Bundesgerichtshof Urteil, 26. Sept. 2001 - IV ZR 298/98

bei uns veröffentlicht am26.09.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 298/98 Verkündet am:
26. September 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
Zur Auslegung eines auf den Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten ausgesetzten
Vermächtnisses im Hinblick auf eine Anrechnung des nach dem Tod des zuerst
verstorbenen Ehegatten vom Bedachten empfangenen Pflichtteils.
BGH, Urteil vom 26. September 2001 - IV ZR 298/98 - OLG Karlsruhe
LG Waldshut-Tiengen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin
Ambrosius und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 26. September 2001

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 4. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. September 1998 im Kostenpunkt und in seinem Feststellungsausspruch aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 30. Dezember 1997 im Kostenpunkt sowie in seiner Entscheidung unter Ziffer 1 (betr. Freistellung) geändert.
Die Klage auf Feststellung einer Freistellungspflicht der Beklagten wird als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:



Die Klägerin wirft den Beklagten anwaltliche Fehlberatung bei der Gestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments vor, das sie am 3. Februar 1994 zusammen mit ihrem Ehemann eigenhändig errichtete. Das Testament lautet auszugsweise:
"Wir ... setzen uns auf das Ableben des Erstversterbenden von uns gegenseitig als Alleinerben ein. Der überlebende Ehegatte von uns soll frei über den Nachlaß nach Ableben des Erstversterbenden von uns verfügen können. Ich, Arnold G. ..., habe aus erster Ehe ... eine Tochter und zwar Cornelia ... Diese Tochter soll aus dem Erbvermögen des Letztversterbenden einen Betrag in Höhe von 150.000 DM ... erhalten , wobei Wertmaßstab für den Geldwert dieses Betrages der Monat Februar 1994 sein soll ... Unsere Tochter Belinda ... soll im übrigen Erbin des Nachlasses nach dem Ableben des Letztversterbenden werden. Sie soll verpflichtet sein ..., ... den vorerwähnten Betrag von 150.000 DM nach Anfall der Erbschaft unverzüglich auszubezahlen ... " Nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin am 24. April 1994 verlangte dessen Tochter aus erster Ehe den Pflichtteil. Sie erhielt 100.000 DM. Die Klägerin meint, ihre Tochter müsse bei Annahme der Erbschaft als Schlußerbin das Vermächtnis zugunsten ihrer Stieftochter ohne Anrechnung dieser Pflichtteilszahlung in voller Höhe erfüllen. Infolge eines anwaltlichen Beratungsfehlers sei versäumt worden, für den eingetretenen Fall des Vorversterbens des Ehemannes und einer Pflichtteilsforderung der Tochter aus dessen erster Ehe zugunsten der mit dem Vermächtnis beschwerten Schlußerbin eine Verfall- oder Anrechnungsklausel in das Testament aufzunehmen. Die Klägerin hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - auf Feststellung geklagt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner die Schlußerbin von

Ansprüchen aus dem Vermächtnis freizustellen haben, soweit die Zahlung auf den Pflichtteil der Bedachten nicht auf das zu ihren Gunsten ausgesetzte Vermächtnis angerechnet werde.
Der Antrag hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision erstreben die Beklagten insoweit die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe


Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Abweisung des Feststellungsantrags.
1. Das Berufungsgericht hält die Feststellungsklage für zulässig. Ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung (§ 256 Abs.1 ZPO) könne im Hinblick auf eine Ersatzpflicht wegen anwaltlicher Fehlberatung angenommen werden, wenn nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich sei (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - IX ZR 242/94 - NJW 1996, 1062 unter A II 2). Im vorliegenden Fall sei anzunehmen, daû die Schluûerbin die Klägerin überleben werde. Nachdem sich die Stieftochter bei Erhalt des väterlichen Pflichtteils geweigert habe, auf das ihr zugedachte Vermächtnis zu verzichten, sei auch hinreichend wahrscheinlich, daû sie das Vermächtnis beim Tod der Klägerin geltend machen werde.

Die Feststellungsklage sei auch begründet. Der Klägerin stehe ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages zu. Sie und ihr Ehemann hätten dem sie beratenden Beklagten zu 1) deutlich gemacht, daû die Tochter des Ehemannes aus dessen erster Ehe erst aus dem Vermögen des Letztversterbenden 150.000 DM wertgesichert erhalten solle, nicht mehr und nicht weniger. Dieses Vermächtnis habe entfallen sollen, falls die Bedachte ihren Pflichtteil nach dem Vater fordere. Der Wille der Klägerin und ihres Ehemannes sei dahin gegangen, daû eine Zahlung, die die Bedachte auf den väterlichen Pflichtteil erhalte , auf das beim Tod des Letztversterbenden zu erfüllende Vermächtnis jedenfalls angerechnet werden müsse. Der Beklagte zu 1) habe eine Anrechnungsklausel im Testament nur deshalb nicht für erforderlich gehalten , weil er irrig davon ausgegangen sei, die Tochter des Ehemannes aus dessen erster Ehe könne gemäû § 2307 Abs.1 BGB ohnehin nur entweder den Pflichtteil oder das Vermächtnis fordern. Dabei habe er den eingetretenen Fall nicht bedacht, in dem der Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Vaters nicht mit dem erst auf den Tod der Klägerin ausgesetzten Vermächtnis zusammentrifft. Die Klägerin könne das Vermächtnis auch nicht durch ein zusätzliches Testament beschränken. Sie könne zwar unter Lebenden frei über den Nachlaû verfügen. Sie sei aber an das Vermächtnis zugunsten der Stieftochter gemäû § 2271 Abs. 2 BGB gebunden, weil es mit der Einsetzung der Klägerin als Alleinerbin ihres Ehemannes wechselbezüglich sei.
2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.


