Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - X ZR 98/08

bei uns veröffentlicht am25.01.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 10 Ni 18/07, 17.04.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 98/08 Verkündet am:
25. Januar 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und Hoffmann und die
Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. April 2008 verkündete Urteil des 10. Senats (Juristischen Beschwerdesenats und Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Das europäische Patent 901 564 wird unter Abweisung der Klage im Übrigen für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung seiner Patentansprüche hinausgeht: 1. An exhaust valve for an internal combustion engine, particularly a two-stroke crosshead engine, comprising a movable spindle with a valve disc of a nickel-based alloy which also constitutes an annular seat area at the upper surface of the valve disc, which seat area abuts a corresponding seat area on a stationary valve member in the closed position of the valve, the seat area of the valve disc having been subjected at its manufacture to a thermo-mechanical deformation process at which the material is at least partially cold-worked, c h a r a c t e r i z e d in that the valve disc is made of a nickel-based alloy which can achieve a yield strength of at least 1100 MPa, and that the seat area at the upper surface of the valve disc has been given dent mark preventing properties in the form of a yield strength (Rp0,2) of at least 1100 MPa at a temperature of approximately 20° C by means of the thermo-mechanical deformation process and possibly a yield strength increasing heat treatment. 2. An exhaust valve according to claim 1, c h a r a c t e r i z e d in that the seat area material has a yield strength of at least 1200 MPa. 3. An exhaust valve according to claim 2, c h a r a c t e r i z e d in that the seat material has a yield strength of at least 1300 MPa, preferably at least 1400 MPa. 4. An exhaust valve according to any one of claims 1 to 3, c h a r a c t e r i z e d in that the seat areas on the stationary member and the valve disc, respectively, have substantially the same yield strength at the operating temperatures of the seat areas. 5. An exhaust valve according to any one of claims 1 to 3, c h a r a c t e r i z e d in that the seat area on the stationary member has a substantially higher yield strength than the seat area on the valve disc at the operation temperatures of the seat areas. 6. An exhaust valve according to any one of the preceding claims, c h a r a c t e r i z e d in that the external diameter of the valve disc is in the interval from 130 mm to 500 mm. 7. Use of a nickel-based chromium-containing alloy with a yield strength of at least 1100 MPa at approximately 20° C as a dent mark limiting or preventive material in an annular seat area at the upper surface of a movable valve disc in an exhaust valve for an internal combustion engine, particularly a two-stroke crosshead engine, the seat area abutting a corresponding seat area on a stationary valve member when the valve is closed. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 15 % und die Klägerin 85 % zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des - unter Inanspruchnahme der Priorität einer dänischen Anmeldung vom 7. Juni 1996 - am 3. Juni 1997 angemeldeten europäischen Patents 901 564 (Streitpatents), das sieben Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1, dem die Ansprüche 2 bis 6 nachgeordnet sind, ist auf ein Auslassventil für einen Verbrennungsmotor gerichtet, Patentanspruch 7 auf die Verwendung einer chromhaltigen Nickelbasislegierung für ein solches Auslassventil. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache: "1. An exhaust valve for an internal combustion engine, particularly a two-stroke crosshead engine, comprising a movable spindle with a valve disc of a nickel-based alloy which also constitutes an annular seat area at the upper surface of the valve disc, which seat area abuts a corresponding seat area on a stationary valve member in the closed position of the valve, the seat area of the valve disc having been subjected at its manufacture to a thermo-mechanical deformation process at which the material is at least partially cold-worked, character- ized in that the valve disc is made of a nickel-based alloy which can achieve a yield strength of at least 1000 MPa, and that the seat area at the upper surface of the valve disc has been given dent mark preventing properties in the form of a yield strength (Rp0,2) of at least 1000 MPa at a temperature of approximately 20° C by means of the thermo-mechanical deformation process and possibly a yield strength increasing heat treatment."
2
Der Anspruch ist in der Streitpatentschrift wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt: "1. Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor, das eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel mit einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers enthält, wobei dieser Sitzbereich in der geschlossenen Position des Ventils an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt und wobei der Sitzbereich des Ventiltellers bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen wurde , bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel hergestellt ist, die eine Streckgrenze von mindestens 1000 MPa erreichen kann, und dass der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers mit Hilfe des thermomechanischen Umformungsver- fahrens und eventuell einer Wärmebehandlung zur Erhöhung der Streckgrenze mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1000 MPa bei einer Temperatur von etwa 20° C ausgestattet ist."
3
Wegen des Wortlauts der übrigen Ansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
4
Die Klägerin hat mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig; er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und beantragt, das Streitpatent für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
5
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise in einer Fassung verteidigt, die im Wesentlichen dem jetzigen Hauptantrag entspricht.
6
Die Klägerin hat auch diesen Anspruchssatz nicht für patentfähig erachtet. Das Patentgericht hat das Streitpatent mit dem angefochtenen Urteil für nichtig erklärt.
7
Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent nur noch in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung und mit weiteren Hilfsanträgen.
8
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. habil. E. B. , IWTStiftung , Institut für Werkstofftechnik, Hauptabteilung Fertigungstechnik, B. , ein schriftliches Sachverständigengutachten erstellt, das er in der mündli- chen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein von Prof. Dr.-Ing. C. B. erstelltes Privatgutachten vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


9
Das Streitpatent ist ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären, soweit es über die noch verteidigte Fassung seiner Patentansprüche hinausgeht. In den Grenzen der beschränkten Fassung des Streitpatents hat die Berufung dagegen Erfolg und führt zur Abweisung der Klage im Übrigen.
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I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Auslassventil für einen Verbrennungs-, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor, das, wie aus seiner nachstehend eingefügten Figur 1 ersichtlich, eine bewegliche Spindel (3) mit einem Ventilteller (4) und einem ringförmigen Sitzbereich (6) mit einer konischen Dichtfläche (7) an der Oberseite des Tellers umfasst, der in der geschlossenen Ventilposition an einem entsprechenden Sitzbereich (8) im Zylinderkopf mit einer ringförmigen, konischen Dichtfläche (9) anliegt.
11
Der Sitzbereich ist nach der Beschreibung des Streitpatents eine für die Zuverlässigkeit des Auslassventils neuralgische Stelle. Es müsse dicht schließen , um korrekt zu funktionieren. Die Dichtigkeit des Sitzbereichs könne bekanntermaßen durch Korrosion beeinträchtigt werden (sogenanntes Durchbrennen ). Feste Verbrennungsrückstände wie beispielsweise Kokspartikel bei der Verwendung von Schweröl als Treibstoff für Schiffsmotoren würden auf dem Weg vom Verbrennungsraum in das Abgassystem des Motors zwischen den Dichtflächen an den Ventilsitzen eingeklemmt und dabei pulverisiert. Bei geschlossenem Auslassventil und Höchstdruck in der Verbrennungskammer würden die Dichtflächen um solche eingeschlossenen Pulveransammlungen herum gleichwohl vollständig zusammengedrückt und die Pulveransammlungen dabei in die beiden Dichtflächen der Ventilsitze gepresst. Deren Materialien würden dadurch primär elastisch verformt; sei eine Pulveransammlung jedoch so groß, dass der Druck im Kontaktbereich die Streckgrenze des anliegenden Sitzmaterials erreiche, komme es zur - irreversiblen - plastischen Verformung und die Bildung von Vertiefungen beginne. Nach und nach könnten sich solche Vertiefungen zu radialen Kanälen durch den Sitzbereich erweitern, durch die das heiße Gas aus dem Verbrennungsraum strömen könne, um so eine rasch um sich greifende korrosive Wirkung auf das Sitzmaterial auszuüben. Unter ungünstigen Umständen könne es bei Schiffsmotoren zwischen zwei turnusmäßigen Wartungsintervallen zum Durchbrennen von Ventilen und zum Motorausfall auf offener See zwischen zwei Häfen kommen.
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2. Der Streitpatentschrift zufolge wurde das Ziel, Lebensdauer und Zuverlässigkeit von Auslassventilen für Verbrennungsmotoren zu erhöhen, in der Entwicklung bislang durch Verwendung hitzekorrosionsbeständigen Materials auf der unteren Tellerfläche der Ventilspindeln und harten Materials im Sitzbereich verfolgt. Um dem Durchbrennen der Ventile entgegenzuwirken, seien über die Jahre immer härtere Materialien für den Ventilsitz mit zusätzlicher höherer Hitzekorrosionsbeständigkeit entwickelt worden. So beschreibe etwa die europäische Patentanmeldung 280 467 ein Auslassventil aus der unter der Bezeichnung "NIMONIC 80A" vertriebenen Nickelbasislegierung, das aus einem Grundkörper hergestellt sei, der nach dem Homogenisierungsglühen in die gewünschte Form geschmiedet werde, wobei der Sitzbereich zum Härten kaltbearbeitet und danach eventuell ausscheidungsgehärtet sei.
