Bundesgerichtshof Urteil, 23. Juni 2004 - IV ZR 130/03

bei uns veröffentlicht am23.06.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 130/03 Verkündet am:
23. Juni 2004
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
_____________________
AGBG §§ 5, 9 Cl; AUB 94 § 2 IV
Der Leistungsausschluß in § 2 IV AUB 94 für krankhafte Störungen infolge psychischer
Reaktionen ist nicht unklar (§ 5 AGBG, § 305c Abs. 2 BGB); er hält einer
Inhaltskontrolle stand (§ 9 AGBG, § 307 BGB).
BGH, Urteil vom 23. Juni 2004 - IV ZR 130/03 - Saarländisches OLG
LG Saarbrücken
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Juni 2004

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 16. April 2003 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Unfallvers icherung, der unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 94) der Beklagten zugrunde liegen.
Er behauptet, er sei am 1. Oktober 1996 von einer Leiter gefallen und mit dem Hinterkopf auf den Boden aufgeschlagen. Dabei habe er einen Gehirnschaden davongetragen, der epileptische Anfälle verursache, die allein zu einer 55%igen Invalidität führten, sowie einen Hörschaden erlitten. Die Beklagte hat nach einem im Dezember 1997 eingeholten ersten HNO-ärztlichen Gutachten vorläufig eine 10%ige Invalidität wegen des Hörschadens zugrunde gelegt und einen Vorschuß von 12.000 DM

gezahlt. Auf der Grundlage einer von ihr 1999 veranlaßten neurologischen und weiteren HNO-ärztlichen Begutachtung hat sie sodann eine unfallbedingte Invalidität überhaupt bestritten. Soweit der Kläger an psychisch bedingten Beschwerden leide, beruft sie sich auf den Leistungsausschluß in § 2 IV AUB 94, der lautet: "Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: … IV. Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gleichgültig, wodurch diese verursacht sind." Der Kläger verlangt wegen Hirnleistungsstörungen u nd Hörschäden eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 132.000 DM. Seine Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er das Zahlungsbegehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
Dem Kläger stehen wegen des Leitersturzes keine In validitätsleistungen aus der Unfallversicherung zu.
I. Das Berufungsgericht (r+s 2003, 470) hat festge stellt, der Kläger habe zwar über die Zeugenaussage seines Sohnes nachgewiesen, daß sich der Unfall, so wie von ihm behauptet, zugetragen habe. Er habe

aber nicht nachweisen können, daß eine versicherte Invalidität im Sinne des § 7 Abs. 1 AUB 94 eingetreten sei.
Auf die vom ohrenärztlichen Sachverständigen anger egte psychiatrische Beurteilung, ob der vom Kläger berichtete Schwindel neurotischer Natur ohne faßbares organisches Korrelat sei, es sich also um einen psychogenen Schwindel handele, komme es wegen § 2 IV AUB 94 nicht an. Diese Klausel halte einer AGB-rechtlichen Kontrolle stand.
Sie verstoße nicht infolge von Intransparenz gegen § 9 Abs. 1 AGBG. Bei unbefangener Lesart erfasse diese Klausel nur Gesundheitsbeeinträchtigungen , die ausschließlich auf einem seelisch bedingten Ursachenzusammenhang , nicht aber auf einer unfallbedingten organischen Schädigung beruhten. Dieses Verständnis werde von den systematischen und wertenden Erwägungen, die bereits bei den Leistungsausschlüssen in §§ 2 Abs. 3 lit. b und 10 Abs. 5 AUB 61 eine Rolle gespielt hätten, bestätigt. Schwierigkeiten bei der Feststellung der Ursachen für psychisch empfundene Beschwerden führten nicht zur Intransparenz.
Der Leistungsausschluß gefährde auch nicht den Ver tragszweck im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG. Dieser sei über § 1 AUB 94 nicht durch einen umfassenden, tariflich nur schwer kalkulierbaren Schutz bei jedweder gesundheitsrelevanten Schädigung, sondern in erster Linie dadurch gekennzeichnet, körperliche Beeinträchtigungen zu versichern.
Das hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

II. Die Revision nimmt hin, daß der Kläger nicht a n einer unfallbedingten organisch-körperlichen Störung bzw. einer psychischen Erkrankung als Manifestation einer solchen Schädigung leidet. Sie wendet sich nur gegen die Wirksamkeit des Leistungsausschlusses in § 2 IV AUB 94. Dabei macht sie sich im wesentlichen die Ausführungen von Schwintowski (NVersZ 2002, 395 ff., Anm. zu OLG Jena VersR 2002, 1019 f. = NVersZ 2002, 402 f.) zu eigen, der die Klausel für intransparent hält. Die Klausel gefährde zudem den Vertragszweck, was zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers führe (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG - jetzt § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), und sei eindeutig unklar (§ 5 AGBG - jetzt § 305c Abs. 2 BGB).
Damit vermag die Revision nicht durchzudringen. De r in § 2 IV AUB 94 festgelegte Leistungsausschluß hält einer Bedingungskontrolle stand. Die Klausel ist wirksam.
1. a) Vor der Bedingungskontrolle ist die Klausel zunächst auszulegen , um Klarheit über ihren zu kontrollierenden Inhalt zu schaffen (Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 137/98 - VersR 1999, 745 unter II 1 b). Dem folgt an sich auch das Berufungsgericht, wenn es - allerdings innerhalb der Transparenzprüfung - eine nähere Festlegung des Verständnisses der Klausel vornimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung , aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versiche-

rungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85 und ständig).

b) Danach ist die Klausel wie folgt auszulegen:
Ausgehend vom Wortlaut wird der Versicherungsnehme r erkennen, daß die AUB 94 zunächst generell und umfassend Leistungen für Unfallfolgen einschließlich psychischer Folgen zusagen (§§ 1, 7 I 1 AUB 94; vgl. Knappmann, NVersZ 2002, 1, 4). Bei Durchsicht des in § 2 AUB 94 enthaltenen Katalogs der "Ausschlüsse" wird er sodann gewahr, daß diese allgemeine Leistungszusage nicht uneingeschränkt gelten soll, vielmehr der Versicherungsschutz bei einer genau umschriebenen Art von Unfällen und Gesundheitsschädigungen (I, II), bei speziellen Verletzungsfolgen (III) und bei psychisch vermittelten Krankheitszuständen (IV) nicht gelten soll. Bei letzteren wird ihm die weite Fassung dieses Ausschlusses vor Augen geführt, mit dem krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen gleichgültig, wodurch diese verursacht worden sind, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Das erfaßt Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl auf Einwirkungen von außen über Schock, Schreck, Angst und ähnliches erfolgen , als auch auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhen (Senatsurteil vom 19. März 2003 - IV ZR 283/02 - VersR 2003, 634 unter II 2; OLG Koblenz VersR 2001, 1550 f.; Prölss/Martin/Knappmann, VVG 26. Aufl. § 2 AUB 88 Rdn. 40).
Damit werden ihm auch die für den Versicherungssch utz vorausgesetzten Zusammenhänge zwischen den Gesundheitsschäden und ihren Ursachen deutlich. Fehlt es an körperlichen Traumata oder kann die

