Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2001 - 5 StR 360/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit die Anordnung von Sicherungsverwahrung unterblieben ist; ferner wird es zugunsten des Angeklagten im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit dreifacher Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls in 18 Fällen und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Revisionsbegründung erweist, zum Nachteil des Angeklagten auf die Überprüfung des Unterlassens der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der 1968 in Beirut geborene Angeklagte lebt seit 1983 in Berlin. Er verschaffte sich seinen Lebensunterhalt im wesentlichen durch die Begehung von Eigentumsdelikten und wurde vielfach verurteilt, zuletzt im Jahre 1996 wegen mehrerer Trickdiebstähle aus Wohnungen betagter Frauen; zwei dieser Taten wurden mit Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr, eine mit einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten geahndet. Die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde vollständig bis zum 2. August 1999 vollstreckt.
Der Angeklagte verschaffte sich vom 21. Oktober 1999 bis zu seiner Festnahme am 18. Januar 2000 auf ähnliche Weise aus 14 Wohnungen vor allem Bargeld und Schmuck im Wert von insgesamt über 39.000 DM. In sechs Fällen konnte der Angeklagte nach Trickdiebstahl der Wohnungsschlüssel keine Beute erzielen. Dabei hatte der Angeklagte die Aufmerksamkeit der hochbetagten, seh- und gehbehinderten Frauen auf von ihm vorgehaltene Visitenkarten oder Zettel mit Scheinanschriften in der Nähe ihrer Wohnungen gelenkt. Einmal blieb seine List, durch blitzschnelles Aufdrehen aller Wasserhähne einen Wasserschaden vorzutäuschen und die dadurch entstandene Verwirrung der Wohnungsinhaberin auszunutzen, erfolglos. In einem Fall mißlang der Schlüsseldiebstahl aus einer Handtasche.
Beim Verlassen einer Wohnung mit Schmuck und Bargeld schlug der Angeklagte mit beiden Fäusten gegen die Brust der 80jährigen Geschädigten , um sich im Besitz der Beute zu halten (Fall 15). Die Geschädigte fiel auf den Rücken und zog sich langandauernd schmerzhafte Prellungen zu. In
einem weiteren Fall (Fall 20) schlug der Angeklagte die Hand der 87jährigen Geschädigten weg und sicherte dadurch erneut seinen Gewahrsam an gestohlenen Geldscheinen. Anschließend schloß er die alte Frau und zwei weitere in der Wohnung weilende über 90 Jahre alte Personen im Wohnzimmer ein, um ungestört mit der Beute flüchten zu können.
II.
Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Taten, denen ein einheitliches “handschriftartiges” Handlungsmuster zugrundeliege, mit zahlreichen Indizien nach fehlerfreier Gesamtwürdigung (vgl. BGHR StPO § 261 ± Beweiswürdigung 2 m.w.N.) sämtlich allein dem Angeklagten zugerechnet.
Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht auch nicht verpflichtet, die Merkmale der inneren Tatseite hinsichtlich der Nötigungen und der Körperverletzung näher darzulegen. Aus der Schilderung des äußeren Sachverhalts ergibt sich hier vorsätzliches Handeln des Angeklagten von selbst (vgl. BGHR StGB § 15 ± Vorsatz, bedingter 2).
Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die maßvollen Strafaussprüche sind nicht zu beanstanden.
III.
Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Anwendung von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausschließt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt, die dissoziale Persönlichkeitsstruktur
des Angeklagten lasse zwar ähnliche Straftaten der mittleren Eigentumskriminalität erwarten, deren Gewicht erreiche aber “in jedem Einzelfall aus Rechtsgründen noch nicht die Qualität einer besonders schweren seelischen Beeinträchtigung oder eines besonders schweren wirtschaftlichen Schadens”. Damit werden mit den gesetzlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu vereinbarende erhöhte Anforderungen gestellt. Diese Vorschrift verlangt eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten; hierfür genügen auch Taten, durch die ein schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden verwirklicht wird. Wenn das Landgericht “besonders” schwere seelische Beeinträchtigungen oder “besonders” schwere wirtschaftliche Schäden fordert , so überschreitet es den ihm eingeräumten Rahmen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 1). Feststellungen zu seelischen Schäden hat das Landgericht zudem nicht getroffen, obwohl solche Auswirkungen angesichts der meist hochbetagten, zum Teil gebrechlichen und in panische Angst geratenen Opfer (UA S. 23) naheliegen (vgl. BGHR § 66 StGB Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Strafkammer hat auch nicht bedacht, daû die beiden als räuberische Diebstähle ausgeurteilten Taten belegen, daû der Angeklagte zur Sicherung seiner Beute bereit ist, Gewalt anzuwenden, die gerade bei den betagten und behinderten Opfern auch zu schweren körperlichen Schäden führen kann. Die vom Angeklagten begangene Diebstahlsserie hätte auûerdem eine Würdigung des Gesamtschadens als schwerer wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nahegelegt. Bei Diebstählen, die planmäûig auf Wiederholung angelegt sind oder infolge des Hanges in rascher Folge begangen wurden, ist nämlich die Höhe des durch die Tat insgesamt verursachten Schadens maûgebend (BGHSt 24, 153, 157; 24, 345, 347; BGH NStZ 1984,
309).
Unabhängig von diesen Einzelerwägungen wird die Gesetzesauslegung des Landgerichts dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Anliegen
nicht gerecht. Daû gemäû § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ªnamentlichº solche Straftaten als ªerheblichº eingestuft werden, die zu schweren Schäden führen , hat vornehmlich den Sinn, Straftaten von geringerem Schweregrad auszuscheiden , soll aber keine abschlieûende Regelung bedeuten (BGH NStZ 1986, 165). Entscheidend soll vielmehr sein, daû die Straftaten einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Erheblichkeit einer Straftat ist also nicht allein am eingetretenen Erfolg zu messen (vgl. BGH NStZ aaO). Das gehäufte gezielte, in der Regel durch Trickdiebstahl vorbereitete Eindringen des Angeklagten in Wohnungen betagter und gebrechlicher Frauen zur Begehung von gewerbsmäûigen Diebstählen bei Inkaufnahme auch körperlicher Konfrontationen läût schwerlich eine andere Beurteilung zu als die, daû es sich um eine den Rechtsfrieden ganz empfindlich störende, die Allgemeinheit erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit ªerhebliche Straftatº handelt.
2. Zwar schlieût der Senat aus, daû die Einzelstrafen geringer hätten ausfallen können, wenn der Tatrichter Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGHR StGB § 66 ± Strafausspruch 1; BGH StV 2000, 615, 617; BGH, Urteil vom 7. November 2000 ± 1 StR 377/00 ±). Er vermag indes nicht auszuschlieûen , daû die Gesamtstrafe milder bemessen worden wäre, falls das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler aber nicht. Weitergehende, den bis-
herigen nicht widersprechende Feststellungen darf der neue Tatrichter, der gemäû § 246a StPO den psychiatrischen Sachverständigen (nur noch) zur Frage einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erneut zu hören haben wird, treffen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal
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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.