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3. Die Anmelderin des Streitpatents ist, wie es in der Beschreibung heißt, demgegenüber durch Tests zu dem Ergebnis gelangt, dass die Härte des Sitzmaterials keinen großen Einfluss darauf hat, ob besagte Vertiefungen auftreten und will auf der Grundlage dieser Erkenntnis verbesserte Auslassventile anbieten. Patentanspruch 1 in der zuletzt verteidigten Fassung (im Folgenden nur: Patentanspruch 1) schlägt dazu ein Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor vor (in Klammern die vom Patentgericht verwendeten Gliederungspunkte), 1. das eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller umfasst (b), 1.1 der aus einer Legierung auf der Basis von Nickel besteht (b) und 1.2 an seiner Oberseite einen ringförmigen Sitzbereich bildet (b), 1.2.1 der in der geschlossenen Position des Ventils an einem entsprechenden Sitzbereich eines stationären Ventilelements anliegt (b), wobei 2. der Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel hergestellt ist (c), die eine Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa erreichen kann (e) und 3. der Sitzbereich an der Oberseite des Ventiltellers bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen wurde, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde (d), und 4. ihm vertiefungsverhindernde Eigenschaften in Gestalt einer Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20° C verliehen worden sind (f), und zwar mithilfe 4.1 des thermomechanischen Umformungsverfahrens (g) 4.2 und eventuell einer die Streckgrenze erhöhenden Wärmebehandlung (g).
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4. a) Die Lehre des Streitpatents will die Sitzmaterialien, um der Bildung von Vertiefungen entgegenzuwirken, nicht noch weiter härten, sondern die Sitzbereiche elastischer, mit einer hohen Streckgrenze herstellen, damit dickere Pulveransammlungen absorbiert werden können, bevor es zu einer plastischen Verformung kommt und das durch die elastische Verformung gebildete Vertiefungsprofil zugleich gleichmäßig und glatt wird. Dadurch soll sich das beim Ventilschluss zusammengedrückte Pulver auf einer größeren Fläche verteilen und gleichermaßen die Stärke der Pulveransammlung und die Belastungen des Materials im Kontaktbereich verringert werden. In der Streitpatentschrift wird von der Einschätzung ausgegangen, dass seinerzeit erhältliche Sitzmaterialien mit einer auf mindestens 1100 MPa erhöhten Streckgrenze hergestellt werden können , wie etwa die NIMONIC-Legierung 105, die nach dem Gießen und herkömmlichen Schmieden des Grundkörpers eine Streckgrenze von etwa 800 MPa aufweise und nach etwa 15% Kaltbearbeitung auf mehr als 1000 MPa gebracht worden sei, oder NIMONIC PK50, das bis zu einer Streckgrenze von etwa 1100 MPa kaltbearbeitet und ausscheidungsgehärtet werden könne (Beschreibung Tz. 22).
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b) Das streitpatentgemäße thermomechanische Umformungsverfahren zur Erhöhung der Streckgrenze umfasst eine Warm-Kalt-Bearbeitung des Materials mittels bekannter Verfahrensweisen, zum Beispiel mit Hilfe von Walzen oder Schmieden des Sitzbereichs oder Strecken bzw. Hämmern desselben. Nach der Verformung kann die Dichtfläche des Sitzes eingeschliffen werden (vgl. Beschreibung Tz. 44 f.).
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c) Soweit der als Sachanspruch formulierte Patentanspruch 1 für den Sitzbereich "vertiefungsverhindernde Eigenschaften" (dent mark preventing properties) vorsieht (Merkmal 4), handelt es sich um eine Zweck- bzw. Wirkungsangabe , die den geschützten Gegenstand im Streitfall nicht autonom bestimmt (vgl. zu Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben BGH, Beschluss vom 31. August 2010 - X ZB 9/09 Rn. 11 f. mwN - Bildunterstützung bei Katheternavigation , zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Die körperliche Beschaffenheit des Sitzes wird insoweit allein über die in Merkmal 4 definierte Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei 20° C bestimmt; der Hinweis auf die vertiefungsverhindernden Eigenschaften benennt lediglich die Wirkung, die das Streitpatent mit der Materialbeschaffenheit verbindet.
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d) In der Beschreibung werden Analysebeispiele geeigneter Materialien gegeben, wobei die Legierungen als chromhaltige Legierungen auf Nickelbasis oder nickelhaltige Legierungen auf Chrombasis bezeichnet werden (Tz. 35 ff.). Beansprucht sind indes lediglich Legierungen auf der Basis von Nickel.
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e) Der Verwendungsanspruch (Patentanspruch 7) differenziert für die chromhaltige Nickelbasislegierung mit einer Streckgrenze von mindestens 1100 MPa nicht danach, ob der Wert für das gesamte Ventil, für den Teller oder nur für den Sitzbereich vorzusehen ist; entscheidend ist, dass der ringförmige Sitzbereich diese Materialeigenschaften aufweist. Nach dem Anspruchswortlaut ist des Weiteren nicht ausdrücklich ein thermomechanisches Umformungsverfahren mit eventueller Wärmebehandlung vorgesehen; wie sich aus den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt, sind solche Streckgrenzenwerte aber ohnehin nicht durch das Material als solches zu gewährleisten, sondern es müssen, was dem Fachmann bewusst ist, entsprechende Bearbeitungen erfolgen. In welcher Weise vorzugehen ist, überlässt der Anspruch der Sachkunde des Fachmanns.
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II. Das Patentgericht hat angenommen, der Fachmann - ein an einer Technischen Hochschule oder Universität ausgebildeter MaschinenbauIngenieur der Fachrichtung "Allgemeiner Maschinenbau", der mit der Konstruktion von Ein- und Auslassventilen für Brennkraftmaschinen, unter anderem für große Schiffsdieselmotoren befasst ist und über vertiefte Kenntnisse auf den Gebieten der Werkstoffkunde und Umformtechnik verfügt - gelange, ausgehend von der in der Streitpatentschrift erwähnten Veröffentlichung von M. Hammer und anderen ("Die Herstellung von Ventilspindeln für Schiffsdieselmotoren aus einer Nickelbasislegierung", Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 9/1985, S. 333 ff., NK 5), allein unter Einsatz fachnotorischer Überlegungen zum Gegenstand von Patentanspruch 1. Das unter Schutz gestellte Auslassventil unterscheide sich von dem in der genannten Veröffentlichung offenbarten lediglich dadurch, dass an der oberen Fläche des Ventiltellers eine 0,2%-Streckgrenze von mindestens 1100 MPa eingestellt sei, durch die die Bildung von Vertiefungen in der Ventilsitzfläche verhindert werden solle. Um den mechanischen Verschleiß von Ventilen zu vermindern, würden in dem Beitrag für ein vollständig aus "NIMONIC 80A" herzustellendes Ventil höchste Sitzhärten, hohe Festigkeitswerte und feines Korn neben dem Verzicht auf eine Sitzpanzerung gefordert. Ob die ausgewiesenen Werte für Härte und Festigkeit (aaO, S. 338, Abbildung 14) hinreichten, um das Entstehen von Vertiefungen an der Oberfläche des Ventilsitzbereichs zu verhindern, sei in dem Beitrag zwar nicht ausdrücklich behandelt. Gelänge dies aber nicht und würde der angestrebte hohe Verschleißwiderstand verfehlt, würde der Fachmann eine weitere Verbesserung der mechanischen Eigenschaften des Ventils, insbesondere eine Erhöhung der 0,2%-Streckgrenze und der Härte im Sitzbereich anstreben, beispielsweise durch eine stärkere Kaltbearbeitung und/oder eine veränderte Wärmebehandlung im Anschluss an die thermomechanische Umformung. Die erhöhte 0,2%- Mindest-Streckgrenze werde dann erreicht, insbesondere wenn dies, wie die Beklagte geltend mache, ursächlich für die Verhinderung von Vertiefungen sei.
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Auch aus der japanischen Offenlegungsschrift Hei 8-61028 (NK 28), in der als Ventilmaterial aushärtbare Nickelbasislegierungen wie zum Beispiel NIMONIC 80A ausgewählt seien, erhalte der Fachmann Anregungen dafür, ein Entstehen von Vertiefungen an den Ventilsitzflächen zu vermeiden. Die Schrift gebe zwar keine Festigkeitswerte wie die 0,2%-Streckgrenze für das im Sitzbereich verformte Material an. Der Fachmann wisse jedoch, dass durch thermomechanische Umformung und gegebenenfalls Wärmebehandlung sowohl die Härte als auch die Festigkeit des bearbeiteten Materials zunähmen und dass deshalb Härte und 0,2%-Streckgrenze gleichermaßen Referenzwerte für den Verschleißwiderstand und damit für das Entstehen von Vertiefungen liefern könnten. Die nach der japanischen Schrift gefertigten Ventile wiesen gegenüber den bei Hammer und anderen offenbarten eine um 100 Härtepunkte höhere Härte im Ventilsitzbereich auf und entsprechend sei auch eine 0,2%- Streckgrenze zu unterstellen, die über derjenigen von ca. 900 bis 970 MPa im Sitzbereich des Ventils liege, die bei Hammer und anderen beschrieben ist. Da bei einem nach der japanischen Schrift gefertigten Ventil Vertiefungen vermieden würden, sei davon auszugehen, dass auch eine hinreichend hohe 0,2%- Streckgrenze vorliege, wobei es für das angestrebte Ergebnis nicht entscheidend sei, ob diese mindestens 950, 1000, 1100 oder mehr MPa betrage. Der Fachmann werde die thermomechanische Umformung und eventuelle Wärmebehandlung bei einem Ventil jedenfalls so ausgestalten, dass es für eine vorbestimmte Lebensdauer zu keinen nennenswerten Vertiefungen im Ventilsitzbereich komme.
