Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2023 - VIa ZR 1533/22

bei uns veröffentlicht am06.12.2023

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
Amtliche Leitsätze

Neben dem aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV folgenden und der Höhe nach auf 15% des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens hat der Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller keinen Anspruch auf Ersatz eines darüber hinausgehenden Finanzierungsschadens.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 11.09.2023 - VIa ZR 1533/22

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Oktober 2022 - mit der Maßgabe, dass dieses Urteil im Tatbestand dahingehend berichtigt wird, dass der Berufungsantrag zu 2 nur in Höhe von 1.066,99 € nebst Zinsen gestellt wurde - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers hinsichtlich der Berufungsanträge zu 1 und zu 2 zu dessen Nachteil erkannt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte (in erster Instanz: Beklagte zu 2) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger kaufte im Juli 2016 unter Inanspruchnahme eines Darlehens von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 ausgerüsteten Gebrauchtwagen Audi A6 Avant 3.0 TDI (Schadstoffklasse Euro 6). Das Fahrzeug, das der Kläger mittlerweile verkaufte, war von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.

Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn so zu stellen, als habe er das Fahrzeug nicht erworben. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die zuletzt auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Veräußerungserlöses und einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 1), auf Erstattung von Finanzierungskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 2) und auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die zuletzt gestellten Berufungsanträge zu 1 und zu 2 in Bezug auf eine deliktische Schädigung weiterverfolgen.

Gründe

Die wirksam auf die Berufungsanträge zu 1 und zu 2 sowie - wie die Auslegung der Revisionsbegründung ergibt - auf deliktische Schadensersatzansprüche beschränkte Revision (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 10. Juli 2023 - VIa ZR 1620/22, juris Rn. 5 ff.) hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu, weil er greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten weder in Bezug auf ein - von der Revision allein noch in den Blick genommenes - Thermofenster noch auf andere vom Kläger angeführte Abschalteinrichtungen aufgezeigt habe. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV könne der Kläger den geltend gemachten Anspruch nicht herleiten, weil das Interesse eines Autokäufers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Regelungsbereich dieser Vorschriften liege, hinsichtlich eines Thermofensters viel für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum der Beklagten spreche und sich jedenfalls nicht der geltend gemachte große Schadensersatz ergebe.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB mangels greifbarer Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten verneint, sind zwar Rechtsfehler nicht ersichtlich (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO) und erhebt auch die Revision keine Einwände. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann aber ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.

Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 17).

Das Berufungsgericht hat zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es tragfähige Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist gemäß § 562 Abs. 1 ZPO in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen getroffen, die eine deliktische Haftung der Beklagten wegen eines zumindest fahrlässigen Verhaltens ausschlössen. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die aus dem Tenor ersichtliche Berichtigung (§ 319 Abs. 1 ZPO) beruht darauf, dass der Kläger den Berufungsantrag zu 2 ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts am 28. Juli 2022 (GA IV 729R) in Höhe von 1.066,99 € gestellt hat (und nicht, wie es in dem Berufungsurteil offenbar unrichtig heißt, in Höhe von 2.011,02 €).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen und seine Klageanträge entsprechend anzupassen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Es wird im weiteren Verfahren zunächst zu beachten haben, dass - wie die Revision zu Recht rügt - für die Prüfung, ob die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, andere Grundsätze gelten als im Berufungsurteil hinsichtlich eines Thermofensters in Erwägung gezogen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 58 bis 70). Außerdem wird es zu bedenken haben, dass die Weiterveräußerung des Fahrzeugs der Geltendmachung des Differenzschadens entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 75). Schließlich wird das Berufungsgericht in Rechnung zu stellen haben, dass ein Differenzschaden nur bis zur Höhe von 15 % des gezahlten Kaufpreises zu ersetzen ist und darüber hinaus auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV der Ersatz eines weiteren Finanzierungsschadens nicht verlangt werden kann. Dem Berufungsantrag zu 2 wird das Berufungsgericht mithin nur entsprechen können, wenn es nach der Zurückverweisung andere Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer eine Haftung der Beklagten auch nach §§ 826, 31 BGB in Betracht käme (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 28).

Menges

Krüger

Götz

Rensen

Wille

 

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2023 - VIa ZR 1533/22

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2023 - VIa ZR 1533/22

Referenzen

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.