Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 413/09
vom
7. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Amt
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 17. Dezember 2009 in der Sitzung am 7. Januar 2010, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter des Nebenklägers B. D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin M. D. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers Ma. D. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt zum Nachteil des in Sierra-Leone geborenen O. J. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts. Die Nebenkläger beanstanden ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg; einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es deshalb nicht.

I.

2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, es als für den Gewahrsamsbereich des Polizeireviers D. verantwortlicher Dienstgruppenleiter unterlassen zu haben, sofort nach dem Ertönen des Alarmsignals des in der Gewahrsamszelle Nr. 5 installierten Rauchmelders Rettungsmaßnahmen zugunsten des dort untergebrachten O. J. einzuleiten. Obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass beim Ansprechen eines Rauchmelders stets vom Ausbruch eines Feuers auszugehen sei, habe er das Alarmsignal mehrfach abgestellt. Dabei habe er mögliche Verletzungen des in der Zelle mit Hand- und Fußfesseln auf einer Liege fixierten O. J. durch Rauch- und Feuereinwirkung billigend in Kauf genommen. Zwei Minuten und 21 Sekunden nach Ausbruch des Feuers habe auch der Rauchmelder der Lüfteranlage des Gewahrsamszellentraktes Alarm ausgelöst. Der Angeklagte habe erst, nachdem er von seiner Kollegin H. energisch aufgefordert worden sei, nach dem Rechten zu sehen, die Schlüssel ergriffen und sich auf den Weg zum Gewahrsamstrakt gemacht. Nach dem Öffnen der Zellentür sei es dem Angeklagten und anderen hinzugekommenen Polizeibeamten nicht mehr gelungen, das Leben O. J. s zu retten, der spätestens sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers an den Folgen eines Hitzeschocks verstorben sei. Bei pflichtgemäßer, sofortiger Reaktion auf den ersten akustischen Alarm hätte der Angeklagte die Gewahrsamszelle Nr. 5 deutlich vor Ablauf von zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers erreichen können, das Feuer mit Hilfe eines auf dem Weg zum Gewahrsamstrakt angebrachten Feuerlöschers löschen und das Leben O. J. s retten können.
3
2. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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Am frühen Morgen des 7. Januar 2005 wurde O. J. , der in stark angetrunkenem Zustand Frauen belästigt hatte, auf das Polizeirevier D. gebracht. Im Arztraum des Gewahrsamstrakts wurden ihm Fußfesseln angelegt , nachdem er mit Füßen nach den Polizeibeamten getreten und mehrfach versucht hatte, sich Verletzungen am Kopf zuzufügen. Ihm wurde von einem herbeigerufenen Arzt um 9.15 Uhr eine Blutprobe entnommen, deren spätere Untersuchung eine Blutkalkoholkonzentration von 2,98 ‰ ergab. Der Arzt erklärte O. J. für gewahrsamstauglich und empfahl dessen Fixierung, um zu verhindern, dass er sich selbst schädigt. Gegen 9.30 Uhr wurde O. J. in der Gewahrsamszelle Nr. 5 auf einer gefliesten und beheizten Liegefläche, auf der eine Matratze lag, an den hierfür vorgesehenen vier Halterungen fixiert. Trotz der Fixierung blieb eine gewisse Beweglichkeit seiner Extremitäten, seines Kopfes und des Körpers erhalten. In der Folgezeit wurde die Gewahrsamszelle viermal kontrolliert. Die letzte Kontrolle führten um 11.45 Uhr die Zeugin H. und ein weiterer Polizeibeamter durch.