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Diese Erwägungen gölten sinngemäß auch für Patentanspruch 7.
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III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Berufung haben Erfolg. Mit der vom Patentgericht gegebenen Begründung kann die ausgesprochene Nichtigerklärung des Streitpatents keinen Bestand haben. Sie beruht, wie aus seinen Erwägungen zur japanischen Offenlegungsschrift Hei 8-61028 besonders deutlich wird, auf der Annahme, dass die Festigkeit bzw. Elastizität eines Materials dergestalt an dessen Härte gekoppelt sei, dass mit einer höheren Härte stets eine entsprechend höhere Festigkeit und Heraufsetzung der Dehngrenze des Materials einhergehen würde. Dieser Zusammenhang trifft zwar auf Baustahl zu, es ist jedoch nicht nachzuweisen, dass er in der vom Patentgericht angenommenen Allgemeinheit gleichermaßen für die hier interessierenden, als Superlegierungen bezeichneten Verbindungen gilt. Das ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen , die mit dem übereinstimmen, was dazu im Privatgutachten von Prof. B. ausgeführt ist und die der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekräftigt hat. Soweit die Beklagte für ihren gegentei- ligen Standpunkt auf ihre in der Anlage NK 23 zusammengestellte Auswertung marktüblicher Legierungen verweist, hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass diese nicht repräsentativ und im Übrigen auch wenig aussagekräftig ist. Zwischen dem Anstieg der Härte von Legierungen und ihrer Dehnfestigkeit lässt sich zwar eine Korrelation herstellen, es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen einer Änderung der Härte und einer Änderung der Dehnfestigkeit, der es erlaubte, von einer bestimmten Härte auf eine bestimmte Streckgrenze zu schließen. Der Zusammenhang zwischen Härte- und Festigkeitswert lässt sich nur am konkreten Material und experimentell für den Einzelfall bestimmen: Härte und Dehnfähigkeit lassen sich in gewissen Bereichen (durch Wärmebehandlung) unabhängig voneinander einstellen. Dass Werkstoffzustände möglich sind, die für höhere Streckgrenzenwerte fallende Härtewerte liefern, liegt nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen am unterschiedlichen plastischen Verformungsverhalten von Werkstoffen. Trotz höherer Streckgrenze kann demzufolge eine geringere Härte gegeben sein, da eine größere plastische Verformung vorliegt. Nicht entscheidungserheblich ist, dass nicht aufgeklärt werden konnte, wie die aus Tabelle 9 der Anlage B 14 für die Legierung INCONEL 718 ermittelten Werte zustande gekommen sind, insbesondere ob die an zweiter Stelle angeführte Probe mittels einer Kaltumformung bearbeitet worden ist und danach die an dritter Stelle genannten Werte aufgewiesen hat. Eine Kausalität zwischen zunehmendem Härtegrad und steigender Dehngrenze ist gleichwohl nicht belegt; die erfinderische Tätigkeit kann mit der vom Patentgericht gegebenen Begründung aber erfolgreich nur infrage gestellt werden, wenn generell ein kausaler Zusammenhang zwischen Erhöhung der Materialhärte und zunehmender Streckgrenze besteht. Verbleiben insoweit, wie hier, zumindest Zweifel, wirkt sich dies nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen zugunsten des erteilten Patents und zulasten des Nichtigkeitsklägers aus. Auch der Einwand der Beklagten, das Streitpatent blockiere eine bekannte und praktizierte technische Entwicklung (Härtung des Sitzbereichs), beruht auf der nicht belegten Annahme eines beständigen Anstiegs der Streckgrenze bei Erhöhung der Materialhärte.
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IV. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig dar.
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1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu (Art. 54 EPÜ).
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a) In der Veröffentlichung der zentralen Forschungsabteilung von Daido Steel, "Schiffsmotorventile aus der DS-Legierung 80A" von 1983 (NK 10), werden Auslassventile für Zweitakt-Schiffsdieselmotoren aus einer modifizierten NIMONIC 80A-Legierung beschrieben, für die ein thermomechanisches Umformungsverfahren mit Warm-Kaltumformung bei einer erhöhten Ausscheidungshärtbarkeit entwickelt wurde, das die Merkmale 1 und 3 von Patentanspruch 1 erfüllt. In der Grafik in Figur 5 ist, wie in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert, das Ergebnis von Zugversuchen am Ventilschaft wiedergegeben , wonach für den vorgestellten Werkstoff Streckgrenzenwerte von über 1100 MPa gemessen wurden. Damit wird der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht neuheitsschädlich getroffen, weil kein Ventil vorgestellt wird, bei dem der Sitzbereich nach Maßgabe des Merkmals 4 von Patentanspruch 1 ausgeführt wäre. Dass Zugversuche am Schaft eine höhere Streckgrenze ergeben haben, ist insoweit nicht erheblich. Wie sich aus mehreren Veröffentlichungen ergibt, unterliegen die Schäfte von Ventilen anderen Beanspruchungen als deren Teller. Während der Sitzbereich durch den Fließdruck auch hohem mechanischen Verschleiß unterliegt, treten im Schaftbereich hohe dynamische Belastungen auf (vgl. Hammer u.a., aaO, S. 334 rechte Sp. oben); die japanische Veröffentlichung NK 10 erläutert, dass für den Schaft die Verwendung von martensitischen Stählen in Betracht komme, was für den Tellerbereich wegen der dort auftretenden größeren Hitzeentwicklung nicht opportun sei (Übersetzung NK 11 S. 2; vgl. zur unterschiedlichen Beschaffenheit von Schaft und Teller auch die europäische Patentanmeldung 280 467 mit deren Figur 2). Es ist deshalb nichts dafür ersichtlich, dass der Fachmann bei Kenntnisnahme der in Figur 5 der japanischen Veröffentlichung mitgeteilten Messwerte entsprechende Werte für den Sitzbereich "mitliest", zumal Figur 3 der Veröffentlichung die unterschiedliche Kornstruktur in den verschiedenen Bereichen des Ventils veranschaulicht.
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b) Die Veröffentlichung von Hammer und anderen (NK 5) beschreibt Auslassventile für große Schiffsdieselmotoren des Herstellers Sulzer aus einer Nickelbasislegierung mit einem Sitzbereich (vgl. aaO, Abbildung 7 und Textseite 336 linke Sp., 3. Abs.), die im Verlauf des Herstellungsprozesses auch einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen werden, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wird. Bei der gewählten Schmiedetechnologie werden Verformungsgrad und -geschwindigkeit sowie der Temperaturverlauf so gesteuert, dass es im Sitzbereich zu einem gewissen Anteil an Warm-Kaltverformung kommt (aaO, S. 337 linke Sp. unten). Neuheitsschädlich ist diese Vorveröffentlichung deshalb nicht, weil keine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa für den - an der Oberfläche des Ventils befindlichen - Sitzbereich beschrieben wird. Die Messpunkte T1 und T2 (aaO, Abbildung 13), für die Festigkeitseigenschaften von 903 (T1) bzw. 974 (T2) N/mm2 gemessen wurden, liegen zudem nicht an der Oberseite des Ventiltellers, sondern in dessen Inneren.
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c) Dem "Surface Vehicle Information Report" Stand 8/93 (NK 9) kann der mit dem Problem des Durchbrennens von Ventilen vertraute Fachmann entnehmen , dass sich mit Verfahren des thermomechanischen Umformens, des Kaltverformens und einer Wärmebehandlung, eine Widerstandsfähigkeit unter anderem gegen Einkerbungen im Sitzbereich aufgrund der möglichen Härte- steigerungen - es werden Härtewerte von 20 bis 40 HRC (Härteprüfung nach Rockwell) erzeugt - erzielen lässt. Konkrete Hinweise auf eine Ausgestaltung der Ventile nach Maßgabe der Merkmale 2 und 4 des Streitpatents enthält die Veröffentlichung nicht. Das gilt auch für die Offenbarung einer Nickellegierung (N 07001) in Tabelle 3 mit einer Streckgrenze von 1030 MPa. Dem Fachmann ist, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, zwar bewusst, dass dieser Wert nicht allein aufgrund des Werkstoffs erzielt werden kann, sondern dass es dazu einer entsprechenden Behandlung des Ventils bedarf. Allein mit der Angabe der Legierung wird dem Fachmann aber nicht zielgerichtet eine Behandlung nach Maßgabe der Lehre des Streitpatents offenbart, die ohnehin mit dem Wert von 1100 MPa über dem in der Veröffentlichung erwähnten liegt.
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d) Die japanische Offenlegungsschrift Hei 8-61028 (NK 28) betrifft Verfahren zur Herstellung von Ventilen für Verbrennungsmotoren, bei denen ausscheidungsgehärtete , nickelbasierte Legierungen verwendet werden. Ziel des angemeldeten Verfahrens ist es, die Härte im Bereich der Ventilsitzflächen im Wege einer Kaltumformung bei anschließender Ausscheidungs-Wärmebehandlung zu erhöhen. Dem Gesichtspunkt einer erhöhten Elastizität durch Erhöhung der Streckgrenze widmet die Schrift sich nicht. Ein das Merkmal 4 von Patentanspruch 1 aufweisendes Ventil wird nicht gezeigt.
