung noch nicht abgelaufen sei, würden von ihm zunächst nicht genehmigt. In der Folge verlangte er die Auszahlung eines Betrages in Höhe von 2.184,51 €.
4
Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte lediglich zur Zahlung eines Betrages von 1.384,48 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt wird. In Höhe von 800,03 € hat es die Klage abgewiesen, da in dieser Höhe bei Verfahrenseröffnung ein Debetsaldo bestanden habe, so dass ein Auszahlungsanspruch insoweit nicht bestehe.
5
Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt: In der Nutzung des Kontos durch die Schuldnerin könne keine konkludente Genehmigung der Lastschriften gesehen werden. Auch eine Kontoführung des Schuldners, die daran ausgerichtet sei, keinen oder allenfalls einen geringfügigen Debetsaldo entstehen zu lassen, sei im Regelfall nicht als konkludente Genehmigung der mitgeteilten Lastschriften zu werten. Unerheblich sei auch, dass die Lastschriften dem Erwerb pfändungsfreien Vermögens gedient hätten.

II.

8
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mangels ausreichender Feststellungen zum Fehlen einer konkludenten Genehmigung der Lastschriftbuchungen durch die Schuldnerin bzw. zu deren Befriedigung aus dem Schonvermögen der Schuldnerin kann ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte derzeit nicht bejaht werden.
9
1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass auf der Grundlage der für die streitigen Lastschriften geltenden Genehmigungstheorie die im Einzugsermächtigungsverfahren erfolgten Lastschriftbuchungen vor der Genehmigung durch die Schuldnerin nicht insolvenzfest waren. Wenn- gleich ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt Belastungsbuchungen nicht aus eigenem Recht genehmigen kann, so ist er doch in der Lage, die Genehmigung des Schuldners und den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern, indem er solchen Belastungsbuchungen widerspricht , die noch nicht genehmigt sind (vgl. Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269 Rn. 11; vom 26. Oktober 2010 - XI ZR 562/07, WM 2010, 2307 Rn. 11; vom 23. November 2010 - XI ZR 370/08, WM 2011, 63 Rn. 13; vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, WM 2011, 454 Rn. 11; vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, WM 2011, 688 Rn. 11 und vom 1. März 2011 - XI ZR 320/09, WM 2011, 743 Rn. 11).
10
2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich aber eine konkludente Genehmigung durch die Schuldnerin nicht verneinen.
11
a) Eine konkludente Genehmigung kommt nach der neueren, nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere dann in Betracht, wenn es sich für die Zahlstelle erkennbar um regelmäßig wiederkehrende Lastschriften aus Dauerschuldverhältnissen, laufenden Geschäftsbeziehungen oder zum Einzug von wiederkehrenden Steuervorauszahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen handelt, die der Kontoinhaber in der Vergangenheit bereits einmal genehmigt hat. Erhebt der Schuldner in Kenntnis eines erneuten Lastschrifteinzugs, der sich im Rahmen des bereits Genehmigten bewegt, gegen diesen nach einer angemessenen Überlegungsfrist keine Einwendungen, so kann auf Seiten der Zahlstelle die berechtigte Erwartung entstehen, auch diese Belastungsbuchung solle Bestand haben. Eine solche Annahme ist vor allem deshalb gerechtfertigt, weil die Zahlstelle beim Einzugsermächtigungsverfahren in der derzeitigen rechtlichen Ausgestaltung zwar einerseits - für den Kontoinhaber erkennbar - auf seine rechtsgeschäftliche Genehmigungserklärung angewiesen ist, um die Buchung wirksam werden zu lassen, das Verfahren aber andererseits darauf ausgelegt ist, dass der Kontoinhaber keine ausdrückliche Erklärung abgibt. In einer solchen Situation sind an eine Genehmigung durch schlüssiges Verhalten keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Konto im unternehmerischen Geschäftsverkehr geführt wird. In diesem Fall kann die Zahlstelle damit rechnen, dass die Kontobewegungen zeitnah nachvollzogen und überprüft werden (vgl. Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269 Rn. 48; vom 26. Oktober 2010 - XI ZR 562/07, WM 2010, 2307 Rn. 21; vom 23. November 2010 - XI ZR 370/08, WM 2011, 63 Rn. 16; vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, WM 2011, 454 Rn. 20 und vom 1. März 2011 - XI ZR 320/09, WM 2011, 743 Rn. 13; auch BGH, Urteil vom 30. September 2010 - IX ZR 178/09, WM 2010, 2023 Rn. 13 f.).
12
Gleiches gilt im Grundsatz auch bei Lastschriftabbuchungen vom Konto eines Verbrauchers, denen wiederkehrende und im Wesentlichen gleichbleibende Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen zugrunde liegen. Wie bei einem Unternehmer ist bei einem Verbraucher für eine konkludente Genehmigung zunächst erforderlich, dass der Kontoinhaber den die Belastungsbuchung ausweisenden Kontoauszug bzw. eine entsprechende elektronische Kontomitteilung erhalten hat. Wie bei einem Unternehmer kommt es auch bei einem Verbraucher auf die Umstände des Einzelfalls an, um die Frage beantworten zu können, ab welchem Zeitraum nach Erhalt des Kontoauszugs bzw. der Kontomitteilung die kontoführende Bank von einer konkludenten Genehmigung der daraus ersichtlichen Lastschriftabbuchungen ausgehen kann. Anders als bei einem Unternehmer kann die kontoführende Bank aber bei einem Verbraucher nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Kontobewegungen zeitnah nachvollzogen und überprüft werden. Bei einem Verbraucher muss vielmehr anhand konkreter Anhaltspunkte für die Bank erkennbar sein, dass der Kontoinhaber die Überprüfung vorgenommen hat. Erst dann und nach Ablauf einer angemessenen Überlegungsfrist kann sie davon ausgehen, dass er keine Einwendungen gegen die aus dem Kontoauszug ersichtlichen Buchungen erhebt. In der Regel kann die Bank aber spätestens dann, wenn der Verbraucher bei monatlichen und im wesentlichen gleich hohen Lastschriftabbuchungen bereits Kontoauszüge über bzw. die Mitteilung von zwei Folgeabbuchungen erhalten hat, davon ausgehen, dass in Bezug auf die mindestens zwei Monate zurückliegende Abbuchung keine Einwendungen erhoben werden.
13
b) Nach diesen Grundsätzen kommt vorliegend eine konkludente Genehmigung der streitgegenständlichen Lastschriftbuchungen durch die Schuldnerin in Betracht, weil es sich bei den streitgegenständlichen Forderungen zumindest überwiegend ersichtlich um solche aus Dauerschuldverhältnissen handelt. Dem hat das Berufungsgericht zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen. Bei Vorliegen der oben (unter 2. a) genannten - vom Berufungsgericht nach Zurückverweisung noch festzustellenden - Umstände liegt eine konkludente Genehmigung der Kontoinhaberin nach dem durch normative Auslegung zu ermittelnden objektiven Erklärungswert ihres Verhaltens vor (Senatsurteil vom 1. März 2011 - XI ZR 320/09, WM 2011, 743 Rn. 14 mwN).