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Danach gelang es O. J. , den Kunstlederbezug der Matratze zu öffnen und den als Füllung dienenden Schaumstoff, einen PUR-Weichschaum vom Typ Polyetherschaum, mit einem Einwegfeuerzeug, das entweder bei der vorangegangenen Durchsuchung übersehen worden war oder von ihm auf dem Weg in die Gewahrsamszelle an sich gebracht worden war, zu entzünden. Es entstand eine brennende Schmelze. Die Temperatur im Nahbereich der Flammen betrug etwa 800 Grad Celsius. Gegen 12.00 Uhr sprang im Dienstgruppenleiterbereich das Warnsignal des in der Zelle Nr. 5 installierten Ionisationsrauchmelders an. Dieser Rauchmelder löst, wie später durchgeführte Versuche ergeben haben, den Alarm spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ aus. Der Angeklagte lief zu der nur wenige Schritte entfernten Bedienungsvorrichtung des Rauchmelders, wobei er mit den Gedanken an eine Fehlfunktion der Anlage, die es in der Vergangenheit gegeben hatte, äußerte: "Nicht schon wie- der das Ding!". Er drückte die Resettaste und der Warnton verstummte. Anschließend meldete der Angeklagte den ausgelösten Alarm telefonisch seinem Vorgesetzten, dem Zeugen K. , und bat ihn, mit in den Gewahrsamstrakt zu gehen. Als der Angeklagte den nur wenige Schritte entfernt bereitliegenden Gewahrsamschlüsselbund ergriff, sprang der Warnton des Rauchmelders erneut an. Der Angeklagte schaltete den Alarm mit der dafür vorgesehenen Taste endgültig aus und rannte mit dem Gedanken an eine Fehlfunktion der Anlage oder auch an einen Feuchtigkeitsschaden in der Anlage in Richtung der Gewahrsamszellen. Nach wenigen Schritten kehrte er um und entnahm dem neben dem Eingang zum Dienstgruppenbereich hängenden Blechkasten den Fußfesselschlüssel. Anschließend rannte er erneut los und forderte auf dem Weg zu den Gewahrsamszellen einen Kollegen auf, ihm in den Gewahrsamsbereich zu folgen. Dieser beendete das von ihm geführte Telefongespräch und folgte dem Angeklagten, der sogleich weitergelaufen war. Als der Angeklagte die Tür der Gewahrsamszelle Nr. 5 erreichte, trat an deren seitlichen Spalten, bereits Qualm aus. Nach dem Öffnen der Tür schlug dem Angeklagten und seinem Kollegen beißender schwarzer Qualm entgegen. Der Angeklagte rief seinem Kollegen zu, dass er Hilfe hole, und benachrichtigte weitere Kollegen. Der Versuch des zurückgebliebenen Kollegen, das Feuer mittels einer herbeigeholten Decke zu ersticken, und die Rettungsversuche der hinzugekommenen Kollegen scheiterten. O. J. war zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt innerhalb der ersten zwei Minuten nach Ausbruch des Brandes nach dem Einatmen der etwa 800 Grad Celsius heißen Gase an einem Inhalationshitzeschock gestorben.
6
3. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Soweit ihm eine Körperverletzung mit Todesfolge im Amt zur Last gelegt worden sei, sei nicht erwiesen, dass er mit - zumindest bedingtem - Körperverletzungsvorsatz gehandelt habe. Der Angeklagte habe nicht damit ge- rechnet, dass O. J. körperlichen Schaden erleiden würde. Zudem habe er dies weder gewollt noch billigend in Kauf genommen. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich vielmehr, dass sich der Angeklagte bemüht habe, schnell in den Gewahrsamsbereich zu gelangen.
7
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung sei ebenfalls nicht gegeben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der eingetretene Todeserfolg objektiv vermeidbar gewesen wäre. Nach den zutreffenden Ausführungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen spreche eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass O. J. bereits innerhalb von zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers verstorben sei. Der Angeklagte hätte die Zelle aber auch dann erst nach mehr als zwei Minuten erreichen können, wenn er sogleich nach dem Ertönen des Signals des Rauchmelders zu der Gewahrsamszelle gelaufen wäre. Der Angeklagte habe im Übrigen nach dem Anspringen des Alarms nicht pflichtwidrig gehandelt.