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e) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist der Öffentlichkeit beim gegebenen Sach- und Streitstand auch nicht durch Benutzung zugänglich gemacht worden.
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aa) Soweit die Klägerin in Bezug auf ein im Jahre 2003 gefertigtes Ventil erstinstanzlich vorgetragen hat, die im Rahmen der Serie mit der betreffenden Zeichnungsnummer (29156) gefertigten Auslassventile stimmten hinsichtlich der für den Streitfall relevanten Eigenschaften mit den vor dem Prioritätstag an P. gelieferten überein, insbesondere sei bis heute stets das gleiche Ausgangsmaterial verwendet und der Sitzbereich stets mittels des gleichen thermomechanischen Umformungsverfahrens behandelt worden, hat der gerichtliche Sachverständige zu der - bestrittenen - technischen Übereinstimmung Bedenken geäußert (Gutachten S. 33 unten). Er hat darauf hingewiesen, der gleiche Werkstoff und die gleichen Fertigungsbedingungen könnten bei nach Jahren wiederholter Fertigung zu gleichen Bauteileigenschaften führen, aber auch sehr stark abweichen. Den Unterlagen sei beispielsweise nicht zu entnehmen, ob die gleichen Fertigungseinrichtungen, die gleichen Umformgrade, die gleiche Temperaturführung etc. verwendet worden seien, wobei, wie dem Fachmann geläufig, gerade Superlegierungen sehr empfindlich auf kleinste Veränderungen der Werkstoffzusammensetzung und der Prozessführung reagierten.
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Schon mit Blick auf die Stellungnahme des Gutachters hätte die Klägerin ihr diesbezügliches Vorbringen zu substanziieren gehabt. Das hat sie weder in ihrer Stellungnahme zum Gutachten getan, noch hat sie zu den Schlussfolgerungen Stellung bezogen, die die Beklagten aus der Aussage des Zeugen M. im Verletzungsprozess gezogen hat. Der Senat hatte danach keine Veranlassung, dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin nachzugehen.
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bb) In Bezug auf das Auslassventil Nittan "EX 80 AH 7-94", das in Pakistan zum Einsatz gekommen sein soll und zwei Ventile, die im Februar bzw. April 1996 gefertigt und auf den Philippinen benutzt worden sein sollen, hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung seine Einschätzung aus dem schriftlichen Gutachten bekräftigt, dass die hier interessierenden Werte vom Einsatz der Ventile im Motor beeinflusst worden sein können. Schon deshalb lassen sich aus den Messergebnissen des Instituts für Eisenhüttenkunde der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen keine für die Vorbenutzungsfrage tragfähigen Schlussfolgerungen ziehen. Überdies wäre zu den behaupteten Vorbenutzungen zu bemerken: Hinsichtlich des nach Pakistan gelieferten Ventils ist völlig offen, wann das Ventil von seinem Hersteller Nittan an den Motorenhersteller Niigata geliefert worden ist, von dem es dann an den pakistanischen Kraftwerkbetreiber gelangt sein muss, bei dem es vor seinem Ausbau im Kraftwerk Sitara-Energy im Einsatz gewesen sein soll. Unabhängig von der Frage, ob die Lieferung nach Pakistan Offenkundigkeit bedeutet hat, ist über das Verhältnis Nittan - Niigata gar nichts bekannt, so dass ohne Weiteres auch ein mit Vertraulichkeitsabsprachen oder -erwartungen verbundenes Hersteller -/Zuliefererverhältnis vorgelegen haben kann. Außerdem ist für die Annahme einer offenkundigen Vorbenutzung nach der Rechtsprechung des Senats vorauszusetzen, dass fachlich versierte Personen Gelegenheit und Anlass zu einer Besichtigung des benutzten Gegenstands hatten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1985 - X ZR 53/83, GRUR 1986, 372, 373 - ThrombozytenZählung ). Insbesondere für Letzteres bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Die hier interessierende Eigenschaft eines bestimmten Streckgrenzenwertes war nicht ohne Weiteres ersichtlich, sondern konnte erst nach Herausschneiden einer Probe aus einem Ventil durch Versuche ermittelt werden. Ein Anlass, dies vor dem Prioritätstag gerade bei dem nach Pakistan gelieferten Ventil zu tun, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Es hatte einen Durchmesser von lediglich 8 cm und ist unstreitig kein Schiffsmotorventil. Wie sich aus der in das Verfahren eingeführten Literatur ergibt, bestand wohl bei großen Schiffsdieselmotoren ein Anlass, nach einer Verbesserung der Ventile zu suchen, weil nämlich die Qualität des als Treibstoff verwendeten Schweröls gesunken war. Entsprechendes ist für das hier in Rede stehende Ventil nicht behauptet, so dass auch nicht ersichtlich und nicht anzunehmen ist, warum ein Fachmann die nach Pakistan gelieferten Ventile der erforderlichen Untersuchung unterzogen haben sollte. Entsprechendes gilt für die übrigen Ventile.
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2. Der Senat kann nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen einschließlich der Beweisaufnahme nicht die Wertung treffen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
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a) Der Fachmann ist nach der übereinstimmenden Einschätzung des Patentgerichts und des gerichtlichen Sachverständigen ein an einer Technischen Hochschule oder Universität ausgebildeter Maschinenbauingenieur, der aufgrund einer mehrjährigen Tätigkeit in Industriefirmen (z.B. Hersteller von Gasturbinen oder Großdieselmotoren) vertiefte Kenntnisse in der Verarbeitung von Superlegierungen und auf den Gebieten der Werkstoffkunde und der Umformtechnik vorweisen kann.
35
b) Es ist nicht anzunehmen, dass der Fachmann in naheliegender Weise vom Stand der Technik zum Gegenstand von Patentanspruch 1 gelangte, indem er die von Baustahl her bekannte Kopplung von steigendem Härtegrad und erhöhter Streckgrenze unbesehen auf die für die Ventilfertigung in Betracht kommenden Superlegierungen übertrug. Wie die Erörterung mit dem Sachverständigen bestätigt hat, war von den hier in Rede stehenden Fachleuten zur Prioritätszeit auch aufgrund ihrer werkstoffkundlichen Kenntnisse nicht zu erwarten , dass sie ihre Anstrengungen zur Fortentwicklung von Ventilen auf der Grundlage solcher Fehlvorstellung über das Verhalten der zu verwendenden Materialien unternahmen, sondern vielmehr, dass sie sich gegebenenfalls in der Fachliteratur über die in Betracht kommenden Materialien und ihre Eigenschaften und das diesbezügliche Umformungspotenzial informierten und auf dieser Grundlage Eigenversuche unternahmen.
36
c) Der Senat vermochte auch nicht zu der Wertung zu gelangen, dass der Fachmann den Gegenstand von Patentanspruch 1 sonst aus dem Stand der Technik zu entwickeln Anlass hatte.
37
In der vor dem Prioritätstag veröffentlichten Fachliteratur wurden für das Problem hinreichender Betriebssicherheit der (Auslass-)Ventile insbesondere in Großdieselmotoren für Schiffe, das sich durch die sinkende Treibstoffqualität verschärft hatte, multiple Ursachen diskutiert. Das bereits in der Streitpatentschrift erwähnte, 1990 vom Institute of Marine Engineers, London, veröffentlichte Werk "Diesel engine combustion chamber materials for heavy fuel operation" (Brennkammer für Dieselmotoren, Unterlagen für Schwerölbetrieb) zeigt in Abschnitt 2 Dokument 2 "Review of operating experience with current valve materials" (Überblick über die Betriebserfahrungen mit gängigen Ventilmaterialien, Anlage B6, Übersetzung B6a) zunächst, dass das Problem, trotz verschlechterter Treibstoffqualität eine ausreichende Lebensdauer für Auslassventile zu erreichen , unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet werden konnte und betrachtet worden ist. Zunächst wird ausgeführt, dass einer der wichtigsten Aspekte der Betriebsumgebung des Auslassventils die Betriebstemperatur sei und die Steuerung der Ventiltemperatur eine der wirksamsten Methoden darstelle , um die Heißgaskorrosion zu reduzieren und die Ventillebensdauer zu erhöhen, weswegen eine wirksame Wärmeübertragung über den Ventilsitz zum Kühlen des Ventils wichtig sei (vgl. auch NK 5, S. 334 linke Sp., S. 336 linke Sp. oben). Es werden ferner die Ursachen für Ventilspannungen erörtert und Sitzdruck und -geschwindigkeit, Ventildrehvorrichtungen sowie die Zusammensetzung des Treibstoffs und Möglichkeiten seiner Vorbehandlung durch Zentrifugation und Filtern diskutiert.
38
Bei den zu Gaskanälen führenden Heißgaskorrosionsphänomenen werden vier verschiedene Mechanismen unterschieden: (1) die Bildung von Abla- gerungen auf dem Sitz, die sodann rissig werden oder abplatzen, (2) die Bildung von Ablagerungen, die das Ventilmaterial korrodieren, (3) die Bildung von Vertiefungen und (4) thermische Ermüdungserscheinungen der Ventilsitzfläche, die zu Rissen im Sitzmaterial führen. Der Ablagerungsprozess (erster Mechanismus ) wird als komplex und zweischichtig beschrieben und dazu ausgeführt, dass das Wegbrechen der Ablagerungen der oberen Schicht mehr zu einem Ausfall beitragen könne als durch die untere Schicht verursachte Korrosionsschäden (S. 21 linke Sp. = B6a S. 17 unten). Bei der Diskussion des zweiten Mechanismus wird die Wirkung bei der Verbrennung entstehender korrosiver Salze erörtert und die gegebenenfalls schützende Wirkung von Schmierölzusätzen (S. 20 linke Sp. = B6a S. 15). Im Zusammenhang mit dem vierten Mechanismus wird die Bedeutung der Kompatibilität von Basismaterial und Aufpanzerungsmaterialien diskutiert (S. 20 linke Sp. = B6a S. 16), wobei wiederum - dies zeigt, wie komplex die Dinge sind - der Einfluss von höheren oder niedrigeren Kalziumgehalten im Schmieröl auf die unterschiedlichen Aufpanzerungsmaterialien zu beachten sein soll (S. 23 rechte Sp. übergehend auf S. 24 = B6a S. 22). Im Zusammenhang mit der Bildung von Vertiefungen (dritter Mechanismus ) wird die Verwendung weicher oder harter Materialien erwogen (näher unten IV 2 d).
39
In der Zusammenstellung der erforderlichen Materialeigenschaften wird postuliert: 1. Widerstandsfähigkeit gegen Vanadium- und Natriumsalze, 2. hartes Sitzmaterial, das einer Vertiefung widersteht, 3. niedriger Wärmeausdehnungskoeffizient, 4. angemessene Warmfestigkeit, um Durchbiegungen aufgrund von Gasbeanspruchungen, dynamischen Beanspruchungen und thermischen Spannungen zu begrenzen, 5. bei Aufpanzerungslegierungen ein mit dem Basismaterial kompatibler Wärmeausdehnungskoeffizient.
40
Danach führt der Stand der Technik dem Fachmann die Komplexität des Problemsfeldes vor Augen, in dem eine Vielzahl von Faktoren ineinandergreifen. Soweit es Materialfragen betrifft, scheint nirgendwo, wie im Ergebnis auch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts angenommen hat, die Anregung auf, das zu tun, was das Streitpatent vorschlägt, nämlich nicht eine möglichst große Härte, sondern eine möglichst hohe Streckgrenze für das Sitzmaterial anzustreben, um durch eine höhere Elastizität des Materials dem Entstehen von Vertiefungen zu begegnen. Die Ausarbeitung der zentralen Forschungsabteilung von Daido Steel (NK 10) beschreibt eine thermomechanische Umformung, bei der ein Härtegrad von HV 400 (Härteprüfung nach Vickers) erreicht wird. Aus der Veröffentlichung von Hammer und anderen geht ebenfalls hervor, dass für den Ventilsitz in erster Linie höchste Härte angestrebt wird. In der Entgegenhaltung B6 wird betreffend die Ventilsitze ebenfalls geäußert , dass zur Erzielung einer langen Lebensdauer ein hartes Sitzmaterial benötigt wird, das einer Vertiefung widersteht (S. 21 linke Sp. = B6a S. 18); erhöhte Härte verringere die Tendenz einer Kanalbildung und das anschließende Durchbrennen. Es werden dort zwei Vergleiche von Ventilmaterialien wiedergegeben , bei denen jeweils einer NIMONIC-Legierung mit Aufpanzerung des Sitzbereichs die geringsten Korrosionsschäden und die höchste Lebensdauer attestiert werden (S. 22 f. = B6a S. 20 f.); Ventile aus NIMONIC 81, die mit einer bestimmten Legierung aufgepanzert seien und eine Härte von 60 HRC (Härteprüfung nach Rockwell) aufweisen, seien für einen Motorenhersteller für den Schwerölbetrieb die Ventile der Wahl (S. 23 rechte Sp. = B6a S. 21). Basis- und Aufpanzerungsmaterialien werden näher erörtert und es wird über noch in der Entwicklung befindliche Keramiküberzüge und die Möglichkeit der Einarbeitung monolithischer Keramikbestandteile in den Ventilsitz berichtet. Hammer und andere (NK 5) betonen die Bedeutung der Verfahrensführung, um bei der Sekundärverformung enge Schmiedetemperaturbereiche einzuhalten und die gewünschte Korngröße und einen möglichst gleichmäßigen Gefügezustand zu erreichen, wobei es als ratsam bezeichnet wird, das ganze Ventil auf höchste Härte zu behandeln (S. 337 rechte Sp. unten), jedenfalls aber die Forderung nach "höchster Sitzhärte" einzuhalten (S. 337 linke Sp. unten).
41
d) Der gerichtliche Sachverständige meint, der Fachmann werde nicht den Stand der Technik unreflektiert übernehmen und noch höhere Härtewerte anstreben, sondern die vorhandene Literatur zwar ergänzend berücksichtigen, methodisch vorgehend werde er aber versuchen, Lösungen aus gegebenen Problemstellungen unter Nutzung seines gesamten Wissens grundlegend aufzubauen , in diesem Zusammenhang auch die Werkstoffeigenschaften hinterfragen und aufgrund rein mechanischer Betrachtungen auf die Notwendigkeit einer hohen Werkstoffelastizität schließen.
42
Der Senat vermag hierzu keinen hinreichenden Anhalt dafür zu finden, dass der hinsichtlich Ausbildung, Erfahrung und entwicklerischer Kreativität repräsentative durchschnittliche Fachvertreter in den am Markt tätigen Unternehmen Veranlassung hatte, die in der Praxis bisher begangenen Lösungswege zu verlassen und die vom Sachverständigen gehegten hohen Erwartungen zu erfüllen. Der Fachmann lernt bei seiner Hochschulausbildung zwar eine solche abstrahierende, zerlegende Sichtweise, wie der Sachverständige sie schildert. Dies bedeutet aber nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres, dass diese Sicht die Entwicklung eines Fachgebiets prägt (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2010 - X ZR 173/07 Tz. 36 - Walzgerüst II). Es mag sein, dass dem Fachmann von einem bestimmten Punkt der Entwicklung an Bedenken daran kommen können, ob der im Stand der Technik vorherrschende Lösungsweg der Wahl immer noch härteren Materials weiter beschritten werden kann, weil unter zu- nehmender Härte die Duktilität des Materials leidet und dieses am Ende zu spröde gerät, um seinen Zweck noch optimal erfüllen zu können. Es ist aber schon fraglich, ob in der Entwicklung der hier interessierenden Ventile dieser Punkt zur Prioritätszeit schon erreicht war, zumal die Klägerin selbst diesen Standpunkt nicht eingenommen hat, sondern davon ausgeht, dass der Fachmann an einer weiteren Steigerung der Härte zum Zwecke der Steigerung der Elastizität gearbeitet hätte. Es ist außerdem zu bedenken, dass in der Fachliteratur , wie vorstehend dargestellt, die Bildung von Vertiefungen, auf die die Lösung des Streitpatents zugeschnitten ist, nur als eine unter mehreren Ursachen für das Durchbrennen erörtert wurde, was die Erwartung, der Fachmann würde gezielt die Erhöhung der Elastizität im Sitzbereich in den Blick nehmen, zumindest relativiert. Es kann des Weiteren nicht übersehen werden, dass beispielsweise die Veröffentlichung B6 den Fachmann von der vom Streitpatent befürworteten Lösung wegführt. In der Schrift wird im Zusammenhang mit der Bildung von Vertiefungen die Verwendung weicher oder harter Materialien erwogen. Der Vorteil weicheren Materials liegt demzufolge darin, dass eingetretene Vertiefungen allmählich durch Verschleiß und plastische Deformation wieder verschwinden, so dass ein relativ weiches Material mit einer hohen, aber vorhersagbaren Verschleißrate und einem guten Korrosionswiderstand manchmal gegenüber einem härteren Material überlegen sein kann, auch wenn Letzteres einem geringeren Verschleiß unterliegt, damit aber eine erhöhte Gefahr vertiefungsbedingter Ventilausfälle einhergeht (S. 20 rechte Sp. = B6a S. 16 f.). Danach würde der Fachmann erwägen, ob nicht der Vorteil kalkulierbarer Reparaturzyklen gegenüber dem Risiko, bei an sich längerlebigen härteren Ventilen einen Motorschaden unter ungünstigen Verhältnissen mit entsprechend hohen Folgekosten zu erleiden, groß genug ist, um sich doch für weicheres Material zu entscheiden, nicht aber das tun, was das Streitpatent vorschlägt, nämlich einen nochmals anderen Weg zu beschreiten und einem prinzipiell härteren Werkstoff eine höhere Elastizität zu verleihen, um auf diese Art und Weise dem Entstehen von Vertiefungen zu begegnen.
43
Auf die Annahme des Sachverständigen, der Fachmann werde im Rahmen übergreifender Anstrengungen auch die im Wälzlagerbereich gefundenen Erkenntnisse aufgreifen, hat die Klägerin in anderem Zusammenhang mit Zurückhaltung reagiert und darauf hingewiesen, es gebe zwischen der Herstellung von Wälzlagern einerseits und Auslassventilen der hier in Rede stehenden Art keine praktischen Berührungspunkte, die dazu geführt hätten, dass der Fachmann sich für die Produktion der Letzteren im Bereich der Wälzlagertechnik umgesehen hätte. Dieser Einwand erscheint plausibel, zumal sich das Arbeitsspiel der Ventile zumindest nicht als ein typisches tribologisches System aufeinander wirkender Oberflächen in Relativbewegung zueinander wie beispielsweise zwischen Kurbelwelle und Pleuel bzw. Pleuel, Kolben und Kolbenbolzen darstellt. Auch wird in der Untersuchung von Stangner als Antwort auf die Beeinträchtigung des Lagers durch Verunreinigung mit harten Partikeln, die beim Überrollen örtlich plastische Verformungen in der Laufspur hervorrufen und die mit dem Auftreten fester Verbrennungsrückstände in Dieselmotoren am ehesten vergleichbar erscheint, eine hohe Duktilität bei gleichzeitig ausreichend hoher Härte vorgeschlagen. Auch das weist nicht in die Richtung der Lösung des Streitpatents. Eine hohe Streckgrenze, wie sie das Streitpatent befürwortet, wird in der Veröffentlichung von Stangner mit stoßartigen Beanspruchungen im Wälzkontakt in Verbindung gebracht, denen die Belastungen im Verbrennungsraum des Motors indes nicht entsprechen.
44
3. Die Unteransprüche 2 bis 6 haben mit dem Hauptanspruch Bestand; Entsprechendes gilt für Patentanspruch 7.
45
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG.
Meier-Beck Gröning Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.04.2008 - 10 Ni 18/07 (EU) -

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(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

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Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2010 - X ZB 9/09

bei uns veröffentlicht am 31.08.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 9/09 vom 31. August 2010 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Patentanmeldung 103 59 317.9-35 Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Bildunterstützung bei Katheternavigation PatG §§ 14, 34 Ab

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Sept. 2010 - X ZR 173/07

bei uns veröffentlicht am 07.09.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 173/07 Verkündet am: 7. September 2010 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: n

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a) In den einer Patentanmeldung beigefügten Patentansprüchen ist zwar anzugeben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG), und gemäß § 14 PatG ist alles, was im Wortlaut eines Patentanspruchs Ausdruck gefunden hat , bei der Auslegung, wie dieser nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist (Senat, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03 Tz. 13 - Crimpwerkzeug III, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), zu berücksichtigen (BGHZ 160, 204 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ), da für die Feststellung des Offenbarungsgehalts einer Patentanmeldung nichts anderes als für die Auslegung der Lehre eines erteilten Patentanspruchs gilt (Senat, Beschluss vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II). Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt aber nicht, dass alle sprachlichen Elemente eines formulierten Patentanspruchs Merkmale des Gegenstands beschreiben, der mit dem Anspruch unter Schutz gestellt werden soll. So können Sach- bzw. Vorrichtungsansprüche Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben enthalten, die nur unter besonderen Voraussetzungen als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilneh- men, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen etwa im Hinblick auf dessen vorausgesetzte Eignung. Im Allgemeinen wird die Sache oder Vorrichtung aber unabhängig von dem Zweck, zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlichkörperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn. 15; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 - Bauschalungsstütze). In solchen Fällen benennen Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben keine Merkmale des unter Schutz gestellten Gegenstands. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für gegebenenfalls in Verfahrensansprüchen enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz , 6. Aufl., § 14 Rn. 52). Zweck-, Wirkungs- bzw. Funktionsangaben müssen sich des Weiteren nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs bzw. einzelne seiner Merkmale beziehen. Es ist einem Anmelder vielmehr unbenommen, den Erfindungsgegenstand im Patentanspruch sprachlich auch zu solchen Erzeugnissen oder Verfahren in Beziehung zu setzen, die zur beanspruchten Lehre in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technischgegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 173/07 Verkündet am:
7. September 2010
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Walzgerüst II
EPÜ Art. 56, PatG § 4
Der Umstand, dass sich eine komplexe Vorrichtung (hier: Walzgerüst) gedanklich
in Komponenten oder Module zerlegen lässt, für deren Relativbewegung
zueinander eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten zur Verfügung steht, lässt
für sich genommen grundsätzlich noch nicht den Schluss zu, dass es für den
Fachmann nahegelegen hat, zur Lösung von Problemen, die bei der Bewegung
einer Komponente auftreten, die übrigen Bewegungsalternativen in Erwägung
zu ziehen, wenn hiermit erhebliche Umgestaltungen der Komponenten verbunden
sind (Fortführung von BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).
BGH, Urteil vom 7. September 2010 - X ZR 173/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. September 2010 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Berger, Hoffmann und die Richterin
Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 25. Oktober 2007 verkündete Urteil des 10. Senats (Juristischen Beschwerdesenats und Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 597 265 (Streitpatents ). Das Patent nimmt die Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 15. Oktober 1992 in Anspruch. Patentanspruch 1 lautet: "Walzgerüst mit zwei zueinander parallelen Walzenständern (3, 4), von denen der bedienungsseitige Walzenständer (4) von dem anderen Walzenständer (3) wegbewegbar ist, anstellbar gelagerten Walzen, insbesondere Universalwalzgerüst (1) mit Horizontalwalzen (5, 6) und in Kassetten (17) angeordneten Vertikalwalzen (7), d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass ein mit dem bedienungsseitigen Walzenständer (3) wegbewegbarer Wechselrahmen (13) die Walzen (5, 6; 7) aufnimmt."
2
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er nicht neu sei, zumindest aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
3
Die Beklagte hat in der ersten Instanz Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise nach Maßgabe eines Hilfsantrags verteidigt.
4
Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 2007 - 10 Ni 7/07 (EU), juris).
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents weiterverfolgt.
6
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. F. schriftliches ein Gutachten erstattet , welches er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:

8
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
9
I. Das Streitpatent betrifft ein Walzgerüst mit zwei zueinander parallelen Walzenständern und dazwischen gelagerten Walzen, die mithilfe eines Wechselrahmens ausgewechselt werden können.
10
1. Es geht aus von dem aus der veröffentlichten internationalen Patentanmeldung 88/06930 (X2) bekannten Walzgerüst. Bei diesem - in der Streitpatentschrift nicht näher beschriebenen - Walzgerüst sind die Walzen in einem als Abstandhalteranordnung (spacer structure 15) bezeichneten Wechselrahmen gehaltert, der auf einem Tisch (17) aufsitzt und zwischen zwei verfahrbaren Walzenständern (1, 3) angeordnet ist. Zum Walzenwechsel werden die Walzenständer auseinander gefahren, so dass die Abstandhalteranordnung und die darin gehaltenen Walzen durch einen Deckenlaufkran vom Tisch abgehoben und durch eine andere Abstandhalteranordnung ersetzt werden können.
11
Das Streitpatent gibt als der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe an, bei einem gattungsgemäßen Walzgerüst den Walzenwechsel weiter zu vereinfachen und die Stillstandszeiten der Walzstraße beim Walzenwechsel zu verringern.
12
Dieses Problem soll durch ein Walzgerüst gelöst werden, dessen Merkmale mit dem Patentgericht wie folgt gegliedert werden können: 1. Das Walzgerüst hat zwei zueinander parallele Walzenständer (3, 4); 2. der bedienungsseitige Walzenständer (4) ist von dem anderen Walzenständer (3) wegbewegbar; 3. in den Walzenständern sind Walzen (5, 6, 7) anstellbar gelagert ; 4. ein Wechselrahmen (13) 4.1 nimmt die Walzen (5, 6, 7) auf und 4.2 ist mit dem bedienungsseitigen Walzenständer (4) wegbewegbar.
13
2. Erfindungsgemäß wird somit der die Walzen aufnehmende Wechselrahmen zusammen mit dem antriebslosen, bedienungsseitigen Walzenständer (4) von dem antriebsseitigen Walzenständer (3) weg in eine Zwischenposition gefahren, so dass der Wechselrahmen von dem antriebsseitigen Walzenständer gelöst ist. Danach wird der bedienungsseitige Walzenständer allein in eine Endposition gefahren, so dass der Wechselrahmen mit den von ihm aufgenommenen Walzen freiliegt und nach oben weggehoben werden kann. Das Vereinzeln der Walzen kann an einem anderen Ort erfolgen, während sogleich ein bereits neu mit Walzen bestückter, weiterer Wechselrahmen in umgekehrter Reihenfolge in das Walzgerüst montiert wird und der Betrieb damit fortgesetzt werden kann.
14
Figur 2 zeigt ein Ausführungsbeispiel in der Zwischenposition, in der der den Wechselrahmen aufnehmende bedienungsseitige Walzenständer von dem antriebsseitigen Walzenständer wegbewegt worden ist, der Wechselrahmen jedoch noch nicht vom Walzenständer getrennt ist.
15
Wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen ergeben hat, wird hierdurch der Walzenwechsel gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung X2 insofern weiter vereinfacht, als der Austausch der Wechselrahmen nicht in der Walzstraße, sondern an einem (in Grenzen) frei wählbaren Ort außerhalb derselben stattfindet. Die Zugänglichkeit des Wechselrahmens wird hierdurch verbessert. Außerdem muss dieser nicht notwendigerweise nach oben herausgehoben werden, sondern kann auch in anderer Weise abgefördert werden.
