Bundesgerichtshof Urteil, 31. Jan. 2003 - V ZR 276/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um den Besitz von Pachtflächen.
Die H. -H. GmbH (Schuldnerin) bewirtschaftete auf der Grundlage einer Vielzahl von Pachtverträgen landwirtschaftliche Nutzflächen (Felder). Gesellschafter der Schuldnerin waren nahe Angehörige des Klägers, Ge-
schäftsführer der Schuldnerin war dessen Sohn. Dieser beauftragte im Sommer 1998 einen Makler mit dem Nachweis eines Käufers für das Unternehmen und schrieb im Einverständnis mit den Gesellschaftern die Verpächter der Felder mit dem Ziel an, die Pachtverträge mit der Schuldnerin zu beenden und die Felder an den Kläger zu verpachten. Etwa 80 % der Verpächter erklärten sich hiermit zu nicht festgestellten Zeitpunkten einverstanden.
Die Schuldnerin erntete die Felder ab. Wer die Herbstbestellung vornahm , ist streitig. Am 23. September 1998 wurde ein allgemeines Veräußerungs - und Verfügungsverbot über das Vermögen der Schuldnerin erlassen und dessen Sequestration angeordnet. Der Beklagte wurde zum Sequester bestellt. Am 1. Oktober 1998 stellte der Sohn des Klägers den Betrieb der Schuldnerin einem von dem Makler nachgewiesenen Kaufinteressenten vor. Die Beendigung der von der Schuldnerin geschlossenen Pachtverträge offenbarte er hierbei nicht. Dies geschah erst am 15. Oktober 1998.
Am 7. Dezember 1998 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Der Beklagte wurde Verwalter in diesem Verfahren. Bei der Bestellung der Felder im Frühjahr 1999 kam es zum Streit der Parteien um den Besitz an den Pachtflächen.
Mit der am 23. Juli 1999 dem Beklagten zugestellten Klage hat der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, Arbeiten auf den Feldern zu unterlassen , es zu unterlassen, die Felder zu betreten, zu befahren und Dritten die Erlaubnis oder den Auftrag hierzu zu erteilen oder ihn sonst in seinem Besitzrecht an den Feldern zu beeinträchtigen, und festzustellen, daß ihm das unmittelbare Besitzrecht an den Feldern zustehe. Der Beklagte hat den Besitz
des Klägers an den Feldern bestritten. Im Wege der Zwangsvollstreckung aus einer gegen den Kläger erwirkten einstweiligen Verfügung sei er, der Beklagte, am 21. Juli bzw. 16. August 1998 in den Besitz an den Feldern eingewiesen worden.
Das Landgericht hat den Feststellungsantrag zurückgewiesen und der Klage im übrigen stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision erstrebt er die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht erachtet die geltend gemachten Ansprüche nach § 862 Abs. 1 BGB für begründet. Es meint, der Kläger sei mittelbarer Besitzer der Felder, Besitzmittler sei sein Sohn. Die Schuldnerin habe den Besitz durch den Sohn des Klägers als ihren Geschäftsführer ausgeübt. Vertreten durch diesen habe sie sich noch vor der Anordnung der Sequestration ihres Vermögens mit dem Kläger gem. § 854 Abs. 2 BGB geeinigt, den Besitz an den Feldern nach der Aufhebung der von ihr geschlossenen Pachtverträge und dem Zustandekommen neuer Pachtverträge auf den Kläger zu übertragen. Auf die Frage, wann die Pachtverträge über die Felder beendet worden seien, komme es daher nicht an. Das Einverständnis der Gesellschafter der Schuldnerin stehe der Feststellung der Nichtigkeit der Vereinbarung des Besitzübergangs entgegen. Einen im Vollstreckungswege eingetretenen Verlust seines Besitzes könne der Beklagte dem Kläger gem. § 864 Abs. 2 BGB nicht entgegenhalten.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im wesentlichen nicht stand.
II.
1. Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, die Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und dem Kläger, mit den Pachtverträgen auch den Besitz an den Feldern auf den Kläger zu übertragen, sei nichtig, weil durch diese Vereinbarung die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz der Schuldnerin zerstört worden sei.
Die Existenz einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hängt von dem Willen ihrer Gesellschafter ab. Allerdings darf der Geschäftsführer außerhalb einer geordneten Liquidation auch mit Zustimmung der Gesellschafter keinen Vertrag schließen, durch den die Existenzgrundlage der Gesellschaft vernichtet wird. Die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung ist jedoch selbst dann nicht nichtig, wenn sie dazu geführt hat, daß die Schuldnerin ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern nicht mehr erfüllen konnte. Verhält es sich so, kann die Zustimmung der Gesellschafter vielmehr zu ihrer Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft führen, soweit diese aus dem Vermögen der Gesellschaft keine Befriedigung erhalten (BGH, Urt. v. 25. Februar 2002, II ZR 196/00, WM 2002, 960, 961; u. v. 24. Juni 2002, II ZR 300/00, WM 2002, 1804, 1806). Das ist für die Frage, ob der Kläger den Besitz an den Pachtflächen erworben hat, ebenso ohne Bedeutung wie die Fragen nach einer Schadensersatzpflicht des Klägers und nach einer insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit seiner Vereinbarung mit der Schuldnerin.
2. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß die Klage auf der Grundlage des Vorbringens des Beklagten abzuweisen ist, weil der Kläger hiernach nicht Besitzer der Felder ist.
Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind auf § 862 Abs. 1 BGB gestützt. Sie stehen gem. § 869 Satz 1 BGB auch dem mittelbaren Besitzer zu. Der Beklagte hat indessen den Besitz des Klägers an den Feldern bestritten. Ist der Besitz am 21. Juli 1999 auf den Beklagten übertragen worden , ist die Klage von Anfang an unbegründet. Hat der Kläger den Besitz nach der Zustellung der Klage verloren, ist die Klage nachträglich unbegründet geworden.