II.

8
Der Freispruch des Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f.; Senat, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 StR 15/04, wistra 2004, 432, jew. m. w. N.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1996 - 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Diesen Grundsätzen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.
10
1. Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein (pflichtwidriges) Unterlassen des Angeklagten für den konkreten Todeseintritt nur dann ursächlich geworden wäre, wenn der Tod O. J. s, so wie er konkret eingetreten ist, durch ein sofortiges und sachgerechtes Eingreifen des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2002 - 4 StR 51/02, NStZ-RR 2002, 303 m. N.). Das Landgericht hat dies aber nicht rechtsfehlerfrei verneint. Vielmehr erweist sich die der Annahme, der Angeklagte habe auch bei sofortiger Reaktion die Gewahrsamszelle nicht rechtzeitig erreichen können, zugrunde liegende Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft:
11
a) Durchgreifenden Bedenken begegnet insbesondere die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte erstmals durch das Alarmsignal auf die Notlage O. J. s aufmerksam werden und mit Rettungsbemühungen beginnen konnte. Nach den Feststellungen war die Wechselsprechanlage, durch die der Dienstgruppenleiterbereich mit der Gewahrsamszelle verbunden war, bereits vor der letzten Kontrolle der Zelle auf Empfang geschaltet worden. Zwar hatte der Angeklagte, der sich durch „das laute Rufen“ O. J. s bei einem Telefonat gestört fühlte, die Anlage leiser gestellt, aber nur für kurze Zeit. Dass der Angeklagte, nach dessen Einlassung ein „Rumschreien“ zu hören war, gleichwohl nicht schon vor dem Alarmsignal aufgrund der ihm möglichen akustischen Wahrnehmungen, insbesondere durch Schmerzensschreie, früher auf das Ge- schehen in der Zelle hätte aufmerksam werden können und die sich anbahnende Gefahr hätte erkennen müssen, ist nach den bisherigen Urteilsausführungen für den Senat aus folgenden Gründen nicht nachvollziehbar:
12
Nach den insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen hat O. J. den bei seiner Einlieferung unversehrten und, wie sich dem Gesamtzusammenhang entnehmen lässt, schwer entflammbaren Kunstlederbezug geöffnet und die Matzratzenfüllung mit einem Einweggasfeuerzeug angezündet. Dieses Feuerzeug kann von dem früheren Mitangeklagten M. bei der Durchsuchung O. J. s übersehen worden oder diesem Beamten von O. J. beim Transport in die Zelle entwendet worden sein. Das Landgericht hat sich aufgrund der Bekundungen des Zeugen F. und durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung, die bei der von diesem Zeugen durchgeführten Rekonstruktion gefertigt wurde, davon überzeugt, dass O. J. mit der Hand, die mittels einer Handschelle an der Halterung an der Wand fixiert war, das Feuerzeug aus seiner Hose oder Unterhose herausholen und mit dieser Hand an den Rand der Matratze und die dort befindliche Naht fassen konnte.
13
Dieser im Ermittlungsverfahren durchgeführten Rekonstruktion lag ersichtlich die Annahme zugrunde, dass die Naht der Matratze geöffnet werden musste, um den Schaumstoff anzünden zu können. Hiervon ging zunächst auch das Landgericht aus. Aufgrund der Bekundungen des Zeugen F. zu einem während des Laufs der Hauptverhandlung durchgeführten weiteren Versuch und der Inaugenscheinnahme des hierbei aufgenommenen Films hat sich das Landgericht aber davon überzeugt, dass der Kunststofflederbezug von O. J. aufgerissen wurde, nachdem dieser ihn mittels des Feuerzeugs erhitzt hatte. Bei einer so geschaffenen Öffnung wäre der zu entzündende Schaumstoff , im Unterschied zu einer Zündung durch die geöffnete Naht hindurch, vor der Zündung regelrecht freigelegt worden, so dass schnell ein Vollbrand entstehen konnte.
14
Insoweit ist das Urteil jedoch lückenhaft. Es enthält weder eine hinreichende Darstellung dieses Versuchs, noch verweist es auf Lichtbilder. Ihm lässt sich schon nicht entnehmen, ob die Situation nachgestellt worden ist, in der sich O. J. bei der Brandlegung befand. So bleibt offen, ob der Bewegungspielraum seiner an der Wand fixierten Hand ausreichte, um den Matratzenbezug "anzuschmoren" und in dem zum Anzünden des Schaumstoffs erforderlichen Umfang zu öffnen. Insbesondere fehlen Angaben dazu, ob es möglich war, den Matratzenbezug ohne erhebliche schmerzhafte Verletzungen an der Hand mit dem Einwegfeuerzeug zu erhitzen. Hiermit hätte sich das Landgericht schon deshalb auseinandersetzen müssen, weil es nahe liegt, dass ein Mensch, der in einer Zelle einen Brand legt, um die Lösung seiner Fesseln zu erreichen, sich frühzeitig durch Rufen bemerkbar macht und Schmerzenslaute von sich gibt, wenn er beim Legen eines Brandes Verbrennungen erleidet. Hat aber O. J. bereits vor dem Anzünden des freigelegten Schaumstoffs durch Rufe und/oder Schmerzenslaute auf seine Situation aufmerksam gemacht, stellt sich die Frage nach einer Rettungsmöglichkeit neu. Denn dann hätte der Angeklagte bereits vor dem Alarmsignal des Rauchmelders erkennen können und müssen, dass ein sofortiges Eingreifen zur Abwendung einer möglichen Gefahr für Leib und Leben O. J. s geboten war.
15
b) Aber auch wenn man mit dem Landgericht davon ausgeht, dass über die Wechselsprechanlage weder Schmerzenslaute noch sonstige Hinweise auf eine Gefahrensituation zu vernehmen waren, bleiben Unklarheiten hinsichtlich der nach dem Ansprechen des Ionisationsmelders für eine Rettung verbleibenden Zeit.
16
