Bundesgerichtshof Urteil, 24. Jan. 2007 - IV ZR 208/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Kläger Der nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz aus einer Haftpflichtversicherung in Anspruch. Versichert war seine gesetzliche Haftpflicht für Vermögensschäden aus der Tätigkeit als selbständiger Generalvertreter der W. -Versicherungsgruppe.
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- W. -Allgemeine Die Versicherung AG (….) hatte vom Kläger Schadensersatz verlangt, weil er sich bei der Aufnahme und Weiterleitung eines Antrags vom 13. Mai 1997 auf Abschluss einer Hausratversicherung pflichtwidrig verhalten habe. Im Antrag war anzugeben, ob für den Antragsteller oder seinen Ehegatten bereits gleichartige Versicherungen bestehen oder bestanden hatten, wer den Vertrag gekündigt hatte und wie viele Schäden welcher Art und in welcher Höhe in den letzten fünf Jahren eingetreten waren. Nach den Regeln für die Antragsaufnahme mussten Fragen nach früheren Versicherungen/Schäden in jedem Fall beantwortet werden. Nach den Annahmerichtlinien wurden Versicherungen nicht übernommen, wenn ein gleichartiger Versicherungsvertrag nach einem Schaden vom Versicherer gekündigt worden war. Obwohl die Antragstellerin den jetzigen Kläger - so die Klägerin des Haftpflichtprozesses - auf die Kündigung durch den vorherigen Hausratversicherer wegen zwei Schäden über insgesamt 200.000 DM durch Einbruchdiebstahl im Jahr 1993 hingewiesen habe, habe er dies in den Antrag nicht aufgenommen. Dieser bewusste Verstoß gegen die ihm bekannten Richtlinien habe dazu geführt, dass der Antrag angenommen worden sei und die Versicherungsnehmerin wegen eines Einbruchdiebstahls vom 10. Oktober 1998 in Höhe von 83.293,60 DM entschädigt werden musste. Im Haftpflichtprozess hat das Oberlandesgericht Hamm den Kläger durch Urteil vom 7. Dezember 2001 rechtskräftig zum Schadensersatz verurteilt, weil er seine vertraglichen Pflichten bei der Vermittlung des Versicherungsvertrages jedenfalls fahrlässig verletzt habe.
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- Die Beklagte behauptet, der Kläger habe seine Pflichten als Versicherungsvermittler wissentlich verletzt. Für Haftpflichtansprüche wegen Schadenstiftung durch wissentliche Pflichtverletzung bestehe nach § 4 Nr. 5 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) kein Versicherungsschutz.
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- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe:
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- Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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- I. Das Oberlandesgericht (r+s 2004, 17) meint, eine wissentliche Pflichtverletzung, für die die Beklagte die Beweislast trage, lasse sich auf der Grundlage der in gewissem Umfang bestehenden Bindungswirkung des Urteils des Oberlandesgerichts im Haftpflichtprozess nicht feststellen. Danach stehe im Deckungsprozess bindend fest, dass der Kläger mit der Antragstellerin R. und ihrem Ehemann verabredet habe, davon auszugehen, dass die Schäden mehr als fünf Jahre zurücklägen, wenn er von den Eheleuten nichts mehr höre, und dass er fälschlich davon ausgegangen sei, die Fragen nach Vorversicherungen und Vorschäden könnten verneint werden, wenn die Schäden und die Kündigung der Vorversicherung mehr als fünf Jahre zurücklägen. Soweit diese Tatsachen vorliegend relevant seien, bestehe auch Voraussetzungsidentität. Keine Bindungswirkung bestehe hinsichtlich der Bewertung der Pflichtverletzungen des Klägers im Haftpflichturteil als fahrlässig. Eine wissentliche Pflichtverletzung sei nicht anzunehmen. Es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger die Richtlinien der … und den Inhalt des Antrags wissentlich verkannt hätte. Seine zugrunde zu legende Fehlvorstellung über die Bedeutung der Fünfjahresfrist und die zu unter- stellende Verabredung mit den Eheleuten R. lasse sein Verhalten vielmehr lediglich als grob fahrlässig erscheinen. Dem mit den Zeugen R. unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, sie hätten dem Kläger zu den Vorschäden hinreichend präzise Zeitangaben gemacht und es sei besprochen worden, dass ein Versicherungsantrag wegen der Vorschäden heikel sei, sei wegen der Bindungswirkung nicht nachzugehen.
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- II. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den Umfang der Bindungswirkung des Haftpflichturteils für den Deckungsprozess verkannt hat.
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- 1. Der Senat hat im Urteil vom 18. Februar 2004 ausführlich zu den Grenzen der Bindungswirkung Stellung genommen (IV ZR 126/02 - VersR 2004, 590 unter III 1 und 2 m.w.N.). Danach entfalten Feststellungen im vorangegangenen Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer im nachfolgenden Deckungsprozess zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer Bindungswirkung nur bei Voraussetzungsidentität. Nach dem in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzip ist grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem Dritten gegenüber haftet. Notwendige Ergänzung des Trennungsprinzips ist die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut überprüft werden können. Die Bindungswirkung geht aber nicht weiter, als sie danach geboten ist. Geboten ist die Bindungswirkung nur insoweit, als eine für die Entschei- dung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist, also Voraussetzungsidentität vorliegt. Nur dann ist es gerechtfertigt anzunehmen, eine Feststellung sei Grundlage für die Entscheidung im Haftpflichtprozess. Die Begrenzung der Bindungswirkung auf Fälle der Voraussetzungsidentität ist insbesondere deshalb geboten, weil der Versicherungsnehmer und der Versicherer keinen Einfluss darauf haben, dass der Haftpflichtrichter "überschießende" , nicht entscheidungserhebliche Feststellungen trifft oder nicht entscheidungserhebliche Rechtsausführungen macht. Beruht die Verurteilung im Haftpflichtprozess auf einer lediglich fahrlässigen Pflichtverletzung , ist im Deckungsprozess in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, ob der Versicherungsnehmer diese Pflicht wissentlich verletzt hat, wenn der Versicherer sich darauf beruft (Senatsurteil vom 28. September 2005 - IV ZR 255/04 - VersR 2006, 106 unter II 2 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. April 1958 - II ZR 163/57 - VersR 1958, 361 unter 1).
