Bundesgerichtshof Urteil, 26. Apr. 2017 - 5 StR 445/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt T.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin W.
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom
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- Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und in einem Fall in weiterer Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf Verfahrensbeanstandungen sowie die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der Sachrüge vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, seine damals sechsjährige
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- Stieftochter L. in den Wochen vor dem 20. November 2013 in fünf Fällen in ihrem Zimmer bzw. im Keller des von ihnen bewohnten Hauses dazu gebracht zu haben, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Im Zusammenhang mit einer dieser Taten soll der Angeklagte der Nebenklägerin auch Videos mit pornographischem Inhalt, insbesondere Oralverkehr, gezeigt haben.
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- dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten begangen hat.
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen äußerte die
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- Nebenklägerin gegenüber ihrer Mutter am 19. November 2013, nachdem diese die Anwesenheit eines Mannes in der Wohnung als „großes Geheimnis“ be- zeichnet hat, dass auch sie ein „großes Geheimnis“ habe. Ihr „Papa“, als sol- chen bezeichnete sie den Angeklagten, habe ihr aber aufgegeben, davon nichts zu sagen. Auf Nachfrage ihrer Mutter erzählte L. , dass ihr „Papa“ sie vor kurzem in ihrem Zimmer sowie im Keller gefragt habe, ob sie seinen Penis sehen wolle; dann habe er seine Hose ausgezogen. Anschließend habe L. sich die Hand vor den Mund gehalten, den Kopf vor- und zurückbewegt und erzählt, dass sie dies gemacht habe. „Papa“ habe ihr zudem Videos gezeigt, „wie das gehe“. Bei einer dieser Gelegenheiten habe ihre Mutter einen Eltern- abend besucht.
zunächst nichts zu den Tatvorwürfen sagen wollte, an, sie habe beim Angeklagten mehrfach den Oralverkehr ausgeführt. Das erste Mal sei in ihrem Zimmer gewesen; im Keller habe sie zum ersten Mal den Penis des Angeklagten mit einer Art Damenstrumpf bedeckt. Zudem habe der Angeklagte ihr auf seinem Handy ein Video gezeigt, in dem eine Frau bei einem Mann das getan habe, was sie beim Angeklagten gemacht habe.
Bei der ebenfalls audiovisuell aufgezeichneten ermittlungsrichterlichen
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- Vernehmung mehr als acht Monate später schilderte die Nebenklägerin in Anwesenheit der aussagepsychologischen Sachverständigen unter anderem, dass sie zwei- bis fünfmal den Oralverkehr am Angeklagten ausgeführt habe; sie glaube, dass es ein- oder zweimal im Keller und drei Mal in ihrem Zimmer gewesen sei. Der Angeklagte habe ihr in diesem Zusammenhang Videos gezeigt, in denen eine Frau an einem Mann den Oralverkehr ausgeführt habe. In einem Fall habe der Angeklagte auch eine Art Strumpf über seinen Penis gehabt.
b) Entgegen der Ansicht der Sachverständigen, die ausgeführt hat, dass
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- aus aussagepsychologischer Sicht hinsichtlich dreier Fälle des Oralverkehrs „wahrscheinlich“ von einem tatsächlichen Erlebnishintergrund auszugehen sei, ist das Landgericht zu der Einschätzung gelangt, dass die Angaben der Nebenklägerin , die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, aber die Verwertung ihrer früheren Angaben gestattet hat, „nicht geeignet“ seien, die Tatvorwürfe zu beweisen. Zwar bestünden kein Falschbelastungsmotiv und keine Belastungstendenz; auch sei „das von der Nebenklägerin geschilderte Geschehen in eine konkrete Lebenssituation einge- bettet und in sich stimmig“ und es bestünden „keine Anhaltspunkte dafür ..., dass die sexuell noch nicht aufgeklärte Nebenklägerin das geschilderte Ge- schehen erfunden hat“. Insbesondere angesichts der „sehr geringen“ Komplexi- tät und Qualität der Angaben der Nebenklägerin, der schwankenden Häufigkeitsangaben sowie einer Aussageerweiterung könne in der hier vorliegenden „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ aber nicht ausgeschlossen werden, „dass die Nebenklägerin Gesehenes als Erlebtes berichtet“ habe, zumal der Beweiswert der früheren Aussagen der Nebenklägerin angesichts der nicht möglichen konfrontativen Befragung gegenüber einer unmittelbaren Aussage in der Hauptverhandlung wesentlich geringer sei und „kaum jemals eine Verurteilung auf eine solche Aussage allein wird gestützt werden können“.
II.
1. Die Revision der Nebenklägerin hat bereits mit der Verfahrensrüge Er8 folg, mit der sie die Verletzung von § 261 StPO beanstandet. Das Landgericht hat sich durch das Unterlassen der Erörterung in die Hauptverhandlung eingeführter Beweiserkenntnisse zu pornographischen Videodateien auf dem Mobiltelefon des Angeklagten nicht mit allen erhobenen Beweisen auseinandergesetzt und daher seine Überzeugung nicht aus dem vollständigen Inhalt der Beweisaufnahme geschöpft.
a) Die Verfahrensbeanstandung ist den Darlegungsanforderungen des
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- § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend erhoben. Denn die den geltend gemachten Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen sind bereits der Revisionsbegründungsschrift selbst zu entnehmen und ihr mithin nicht lediglich als Anlage beigefügt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2006 – 4 StR 110/05 mwN). Insbesondere teilt die Revisionsbegründung – zutreffend – mit, dass das IT-Gutachten über die Verwertung des Handys des Angeklagten in der Hauptverhandlung verlesen wurde, wonach sich auf diesem 104 Bilder und neun Videos mit pornographischem Inhalt befanden, von denen einige „Oralverkehr, jedoch zwischen erwachsenen Personen“ zeigen. Der Mitteilung weitererEin- zelheiten bedurfte es nicht.
b) Die Rüge ist auch begründet.
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- aa) Aus dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261
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- StPO) folgt mit dem Ausschöpfungsgebot die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies – auch bei freisprechenden Urteilen – erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden (BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – 4 StR 303/80, NJW 1980, 2423 f.; Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705, 706; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 14, 56 ff.).
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- dem – dort nicht erwähnten – IT-Gutachten über die Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten auseinandersetzen müssen.
(2) Es handelt sich bei dem Vorhandensein solcher pornographischer
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- Videos auf dem Mobiltelefon des Angeklagten nicht um eine unbedeutende Indiztatsache, der letztlich in der Gesamtheit der Beweiswürdigung kein erhebliches Gewicht beizumessen wäre.
(3) Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht ausschließen, dass das
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- Tatgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung unter Einbeziehung auch dieses Beweisergebnisses in die vorzunehmende Gesamtwürdigung die Überzeugung von einer Tatbegehung durch den Angeklagten gewonnen hätte.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp Mosbacher
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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
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sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.