krankhafte Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden, will der Versicherer keinen Versicherungsschutz übernehmen (Grimm, Unfallversicherung 3. Aufl. § 2 AUB Rdn. 108). Anders dagegen soll - wie schon das Berufungsgericht zutreffend sieht - Versicherungsschutz bestehen, wenn er durch den Unfall beispielsweise hirnorganisch beeinträchtigt wird, was dann seine Psyche krankhaft verändert (Knappmann , aaO S. 4). Die organische Schädigung oder Reaktion, die zu einem psychischen Leiden führt, vermag den Ausschlußtatbestand nicht auszulösen; diese seelischen Beschwerden beruhen dann nicht, wie von der Klausel wörtlich verlangt, ihrerseits auf psychischen Reaktionen, sondern sind physisch hervorgerufen und mithin nicht vom Ausschluß erfaßt. Diese Auslegung beruht nicht etwa, wie die Verständnisbetrachtung des Berufungsgerichts nahelegen könnte, auf systematischen und wertenden Erwägungen zur Vorgängerklausel in den AUB 61, die der durchschnittliche Versicherungsnehmer aber nicht kennt, sondern allein auf den Erkenntnismöglichkeiten bei umsichtiger Beschäftigung mit dem Klauselwerk seines Versicherungsvertrages (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 2000 - IV ZR 113/99 - VersR 2000, 1090 unter 2).
2. Die Bestimmung des § 2 IV AUB 94 ist nach diese r Auslegung nicht unklar im Sinne von § 5 AGBG und hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.

a) Unklar gemäß § 5 AGBG sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (BGHZ 112, 65, 68 f.; BGH, Urteil vom 11. März 1997 - X ZR 146/94 - NJW 1997, 3434 unter 1 b). Das ist nach dem zuvor gewon-

nenen Auslegungsergebnis nicht der Fall. Aus der maßgeblichen Sicht des Versicherungsnehmers bleiben keine Zweifel, daß alle durch psychische Reaktionen hervorgerufenen Schäden ausgeschlossen werden sollen ; daß er keine Leistungen vom Versicherer erhalten soll, wenn und soweit sich psychische Reaktionen auf seinen Zustand nach dem Unfall auswirken, ist eindeutig und unmißverständlich (Knappmann, aaO S. 4). Für § 5 AGBG ist danach kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1992 - X ZR 74/91 - NJW 1993, 657 unter II 2).
Anderes vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen , wenn sie darauf verweist, daß die Begriffe "krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen" im wesentlichen aus Unsicherheiten bestünden, sie deswegen für einen Risikoausschluß besonders ungeeignet und Klauseln mit derart mehrdeutigen Begriffen gemäß § 5 AGBG unwirksam seien. Das läuft - worauf auch der Hinweis auf BGHZ 147, 354, 361 mit der dort behandelten Transparenzprüfung hindeutet - in der Sache darauf hinaus, die Unklarheitenregel als ein Mittel verdeckter Inhaltskontrolle einzusetzen. Ein solcher Ansatz ist jedoch überholt und nicht mehr zu rechtfertigen (Palandt/Heinrichs, BGB 60. Aufl. § 5 AGBG Rdn. 8). Unklarheitenregelung und Inhaltskontrolle unterliegen eigenen spezifischen Prüfungskriterien und dürfen so nicht miteinander vermischt werden.
Entgegen der Auffassung der Revision zeigt auch di e jüngere Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht, daß diese Klausel unterschiedlich ausgelegt wird (vgl. OLG Köln VersR 2000, 1489 f.; OLG Frankfurt OLGR 2000, 27 ff. - mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. September 2000 - IV ZR 194/99; OLG Oldenburg r+s 2004, 34 f. mit Nichtzulassungsbeschluß des Senats vom 26. März 2003 - IV ZR

342/02; LG Landshut ZfS 1998, 23). Wie selbst die Revision zugesteht, sollen darin (bloß) Schwierigkeiten bei der "rechtlichen Handhabung" der Klausel zum Ausdruck kommen. Das betrifft jedoch keine verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten im Sinne von nicht behebbaren Zweifeln für die Unterscheidung zwischen physisch ausgelösten versicherten und nichtversicherten psychogenen Gesundheitsschäden. Etwaige Schwierigkeiten bei den im Einzelfall insoweit zu treffenden Feststellungen lassen eine im übrigen klare Abgrenzungsregelung ohnehin nicht unklar werden.
Die Unklarheitenregelung des § 5 AGBG wird nach al ledem durch die in der Klausel festgeschriebene Ausgrenzung psychisch reaktiver Gesundheitsschäden vom Versicherungsschutz nicht betroffen.

b) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, d aß § 8 AGBG (jetzt § 307 Abs. 3 BGB) eine Inhaltskontrolle nach den §§ 9-11 AGBG nicht hindert, weil die Klausel nach ihrem Wortlaut und erkennbaren Zweck das schon in § 1 AUB 94 i.V. mit § 7 AUB 94 gegebene Hauptleistungsversprechen lediglich beschränkt, indem sie aus dem Kreis der versicherten, also an sich entschädigungspflichtigen unfallbedingten Gesundheitsschäden, die krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen ausschließt. Solche leistungsbeschränkenden Klauseln sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats kontrollfähig (BGHZ 141, 137, 140 ff.; 142, 103, 109 ff.; BGH, Urteile vom 21. Februar 2001 - IV ZR 11/00 - VersR 2001, 576 unter 1 und 30. Oktober 2002 - IV ZR 60/01 - VersR 2002, 1546 unter II 1). Gegen diese Beurteilung wendet sich auch die Revisionserwiderung nicht.

aa) Die Ausgrenzung psychisch reaktiver Gesundheit sschäden gefährdet den Vertragszweck nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 AGBG. Nicht jede Leistungsbegrenzung bedeutet schon eine Vertragszweckgefährdung , sondern ist zunächst grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer nicht falsche Vorstellungen erweckt (BGHZ 141, 137, 143). Eine Gefährdung ist daher erst dann anzunehmen, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit der Versicherungsvertrag in bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (BGHZ 137, 174, 176 und ständig).
Das ist hier nicht der Fall. Der zugesagte Unfallv ersicherungsschutz für von außen auf den Körper wirkende Ereignisse (§ 1 III AUB 94) bleibt von dieser Klausel für alle Gesundheitsschäden - also einschließlich psychischer Leiden - unangetastet, soweit sich die Beschwerden nicht als Folge psychischer Reaktionen darstellen. Es trifft daher schon nicht zu, daß - wie die Revision meint - bei Wirksamkeit des § 2 IV AUB 94 für seelische Unfallfolgen aller Art zumeist ein Leistungsausschluß zugunsten des Versicherers gegeben wäre. Für den gesamten Bereich physisch vermittelter Unfallschädigungen greift dieser Ausschluß nicht. Bereits deswegen scheidet eine Aushöhlung des Unfallversicherungsvertrages aus; sein Zweck, Schutz vor Unfallrisiken zu bieten, wird in diesem weit gespannten Bereich ausreichend erfüllt.
bb) Der Ausschluß der psychischen Reaktionen benac hteiligt den Versicherungsnehmer auch im übrigen nicht unangemessen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 AGBG). Mit dem Ausschluß knüpft die bedingungsgemäße Ent-