16
3. Das Patentgericht hat die Merkmale 2 und 4 näher erläutert (zu II 2 der Entscheidungsgründe). Dagegen ist nichts zu erinnern und wird auch von den Parteien nichts vorgebracht.
17
Die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten, wenn der bedienungsseitige Walzenständer mit dem Wechselrahmen wegbewegt werde, müsse dieser über den Walzenständer ersatzweise gestützt werden, und die hieran geübte Kritik der Klägerin veranlassen jedoch ergänzende Ausführungen zu Merkmal 4.2.
18
Es gibt seinem Wortlaut nach nur vor, dass der Wechselrahmen mit dem Walzenständer bewegt wird. Dies erfordert jedoch, dass der Wechselrahmen, der im Stand der Technik nach der Entgegenhaltung X2 auf dem ortsfesten Tisch (17) aufliegt, so gehalten werden muss, dass sein Gewicht und das Gewicht der Walzen sicher aufgenommen wird. Wie dies geschieht, lässt der Patentanspruch offen. Jedenfalls theoretisch denkbar ist eine auskragende Halterung unmittelbar am Walzenständer, wie sie in Abb. 4 des Sachverständigengutachtens dargestellt ist. In jedem Falle kann die notwendige Abstützung dadurch erreicht werden, dass der Tisch als Bestandteil der verfahrbaren Einheit von Wechselrahmen und bedienungsseitigem Walzenständer gleichfalls ver- fahrbar ausgestaltet wird, wie dies für das Ausführungsbeispiel des Streitpatents in den Figuren 1 bis 3 dargestellt ist.
19
II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig erachtet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: 1. Der Gegenstand des Patents sei neu.
20
a) Die Entgegenhaltung X2 enthalte die Merkmale 1 bis 4.1, jedoch nicht das Merkmal 4.2. Anders als im Streitpatent werde der Wechselrahmen nicht seitlich gemeinsam mit dem bedienungsseitigen Walzenständer vom anderen Walzenständer weggefahren. Vielmehr bleibe nach der Entgegenhaltung der Wechselrahmen zunächst unbewegt, während beide Walzenständer von ihm weggefahren würden.
21
b) Die US-Patentschrift 4 907 437 (Entgegenhaltung X7) betreffe ein Walzgerüst, bei dem die Horizontalwalzen auf fliegenden Wellen gelagert seien (Cantilever-Bauweise), womit diesem Walzgerüst ein zweiter Walzenständer fehle. Bereits das Merkmal 1 sei damit nicht erfüllt.
22
c) In der japanischen Offenlegungsschrift Sho 54-139866 (Entgegenhaltung X8) werde ein Universalwalzwerk beschrieben, bei dem der Abstand zwischen zwei parallelen Walzenständern verändert werden könne, um Horizontalwalzen der erforderlichen Länge einsetzen zu können. Damit würden die Merkmale 1 bis 3 erfüllt. Auch wenn nach der Beschreibung eine Horizontalwalzeneinheit und eine Vertikalwalzeneinheit unter Anwendung eines "C-Hakens" oder dergleichen entfernt werden könne, lasse diese Offenbarung keinen Wechselrahmen im Sinne des Streitpatents erkennen, von dem die Walzen aufgenommen würden. Damit fehle es an den Merkmalen 4.1 und 4.2.
23
d) In der italienischen Patentschrift 1 220 852 (X9) und der US-Patentschrift 5 497 644 (X10) werde beschrieben, dass zum Walzenwechsel komplette Walzgerüste auszutauschen seien. Ein Wechselrahmen entsprechend den Merkmalen 4.1 und 4.2 werde damit nicht offenbart.
24
e) Gegenstand der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung 163 104 (Entgegenhaltung X11) sei ein Walzgerüst mit zwei parallelen Walzenständern und darin anstellbar gelagerten Walzen, bei denen der von den Antriebselementen des Walzgerüstes abgewandte Walzenständer von dem anderen Walzenständer wegbewegt werden könne. An diesem beweglichen Walzenständer seien Halteelemente für die Walzen bzw. Walzringe angeordnet, so dass diese zusammen mit dem Walzenständer herausgebracht werden könnten. Ein Wechselrahmen entsprechend den Merkmalen 4.1 und 4.2 sei damit nicht offenbart.
25
2. Auch könne nicht festgestellt werden, dass sich der Gegenstand des Streitpatents auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik ergeben habe.
26
Den nächstliegenden Stand der Technik repräsentiere die Entgegenhaltung X2. Darin werde zur Vereinfachung des Walzenwechsels ein Wechselrahmen verwendet, von dem beide Walzenständer wegbewegt werden müssten. Dies bedinge, dass von dem antriebsseitigen Walzenständer die Antriebsspindeln entfernt werden müssten. Der Fachmann könne zwar ohne weiteres erkennen , dass der Walzenwechsel vereinfacht werden könne, indem auf ein Verfahren des antriebsseitigen Walzenständers verzichtet und stattdessen nur der bedienungsseitige Walzenständer wegbewegt werde. Es liege auch auf der Hand, dass der Wechselrahmen mit den Walzen zum Herausheben aus dem Walzgerüst von beiden Walzenständern freigestellt werden müsse. Daraus resultiere aber noch keine Anregung, den Wechselrahmen entsprechend dem Merkmal 4.2 des Streitpatents gemeinsam mit dem bedienungsseitigen Walzenständer vom antriebsseitigen Walzenständer wegzubewegen. Da nach der Entgegenhaltung X2 der Wechselrahmen beim Auseinanderbewegen der Walzenständer an seinem Platz verbleibe, sei die unmittelbar naheliegende Lösung beim Übergang auf ein Walzgerüst, bei dem nur der bedienungsseitige Walzenständer zu verfahren sei, den Wechselrahmen zunächst an seinem Platz am antriebsseitigen Walzenständer zu belassen. Dies entspreche dem natürlichen Vorgehen beim Demontieren von Strukturen, nämlich Teile nach und nach abzunehmen.
27
Auch in Kombination mit den weiteren Entgegenhaltungen ergebe sich für den Fachmann keine Anregung zur Lehre des Streitpatents.
28
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitpatents zu Recht für patentfähig erachtet.
29
1. Als maßgeblicher Fachmann ist entsprechend den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ein Absolvent einer Universität oder einer Fachhochschule auf dem Gebiet des allgemeinen Maschinenbaus mit dem Schwerpunkt Konstruktionstechnik oder Getriebetechnik anzusehen, der mindestens eine fünfjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Walzstraßen für Stahl besitzt.
30
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu. Insoweit ist gegenüber den von der Klägerin nicht weiter beanstandeten Ausführungen des Patentgerichts nichts zu erinnern.
31
3. Der Gegenstand des Streitpatents ist durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
32
a) Ausgehend von der Entgegenhaltung X2 mag zwar der Fachmann Anlass gehabt haben, sich die Frage vorzulegen, ob der Austausch des Wechselrahmens mit den darin aufgenommen Walzen nicht in einer Weise erfolgen könne, bei der der antriebsseitige Walzenständer nicht bewegt wird. Denn dieser Walzenständer ist mit dem Antrieb verbunden, und es müssen daher u.a. Versorgungsleitungen für ein Verfahren dieses Ständers gelöst und schließlich wieder hergestellt werden oder weitere Teile des Walzgerüstes mit dem Walzenständer verfahren werden. Weiterhin muss, wie der Sachverständige erläutert hat, nach einem Hin- und Herverfahren des antriebsseitigen Walzenständers (auch) dieser wieder so ausgerichtet werden, dass sich das Walzenlager exakt in der Sollposition befindet und eine Zentrierung der Walzen erfolgen kann. Der damit verbundene Aufwand konnte, wie auch das Patentgericht angenommen hat, Anlass zu der Überlegung geben, ob der Walzenwechsel nicht ohne Bewegung des antriebsseitigen Walzenständers ausgeführt werden konnte.
33
Der Stand der Technik bietet jedoch keine Anregung für den Fachmann, dieses Problem erfindungsgemäß dadurch zu lösen, dass der Wechselrahmen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer von dem antriebsseitigen wegbewegt wird. Allenfalls hätte der Fachmann, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, erwägen können, im Sinne einer schrittweisen Demontage zunächst den bedienungsseitigen Walzenständer und sodann den Wechselrahmen von dem antriebsseitigen Walzenständer abzunehmen.