Das Landgericht ist, was für sich genommen nicht zu beanstanden ist, den Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend davon ausgegangen , dass der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit schon innerhalb von zwei Minuten „nach Ausbruch des Brandes“ infolge eines Inhalationshitzeschocks eingetreten ist. Die rechtsmedizinischen Sachverständigen stellten dabei ersichtlich auf einen „Vollbrand“ von Teilen der Schaumstofffüllung der Matratze ab, bei dem Temperaturen von 800 Grad Celsius herrschen, so dass schon zwei Atemzüge zu einem tödlichen Inhalationshitzeschock führen können. Das Landgericht ist ferner auf der Grundlage der von dem Brandsachverständigen durch drei im Mai 2006 durchgeführte Versuche ermittelten Ansprechzeiten des in der Zelle installierten Ionisationsrauchmelders davon ausgegangen, dass dieser spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ ausgelöst worden ist. Danach könnte der Tod nach dem Zweifelsgrundsatz bereits vor der Auslösung des Alarmsignals eingetreten sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Brandsachverständige , der von „Zündung“ gesprochen hat, bei der Messung der Ansprechzeiten auf dieselbe Situation abgestellt hat, wie die rechtsmedizinischen Sachverständigen. Ob dies der Fall war, lässt sich aber den auch insoweit lückenhaften Urteilsausführungen nicht entnehmen, weil die Bedingungen nicht mitgeteilt werden, unter denen diese Versuche, insbesondere aber der Versuch im Januar 2005, bei dem die Ansprechzeit des Rauchmelders in der Lüftungsanlage ermittelt wurde, durchgefürt wurden.
17
Danach bleibt offen, ob mit der Messung der Ansprechzeiten der Rauchmelder begonnen wurde, als eine Gasflamme an den bereits freiliegenden Schaumstoff gehalten wurde, oder erst, als dies zu einem Vollbrand des Schaumstoffs geführt hatte. Nach den Urteilsausführungen basierte „auch“ der am 23. Juni 2008 ausgeführte Versuch, bei dem im Bereich der Flammen eine Temperatur von 800 Grad Celsius herrschte, „nur“ auf einer Zündung an der geöffneten Naht. Erforderlich wäre gewesen, bei der Ermittlung der Ansprech- zeiten der Rauchmelder die Situation, in der O. J. den Brand gelegt hat, unter Berücksichtigung auch der Möglichkeit, dass er den Matratzenbezug zunächst "angeschmort" hat, insgesamt nachzustellen. Dass dies geschehen wäre , teilt das Urteil nicht mit. Auch fehlen Ausführungen dazu, ob der Ionisationsrauchmelder schon durch beim Anschmoren des Kunststofflederbezuges freigesetzte Rußpartikel ausgelöst worden sein kann.
18
c) Nicht nachvollziehbar ist die Beweiswürdigung auch, soweit das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte sich sogleich nach dem endgültigen Abschalten des Alarmsignals, das zehn Sekunden nach dem Drücken der Resettaste erneut ertönt war, auf den Weg zur Gewahrsamszelle gemacht hat. Es widerspricht schon der Lebenserfahrung, dass der Angeklagte die von ihm und der Zeugin H. beschriebenen vielfältigen Aktivitäten, einschließlich des Telefonats mit seinem Dienstvorgesetzten, innerhalb dieser kurzen Zeitspanne bewältigt haben kann. Vor diesem Hintergrund wird sich der neue Tatrichter bei der Zeugin H. , die den Angeklagten in ihrer ersten polizeilichen Vernehmung deutlich stärker belastet hatte, mit der Aussageentwicklung befassen müssen. Dabei wird nicht nur ein möglicher Gruppendruck im Kollegenkreis , sondern auch ein im Verlauf der Ermittlungen entstandenes Interesse, sich selbst zu entlasten, in den Blick zu nehmen sein. Die Frage der Kausalität zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem Tod O. J. s wird daher erneut zu überprüfen sei.
19
2. Bedenken begegnen auch die Ausführungen zum pflichtgemäßen Verhalten.
20
Löst der in einer Gewahrsamszelle installierte Brandmelder Alarm aus, weist das auf eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben einer in einer verschlossenen und verriegelten Zelle (vgl. Nr. 29. 1 Polizeigewahrsams- ordnung - RdErl. des MI vom 28. Februar 2006 – 21.11-12340/110, MBl. LSA 2006, 137) verwahrten Person hin. In einem solchen Fall sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier - zur Verhinderung einer drohenden Selbstschädigung die Fesselung (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA) angeordnet und eine berauschte Person an Händen und Füßen angekettet in Rückenlage fixiert worden ist. Hieran ändert auch die Möglichkeit eines Fehlalarms nichts. Nur wenn die im Fall eines Brandes erforderlichen Maßnahmen unverzüglich ergriffen werden, ist sichergestellt, dass sofort mit der Rettung der verwahrten Person begonnen werden kann.
21
Dem Angeklagten waren die Umstände bekannt, unter denen es zur Ingewahrsamnahme O. J. s gekommen war. Insbesondere wusste er auch, auf welche Weise dieser in der Gewahrsamszelle fixiert worden war. Der Angeklagte hätte erkennen können und müssen, dass O. J. im Falle eines Brandes in besonderem Maße gefährdet war. Unbeschadet der Frage, ob O. J. wegen seines Zustands nicht ohnehin nach Nr. 12. 7 Polizeigewahrsamsordnung nur unter ständiger Aufsicht zweier Beamter hätte untergebracht werden dürfen, hätte er deshalb unter Mitnahme des Gewahrsamsschlüsselbundes und der Fußfesselschlüssel sofort zur Gewahrsamszelle eilen müssen.
Alles weitere, insbesondere die telefonische Benachrichtigung des Dienststellenleiters und - was sinnvoll gewesen wäre - weiterer der sich in der Dienststelle aufhaltenden Kollegen, sowie das Abschalten des Alarmsignals, hätte seine Kollegin übernehmen können. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Mutzbauer

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Bundesgerichtshof Urteil, 07. Jan. 2010 - 4 StR 413/09 zitiert 4 §§.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Bundesgerichtshof Urteil, 30. März 2004 - 1 StR 354/03

bei uns veröffentlicht am 30.03.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 354/03 vom 30. März 2004 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März 2004, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richte
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 07. Jan. 2010 - 4 StR 413/09.

Bundesgerichtshof Urteil, 30. Sept. 2010 - 4 StR 150/10

bei uns veröffentlicht am 30.09.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 150/10 vom 30. September 2010 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Untreue u. a. zu 2.: Betruges Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. September 2010, an der

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/03
vom
30. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. März 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten erneut vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin S. freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


1. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29. September 1998 - 1 StR 416/98 - das erste in dieser Sache ergangene Urteil des Landgerichts vom 28. November 1997 auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hin aufgehoben, soweit der Angeklagte von dem jetzt noch in Rede stehenden Tatvorwurf freigesprochen worden war. In der ersten Hauptverhandlung hatte sich das Landgericht nicht davon überzeugt, daß der Angeklagte gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter namens J. die Zeugin
S. am 19. August 1996 gegen 20.30 Uhr in der Parkanlage hinter dem Sch. -Gymnasium in Bad Sä. überfallen habe, wobei beide Täter abwechselnd jeweils den Oral- und Vaginalverkehr erzwungen hätten (Anklage vom 13. April 1997). In einer mit diesem Verfahren verbundenen weiteren Anklage war dem Angeklagten darüber hinaus vorgeworfen worden, an einem nicht näher feststellbaren Tag in der zweiten Augusthälfte 1996 wiederum mit einem unbekannten Mittäter namens J. und ebenfalls im Sch. park in Bad Sä. eine weitere, allerdings unbekannt gebliebene Frau zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Diese hatte sich später anonym bei einer Frauenberatungsstelle gemeldet, war danach aber nicht mehr in Erscheinung getreten. Auch von diesem Tatvorwurf hat das Landgericht den Angeklagten mit seinem ersten Urteil vom 28. November 1997 freigesprochen. Insoweit ist jenes Urteil rechtskräftig.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung zum Nachteil der Zeugin S. konnte das Landgericht seinerzeit Zweifel nicht überwinden, ob der Angeklagte bei seinem früheren, später widerrufenen Geständnis diejenige Tat geschildert habe, welche der Zeugin widerfahren sei. Auch die Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin sei nicht verläßlich genug, um Unstimmigkeiten zwischen den Tatschilderungen der Zeugin und des Angeklagten in seiner früheren geständigen Einlassung vernachlässigen zu können.
2. Das Landgericht hat sich auch in der erneuten Hauptverhandlung nicht davon zu überzeugen vermocht, daß es der Angeklagte war, der die Zeugin S. mit einem unbekannten Mittäter vergewaltigt hat. Zwar sei die Zeugin S. , wie von ihr geschildert, Opfer einer Vergewaltigung geworden ; es lasse sich jedoch nicht feststellen, daß der Angeklagte die Tat be-
gangen habe. Das später widerrufene Geständnis des Angeklagten im Ermittlungsverfahren beziehe sich zwar wahrscheinlich auf eine tatsächlich verübte Tat, obwohl dies nicht als völlig zwingend erscheine. Es bestünden aber erhebliche Zweifel an der Identität der von dem Angeklagten einerseits und der Zeugin andererseits jeweils geschilderten Tatabläufe. Unterschiede hätten sich bei den Angaben hinsichtlich des Ausgangspunkts der Tat und der Gehrichtung des Opfers, dessen Kleidung und Haarfarbe, der Kleidung der Täter, des Tattags und der Ausübung von Oralverkehr ergeben. Diese Abweichungen könnten auch nicht mit der Überlegung relativiert werden, daß die Begehung zweier vergleichbarer Vergewaltigungstaten durch jeweils zwei (andere) Täter in Bad Sä. in kurzem zeitlichem Abstand wenig wahrscheinlich sei. Die Strafkammer konnte sich von der Täterschaft des Angeklagten auch nicht aufgrund seiner Identifizierung als Täter durch dieZeugin S. überzeugen. Die Identifizierung bei der Wahllichtbildvorlage sei aufgrund von Unsicherheiten bei der Beschreibung der Barttracht des Angeklagten nicht sicher gewesen. Auch in der Hauptverhandlung hätten sich Unsicherheiten in bezug auf die Barttracht und die Lage der Narbe im Gesicht des Angeklagten ergeben.