schädigung von Unfallschäden an objektiv erfaßbare Vorgänge an. Das trägt dem Interesse des Versicherers an einer möglichst zuverlässigen Tarifkalkulation und an einer zeitnahen, mit vertretbarem Kostenaufwand ergehenden Entscheidung über die Entschädigung Rechnung. Andererseits liegen eine zügige Regulierung und günstige Prämien auch im Interesse des Versicherungsnehmers (vgl. dazu OLG Düsseldorf VersR 1998, 886 f.; Grimm, aaO § 2 Rdn. 103, 108). Eine möglichst reibungslose , kostengünstige Vertragsabwicklung wäre bei der Einbeziehung von psychogenen Schäden so nicht mehr gewährleistet. Denn diese Schäden hängen stark auch von den persönlichen Dispositionen eines Versicherungsnehmers ab, und als Auslöser kommt praktisch jedwedes Geschehen in der Außenwelt in Betracht. Zu Recht weist die Revisionserwiderung darauf hin, daß zur Feststellung solcher zu entschädigender unfallbedingter Folgen regelmäßig langwierige, gegebenenfalls stationäre Untersuchungen erforderlich werden, um einigermaßen verläßliche Feststellungen treffen zu können, ob eine krankhafte psychische Reaktion vorliegt und diese dann auch auf dem Unfall beruht. Die von der Revision gezogene Parallele zum Haftungsrecht, bei dem auch der Schädiger grundsätzlich sogar für psychische Fehlverarbeitungen als Folge eines Unfalls einzustehen habe (vgl. nur BGHZ 132, 341 ff.; 137, 142 ff.), überzeugt nicht. Denn es ist gerade das erkennbare Ziel dieser Regelung , den schadensersatzrechtlichen Problemen zu entgehen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1998, 886 f.). Die Forderung, aus Billigkeitserwägungen Unfallversicherungsschutz im Umfang der deliktischen Schadensersatzpflicht anzuerkennen, findet ihre Grenzen in der Vertragsgestaltung. Der angebotene und vom Versicherungsnehmer genommene, in den AUB klar und unmißverständlich umschriebene Versicherungsschutz (so

bereits Senatsurteil vom 19. April 1972 - IV ZR 50/71 - NJW 1972, 1233 unter II) steht darüber hinausgehenden Leistungswünschen entgegen.
cc) § 2 IV AUB 94 genügt auch den Anforderungen de s sich aus § 9 AGBG ergebenden Transparenzgebotes. Die Regelung benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen. Insbesondere führt sie ihm ausreichend klar und verständlich vor Augen, was er zu erwarten hat (vgl. BGHZ 141, 137, 143). Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, daß eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, daß sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen läßt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGHZ 147, 354, 362 und ständig). Diesen Erfordernissen wird § 2 IV AUB 94 gerecht.
Die von der Revision vermißte klare Grenzziehung z wischen physischen und psychischen Reaktionen stellt das nicht in Frage. Es mag sein, daß es im Rahmen der sogenannten Leib-Seele-Diskussion unterschiedliche medizinische, psychologische und philosophische Ansätze gibt, krankhafte Störungen diesen Bereichen zuzuordnen, der Begriff "psychische Reaktionen" in Abgrenzung zu physischen deswegen nicht leicht auszufüllen ist, der danach fragende Versicherungsnehmer vom Agenten im Beratungsgespräch nicht stets eine trennscharfe Antwort erhalten wird und dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine abstrakte Unterscheidung bei den denkbaren Fallgestaltungen nicht immer

möglich ist. Dadurch wird der Ausschluß aber nicht intransparent. Entgegen Schwintowski (aaO S. 396) fehlt der Klausel damit nicht ein halbwegs klarer und justiziabler Begriffskern. Diese Erwägungen betreffen vielmehr - vergleichbar der Prüfung gemäß § 5 AGBG - die Anforderungen an die im Einzelfall zu treffenden Feststellungen und die Frage, zu wessen Lasten es geht, wenn insoweit etwas nach den derzeit gegebenen Erkenntnismöglichkeiten offenbleibt. Einem potentiellen Versicherungsnehmer wird mit dieser Formulierung jedoch deutlich vor Augen geführt , daß er nur für physisch vermittelte Gesundheitsschäden Unfallschutz erhält. Er kann damit erkennen, daß er durch den Unfall körperlich /organisch betroffen sein muß, wodurch seine Beschwerden, wegen derer er sich auf bedingungsgemäße Invalidität beruft, hervorgerufen werden. Dieser Klauselinhalt ist transparent. Er wird durch die nach den allgemeinen Regeln bestehende Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten nicht intransparent.
Der Nachweis unfallbedingter Invalidität obliegt d em Versicherungsnehmer , wobei für die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsschadens und seiner Dauerhaftigkeit der Maßstab des § 286 ZPO und dafür, ob der unfallbedingte Gesundheitsschaden für die bewiesene Invalidität ursächlich war, die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt (Senatsurteile vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - NJW-RR 2002, 166 und vom 12. November 1997 - IV ZR 191/96 - r+s 1998, 80; jeweils m.w.N.). Dagegen steht es zur Beweislast des Versicherers, will er sich auf den Ausschlußtatbestand des § 2 IV AUB 94 berufen (vgl. BGHZ 131, 15 ff., 21; Grimm, aaO Rdn. 109). Danach muß der Versicherer beweisen , daß und vor allem in welchem Umfang psychische Reaktionen den krankhaften Zustand hervorgerufen haben (Knappmann, aaO S. 4;

derselbe VersR 2002, 1230, Anm. zu OLG Jena aaO). Die sich in Fällen sogenannter Mitursächlichkeit bei den Unfallfolgen möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten ändern an dieser die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigenden Beweislastverteilung nichts; nicht zu klärende Unklarheiten über Beitrag und Gewicht etwaiger psychischer Reaktionen gehen zu Lasten des Versicherers (Knappmann, aaO S. 4).
Die in § 2 IV AUB 94 verwendeten Begriffe hindern einen Versicherungsnehmer bei Vertragsschluß jedenfalls nicht daran zu erkennen, was ihn erwartet, und machen den Ausschlußtatbestand auch nicht injustiziabel. Probleme können im Einzelfall bei der Feststellung der Wirkungszusammenhänge und der Anwendung des Feststellungsergebnisses auf den vorgegebenen rechtlichen Rahmen entstehen. Das gehört aber zur üblichen forensischen Praxis. Schwierigkeiten dieser Art kann durch eine ausgiebige sachverständige Unterstützung und eine ausgewogene Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten begegnet werden. Der Versicherungsnehmer wird damit auch nicht unter Transparenzgesichtspunkten entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Nachteile und Belastungen, die mit der den gewählten Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlußklausel verbunden sind, werden ihm, soweit dies nach den Umständen möglich ist, deutlich gemacht. Der von der Revision geforderten Benennung und Konkretisierung einzelner Arten von psychischen Reaktionen (vgl. Schwintowski, aaO S. 396 f.) bedarf es dafür gerade nicht. Unabhängig davon, inwieweit eine umfängliche Auflistung psychischer Vorgänge detailliert überhaupt möglich ist, wäre das rechtlich nicht zu beanstandende Ziel (vgl. vorstehend unter III. 1.), diesen Risikobereich überhaupt auszuklammern , damit schwerlich zu erreichen. Dem Transparenzgebot wird ge-

nügt, wenn der Versicherungsnehmer diese Zielsetzung und den danach bestehenden Umfang der angebotenen Versicherung erkennt. Das ist bei § 2 IV AUB 94 - wie ausgeführt - der Fall.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

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(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

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(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

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(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

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mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.