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- 2. Daran gemessen besteht die vom Berufungsgericht angenommene Bindungswirkung nicht. Die für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage der wissentlichen Pflichtverletzung war nach dem vom Oberlandesgericht im Haftpflichtprozess gewählten rechtlichen Begründungsansatz nicht entscheidungserheblich, so dass es an der Voraussetzungsidentität fehlt.
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- a) Nur für die Beurteilung der Pflichtverletzung als wissentlich im Sinne von § 4 Nr. 5 AVB kommt es auf tatsächliche Feststellungen dazu an, ob dem Kläger bei Aufnahme und Weiterleitung des Antrags und dem späteren Telefongespräch mit dem Innendienstmitarbeiter S. , wie die Beklagte unter Beweisantritt behauptet hat, bekannt war, dass die Vorschäden innerhalb der Fünfjahresfrist lagen und der Versicherungsantrag deshalb gesprächsweise als heikel bezeichnet worden ist.
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- b) Für die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Haftpflichtprozess war dies unerheblich. Es hat die Verurteilung des Klägers zum Schadensersatz unter objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung schon auf der Grundlage des insoweit in der Verhandlung des Berufungsgerichts festgestellten Sachverhalts auf eine fahrlässige Verletzung seiner Pflichten als Vermittler gestützt. Unter Verstoß gegen die Richtlinien der … habe er den Antrag auf Abschluss der Hausratversicherung weitergeleitet , obwohl die Fragen nach früheren Versicherungen und Schäden nicht beantwortet waren; die Frage des Innendienstmitarbeiters S. nach einer gleichartigen Vorversicherung habe er objektiv falsch mit nein beantwortet. Der darüber hinausgehenden Behauptung der … , der Kläger habe den Antrag trotz genauer Kenntnis von den Vorschäden, deren Zeitpunkt und der Vorversicherung bewusst unvollständig weitergeleitet, um die Ablehnung zu vermeiden, ist das Oberlandesgericht im Haftpflichtprozess mit Recht nicht nachgegangen; darauf kam es für seine Entscheidung schon nicht mehr an.
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- 3. Die für die Beurteilung der Pflichtverletzung als wissentlich erforderlichen Tatsachen sind demgemäß im Deckungsprozess festzustellen. Da dies rechtsfehlerhaft unterblieben ist, wird das Berufungsgericht dies unter Berücksichtigung des Parteivortrags und der Beweisangebote nachzuholen haben.
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- III. Die Beklagte ist auch nicht, wie das Berufungsgericht hilfsweise kurz anmerkt, verpflichtet, aufgrund ihres Schreibens vom 7. Juni 1999 die Kosten der erstinstanzlichen Rechtsverteidigung im Haftpflichtprozess zu tragen. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass die Beklagte Kostendeckungsschutz in Unkenntnis der wissentlichen Pflichtverletzung und nur in bedingungsgemäßem Umfang zugesagt hat. Gibt der Haftpflichtversicherer zur Verteidigung gegen den Haftpflichtanspruch in Unkenntnis eines Ausschlussgrundes eine Deckungszusage ab, kann er sich, wenn die Voraussetzungen des Ausschlusses später festgestellt werden, in vollem Umfang auf Leistungsfreiheit berufen (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 1978 - IV ZR 57/77 - VersR 1978, 1105 unter I und vom 7. November 1966 - II ZR 12/65 - VersR 1967, 27 unter III; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 149 Rdn. 26 a.E.; Voit/ Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 149 Rdn. 7; vgl. zur Deckungszusage in der Rechtsschutzversicherung BGH, Urteil vom 18. März 1992 - IV ZR 51/91 - VersR 1992, 568 unter 2).
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 20.11.2002 - 16 O 265/02 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 16.07.2003 - 20 U 36/03 -
Annotations
Die durch die §§ 142 bis 148 begründeten Rechte können nicht zugunsten von Hypotheken, Grundschulden oder Rentenschulden, die dem Versicherungsnehmer zustehen, geltend gemacht werden.
(1) Abweichend von § 8 Abs. 1 Satz 1 beträgt die Widerrufsfrist 30 Tage.
(2) Der Versicherer hat abweichend von § 9 Satz 1 auch den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 zu zahlen. Im Fall des § 9 Satz 2 hat der Versicherer den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile oder, wenn dies für den Versicherungsnehmer günstiger ist, die für das erste Jahr gezahlten Prämien zu erstatten.
(3) Abweichend von § 33 Abs. 1 ist die einmalige oder die erste Prämie unverzüglich nach Ablauf von 30 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen.