Bundesgerichtshof Urteil, 24. Feb. 2003 - II ZR 322/00

bei uns veröffentlicht am24.02.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 322/00 Verkündet am:
24. Februar 2003
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO a.F. §§ 139, 278 Abs. 3
Die Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts gebietet es, die Parteien auf
Widersprüche zwischen ihrem schriftsätzlichen Vortrag und den dazu eingereichten
Unterlagen hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zu deren Ausräumung
zu geben.
BGH, Urteil vom 24. Februar 2003 - II ZR 322/00 - OLG München
LG Memmingen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 24. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und
Dr. Graf

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 14. September 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von (noch) 128.900,00 DM in Anspruch, weil der Beklagte ihr Deckscheine für zwei Stuten nicht herausgegeben hat.
Die Parteien, die seinerzeit beide Araberpferde züchteten, hatten 1986 eine Deckgemeinschaft vereinbart und den Araberhengst A. gepachtet. Die
Klägerin ließ ihre Stuten von dem bei dem Beklagten untergestellten Hengst decken. Der Beklagte erstellte die zum Abstammungsnachweis bei Pferden erforderlichen Deckscheine, händigte sie jedoch der Klägerin nicht aus.
Da die Klägerin später in Zahlungsschwierigkeiten geriet, wurden die Pferde As. und R., die von den von A. gedeckten Stuten Ra. und Rah. abstammten, von einem Gläubiger der Klägerin gepfändet und zur Versteigerung gebracht. Die Klägerin behauptet, die Pferde hätten nur wegen der fehlenden Deckscheine lediglich 3.100,00 DM (As.) und 3.000,00 DM (R.) erbracht. Der tatsächliche Wert der Tiere als Zuchtpferde habe 50.000,00 DM (As.) und 85.000,00 DM (R.) betragen.
Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr in der Berufung um den erzielten Versteigerungserlös vermindertes Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe eine Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe der Deckscheine nicht schlüssig dargetan. Selbst wenn eine solche Verpflichtung bestanden hätte, könnte der - ohnehin nicht mehr feststellbare - Schaden der Klägerin nicht auf einen dem Beklagten zurechenbaren Verzug der Herausgabe zurückgeführt werden, sondern beruhe auf einer ihm nicht zuzurechnenden eigenen Unterlassung der Klägerin. Diese habe sich der Bewertung der Pferde As. und R. durch
den Gerichtsvollzieher mit 3.100,00 DM und 3.000,00 DM weder mit einem An- trag auf Verwertungsaufschub noch mit einer Erinnerung nach § 766 ZPO widersetzt. Ihr nach Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung eingereichter nicht nachgelassener Schriftsatz vom 19. Juli 2000, mit dem sie unter Hinweis auf den schon in erster Instanz vorgelegten Beschluß des Amtsgerichts L. vom 30. August 1990 behaupte, eine Bewertungsrüge erhoben zu haben, gebe zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keine Veranlassung. Das Amtsgericht habe in jenem Beschluß angeordnet, daß die gepfändeten Tiere durch den Sachverständigen Dr. K. im Versteigerungstermin vom 1. September 1990 geschätzt werden sollten. Da die Versteigerung der Pferde As. und R. aber unstreitig schon am 6. Juli 1990 stattgefunden habe, habe sich die der Anordnung des Amtsgerichts zugrundeliegende Bewertungsrüge der Klägerin vom 29. August 1990 nicht gegen die Bewertung dieser beiden Tiere richten können. Wäre es der Klägerin bei der Versteigerung vom 6. Juli 1990 auf die höhere Taxierung der Tiere anhand der Deckscheine angekommen , so hätte, da Durchschriften der Deckscheine beim Verband der Züchter des Arabischen Pferdes e.V. aufbewahrt würden, nichts näher gelegen, als den Gerichtsvollzieher vor dem Versteigerungstermin auf eine höhere Bewertung und einen möglichen höheren Versteigerungserlös auf Grund der Deckscheine hinzuweisen und im Falle der Ablehnung einer Höherbewertung Erinnerung einzulegen. Im übrigen sei mit Rücksicht auf die für Ersteigerer maßgeblichen Unwägbarkeiten der Werteinschätzung nicht feststellbar, ob die Pferde bei Vorliegen der Deckscheine einen höheren Erlös erzielt hätten, zumal der damalige Allgemeinzustand beider Tiere mangels geeigneter Anknüpfungstatsachen einer Bewertung durch das Gutachten eines Sachverständigen nach zehn Jahren nicht mehr zugänglich sei.
2. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsge- richt hat verkannt, daß sich die Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe der Deckscheine als Nebenpflicht aus der von den Parteien im Rahmen ihrer Deckgemeinschaft vereinbarten Deckung der Stuten der Beklagten durch den gepachteten Hengst A. ergab, und ist verfahrensfehlerhaft zu der Auffassung gelangt, ein etwaiger, inzwischen ohnehin nicht mehr feststellbarer Schaden der Klägerin sei durch deren eigenes Verhalten, nicht durch die Vorenthaltung der Deckscheine verursacht worden.
II. 1. Wie zwischen den Parteien nicht streitig ist und sich auch aus dem vom Beklagten zur Akte gereichten Deckschein-Formular des Verbandes der Züchter des Arabischen Pferdes e.V. ergibt, hat der Hengsthalter den Deckschein nach der letzten Bedeckung dem Stutenbesitzer auszuhändigen. Dies ist angesichts von Sinn und Zweck des Deckscheins eine sich aus dem Deckvertrag ohne weiteres ergebende selbstverständliche Nebenpflicht. Der Deckschein dient dem Nachweis, daß die darin genannte Stute von dem darin ebenfalls bezeichneten Zuchthengst gedeckt wurde. Er ist deshalb die Grundlage für den Abstammungsnachweis eines aus dem Deckvorgang hervorgegangenen Fohlens, wie die Abstammungsnachweise für die Pferde R. und As. (Anlagen K 3, K 4) zeigen. Da regelmäßig nur der Stutenbesitzer, nicht aber der Hengsthalter ein Interesse daran hat, die reinrassige Herkunft eines Fohlens dokumentieren zu können, liegt es auf der Hand, daß der Hengsthalter, nachdem er den Deckvorgang veranlaßt, die Daten der Decksprünge in eine Deckliste eingetragen und den Deckschein ausgefüllt hat, letzteren dem Stutenbesitzer aushändigen muß.
Im vorliegenden Fall gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nichts anderes. Die Klägerin mag zwar gemeinsam mit dem Beklagten Halterin
des Hengstes A. gewesen sein und von daher auch ihrerseits die Berechti- gung zur Ausstellung der Deckscheine gehabt haben. Tatsächlich war sie dazu jedoch nicht in der Lage. Sie hat unwidersprochen vorgetragen, daß es für jeden Zuchthengst nur einen Deckblock des Züchterverbandes gebe und der für A. sich bei dem Beklagten befunden habe, der ihr weder Einblick in die Deckliste gewährt noch sonst Kenntnis von den in die Deckscheine einzutragenden Daten der einzelnen Deckakte gegeben habe. Unter diesen Umständen war der Beklagte, wie die Revision mit Recht geltend macht, der Klägerin in gleicher Weise wie Dritten gegenüber, die ihre Stuten von dem Hengst A. decken ließen , zur Aushändigung der Deckscheine verpflichtet.
2. Der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht das Fehlen der Deckscheine , sondern das Verhalten der Klägerin sei ursächlich dafür, daß die Pferde As. und R. möglicherweise unter ihrem - inzwischen gar nicht mehr feststellbaren - Wert versteigert worden seien, liegen Verfahrensfehler zugrunde. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht der ihm gemäß §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO a.F. obliegenden Aufklärungs- und Hinweispflicht nicht genügt und die sich daraus im Zusammenhang mit dem nachgereichten Schriftsatz der Klägerin ergebende Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verletzt hat.