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in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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AUB 88 § 2 IV
Stellt sich die Ausschüttung von Streßhormonen im Verlauf eines Unfallgeschehens
mit der Folge einer Aortendissektion als normale, unwillkürlich und automatisch
ablaufende körperliche Reaktion dar, liegt keine psychische Reaktion i.S. des
§ 2 IV AUB 88 vor.
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 19. März 2003

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 20. März 2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, ein Berufskraftfahrer, verlangt Invaliditätsentschädigung aus einer bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung, der unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) zugrunde liegen.
Am 4. November 1993 erlitt er einen Verkehrsunfall, als sich von einem entgegenkommenden Lastzug ein Rad löste und gegen das Führerhaus seines trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung noch nicht zum Stillstand gekommenen LKW prallte. Aufgrund muskulärer Reaktionen und Ausschüttung von Streßhormonen kam es bei ihm zu einem Blut-

druckanstieg, der kurz nach Fortsetzung der Fahrt zu einer Aortendis- sektion führte. Der Kläger ist dadurch zu 50% invalide. Er begehrt die dafür bedingungsgemäß vorgesehene Invaliditätsleistung. Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf den in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Leistungsausschluß bei krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:


I. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Nach dem Berufungsurteil (abgedruckt in VersR 2002, 1019 f. = NVersZ 2002, 402 f., mit Anm. Knappmann, VersR 2002, 1230 f. und Schwintowski, NVersZ 2002, 395 f.) ist für den Gesundheitsschaden eine körperliche Reaktion neben einer psychischen Reaktion zumindest mitursächlich gewesen. Deswegen bestehe gemäß § 2 IV AUB 88 an sich kein Versicherungsschutz.
Diese Klausel lautet: "Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: ...

IV. Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind." Nach Auffassung des Berufungsgerichts erfaßt dieser Leistungsausschluß auch den Fall, daß durch unfallbedingten Schreck Streßhormone ausgeschüttet werden, die einen Blutdruckanstieg auslösen, der dann den Gesundheitsschaden herbeiführt. Nach dem Zweck des Ausschlusses , eine zuverlässige Tarifkalkulation zu gewährleisten, genüge bloße Mitursächlichkeit des ausgeschlossenen Umstandes.
Ein Ausschluß der Deckung für (physische) Gesundheitsschäden mitverursacht durch (Streß-)Reaktionen benachteiligt nach Ansicht des Berufungsgerichts den Versicherten indes unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG (heute § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Denn solche Streßreaktionen seien normale körperliche Reaktionen, die unwillkürlich und automatisch abliefen und häufig im Zusammenhang mit einem Unfallgeschehen einträten. Der Versicherungsschutz aus einer Unfallversicherung entfiele daher regelmäßig, wenn derartige psychische Reaktionen zur Leistungsfreiheit führten.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Frage der Wirksamkeit des § 2 IV AUB 88 grundsätzliche Bedeutung habe, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
II. 1. Die Voraussetzungen für die Gewährung der vereinbarten Invaliditätsentschädigung gemäß §§ 1, 7 I AUB 88 sind nicht im Streit. Der Kläger hat am 4. November 1993 einen Unfall im Sinne der AUB 88 er-

litten, womit der Versicherungsfall eingetreten ist. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die für 50%ige Invalidität bedingungsgemäß festgelegte Leistungsverpflichtung der Beklagten bejaht.
Dabei gibt der vorliegende Fall keinen Anlaß, § 2 IV AUB 88 im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht zu überprüfen. Auch kann offenbleiben, ob die Ansicht des Berufungsgerichts Bestand haben kann, für den vollständigen Leistungsausschluß genüge bereits die bloße Mitursächlichkeit unabhängig davon, in welchem Umfang psychische Reaktionen für die Gesundheitsschädigung kausal geworden sind (ablehnend Knappmann, VersR 2002, 1230; vgl. auch BGHZ 131, 15, 21 zu § 10 (5) AUB 61). Die vom Berufungsgericht gesehene Zulassungsfrage stellt sich nicht. Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses liegen nicht vor; es fehlt bereits an einer mitwirkenden psychischen Reaktion.
2. § 2 IV AUB 88 bezieht sich mit seinem umfassend formulierten Leistungsausschluß für Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen sowohl auf Einwirkungen, die von außen über psychische Reaktionen wie Erschrecken erfolgen, als auch auf unfallbedingte psychische Fehlverarbeitungen (vgl. Prölss/Martin/Knappmann VVG 26. Aufl. § 2 AUB 88 Rdn. 40). Letztere sind hier unstreitig nicht gegeben.
Der vom Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung festgestellte , zuletzt unstreitige und auch in der Revisionsinstanz nicht angegriffene Sachverhalt trägt aber seine Annahme nicht, psychische Reaktionen des Klägers auf das Unfallgeschehen hätten zu einer die Invalidität begründenden Gesundheitsstörung zumindest mit beigetragen; viel-

mehr fehlt es an einer solchen auch nur teilweise kausalen Reaktion überhaupt.

a) Der zu der Aortendissektion führende Blutdruckanstieg beruht auf der Ausschüttung von Streßhormonen einerseits und muskulären Reaktionen andererseits. Beides sind körperliche Reaktionen, die unwillkürlich und automatisch ablaufen. Das Berufungsgericht orientiert sich mit seiner Auffassung, § 2 IV AUB 88 solle auch für den von ihm hier angenommenen Fall gelten, daß als Folge eines Schrecks über das Unfallgeschehen Streßhormone freigesetzt werden, an der Rechtsprechung zu Schock-, Schreck- und Angstreaktionen (vgl. nur Senat aaO NJW 1972, 1233 m.w.N.). Dabei hat es sich den Blick dafür verstellt, daß - wie der Gutachter betont - bereits die durch den Verkehrsunfall mit seinen spezifischen Einzelabläufen ausgelöste Streßsituation selbst eine physiologische Reaktion des Körpers darstellt. Diese ist nicht von seiner Psyche beeinflußt, sondern physischer also körpereigener Genese. Der Kläger hat nach Erkennen des auf ihn zurollenden LKW-Rades mit der Vollbremsung angemessen und (psychisch) unauffällig reagiert. Die im Unfallverlauf liegenden, von ihm wahrgenommenen äußeren Reizfaktoren und nicht etwaige psychische Reaktionszusammenhänge haben die in der Hormonausschüttung liegende physiologische Anpassung des Organismus an die sich plötzlich verändernden Verkehrsverhältnisse bewirkt.
Mögliche, vom Sachverständigen nicht einmal erwähnte Schreckreaktionen , die auch dem Berufungsgericht zufolge ebensowenig steuerbar sein und nicht von einer Überempfindlichkeit zeugen sollen, wären bloße Begleiterscheinungen ohne eigene Auswirkungen auf die Invalidität (so auch Knappmann, aaO VersR 2002, 1230 und Schwintowski, aaO

S. 396). Für eine theoretisch denkbare Verstärkung von krankhaften Stö- rungen durch solche Begleitumstände gibt es keinen Anhalt.