III.

14
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird nach gegebenenfalls ergänzendem Vortrag der Parteien die fehlenden Feststellungen zu einer konkludenten Genehmigung zu treffen haben. Dabei weist der Senat darauf hin, dass auch bei einem Verbraucher eine konkludente Genehmigung nach den Umständen des Einzelfalls gegeben sein kann, wenn in Kenntnis erfolgter Abbuchungen zeitnah durch konkrete Einzahlungen oder Überweisungen eine Kontodeckung für weitere Dispositionen sichergestellt wird (vgl. Senatsurteile vom 26. Oktober 2010 - XI ZR 562/07, WM 2010, 2307 Rn. 23; vom 23. November 2010 - XI ZR 370/08, WM 2011, 63 Rn. 20; vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, WM 2011, 454 Rn. 21 und vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, WM 2011, 688 Rn. 24 f.).
15
Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung zu dem Ergebnis kommen, dass alle oder einzelne Lastschriftbuchungen nicht von der Schuldnerin genehmigt worden sind, wird es zu klären haben, ob dem Lastschriftwiderspruch entgegensteht, dass die betroffenen Abbuchungen aus dem Schonvermögen der Schuldnerin befriedigt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 - IX ZR 37/09, BGHZ 186, 242 Rn. 13 ff.).
Wiechers Ellenberger Maihold Matthias Pamp Vorinstanzen:
AG Hamburg-St. Georg, Entscheidung vom 12.08.2008 - 910 C 113/08 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 17.04.2009 - 317 S 131/08 -
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(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich. (2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche V
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Annotations

(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.

(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.

(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.