a) Auf Grund seiner Aufklärungs- und Hinweispflicht hat das Gericht die Parteien auf Widersprüche in ihrem Vortrag hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zu deren Ausräumung zu geben. Dieser Pflicht ist das Berufungsgericht insofern nicht nachgekommen, als es ohne weiteres davon ausgegangen ist, die Pferde As. und R. seien am 6. Juli 1990 versteigert worden.
Die von der Klägerin eingereichte Anlage K 2 stellt keine Bestätigung für den in ihrem Vortrag genannten Versteigerungstermin 6. Juli 1990 dar, sondern gibt im Gegenteil Anlaß, an der Richtigkeit dieses Datums zu zweifeln. Bei der aus zwei Seiten bestehenden Anlage handelt es sich entgegen der Darstellung der Klägerin nämlich nicht um ein Versteigerungsprotokoll vom 6. Juli 1990. Vielmehr ist Seite 1 der Anlage offensichtlich Teil des Vollstreckungsprotokolls von eben diesem Tage über die bei der Klägerin am 6. Juli 1990 durchgeführte Pfändung von Pferden, u.a. der Stute R., durch den Gerichtsvollzieher T., während die dazugeheftete Seite 2 zwar aus einem Protokoll über die Versteigerung von Pferden der Klägerin, darunter R. und As., stammt, aber das Datum der Versteigerung nicht erkennen läßt. Dafür, daß Pfändung und Versteigerung entgegen dem allgemein üblichen an demselben Tage stattgefunden haben könnten, fehlt jeder Anhalt. Dem Berufungsvorbringen des Beklagten zufolge waren die Pferde lange vor der Versteigerung gepfändet worden. Zudem hatte sich die Klägerin mit der Berufungsbegründung für den Zustand der Pferde As. und R. (erneut) ausdrücklich auf das Zeugnis Dr. K. bezogen, der die Tiere auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts L. vom 30. August 1990 vor der Versteigerung vom 1. September 1990 begutachtet hatte, was die Behauptung implizierte, sie seien nicht vor dem 1. September 1990 versteigert worden.

b) Das Gericht hat eine bereits geschlossene mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, wenn sich aus dem neuen Vorbringen einer Partei ergibt, daß die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (vgl. Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW 1999, 2123, 2124 m.w.N.; v. 25. Februar 2002 - II ZR 346/00, NJW-RR 2002, 1071). Diese Voraussetzungen lagen vor.

3. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig, § 563 ZPO a.F..
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein Schaden der Klägerin nicht mehr feststellbar ist. Zum einen hat das Landgericht über den Zustand der beiden Pferde im Zeitpunkt ihrer Versteigerung Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H. und M.. Zum anderen steht mit Dr. K., der die Tiere nach der Darstellung der Klägerin am 1. September 1990 begutachtet hat, ein weiterer - zudem sachverständiger - Zeuge zur Verfügung. Auf der Basis der Zeugenaussagen in Verbindung mit dem unstreitigen Sachverhalt kann erforderlichenfalls das Gutachten eines Sachverständigen zum Verkehrswert der Pferde mit bzw. ohne Deckschein im Zeitraum Sommer/Frühherbst 1990 eingeholt werden.
Es trifft auch nicht zu, daß ein Schaden selbst dann auf eine dem Beklagten nicht zurechenbare Unterlassung der Klägerin zurückzuführen wäre, wie die Revisionserwiderung meint, wenn angenommen wird, daß die Pferde erst am 1. September 1990 versteigert wurden. Soweit eine Höherbewertung der Tiere von Dr. K. und dem Gerichtsvollzieher wegen fehlender Deckscheine abgelehnt worden war, versprach aus der Sicht der Klägerin eine Erinnerung keine Aussicht auf Erfolg. Sie hatte nämlich angesichts der Haltung des Beklagten, der unstreitig die Herausgabe der Deckscheine im Hinblick auf angeblich für Pferde der Klägerin entstandene, allerdings nicht näher dargelegte Unterhaltskosten verweigerte, keine Veranlassung zu der Annahme, er habe die Deckscheine oder jedenfalls deren Durchschriften dem Züchterverband übersandt, weil dies den Wert des geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts herabgesetzt hätte.

III. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es nach ergänzender Anhörung der Parteien die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch macht.
Röhricht Goette Kurzwelly
Münke Graf

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 565 Anzuwendende Vorschriften des Berufungsverfahrens


Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Z

Zivilprozessordnung - ZPO | § 278 Gütliche Streitbeilegung, Güteverhandlung, Vergleich


(1) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. (2) Der mündlichen Verhandlung geht zum Zwecke der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits eine Güteverhandlun

Zivilprozessordnung - ZPO | § 766 Erinnerung gegen Art und Weise der Zwangsvollstreckung


(1) Über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betreffen, entscheidet das Vollstreckungsgericht. Es ist befugt, die im § 732 Abs. 2 b

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Bundesgerichtshof Urteil, 25. Feb. 2002 - II ZR 346/00

bei uns veröffentlicht am 25.02.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 346/00 Verkündet am: 25. Februar 2002 Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

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(1) Über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betreffen, entscheidet das Vollstreckungsgericht. Es ist befugt, die im § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen.

(2) Dem Vollstreckungsgericht steht auch die Entscheidung zu, wenn ein Gerichtsvollzieher sich weigert, einen Vollstreckungsauftrag zu übernehmen oder eine Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen, oder wenn wegen der von dem Gerichtsvollzieher in Ansatz gebrachten Kosten Erinnerungen erhoben werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein.

(2) Der mündlichen Verhandlung geht zum Zwecke der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits eine Güteverhandlung voraus, es sei denn, es hat bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Gütestelle stattgefunden oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos. Das Gericht hat in der Güteverhandlung den Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern und, soweit erforderlich, Fragen zu stellen. Die erschienenen Parteien sollen hierzu persönlich gehört werden. § 128a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(3) Für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche soll das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden. § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.

(4) Erscheinen beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

(5) Das Gericht kann die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. Der Güterichter kann alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen.