II.


Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es weist im wesentlichen die gleichen rechtlichen Fehler bei der Beweiswürdigung auf wie das seinerzeit aufgehobene erste landgerichtliche Urteil. Die Beweiswürdigung leidet wiederum unter Erörterungsmängeln, beachtet nicht in jeder Hinsicht die für sie geltenden Maßgaben und überspannt die an die tatrichterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; kann er die erforderliche Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz und spricht frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die Beweisergebnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Ein Urteil kann indes dann keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende Schlußfolgerungen nicht erörtert , wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 1999, 338, 339; NJW 2002, 2188, 2189).
Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Auf solche einzelnen Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht isoliert anzuwenden. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglich-
keit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH NStZ-RR 2000, 45).
2. Die Strafkammer mußte ihrer Beweiswürdigung die Aussage der Zeugin S. zugrunde legen und prüfen, ob diese glaubhaft ist und ob die Zeugin den Angeklagten überzeugungskräftig als Täter identifiziert hat. Dabei hat die Kammer jedoch nicht hinreichend bedacht, daß der Zweifelssatz nicht schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Überzeugungsbildung aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden ist. Bereits vor der Gesamtschau aller Beweise hat das Landgericht hier wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation - wie die Lage der Narbe, die Barttracht, den Geruch und weitere Identifizierungsmerkmale - jeweils einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als „nicht völlig zwingend“ und deshalb nicht überzeugend erachtet. Das läßt besorgen, daß es bei der Gesamtwürdigung solche Indizien nicht hinreichend einbezogen hat, denen es für sich gesehen keinen „zwingenden“ Beweiswert beigemessen hat. Darüber hinaus hat es einzelne Beweisanzeichen und naheliegende Möglichkeiten nicht erschöpfend oder überhaupt nicht erörtert.

a) Die Strafkammer hat sich zur Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin S. mit dem Beweisanzeichen der Narbe befaßt, dabei aber die Angaben der Zeugin zur Lage der Narbe im Gesicht eines der Täter und das tatsächliche Vorhandensein einer Narbe unter dem linken Auge des Angeklagten nicht erschöpfend gewürdigt.
Das Landgericht sieht in dem Umstand, daß ein Tatopfer einen Täter an einer Narbe wieder erkennt, grundsätzlich ein starkes Indiz für die Richtigkeit
der Identifizierung; das gelte unabhängig von etwaigen Abweichungen hinsichtlich deren genauer Lage. Es hält den Wert der Wiedererkennung hier aber deshalb für gemindert, weil die Zeugin auch nach der Gegenüberstellung mit dem Angeklagten bei der fehlerhaften Beschreibung der Lage der Narbe geblieben ist und darauf beharrt hat, diese habe sich über dem linken Auge befunden. In diesem Zusammenhang läßt es allerdings unberücksichtigt, daß die Zeugin den Angeklagten in der Hauptverhandlung "zu 100 %" identifiziert hat. Zudem erörtert es nicht, welche Bedeutung der Aussage der Zeugin zur Lage der Narbe gerade vor dem Hintergrund zukommt, daß diese bei ihrer Beschreibung insoweit auch später blieb, obwohl sie spätestens nach der ersten Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung im November 1997 naheliegenderweise die tatsächliche Lage der Narbe unter dem linken Auge gekannt haben müßte. Wenn die Zeugin dennoch den Täter mit einer über dem Auge liegenden Narbe beschrieben hat, liegt die Erklärung nahe, daß sie diese aus ihrer Erinnerung beschrieben hat, die jedoch nicht in jeder Hinsicht verläßlich war. Dabei war zu bedenken, daß die beiden Täter die liegende Zeugin auch kopfseitig von oben festgehalten haben. Wie dem Senat aus der Befassung mit dem ersten, aufgehobenen Urteil des Landgerichts bekannt ist, war dort festgestellt , daß sich die Zeugin inzwischen (damals, in jener Hauptverhandlung) nicht mehr sicher war, wo am Auge des Täters sich die Narbe genau befunden habe. Diese Besonderheiten hätte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer in ihre Bewertung einbeziehen müssen.