b) Ungeachtet dessen scheitert der Leistungsausschluß auch daran , daß eine - unterstellte - psychische Reaktion durch Erschrecken nicht zu einer Gesundheitsschädigung geführt hat. Die durch das Unfallereignis ausgelöste, hormonell bedingte Streßsituation selbst ist noch keine von § 2 IV AUB vorausgesetzte krankhafte Störung; ein Krankheitswert ist damit nicht verbunden. Die blutdrucksteigernde Hormonausschüttung ist in dieser Situation - wie vorstehend ausgeführt - ein normaler physiologischer, mithin an sich gesunder Lebensvorgang zur bestmöglichen Bewältigung der Gefahrensituation. Dieser rein physische Vorgang hat seinerseits erst die krankhafte Störung einer Aortendissektion hervorgerufen. Es fehlt daher - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch an einem bedingungsgemäß erforderlichen Zusam-

menhang mit dem Invaliditätsschaden. Die Kausalkette ist, was auch die Revision übersieht, in jedem Fall durch den natürlichen physiologischen Schutzvorgang im Hormonhaushalt unterbrochen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 113/99 Verkündet am:
17. Mai 2000
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AUB 61 § 3 Abs. 4

a) Bei der Ermittlung des Zwecks einer Risikoausschlußklausel kommt es auf
deren - dem Versicherungsnehmer aus der Klausel selbst nicht erschließbare
- Entstehungsgeschichte auch dann nicht an, wenn deren Berücksichtigung
zu einem dem Versicherungsnehmer günstigeren Ergebnis führen könnte.

b) Zur Auslegung des Begriffs "Bewußtseinsstörung" im Sinne des § 3 Abs. 4
AUB 61.
BGH, Urteil vom 17. Mai 2000 - IV ZR 113/99 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Schmitz, die Richter Dr. Schlichting, Terno, Seiffert
und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai
2000

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Teil- und Grundurteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. April 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht eine Invaliditätsentschädigung aus einer Unfallversicherung, die er 1987 bei der Beklagten genommen hat. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 61 i.d.F. von 1984, VerBAV 1984 S. 10), die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit planmäßiger Erhöhung von Leistung und

Beitrag und die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel zugrunde. Aufgrund der vereinbarten Dynamisierung belief sich die Versicherungssumme für Invalidität ab 1. Juni 1996 auf 240.000 DM.
Am 21. Juni 1996 befuhr der Kläger mit seinem PKW die Bundesstraße B 292 von L. kommend in Richtung Ö.. Kurz vor Ö. geriet er mit seinem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit zwei entgegenkommenden Fahrzeugen. Der Kläger erlitt bei dem Unfall eine offene Ellenbogenluxationsfraktur links mit Zertrümmerung des Olecranons, eine Kopfwunde und Prellungen; seit dem Unfall ist die Beweglichkeit seines linken Ellenbogens eingeschränkt. Er kann seinen Beruf als Schreiner nicht mehr ausüben.
Der Kläger, der eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 288.000 DM begehrt, hat behauptet, ihm sei nur für einen kurzen Moment "schwarz vor Augen" geworden. Dadurch habe er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sei auf die Gegenfahrbahn geraten, wo es schließlich zum Unfall gekommen sei. Bei seinem Zustand habe es sich lediglich um eine vorübergehende Schwäche ohne krankhafte Ursache gehandelt, die weniger als zwei Sekunden gedauert habe.
Die Beklagte verweigert Versicherungsleistungen. Unfälle infolge von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen seien nach den vereinbarten Bedingungen von der Versicherung ausgeschlossen. Eine Bewußtseinsstörung habe beim Kläger vorgelegen und zu dem Unfall geführt. Denn der vom Kläger als "schwarz vor Augen werden" beschriebene Zustand

sei krankhafter Natur gewesen und habe nicht nur einen kurzen Moment, vielmehr über eine längere Fahrstrecke hinweg, jedenfalls für einige Sekunden angedauert.
Das Landgericht hat die Klage - mit der neben dem Zahlungsanspruch auch ein Feststellungsantrag verfolgt worden ist - abgewiesen. Das Berufungsgericht hat - unter Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers im übrigen - ausgesprochen, daß die Leistungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt ist, und hat den Rechtsstreit zur Höhe an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung , soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. a) Das Berufungsgericht erachtet den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung für dem Grunde nach gerechtfertigt. Nach seiner Auffassung ist die Beklagte nicht gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 von der Leistung frei, weil sich der Unfall nicht infolge einer Bewußtseinsstörung im Sinne dieser Klausel ereignet habe.

§ 3 Abs. 4 AUB 61 lautet: "§ 3 - Ausschlüsse Ausgeschlossen von der Versicherung sind: ... (4) Unfälle infolge von Schlaganfällen, epileptischen Anfällen und solchen Krampfanfällen, die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen , auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind. Die Ausschlüsse gelten nicht, wenn diese Anfälle oder Störungen durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen waren."
b) Zur Begründung seiner Auffassung führt das Berufungsgericht im wesentlichen aus: Zwischen den Parteien sei unstreitig, daß es zu dem Unfall gekommen sei, weil dem Kläger "schwarz vor Augen" geworden sei und er deshalb die Gewalt über das Fahrzeug verloren habe. Streitig sei lediglich, ob dieser Zustand beim Kläger nur einen kurzen Moment oder - wie die Beklagte geltend mache - über eine längere Fahrstrecke hinweg, jedenfalls einige Sekunden, gedauert habe. Selbst wenn man aber von der Behauptung der Beklagten ausgehe, habe beim Kläger eine Bewußtseinsstörung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61nicht vorgelegen. "Schwarz vor Augen werden" sei eine typische Schwindelempfindung. Die Frage, ob auch ein so gekennzeichneter Schwindelanfall eine Bewußtseinsstörung im Sinne dieser Klausel darstelle, sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Sie sei aber jedenfalls für kurzzeitige Schwindelanfälle, die nicht länger als einige Sekunden andauerten , verneinend zu beantworten.
Es sei anerkannt, daß Klauseln, welche die vom Versicherer übernommene Gefahr beschränkten, nicht weiter ausgelegt werden dürften,

als es ihr Zweck erfordere. Dabei sei - ohne daß es auf das Verständnis des Versicherungsnehmers ankomme - bei der Ermittlung des Zwecks einer Risikobegrenzung auch die Entstehungsgeschichte der Klausel zu berücksichtigen, wenn das zu einem für den Versicherungsnehmer günstigeren Ergebnis führe. Hier zeige die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 4 AUB 61, daß jedenfalls kurzzeitige Schwindelanfälle nicht zu den dort genannten Bewußtseinsstörungen gehören sollten. Denn in den vor den AUB 61 geltenden Unfallversicherungs-Bedingungen seien Schwindelanfälle noch ausdrücklich neben den Geistes- und Bewußtseinsstörungen angeführt worden. Daraus folge, daß der Bedingungsgeber damals in Schwindelanfällen etwas anderes als eine Geistes- oder Bewußtseinsstörung gesehen habe. Schwindelanfälle seien in § 3 Abs. 4 AUB 61 auch keineswegs nur aus redaktionellen Gründen nicht mehr genannt worden. Es sei vielmehr beabsichtigt gewesen, diese Fallgruppe nicht mehr in den Ausschlußtatbestand aufzunehmen und den Versicherungsschutz insoweit zu verbessern. Es verbiete sich deshalb, kurzzeitige Schwindelanfälle unter den Begriff der Bewußtseinsstörung in § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 zu subsumieren und darauf beruhende Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen.
Der Senat folgt dieser Auslegung schon in ihrem Ansatz nicht.
2. a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen des Versicherers im Sinne des § 1 AGBG. Dieser Charakter der Versicherungsbedingungen bestimmt die bei ihrer Auslegung anzuwendenden Maßstäbe; er hindert es, sie "gesetzesähnlich" auszulegen. Vielmehr sind - nach der gefestigten Rechtsprechung des