a) Das Berufungsgericht hat versäumt, das Testament im Hinblick darauf auszulegen, ob sich die Anrechnung des ausgezahlten Pflichtteils auf das Vermächtnis nicht bereits aus dem Sinn des Testaments ergibt.
Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments kommt es auf den Willen beider Ehegatten an. Entscheidend ist jedoch nicht der Empfängerhorizont; die Auslegung darf auch nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften. Vielmehr ist zu fragen, was die Testierenden mit ihren Worten haben sagen wollen (BGH, Urteil vom 7.Oktober 1992 - IV ZR 160/91 - NJW 1993, 256 unter 2). Das Berufungsgericht stellt rechtsfehlerfrei fest, nach dem Willen der Klägerin und ihres Ehemannes habe sich dessen Tochter aus erster Ehe auf das ihr beim Tod des Letztversterbenden zugedachte Vermächtnis anrechnen lassen sollen, was sie möglicherweise bei Vorversterben ihres Vaters als Pflichtteil nach dem Vater erhalte. Dagegen wendet sich die Revisionserwiderung der Klägerin nicht.
Sie macht vielmehr geltend, dieser Wille habe im Testament nicht einmal andeutungsweise Ausdruck gefunden (BGHZ 86, 41, 47). Dem hält die Revision mit Recht den Satz des Testaments entgegen, wonach die Tochter des Ehemannes aus dessen erster Ehe "aus dem Erbvermögen des Letztversterbenden" 150.000 DM wertgesichert erhalten solle. Damit sei alles, was der Bedachten aus dem Vermögen beider Ehegatten zukommen solle, abschlieûend beschrieben worden. Der Satz sei mithin so zu verstehen, daû die Bedachte "nur" jene 150.000 DM aus dem Nachlaû des zuletzt versterbenden Ehegatten habe bekommen sollen.

Damit hat der festgestellte Wille der Testatoren auch nach Ansicht des Senats eine hinreichende Stütze im Text des Testaments gefunden.
Die Auslegung des Testaments ist zwar Sache des Tatrichters. Einer Zurückverweisung bedurfte es hier aber nicht, weil der vom Tatrichter festgestellte Wille der Testatoren auûer Streit steht und neue Gesichtspunkte zu der Frage, ob dieser Wille Ausdruck in der Testamentsurkunde gefunden hat, nicht zu erwarten sind.

b) In Anbetracht dieser Testamentsauslegung, deren Grundlagen im vorliegenden Verfahren von Anfang an gegeben waren und die auch in Zukunft schwerlich in Frage gestellt werden können, ist jedenfalls die Entstehung des von der Klägerin befürchteten Schadens unwahrscheinlich. Vielmehr kann sich die Schluûerbin, wenn sie nach dem Tod der Klägerin auf die Erfüllung des vollen Vermächtnisses in Anspruch genommen wird, mit Erfolg darauf berufen, daû nach dem Sinn des Testaments die 100.000 DM auf das Vermächtnis anzurechnen sind, die die Bedachte bereits als Pflichtteil nach ihrem Vater erhalten hat. Daher fehlt es an dem von § 256 Abs. 1 ZPO geforderten rechtlichen Interesse an der alsbaldigen Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten. Der Feststellungsantrag der Klägerin ist unzulässig.
Terno Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 256 Feststellungsklage


(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2084 Auslegung zugunsten der Wirksamkeit


Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zu, so ist im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2271 Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen


(1) Der Widerruf einer Verfügung, die mit einer Verfügung des anderen Ehegatten in dem in § 2270 bezeichneten Verhältnis steht, erfolgt bei Lebzeiten der Ehegatten nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296. Durch

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2307 Zuwendung eines Vermächtnisses


(1) Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisse

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Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zu, so ist im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

(1) Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht; bei der Berechnung des Wertes bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 bezeichneten Art außer Betracht.

(2) Der mit dem Vermächtnis beschwerte Erbe kann den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auffordern. Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird.

(1) Der Widerruf einer Verfügung, die mit einer Verfügung des anderen Ehegatten in dem in § 2270 bezeichneten Verhältnis steht, erfolgt bei Lebzeiten der Ehegatten nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296. Durch eine neue Verfügung von Todes wegen kann ein Ehegatte bei Lebzeiten des anderen seine Verfügung nicht einseitig aufheben.

(2) Das Recht zum Widerruf erlischt mit dem Tode des anderen Ehegatten; der Überlebende kann jedoch seine Verfügung aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt. Auch nach der Annahme der Zuwendung ist der Überlebende zur Aufhebung nach Maßgabe des § 2294 und des § 2336 berechtigt.

(3) Ist ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling der Ehegatten oder eines der Ehegatten bedacht, so findet die Vorschrift des § 2289 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.