(6) Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz oder durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen. Das Gericht stellt das Zustandekommen und den Inhalt eines nach Satz 1 geschlossenen Vergleichs durch Beschluss fest. § 164 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 346/00 Verkündet am:
25. Februar 2002
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO a.F. §§ 139, 278 Abs. 3
Erkennbar mehrdeutigen Parteivortrag muß das Gericht zum Anlaß nehmen,
sein Fragerecht auszuüben, damit der Partei eine Klarstellung ihres Vorbringens
ermöglicht wird.
BGH, Urteil vom 25. Februar 2002 - II ZR 346/00 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und die Richterin Münke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Geschäftsführer der Klägerin schuldet der Beklagten gemäû notariellem Schuldanerkenntnis vom 5. Januar 1996 900.000,00 DM. Die Beklagte betreibt daraus gegen ihn die Zwangsvollstreckung. Sie hat unter anderem am 7. Februar 2000 auf dem Reiterhof K. in L. 16 untergestellte Pferde pfänden lassen.
Die Klägerin hat Widerspruchsklage erhoben mit der Behauptung, die gepfändeten Pferde seien ihr Eigentum. Das Landgericht hat durch Teilurteil hinsichtlich des Pferdes G. (Vater Gr./Muttervater A.) entschieden und die Zwangsvollstreckung insoweit für unzulässig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage hinsichtlich des Pferdes G. abgewiesen worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I. 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet angenommen, daû die Klägerin ihr Eigentum an dem Pferd durch Vorlage von Abstammungsnachweis und Zuchtbuch nicht nachgewiesen habe und die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht für sie streite, weil zureichende Anhaltspunkte dafür fehlten, daû sie im Zeitpunkt der Pfändung mittelbare Besitzerin des Tieres gewesen sei.
2. Zu Recht rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht sei verfahrensfehlerhaft zu der Auffassung gelangt, daû die Klägerin auch zu einem früheren Zeitpunkt keinen mittelbaren Besitz an dem Pferd gehabt habe, § 1006 Abs. 2 BGB. Das Berufungsgericht hätte den nach Schluû der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz der Klägerin vom 12. Oktober 2000 zum Anlaû nehmen müssen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen einer Partei ergibt, daû die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäûem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (vgl. Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW 1999, 2123, 2124 m.w.N.). So lag es hier.
Das Berufungsgericht hat auf Grund der Berufungserwiderung der Klägerin angenommen, daû R. W., dem die Züchterin das von ihr am 15. Mai 1996 auf dem Versteigerungswege veräuûerte Tier am 13. Oktober 1996 anlieferte, nicht als Besitzmittler für die Klägerin tätig war, weil der Unterstellvertrag mit W. nach dem Vortrag der Klägerin von ihrer - unstreitig nicht vertretungsbefugten - Gesellschafterin Ri. V. geschlossen worden sei, so daû W. Besitzmittler nicht für die Klägerin, sondern für deren Gesellschafterin gewesen sei. Diese Annahme beruhte jedoch auf einem zumindest nachträglich erkennbaren Miûverständnis.
Die klagende GmbH hatte in der Berufungserwiderung im Hinblick auf das Schreiben vom 8. Oktober 1996, in dem die Züchterin gebeten wurde, das von ihr veräuûerte Pferd am 13. Oktober 1996 bei R. W. anzuliefern, wörtlich vorgetragen: "Der Geschäftsführer der Klägerin hat auf Weisung der Alleingesellschafterin das Schreiben verfaût, da sie mit Herrn W. einen Unterstellvertrag abgeschlossen hatte." Das Berufungsgericht bezog das Pronomen "sie" im letzten Halbsatz auf das Substantiv "Alleingesellschafterin" und entnahm daraus, die Klägerin habe vorgetragen, daû ihre Alleingesellschafterin den Unterstellvertrag mit W. geschlossen habe. Es mag dahinstehen, ob diese
Auslegung zunächst noch entgegen der Ansicht der Revision ohne Verstoû gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze möglich gewesen wäre. Jedenfalls war es ebenso gut möglich, daû sich das Pronomen "sie" auf das Substantiv "Klägerin" beziehen sollte. In diesem Falle wäre der Vortrag in der Berufungserwiderung dahingehend zu verstehen gewesen, daû die klagende GmbH den Unterstellvertrag mit W. geschlossen habe, so daû W. ihr den Besitz vermittelte. Schon diese unschwer zu erkennende Mehrdeutigkeit des Vorbringens der Klägerin in der Berufungserwiderung hätte dem Berufungsgericht Anlaû zur Ausübung seines Fragerechts geben müssen.
Hinzu kommt, daû die Klägerin mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Oktober 2000 klargestellt hat, daû ihr Vorbringen anders gemeint war, als es das Berufungsgericht verstanden hatte. Sie hat dort ausdrücklich ausgeführt: "Mittelbarer Besitzer ist die Klägerin dadurch geworden, daû Frau Ric. das Pferd dem Besitzmittler, Herrn R. W. als Geheiûperson der Klägerin ausgehändigt hat, der den Besitz auf Grund eines Unterstellvertrages für die Klägerin ausübte." Dieses Vorbringen lieû keinen Zweifel daran zu, daû die Klägerin einen zwischen ihr und W. zustande gekommenen Unterstellvertrag behaupten wollte und das Berufungsgericht sie miûverstanden hatte. So verstand auch das Berufungsgericht den neuen Vortrag der Klägerin. Aus ihm ergab sich, daû die bisherige Verhandlung des Berufungsgerichts lückenhaft war, weil sie die Differenz zwischen seinem Verständnis der klägerischen Darstellung zum Unterstellvertrag und dem Verständnis der Klägerin trotz erkennbarer Mehrdeutigkeit des Vortrags nicht aufgedeckt hatte, und das bisherige Verfahren fehlerhaft war, weil das Berufungsgericht die erforderliche Klärung der erkennbaren Mehrdeutigkeit des klägerischen Vorbringens unterlassen hatte.