Bundesgerichtshofs - Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen , wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (Senatsurteil vom 2. Oktober 1985 - IVa ZR 184/83 - VersR 1986, 177, 178). Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der Auslegung - wie auch sonst bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBGesetz , 8. Aufl. § 5 Rdn. 22) - außer Betracht zu bleiben; versicherungswirtschaftliche Überlegungen können allenfalls insoweit Berücksichtigung finden, wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 9. Dezember 1987 - IVa ZR 151/86 - VersR 1988, 282 unter II; vom 18. Dezember 1991 - IV ZR 204/90 - VersR 1992, 349 unter 3; vom 6. März 1996 - IV ZR 275/95 - VersR 1996, 622 unter 3 b).

b) Für die Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 - einer Risikoausschlußklausel - gilt nichts anderes. Das Berufungsgericht entnimmt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit zwar zutreffend, daß solche Klauseln grundsätzlich eng auszulegen sind und nicht weiter ausgelegt werden dürfen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirt-

schaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (Senatsurteile vom 23. November 1994 - IV ZR 48/94 - VersR 1995, 162 unter 3 b; vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - NVersZ 1999, 394 unter 2 a). Entgegen seiner Auffassung kommt es aber auch in diesem Rahmen bei der Ermittlung des Zwecks der Ausschlußklausel auf deren - dem Versicherungsnehmer aus der Klausel selbst nicht erschließbare - Entstehungsgeschichte auch dann nicht an, wenn deren Berücksichtigung zu einem dem Versicherungsnehmer günstigeren Ergebnis führen könnte. Denn auch die für Risikoausschlußklauseln geltende Auslegungsregel beruht weder auf einer die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte ermöglichenden "gesetzesähnlichen" Auslegung gerade solcher Klauseln, noch setzt sie eine solche voraus. Vielmehr erfährt diese Regel gerade durch eine Auslegung, die auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abstellt, Rechtfertigung und Sinn (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1999, aaO). Die dem Versicherungsnehmer unbekannte Entstehungsgeschichte der Ausschlußklausel kann in diesem Rahmen keine Berücksichtigung finden, gleichviel ob sie für eine Auslegung zugunsten des Versicherungsnehmers oder zugunsten des Versicherers von Bedeutung sein könnte. Für die Auslegung von Risikoausschlußklauseln insoweit zur gesetzesmäßigen Auslegung zurückzukehren, besteht kein Anlaß (Senatsurteil vom 17. März 1999, aaO).

c) Demgemäß erweist sich bereits der Auslegungsansatz des Berufungsgerichts als nicht rechtsfehlerfrei. Denn für die Frage, ob der Begriff Bewußtseinsstörung in § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 auch kurzzeitige Schwindelanfälle erfaßt, kommt es nicht darauf an, daß Schwindelanfälle

in früheren Unfallversicherungsbedingungen noch neben Bewußtseinsstörungen angeführt waren und daß - aus welchen Gründen auch immer - bei Abfassung der AUB 61 davon Abstand genommen worden ist. Das vom Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieser Umstände gewonnene Auslegungsergebnis trägt daher die angefochtene Entscheidung nicht.
3. a) Bei einer Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61, die sich an den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers orientiert, nimmt der Begriff "Bewußtseinsstörung" einen Zustand, bei dem dem Versicherten "schwarz vor Augen" wird und in dessen Folge es zu einem Unfall kommt, nicht von vornherein vom Anwendungsbereich der Klausel aus.
Der - auch dem verständigen Versicherungsnehmer erkennbare - Sinn der Ausschlußklausel liegt darin, vom Versicherungsschutz solche Unfälle auszunehmen, die sich als Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen - gefahrerhöhenden - gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen. Dabei muß diese Beeinträchtigung so beschaffen sein, daß sie eine den Unfall vermeidende Reaktion des Versicherten nicht zuläßt ("Unfälle infolge von ..."). Das gilt gleichermaßen für die angeführten Anfalleiden wie für die mit einem Sammelbegriff umschriebenen Bewußtseins- oder Geistesstörungen. Auch diese Störungen können zwar - wie der Zusammenhang verdeutlicht - von nur kurzzeitiger Dauer sein, müssen aber dennoch so beschaffen sein, daß es in ihrer Folge zu einem Unfall kommt. Eine Bewußtseinsstörung im Sinne der Klausel setzt danach nicht den Eintritt völliger Bewußtlosigkeit vor-

aus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen (Senatsurteile vom 27. Februar 1985 - IVa ZR 96/83 - VersR 1985, 583 unter II 1; vom 7. Juni 1989 - IVa ZR 137/88 - VersR 1989, 902, 903 li. Sp. unten; vom 10. Oktober 1990 - IV ZR 231/89 - r+s 1991, 35 = VVGE § 3 AUB Nr. 8). Eine solche Störung liegt mithin dann vor, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt ist (Senatsurteil vom 7. Juni 1989, aaO); sie muß einen Grad erreicht haben, bei dem die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden kann (Senatsurteil vom 10. Oktober 1990, aaO).
Ob eine Bewußtseinsstörung in diesem Sinne vorliegt, hängt damit sowohl vom Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Aufnahme - und Reaktionsfähigkeit als auch von der konkreten Gefahrenlage ab, in der sich der Versicherte befindet. Das macht - wie der Senat wiederholt klargestellt hat (zuletzt Senatsurteil vom 10. Oktober 1990, aaO) - eine fallbezogene Betrachtung erforderlich. An einer solchen hat es das Berufungsgericht fehlen lassen.

b) Für diese Betrachtung ist nicht entscheidend, ob sich der vom Kläger beschriebene Zustand, ihm sei vor dem Unfall "schwarz vor Augen" geworden, als ein Schwindelanfall einordnen läßt. Denn eine sol-

che Einordnung allein gibt keinen ausreichenden Anhalt für die Beantwortung der Frage, ob mit diesem Zustand eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit in einem Ausmaß vorgelegen hat, daß die konkrete Gefahrenlage, in der sich der Kläger befand, nicht mehr beherrscht werden konnte.
Eine solche Beeinträchtigung - und damit eine Bewußtseinsstörung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 - wird auch nicht von vornherein dadurch ausgeschlossen, daß der vom Kläger beschriebene Zustand - wie vom Berufungsgericht unterstellt - einige Sekunden gedauert hat. Denn auch eine solche nur kurzzeitige gesundheitsbedingte Störung der Aufnahme- und Gegenwirkungsmöglichkeit kann geeignet sein, dem Versicherten die Fähigkeit zu nehmen, die konkrete Gefahrenlage, in der er sich befindet, zu beherrschen.
Das Berufungsgericht hat Feststellungen zur konkreten Gefahrenlage und zum Ausmaß der Beeinträchtigung des Klägers - seiner Auslegung der Ausschlußklausel folgend - bislang nicht getroffen. Die danach notwendige Aufhebung seiner Entscheidung gibt den Parteien Gelegenheit , zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Risikoausschlusses unter Beachtung seiner Auslegung durch den Senat gegebenenfalls ergänzend vorzutragen. Auf der Grundlage der danach zu treffenden Feststellungen wird vom Berufungsgericht zu beurteilen sein, ob beim Kläger eine Bewußtseinsstörung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 AUB 61 vorlag.
Dr. Schmitz Dr. Schlichting Terno