§ 864 Abs. 2 BGB hindert den Beklagten entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht daran, dem Kläger den Wegfall seines Besitzes entgegenzuhalten. Nach § 864 Abs. 2 BGB erlöschen die Besitzschutzansprüche, wenn die Berechtigung des Störers zur Vornahme der Handlungen rechtskräftig festgestellt ist, deren Unterlassung der Besitzer verlangt. Damit hat der von dem Beklagten eingewandte tatsächliche Besitzverlust des Klägers nichts zu tun. Dabei kann offen bleiben, ob § 864 Abs. 2 BGB auf den Fall der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung entsprechende Anwendung findet (Soergel /Stadler, BGB, 13. Aufl., § 864 Rdn. 7; Hagen, JuS 1972, 124, 126), oder ob die einstweilige Verfügung einen Rechtfertigungsgrund für die Entziehung des Besitzes darstellt (MünchKomm-BGB/Joost, 3. Aufl., § 864 Rdn. 10). Denn mit der Aufhebung des Titels wird die Aufrechterhaltung des im Wege der Zwangsvollstreckung übertragenen Besitzes nicht zur verbotenen Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB.
3. Zutreffend macht die Revision ferner geltend, daß die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Annahme, der Kläger habe fehlerfreien Besitz erlangt, nicht tragen.
Zum Erwerb des Besitzes bedarf es der Erlangung der tatsächlichen Gewalt (§ 854 Abs. 1 BGB) oder der Einigung zwischen dem bisherigen Besitzer und dem Erwerber über den Besitzübergang verbunden mit der Ermöglichung der Gewaltausübung durch den Erwerber (§ 854 Abs. 2 BGB). Voraussetzung des Besitzerwerbs ist nach beiden Alternativen von § 854 BGB, daß der bisherige unmittelbare Besitzer die Gewalt über die Sache aufgibt (Senat, BGHZ 27, 360, 362). Hierzu bedarf es einer nach außen erkennbaren Beendigung der Sachherrschaft durch den bisherigen Besitzer (BGHZ 67, 207, 209). Die bloße Änderung des Willens des unmittelbaren Besitzers zur Ausübung seines Besitzes reicht hierzu nicht aus. So verhält es sich bis zum 15. Oktober 1998. Eine Handlung des Sohnes des Klägers, die erkennen ließ, daß er den Besitz an den Feldern vor diesem Tag nicht mehr als Geschäftsführer der Schuldnerin, mithin als Eigenbesitzer, sondern als unmittelbarer Fremdbesitzer , der dem Kläger den Besitz mittelte, ausübte, ist nicht festgestellt.
Hat der Sohn des Klägers die Sachherrschaft aber erst am 15. Oktober 1998, zu einem Zeitpunkt nach der Anordnung der Sequestration des Vermögens der Schuldnerin, erkennbar beendet, so konnte der Besitz nur dann übergehen , wenn der Schuldnerin durch das gegen sie ergangene Verbot nicht die Verwaltung ihres Vermögens entzogen worden war und der Sequester den Besitz an dem Vermögen der Schuldnerin nicht ergriffen hatte (vgl. Hess/Binz/ Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung, 4. Aufl., § 2 Rdn. 104; Smid, Gesamtvollstreckungsordnung , 3. Aufl. § 2 Rdn. 125, 129; Kirchhof in Heidelber-
ger Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 22 Rdn. 4; MünchKommInsO /Haarmeyer, § 22 Rdn. 37). War der Schuldnerin durch den Beschluß vom 23. September 1998 dagegen die Befugnis zur Verwaltung ihres Vermögens entzogen und hatte der Beklagte den Besitz an den Feldern angetreten, übte der Sohn des Klägers den Besitz an den Feldern nur noch als Besitzdiener der Schuldnerin aus. Als solcher konnte er den Besitz an den Feldern nicht aufgeben.
III.
Zu einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits ist der Senat nicht in der Lage. Es bedarf der Feststellung, ob der Kläger überhaupt Besitzer der Felder ist oder ob der Besitz in der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung oder infolge der Sequestration auf den Beklagten übergegangen ist.
Wenzel Tropf Klein Lemke Schmidt-Räntsch
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(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft besitzt und der Besitz in dem letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist.
(1) Ein nach den §§ 861, 862 begründeter Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wird.
(2) Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann.
(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft besitzt und der Besitz in dem letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist.
(1) Ein nach den §§ 861, 862 begründeter Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wird.
(2) Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann.
(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft besitzt und der Besitz in dem letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist.
Wird gegen den Besitzer verbotene Eigenmacht verübt, so stehen die in den §§ 861, 862 bestimmten Ansprüche auch dem mittelbaren Besitzer zu. Im Falle der Entziehung des Besitzes ist der mittelbare Besitzer berechtigt, die Wiedereinräumung des Besitzes an den bisherigen Besitzer zu verlangen; kann oder will dieser den Besitz nicht wieder übernehmen, so kann der mittelbare Besitzer verlangen, dass ihm selbst der Besitz eingeräumt wird. Unter der gleichen Voraussetzung kann er im Falle des § 867 verlangen, dass ihm die Aufsuchung und Wegschaffung der Sache gestattet wird.
(1) Ein nach den §§ 861, 862 begründeter Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wird.
(2) Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann.
(1) Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht).
(2) Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft. Die Fehlerhaftigkeit muss der Nachfolger im Besitz gegen sich gelten lassen, wenn er Erbe des Besitzers ist oder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers bei dem Erwerb kennt.