b) Das Berufungsgericht war seiner demnach gegebenen Wiederöffnungspflicht weder wegen der Erörterung der mit dem Eigentumserwerb im Zusammenhang stehenden Tatsachen in der Berufungsverhandlung enthoben noch wegen der Erklärung des Prozeûbevollmächtigten der Klägerin, er könne über den schriftsätzlichen Vortrag hinausgehende Angaben nicht machen. Nach §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO hätte das Oberlandesgericht die Klägerin auf sein Verständnis der Berufungserwiderung unmiûverständlich hinweisen müssen , um ihr eine sachdienliche Klarstellung ihres Vortrags zu ermöglichen (vgl. Senat aaO). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen ebenso wenig wie das Protokoll der Berufungsverhandlung erkennen, daû ein solcher Hinweis erfolgt ist. Damit geht auch die Auffassung der Revisionserwiderung fehl, die Klägerin hätte bei sorgfältiger Prozeûführung vorsorglich einen Antrag nach § 283 ZPO stellen müssen, der den Verfahrensfehler des Berufungsgerichtes kompensiert hätte.
3. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig, § 563 ZPO a.F..
Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spricht vieles dafür, daû ihr Geschäftsführer das Pferd auf der Auktion vom 15. Mai 1996 für die Klägerin ersteigerte. Nach den Umständen liegt es nahe, daû der Geschäftsführer der Klägerin, obwohl er Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Gesellschaft erst am 12. August 1996 wurde, auf Grund seiner schon damals beherrschenden Stellung in der Gesellschaft - er hielt vier Fünftel des Stammkapitals der Gesellschaft - in deren Vollmacht und Vertretung handelte. Er betrieb die Hengstaufzucht und -ausbildung über die
Klägerin. Angesichts seiner beherrschenden Stellung in der Gesellschaft kann seine Vollmacht, die Klägerin vertraglich zu verpflichten, nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. Sein Gebot wurde entweder als solches der Klägerin verstanden, ohne daû es insoweit einer ausdrücklichen Erklärung bedurft hätte, weil den beteiligten Verkehrskreisen und damit auch dem Veranstalter der Auktion, dem Verein zur Absatzförderung des O. e.V., der die Tiere im eigenen Namen und für Rechnung der Züchter verkaufte, bekannt war, daû er Geschäfte über Pferde jeweils für die Klägerin abschloû, oder es ist jedenfalls nach den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts, um das es sich bei dem Erwerb des Tieres handelte, der Klägerin zuzurechnen.
Die vorstehende Beurteilung findet Bestätigung zum einen darin, daû die Rechnung des Vereins zur Absatzförderung des O. e.V. vom 4. Dezember 1996 an die Klägerin gerichtet ist, und zum anderen darin, daû in den von der Steuerberatungsgesellschaft der Klägerin gefertigten Aufstellungen der Hengst per 31. Dezember 1996 und 31. Dezember 1997 im Anlagevermögen der Klägerin geführt wurde. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht schlieûlich auch kein Zweifel daran, daû das Schreiben vom 8. Oktober 1996, mit dem die Züchterin zur Ablieferung des ersteigerten Pferdes bei W. aufgefordert wurde, der Klägerin zugerechnet werden muû. Es ist auf einem Briefbogen der Klägerin gefertigt; die handschriftlich vorgenommene Änderung an seinem unteren Rand macht ausdrücklich auf die Eigenschaft des unterzeichnenden H. V. als Geschäftsführer der Klägerin aufmerksam. Demgegenüber kommt der Tatsache, daû die Bezeichnung der Klägerin und ihre Anschrift auf dem Firmenbriefbogen nur unzureichend an die zuvor anläûlich der Übernahme des restlichen Fünftels der Gesellschaftsanteile durch den Ge-
schäftsführer der Klägerin am 12. August 1996 vorgenommenen Änderungen des Gesellschaftsvertrages angepaût worden waren, keine Bedeutung zu.
II. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da dem Senat eine eigene Entscheidung über die Frage, mit wem W. den Unterstellvertrag geschlossen hat, nicht möglich ist. Aus der Erwiderung der Beklagten vom 13. Oktober 2000 auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 12. Oktober 2000 ergibt sich, daû die Beklagte den Vortrag der Klägerin über einen Unterstellvertrag mit W. bestreitet. Das Berufungsgericht wird daher , nachdem die Parteien Gelegenheit zu abschlieûendem Vortrag zu diesem Komplex erhalten haben, den Beweisantritten der Klägerin nachzugehen haben.
Röhricht Hesselberger Henze
Kraemer Münke

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.