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Hingegen bestand keine Veranlassung, den Wechselrahmen, der nach der X2 mit Hilfe eines Krans aus der Walzstraße herausgehoben wurde, statt dessen zusammen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer vom antriebseitigen Walzenständer abzukuppeln und einheitlich (zunächst) horizontal zu verfahren. Ebenso wie eine schrittweise Demontage des Walzgerüsts erforderte nämlich jede andere Lösung, bei der der antriebsseitige Walzenständer nicht bewegt wurde, statt dessen eine Horizontalbewegung des Wechselrahmens. Diese konnte aber dem Fachmann kaum wünschenswerter erscheinen als eine Bewegung des antriebsseitigen Walzenständers. Denn der Walzenwechsel erfordert ohnehin, wie der gerichtliche Sachverständige erläutert hat, eine gewisse vertikale (durch einen entsprechenden hydraulischen Antrieb zu bewerkstelligende ) Beweglichkeit des den Wechselrahmen stützenden Tisches, damit die in den Walzenständern gelagerten Walzen für die Trennung von den Walzenständern statt dessen durch hierfür im Wechselrahmen vorgesehene Einrichtungen aufgenommen und gehalten werden können. Diese Bewegung mit einer Horizontalverschiebung zu kombinieren, war - auch dies hat der Sachverständige anschaulich erläutert - zumal unter den in der Walzstraße herrschenden, durch hohe Temperaturen, Abfallprodukte des Walzprozesses und beengte Raumverhältnisse charakterisierten Bedingungen mit der Gefahr von Querspannungen und weiteren erheblichen und für den Fachmann nicht ohne weiteres zu überschauenden Risiken behaftet.
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Derartige Risiken einzugehen bestand für den Fachmann um so weniger Anlass, als er, wie sich aus den weiteren Ausführungen des Sachverständigen zur Überzeugung des Senats ergeben hat, die praktische Ausführung einer solchen Idee zum Verfahren des Wechselrahmens für einen Walzenwechsel nicht erproben konnte. Aufgrund der hohen Investitionskosten und des Umstandes, dass Walzgerüste nicht "auf Lager", sondern aufgrund eines konkreten Kundenauftrags produziert werden, war - jedenfalls im Prioritätszeitpunkt - die Bereitschaft gering, eine bekannte Bauweise grundsätzlich in Frage zu stellen, und lag es im Allgemeinen nahe, auftretende Probleme nach Möglichkeit in der Weise zu lösen, dass so weit wie möglich bewährte Komponenten beibehalten wurden und sich um deren punktuelle und schrittweise Verbesserung bemüht wurde. Schwierigkeiten und Aufwand einer Bewegung des antriebsseitigen Walzenständers mussten daher eher Anlass geben, an dieser Stelle über Verbes- serungen wie etwa eine erleichterte Ab- und Ankopplung von Versorgungsleitungen und dergleichen nachzudenken, als den Ablauf des Walzenwechsels und die Funktionalität der einzelnen Komponenten als solche zu verändern.
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Dies steht auch Erwägungen entgegen, wie sie die Klägerin vorgetragen hat, die das Walzgerüst als einen aus drei Komponenten (antriebsseitiger Walzenträger , Wechselrahmen, bedienungsseitiger Walzenträger) bestehenden "Baukasten" begreifen, bei dem es für die notwendigen Relativbewegungen der Komponenten zueinander eine sich dem Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnisse ohne weiteres erschließende begrenzte Anzahl von Möglichkeiten gibt. Eine solche Betrachtungsweise läuft darauf hinaus, die für ein Naheliegen der erfindungsgemäßen Lösung erforderliche Anregung durch die Sachlogik der gefundenen Lösung zu ersetzen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 Rn. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Wie der Sachverständige anschaulich geschildert hat, lernt der Fachmann bei seiner Hochschulausbildung zwar eine solche abstrahierende, eine komplexe Vorrichtung in Funktionseinheiten zerlegende Sichtweise. Dies bedeutet jedoch nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres, dass sie die Entwicklung eines Fachgebiets prägt, in die vielmehr typischerweise eine Vielzahl praktischer Erfahrungen und auch Gewohnheiten sowie das Bestreben einfließen, schon im Hinblick auf Kosten , Aufwand und möglicherweise nicht voll überschaubare Risiken einer grundsätzlichen Neukonstruktion Probleme möglichst unmittelbar dort zu lösen, wo sie auftreten. Für das hier in Rede stehende Gebiet gilt dies, wie ausgeführt, in besonderem Maße.
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b) Auch eine Einbeziehung des übrigen in das Verfahren eingeführten Standes der Technik ergibt nicht, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann nahegelegt war.
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aa) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, tritt bei der aus der Entgegenhaltung X7 bekannten Vorrichtung das Problem, dass ein Wechselrahmen mit den darin aufgenommenen Walzen von zwei Walzenständern freigestellt werden muss, bereits nicht auf. Der Wechselrahmen wird dort mittels einer Montageeinheit (14) und eines Installationssystems (15) ausgetauscht, die beide nicht näher erläutert sind. Es ist zwar richtig, dass bei der Entgegenhaltung X7 nur die Horizontalwalzen (12), nicht aber die Vertikalwalzen (23) fliegend gelagert sind. An der Richtigkeit der - vom gerichtlichen Sachverständigen geteilten - Bewertung durch das Patentgericht, dass die Freistellung von zwei Walzenständern nicht offenbart ist, ändert dies jedoch nichts. Wenn die Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamts demgegenüber annimmt, das technische Merkmal, den Wechselrahmen "gemeinsam mit einer Halterung für den Walzenwechsel" quer zur Walzlinie vom feststehenden antriebsseitigen Walzenständer wegbewegbar zu gestalten, sei dem Fachmann aus der Entgegenhaltung bekannt und sei für ihn unmittelbar naheliegend, diese Maßnahme bei einem Walzgerüst nach der Entgegenhaltung X2 anzuwenden (Anl. X13, S. 8), kann der Senat dem nicht beitreten. Wenn der Gedanke gefasst ist, den Wechselrahmen mit dem bedienungsseitigen Walzenständer "mitzunehmen", kann in einer bloßen Halterung für den Walzenwechsel, der bei einer fliegenden Lagerung in einer feststehenden Antriebseinheit naturgemäß quer zur Walzlinie erfolgen muss, in der Tat ein (in der Terminologie der Klägerin) Äquivalent zum Walzenständer gesehen werden. Ist er aber nicht gefasst, kann der Fachmann aus dem Umstand, dass eine bei einem Cantilever-Walzgerüst verwendete Halterung für den Walzenwechsel die zu wechselnden Walzen mitnimmt, keine Anregung für die Ausgestaltung eines Walzgerüsts nach der Entgegenhaltung X2 gewinnen. Auch der vom Tribunale Ordinario di Trieste beauftragte Sachverständige hat eine derartige Gleichsetzung ausdrücklich verworfen (Anl. X14 S. 16-20 = X14a S. 16-20).
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Zudem betrifft die Entgegenhaltung entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine andere Leistungsklasse. Für die Bearbeitung von Metallen sind bei dieser Entgegenhaltung ersichtlich nur geringere Kräfte aufzuwenden, weshalb die Walzen und ihre Aufhängung nur ein deutlich geringeres Gewicht aufzuweisen brauchen, für das es infolgedessen keines zweiten Walzenständers bedarf. Der Fachmann erfährt aus dieser Entgegenhaltung auch deshalb keine Anregungen für die Ausgestaltung eines Walzgerüsts nach der Entgegenhaltung X2.
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bb) Aus der Entgegenhaltung X8 ergibt sich für den Fachmann bereits nicht hinreichend deutlich, ob nach dieser Lehre überhaupt ein Wechselrahmen zum Einsatz kommen soll. Vor allem aber gibt diese Entgegenhaltung keinen Hinweis darauf, wie in welcher Weise ein solcher Wechselrahmen und die Walzenständer zu verfahren sind, um die Walzen freizulegen. Für ein gemeinsames Verfahren des Wechselrahmens mit dem bedienseitigen Walzenständer enthält diese Entgegenhaltung daher keine weiterführenden Hinweise.
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cc) Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten kann der Fachmann auch den Entgegenhaltungen X9/X10 keine Lehre entnehmen, die ihm Anstöße oder Hinweise für das gemeinsame Verfahren eines Wechselrahmens mit einem der beiden Walzenständer gäbe, denn nach dieser Entgegenhaltung wird als Vorrichtung zum Walzenwechsel eine Einheit ausgetauscht, die die Funktion beider Walzenständer nebst Walzenlager umfasst. Ein Auseinanderfahren beider Walzenständer, um einen Wechselrahmen freizulegen, ist in dieser Entgegenhaltung nicht zu erkennen, weshalb sie dem Fachmann in dieser Richtung auch keine weiteren Hinweise zu vermitteln vermag.
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dd) Die Entgegenhaltung X11 gibt als Vorteil an, dass der antriebsseitige Walzenständer, zu dem auch das Tragwellenpaar für die Walzenringe gehört, ortsfest in seiner jeweiligen Anstellposition innerhalb der Walzlinie verbleibt und die Kupplung der Tragwellen mit den Antriebselementen nicht gelöst werden müsse. Damit gibt diese Entgegenhaltung die bereits allgemein zu erkennenden , oben bereits erörterten Vorteile eines beim Walzenwechsel nicht zu bewegenden Walzenständers wieder.
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Da nach der Lehre dieser Entgegenhaltung kein Wechselrahmen zur Anwendung kommt, vielmehr anstelle von Walzen Walzringe auf Büchsen sitzen , die einen Teil des Lagers bilden und von den Tragwellen abgezogen werden , erfährt der Fachmann auch aus dieser Entgegenhaltung keine weitergehenden Hinweise für das gemeinsame Verfahren eines komplette Walzen tragenden Wechselrahmens mit einem der beiden Walzenständer.
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4. Die weiteren Patentansprüche werden durch die Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 getragen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Gröning Berger Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.10.2007 - 10 Ni 7/07 (EU) -

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.