Bundesgerichtshof Urteil, 17. Aug. 2011 - VIII ZR 20/11

bei uns veröffentlicht am17.08.2011
vorgehend
Amtsgericht Pankow, 4 C 275/08, 22.06.2009
Landgericht Berlin, 65 S 318/09, 21.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 20/11 Verkündet am:
17. August 2011
Ring
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß
§ 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 9. August 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger, Dr. Hessel und
Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2010 aufgehoben, soweit hinsichtlich der Auswechselung des Gasherdes gegen einen Elektroherd zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist. Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 22. Juni 2009 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen ist. Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin in B: . Die Klägerin verlangte mit der im Jahr 2008 erhobenen Klage Duldung umfangreicher Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten. Hierbei ging es unter anderem um den Austausch des Gasherdes gegen einen Elektroherd, den die Klägerin im Zuge der vorgesehenen Beseitigung des Gasanschlusses des Gebäudes vornehmen wollte. Der Beklagte erhob wegen der Ausführung verschiedener Reparaturen Widerklage. Das Amtsgericht wies die Duldungsklage mit rechtskräftigem Teilurteil vom 12. Januar 2009 ab, weil es sich bei dem Austausch des Herdes nicht um eine Modernisierungsmaßnahme handele und der Klägerin deshalb kein Duldungsanspruch zustehe.
2
Im weiteren Verfahren über die vom Beklagten erhobene Widerklage hat die Klägerin "Widerwiderklage" erhoben, unter anderem mit dem (erneuten) Antrag, den Beklagten zur Duldung der Auswechselung des Gasherdes gegen einen Elektroherd zu verurteilen. Zur Begründung hat die Klägerin wiederum geltend gemacht, dass sie die Gasversorgung im gesamten Haus entfernen wolle und der Beklagte deshalb den Austausch des Herdes als Instandhaltungsoder Instandsetzungsmaßnahme dulden müsse.
3
Das Amtsgericht hat die “Widerwiderklage“ bezüglich der Duldung des Herdaustausches im Schlussurteil vom 22. Juni 2009 abgewiesen, weil die Ankündigung der zu duldenden Arbeiten in der Modernisierungsankündigung vom 20. April 2009 zu kurzfristig erfolgt sei und der Beklagte keine ausreichende Überlegungsfrist gehabt habe.
4
Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Schlussurteil des Amtsgerichts abgeändert und den Beklagten - unter anderem - zur Duldung des Herdaustausches verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht hinsichtlich dieses Anspruchs zugelassenen Revision begehrt der Beklagte insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Schlussurteils.

Entscheidungsgründe:

5
Die Revision hat Erfolg.

I.


6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, ausgeführt:
7
Der Beklagte habe den Herdaustausch nach § 554 Abs. 1, § 242 BGB als Instandhaltungsmaßnahme zu dulden. Ein besonderes Interesse des Beklagten an der Beibehaltung eines Gasherdes sei nicht ersichtlich, weil die Abweichung von dem vertraglich vorgegebenen Zustand nach der Fortentwicklung der Ceranplattenkochtechnik nicht mehr erheblich sei. Zugunsten der Klägerin falle insoweit auch ins Gewicht, dass sie die Hausversorgung im Rahmen der Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten umstellen und keinen Gasanschluss mehr vorhalten wolle. Es könne ihr daher nicht verwehrt werden, die Wohnung nunmehr mit einem Elektroherd mit Ceranfeld als im Wesentlichen gleichwertiger Alternative auszustatten.

II.


8
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die als “Widerwiderklage“ erneut erhobene Klage auf Duldung des Herdaustausches ist unzulässig, weil ihr der Einwand der materiellen Rechtskraft (§ 322 ZPO) entgegensteht. Denn dieser erhobene Anspruch ist der Klägerin bereits durch das Teilurteil des Amtsgerichts vom 12. Januar 2009 rechtskräftig aberkannt worden.
9
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verbietet die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung - als negative Prozessvoraussetzung - eine neue Verhandlung über denselben Streitgegenstand; unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Prozesses identisch ist (BGH, Urteile vom 18. Januar 1985 - V ZR 233/83, BGHZ 93, 287, 288 f.; vom 19. November 2003, BGHZ 157, 47, 50).
10
2. Eine solche Identität des Streitgegenstandes liegt hier vor, denn die Klägerin macht mit der “Widerwiderklage“ erneut einen Anspruch auf Duldung des Herdaustauschs geltend, den sie aus demselben Lebenssachverhalt herleitet , nämlich wiederum daraus, dass im Rahmen von Instandsetzungsarbeiten die Gasversorgung des Gebäudes entfallen soll, in dem sich die Wohnung des Beklagten befindet.
11
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist es unerheblich, dass der Umfang der Rechtskraft des Teilurteils vom 12. Januar 2009 anders zu beurteilen wäre, wenn die Duldungsklage nur wegen eines Formfehlers in der Modernisierungsankündigung abgewiesen worden wäre; denn im Teilurteil vom 12. Januar 2009 wurde die Klage hinsichtlich des Herdaustausches nicht wegen eines unzureichenden Modernisierungsverlangens als (lediglich) "zur Zeit unbegründet" abgewiesen, sondern weil das Amtsgericht mit seiner in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung einen Duldungsanspruch der Klägerin aus materiellen Gründen verneint hat.
12
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ergibt sich daraus, dass die Klägerin nach dem Erlass des Teilurteils vom 12. Januar 2009 mit Schreiben vom 5. Mai 2009 ein neues Modernisierungsverlangen ausgespro- chen hat, kein neuer Streitgegenstand bezüglich des erneut geltend gemachten Duldungsanspruchs, denn eine Änderung des dem materiellen Anspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalts ist damit nicht verbunden.

III.


13
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts im angefochtenen Umfang keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es keiner weiteren Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Schlussurteils bezüglich des Herdaustausches.
Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger

Vorinstanzen:
AG Berlin-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 22.06.2009 - 4 C 275/08 -
LG Berlin, Entscheidung vom 21.12.2010 - 65 S 318/09 -

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 562 Aufhebung des angefochtenen Urteils


(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

Zivilprozessordnung - ZPO | § 128 Grundsatz der Mündlichkeit; schriftliches Verfahren


(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich. (2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche V

Zivilprozessordnung - ZPO | § 322 Materielle Rechtskraft


(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. (2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, da

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 554 Barrierereduzierung, E-Mobilität und Einbruchsschutz


(1) Der Mieter kann verlangen, dass ihm der Vermieter bauliche Veränderungen der Mietsache erlaubt, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge oder dem Einbruchsschutz dienen. Der Anspruch besteht ni

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(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.

(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.

(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Der Mieter kann verlangen, dass ihm der Vermieter bauliche Veränderungen der Mietsache erlaubt, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge oder dem Einbruchsschutz dienen. Der Anspruch besteht nicht, wenn die bauliche Veränderung dem Vermieter auch unter Würdigung der Interessen des Mieters nicht zugemutet werden kann. Der Mieter kann sich im Zusammenhang mit der baulichen Veränderung zur Leistung einer besonderen Sicherheit verpflichten; § 551 Absatz 3 gilt entsprechend.

(2) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.