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch hinsichtlich des Beweisanzeichens der Barttracht unvollständig und wird den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht vollends gerecht.
Die ZeuginS. hat auch in der erneuten Beweisaufnahme gleichbleibend bestätigt, daß einer der Täter - ihres Erachtens der Angeklagte - keinen Bart getragen habe. Daneben hat sie aber den unbekannten Mittäter mit einem leicht an den Mundwinkeln herabwachsenden Schnurrbart beschrieben. Der Angeklagte hatte im Rahmen seines (später widerrufenen) Geständnisses angegeben, daß er zur Tatzeit zumindest einen Oberlippenbart getragen habe, welcher sicher an den Seiten etwas länger ausgeprägt gewesen sei. Danach hat die Zeugin einem der Täter einen Bart zugeordnet, der nach der Form der Barttracht des Angeklagten zur Tatzeit entsprechen konnte. Die Möglichkeit, daß die Zeugin den von ihr tatsächlich erwähnten Bart versehentlich dem falschen Täter zugeordnet haben könnte, wird vom Landgericht als spekulativ bezeichnet, ohne die besondere Anspannung der Zeugin in der Tatsituation und den Umstand zu würdigen, daß sie aus der Erinnerung zwei Täter zu beschreiben hatte, denen sie bestimmte Merkmale zuordnen mußte.

c) Darüber hinaus setzt sich das Landgericht wie im ersten Urteil mit dem besonderen Merkmal der Stimme des Angeklagten nicht hinreichend auseinander , obwohl die Zeugin die Stimme des entsprechenden Täters als näselnd beschrieben hat. Auch fehlt eine Erörterung der Sprache des Angeklagten im Hinblick auf den von der Zeugin beschriebenen „fehlenden Dialekt“. Gerade diese Umstände können nicht aufgrund einer nach Ansicht des Landgerichts methodisch unzulänglichen früheren Wahllichtbildvorlage wiedererkannt werden. Dies gilt auch für den von der Zeugin erstmals als Wiedererkennungsmerkmal erwähnten Geruch des Angeklagten. Das Urteil enthält keine Angaben zu den konkreten Abständen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin in der jetzigen Hauptverhandlung und damit den Geruchswahrnehmungsmöglichkeiten. Weiter fehlt eine Würdigung im Hinblick auf Alter, Größe
und Haarfarbe des Angeklagten. Schließlich wird nicht darauf eingegangen, inwieweit die Zeugin den Angeklagten anhand der Augen wiedererkannt haben will. In dem ersten, aufgehobenen Urteil ist von einem hängenden Augenlid die Rede, einem Merkmal, mit dem sich das Tatgericht damals fehlerhaft nicht auseinandergesetzt hatte. Nunmehr wird dieser Umstand vom Landgericht ebenso wie die Gesichtsform nicht einmal mehr erwähnt. Das Urteil läßt schließlich eine Auseinandersetzung mit der beschriebenen erheblichen Alkoholisierung des Täters vermissen, während im ersten Urteil immerhin noch die insoweit übereinstimmenden Angaben von Angeklagtem und Zeugin festgestellt worden waren. Auch dies wäre als Indiz im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen gewesen.

d) Überdies ist die Annahme des Landgerichts nicht tragfähig, die Identifizierungsleistung der Zeugin verliere deswegen an Wert, weil sich der Angeklagte seinerzeit aufgrund der von der Zeugin gegebenen, in der Zeitung abgedruckten Täterbeschreibung nach deren Lektüre gestellt habe. Es liegt nahe, daß ein Zeuge eine Person als Täter identifiziert, die er zuvor beschrieben hat und die der Beschreibung entspricht, und zwar unabhängig davon, ob diese sich selbst gestellt hat oder nicht. Dies kann sogar ein Hinweis auf die Verläßlichkeit der Identifizierung sein. Sollte die Strafkammer hingegen gemeint haben , ein etwaiges Wissen des Identifizierungszeugen um die Selbstgestellung könne die Identifizierungsleistung beeinflussen, hätte dies klar zum Ausdruck gebracht und begründet werden müssen.
3. Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagten leidet unter Erörterungsmängeln und ist deshalb nicht tragfähig.