Seiffert Ambrosius

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 205/00 Verkündet am:
17. Oktober 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AUB 61 § 8 II (1); ZPO §§ 286 F, 287
In der Unfallversicherung (hier: AUB 61) unterliegen die gesundheitliche Beeinträchtigung
als solche und die Frage ihrer Dauerhaftigkeit uneingeschränkt dem Beweismaß
des § 286 ZPO; dagegen kann für die Frage, ob die dauernde Beeinträchtigung
der Arbeitsfähigkeit auf die unfallbedingte Gesundheitsschädigung zurückzuführen
ist, von der Beweiserleichterung des § 287 ZPO Gebrauch gemacht werden.
BGH, Urteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Oktober 2001

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 21. Juli 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Er unterhält bei ihr seit dem 26. Juli 1977 eine Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme von 400.000 DM. Dem

Vertrag liegen Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB) zugrunde , deren Wortlaut den AUB 61 entspricht. Der Kläger erlitt am 22. Juli 1991 aufgrund eines Auffahrunfalls ein HWS-Schleudertrauma. Sein Hausarzt stellte am 10. Juni 1992 aus dem Unfallereignis resultierende Dauerfolgen fest. Am 5. Oktober 1992 machte der Kläger bei der Beklagten Invaliditätsansprüche geltend. Nach Begutachtung des Klägers durch mehrere medizinische Sachverständige lehnte die Beklagte am 7. August 1995 Leistungen ab.
Der Kläger hat 25% der vereinbarten Versicherungssumme verlangt. Seine Arbeitsfähigkeit sei als Folge des Unfalls dauernd beeinträchtigt. Unter anderem sei die Beweglichkeit des Kopfes eingeschränkt. Er verspüre ständig Schmerzen im Bereich von Kopf und Nakken und leide an Schwindelgefühlen. Diese Beschwerden seien typische Folge eines Schleudertraumas, andere Ursachen nicht denkbar. Vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen. Die Beklagte verneint demgegenüber das Vorliegen eines unfallbedingten Dauerschadens.
Das Landgericht hat nach Einholung weiterer medizinischer Gutachen die auf Zahlung von 100.000 DM gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach ergänzender Beweisaufnahme die Beklagte in Höhe von 80.000 DM nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung , soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts liegt beim Kläger ein Dauerschaden vor. Sämtlichen gerichtlichen und außergerichtlichen ärztlichen Stellungnahmen sei eine langjährige, sich nicht verändernde Beschwerdesymptomatik zu entnehmen. Diese sei zwar nach den Gutachten der Sachverständigen S. und I. nicht auf das Unfallereignis vom 22. Juli 1991 zurückzuführen. Dennoch sei der - nach Maßgabe des § 287 ZPO festzustellende - Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Dauerschaden deutlich wahrscheinlicher als eine unfallunabhängige Entwicklung des Beschwerdebildes, selbst wenn der Einschätzung des Sachverständigen M. nicht zu folgen wäre. Die Beurteilung der Sachverständigen S. und I. werde maßgeblich dadurch beeinflußt , daß - anders als nach der Beurteilung des Sachverständigen M. - ein direkter Nachweis knöcherner oder ligamentärer Verletzungen der Halswirbelsäule fehle. Es erscheine aber der Ansatz in der medizinischen Literatur sachgerecht, daß es bei einem HWS-Trauma zu Abweichungen vom Regelverlauf kommen und insbesondere ein röntgenologisch nicht erfaßbarer Entwicklungsprozeß in Gang gesetzt werden könne. Der Kläger sei vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen; ein Zusammenhang mit einem früheren Unfall im Jahre 1982 scheide aus. Die Möglichkeit einer degenerativen, sich erst mit dem Unfall manifestieren-

den Vorschädigung lasse die haftungsausfüllende Kausalität nicht entfallen. Auch die weiter denkbare Ursache einer psychosomatischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens wäre im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität noch zuzurechnen. Der Invaliditätsgrad, für dessen endgültige Bemessung auf eine Prognose am Ende des dreijährigen Zeitraums gemäû § 13 AUB 61 abzustellen sei, sei aufgrund der vorprozessualen Stellungnahmen der Gutachter v. T. und He. mit 20% anzusetzen. Der weitergehenden Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen M. sei nicht zu folgen, da dieser den angenommenen Invaliditätsgrad von 30% nicht nachvollziehbar begründet habe.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung aus mehreren Gründen nicht stand.
1. Der Kläger hat den Nachweis dafür zu führen, daû die geltend gemachte Teilinvalidität Folge des Unfalls vom 22. Juli 1991 ist, bei dem er unstreitig ein HWS-Trauma erlitten hat. Dabei kann für die Frage, ob die behauptete dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auf die unfallbedingte Gesundheitsschädigung zurückzuführen ist, von der Beweiserleichterung des § 287 ZPO Gebrauch gemacht werden (Senatsurteil vom 12. November 1997 - IV ZR 191/96 - r+s 1998, 80 unter 4). Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reicht dann eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, daû der vom Kläger vorgetragene Dauerschaden in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1999 - IX ZR 332/98 - NJW 2000, 509 unter I 1;

vom 22. September 1992 - VI ZR 293/91 - NJW 1992, 3298 unter II). Das hat das Berufungsgericht nur im Ausgangspunkt richtig gesehen. Die Revision beanstandet zu Recht, daû die notwendige Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts auf nicht hinreichend gesicherter Grundlage beruht, daû mit unrichtigen Maûstäben gearbeitet und wesentlicher Tatsachenvortrag der Beklagten auûer acht gelassen worden ist. Die Ausübung des durch § 287 ZPO eingeräumten, grundsätzlich freien tatrichterlichen Ermessens erweist sich somit als fehlerhaft und ist für diesen Fall einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1992 - VI ZR 264/91 - VersR 1992, 1410 unter 1 b bb; BGHZ 102, 322, 330).

a) Das Berufungsgericht hat sich in unzulässiger Weise über die Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. S. und Dr. I. hinweggesetzt, deren medizinischer Einschätzung es nicht gefolgt ist.
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, vom Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen. Auch im Rahmen der freien Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO kann er, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens aber nur verzichten, wenn er entsprechende eigene Sachkunde auszuweisen vermag (BGH, Urteil vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 unter II). Das gilt ebenso, wenn er fremde Sachkunde durch eigene ersetzen und sich aufgrund dessen über das Ergebnis einer sachverständigen Begutachtung hinwegsetzen möchte.

Eigene medizinische Sachkunde hat das Berufungsgericht nicht dargetan. Es stützt sich, soweit es den genannten Sachverständigen nicht folgen will, lediglich auf eine Veröffentlichung in der Literatur, ohne zu begründen, inwieweit dadurch medizinisches Fachwissen vermittelt wird, das sich gegenüber demjenigen der gerichtlichen Sachverständigen durchzusetzen vermag, oder auch nur zu verdeutlichen, die für die Auswertung medizinischer Literatur erforderliche Sachkunde zu besitzen, die eine Abweichung von der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen rechtfertigen könnte (BGH, Urteil vom 2. März 1993 - VI ZR 104/92 - NJW 1993, 2378 unter II 1 a). Seine Ausführungen, infolge der engen anatomischen Nachbarschaft des HWS-Bereiches zum zentralen Nervensystem könne es – wie in der medizinischen Literatur vertreten - bei einem HWS-Trauma zu Abweichungen vom Regelverlauf und zu einem Ingangsetzen röntgenologisch nicht erfaûbarer Entwicklungsprozesse kommen, setzen eine solche, vom Berufungsgericht nicht ausgewiesene Sachkunde voraus. Sie beruhen zudem auf einer generalisierenden Betrachtungsweise, die den gebotenen Bezug zum Einzelfall vermissen läût.

b) Das Berufungsgericht läût weiter nicht erkennen, aus welchen Gründen und inwieweit es sich dem Gutachten des Neurootologen Dr. M. anschlieûen möchte. Während es sich zunächst auf eine Auseinandersetzung mit den Gutachten S. und I. beschränkt und offengelassen hat, ob den Feststellungen des Sachverständigen M. gefolgt werden kann, bezieht es im weiteren anscheinend die Ergebnisse dieses Sachverständigengutachtens in seine Erwägungen ein. Dann aber hätte es der Dar-

legung bedurft, weshalb dieses Gutachten gegenüber den Ergebnissen des Orthopäden und der Neurologin den Vorzug verdient. Der Sachverständige S. hat in Abweichung von den Erkenntnissen des Sachverständigen M. jeglichen Dauerschaden beim Kläger verneint, die Sachverständige I. jedenfalls einen solchen, der als unfallbedingt zu betrachten wäre.
Bei widersprechenden Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger darf das Gericht nicht ohne eine einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorrang geben (vgl. Senatsurteil vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a). Gemäû § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt der Tatrichter Art und Umfang der Beweisaufnahme zwar weitgehend selbst. Geht es jedoch um die Würdigung des Ergebnisses einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme, muû diese plausibel und erschöpfend sein. Es steht dem Tatrichter nicht frei, einmal erhobene Beweise bei der abschlieûenden Entscheidungsfindung auûer acht zu lassen. Das widerspricht dem Grundsatz, daû sich der Tatrichter auch bei § 287 ZPO um die Sachverhaltsfeststellung bemühen und die Berücksichtigung aller für die Beurteilung maûgeblichen Umstände erkennen lassen muû (BGH, Urteil vom 16. Juni 1992 - VI ZR 264/91 - VersR 1992, 1410 unter II 1 b bb). Das hat das Berufungsgericht versäumt. Auûerdem sind die Grundsätze der §§ 398, 402 ZPO miûachtet worden. Nachdem das Landgericht dem Gutachten des neurootologischen Sachverständigen M. nicht zu folgen vermochte und in seinem Urteil die aus seiner Sicht bestehenden Mängel der sachverständigen Ausführungen aufgezeigt hatte, wäre eine mündliche Anhörung auch dieses Sachverständigen angezeigt gewesen (vgl.

BGH, Urteil vom 8. Juni 1993 - VI ZR 192/92 - NJW 1993, 2380 unter II 2 a zu § 286 ZPO). Statt dessen hat sich das Berufungsgericht, das von der landgerichtlichen Beurteilung abweichen wollte, auf eine Anhörung der Sachverständigen S. und I. beschränkt.
Aus den Erwägungen des Berufungsgerichts geht ferner nicht hervor , ob die Ergebnisse der Sachverständigen S. und I. für sich gesehen oder erst in Gegenüberstellung mit dem Gutachten M. als nicht überzeugend erscheinen. Ein offenkundiger Widerspruch liegt überdies darin, daû das Berufungsgericht an anderer Stelle, nämlich bei Feststellung des Invaliditätsgrades, das Gutachten des Sachverständigen M. für nicht nachvollziehbar begründet hält. Dieser Mangel wäre geeignet, sich auch auf die weiteren Teile des Gutachtens auszuwirken. Das Berufungsgericht legt nicht dar, weshalb das Gutachten trotz seiner aufgezeigten inhaltlichen Schwächen mehr Überzeugungskraft als die Stellungnahmen der Sachverständigen S. und I. besitzen soll.

c) Weiter hat das Berufungsgericht, wie die Revision zutreffend rügt, die von der Beklagten beigebrachten Privatgutachten nicht berücksichtigt. Der Sachverständige Prof. H. hat in seinem von Anfang 1994 stammenden orthopädischen Gutachten eine als unfallabhängig zu wertende dauernde Beeinträchtigung beim Kläger ebenso verneint wie der Sachverständige Dr. He. in seinem orthopädischen Gutachten vom 24. Juli 1995, ohne daû das Berufungsgericht auf die Erkenntnisse dieser beiden Privatgutachten eingegangen wäre.

Privatgutachten sind substantiierter Parteivortrag (Senatsurteil vom 15. Juni 1998 - IV ZR 206/97 - NVersZ 1999, 84 unter 2 b; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00 - NJW 2001, 77 unter II 1). Sie dürfen bei der Bewertung anderer (gerichtlicher) Sachverständigengutachten nicht übergangen werden, sondern verpflichten den Tatrichter, sich mit ihnen sorgfältig zu befassen (Senatsurteil vom 13. Oktober 1993 - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a; BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - X ZR 121/96 - NJW-RR 2000, 44 unter 6 b; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 aaO unter II 2). Dem ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen.

d) Die tatrichterliche Würdigung nach § 287 ZPO erweist sich nach alledem als fehlerhaft und unvollständig. Schon deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzugeben.
2. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:

a) Die Beklagte hat bestritten, daû beim Kläger ein (unfallbedingter ) Dauerschaden vorliegt. Die Revision greift dies auf, indem sie auf den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen Prof. S. verweist, der einen Dauerschaden verneint hat. Die gesundheitliche Beeinträchtigung als solche und die Frage ihrer Dauerhaftigkeit unterliegen uneingeschränkt dem Beweismaû des § 286 ZPO (Senatsurteil vom 12. November 1997 - IV ZR 191/96 - r+s 1998, 80 unter 4). Das Berufungsgericht sieht einen Dauerschaden als erwiesen an, ohne daû sich aus dem angefochtenen Urteil seine konkrete Ausgestaltung ergäbe. Es

befaût sich nicht damit, ob die vom Kläger vorgetragene "Beschwerdesymptomatik" tatsächlich besteht, wie sie sich im einzelnen äuûert und wodurch sie im Sinne des § 286 ZPO belegt ist. Im übrigen müûte die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten sein (vgl. BGHZ 137, 247, 252).

b) Bei der Bemessung der Invalidität ist, wie das Berufungsgericht selbst hervorhebt, nur der Gesundheitszustand zu berücksichtigen, der bis zum Ablauf der 3-Jahres-Frist des § 13 Abs. 3 a AUB 61 zu prognostizieren ist; später gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden (Senatsurteil aaO unter 3 a; Senatsurteil vom 23. September 1992 - IV ZR 157/91 - NJW 1993, 201 unter 2). Das Berufungsgericht konnte sich daher nicht auf die Gutachten Dr. v. T. und Prof. Dr. He. stützen. Der Sachverständige He., der im übrigen einen durch den Unfall vom 22. Juli 1991 bedingten Dauerschaden gleichfalls verneint hat, hat seine Untersuchungen am 18. Juli 1995 vorgenommen und in das Gutachten die Ergebnisse einer Röntgenaufnahme vom 8. März 1995 und einer Tomographie vom selben Tage einflieûen lassen. Alle diese Untersuchungen fallen in die Zeit nach Ablauf der dreijährigen Frist. Das Gutachten des Sachverständigen v. T. ist zwar vor dem 22. Juli 1994 erstellt , nimmt aber lediglich eine Teilinvalidität von "ca. 20%" an, so daû das Berufungsgericht hier hätte begründen müssen, weshalb es dadurch den Beweis der vom Kläger behaupteten Teilinvalidität in Höhe von wenigstens 20% als geführt angesehen hat.
Terno Dr. Schlichting Seiffert

Dr. Kessal-Wulf Felsch