a) Der Senat hatte beanstandet, daß das Motiv des Angeklagten für den Widerruf seines bei mehreren Vernehmungen wiederholten Geständnisses nicht genügend gewürdigt worden sei. Die Schilderung der zeitlichen Abläufe und näheren Umstände des Widerrufs hat er als nicht ausreichend erachtet. Im ersten Urteil hatte das Landgericht als Grund für den Widerruf erwähnt, der Angeklagte habe mit einer Freiheitsstrafe von etwa drei Jahren gerechnet. Nachdem sein Anwalt ihm dann aber gesagt habe, daß ihn eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren erwarte, sei ihm das doch zuviel gewesen. Das jetzige Urteil erwähnt diese Umstände nicht mehr. Die Strafkammer führt aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß sich der Angeklagte aufgrund seiner traumatischen sexuellen Erfahrungen mit seinem Vater in eine Opferrolle hineingesteigert haben könnte, aufgrund deren er dann ein solches Geständnis unabhängig von seinem tatsächlichen Wahrheitsgehalt abgelegt haben könnte, um - wie er erklärt hat - seinem Vater „eins auszuwischen“.
Diese Erklärung des Angeklagten für sein widerrufenes Geständnis, dem "Vater eins auszuwischen", mag, auch wenn das eher fern liegt, möglicherweise geeignet sein, das - dann falsche - Geständnis gegenüber der Polizei zu erklären, nicht ohne weiteres jedoch das zuvor nach Lektüre des Presseartikels gegenüber der Zeugin St. abgegebene. Das hätte der Erörterung bedurft.

b) Das Landgericht würdigt bei der Prüfung des Wahrheitsgehalts der früheren geständigen Einlassung des Angeklagten nicht ausreichend deren Aussagequalität.
Auch ein frei erfundenes Geständnis, um dem Vater „eins auszuwischen“ , birgt die Gefahr der fehlenden Konstanz insbesondere dann, wenn das
Tatgeschehen so genau wie hier beschrieben worden ist. Eine Erklärung dafür, warum das widerrufene Geständnis des Angeklagten durch Beständigkeit und Detailtreue auch in Nebensächlichkeiten gekennzeichnet ist, führt die Strafkammer nicht an. Sie geht daran vorbei, daß sich der Angeklagte das Geständnis sehr spontan überlegt haben muß, wenn er nach dem Lesen des Zeitungsartikels mit der Täterbeschreibung noch am selben Tag zunächst gegenüber der Zeugin St. die Tat eingestanden und sich in der Nacht der Polizei gestellt hat. Dies hätte der näheren Bewertung bedurft.
c) Die Beweiswürdigung zum Aufenthalt des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ist nicht tragfähig. Zwar nimmt das Landgericht nicht an, der Angeklagte habe ein Alibi nachweisen können, weil er am Spätnachmittag des 19. August 1996 persönlich bei seinem Arbeitgeber gekündigt habe. Das Landgericht hält es aber "für sehr unwahrscheinlich", daß sich der Angeklagte danach noch nach Bad Sä. begeben und dort die Vergewaltigung begangen habe (UA S. 19). Es konnte jedoch keine Feststellungen dazu treffen, wann genau und wo der ZeugeL. den Angeklagten nach dem Besuch des Arbeitgebers mit dem Fahrzeug abgesetzt hat. Dieser hat sich nur noch daran erinnert, daß die Fahrt zum Arbeitgeber zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr stattgefunden und der Angeklagte sich dort ca. ein- bis eineinhalb Stunden aufgehalten habe. Da die Tat gegen 20.30 Uhr geschehen sein soll, konnte aus diesen Angaben keine tragfähige Folgerung auf die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer anschließenden Vergewaltigung in Bad Sä. gezogen werden.

d) Indem das Landgericht es als nicht "völlig zwingend" erachtet, daß das Geständnis der Wahrheit entspreche und der Angeklagte auch an der Tat zum Nachteil der Zeugin S. beteiligt gewesen sei, hat es den Grundsatz der freien Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft angewandt: Für die Beantwortung
der Schuldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, daß sie sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Der Tatrichter ist aber nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen. Sie müssen allerdings tragfähig sein (BGHSt 10, 208, 209 f.; 41, 376, 380; BGH, Urt. v. 4. September 2003 - 3 StR 224/03). Da das Landgericht auch im Blick auf andere Beweisumstände an sich mögliche Schlüsse als „nicht völlig zwingend“ bewertet oder Beweisanzeichen als „kein zwingendes Indiz“ charakterisiert (etwa UA S. 19), steht angesichts der hier vorliegenden besonderen Umstände zu besorgen, daß es die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt haben könnte.
4. Das Landgericht hat eine naheliegende Möglichkeit nicht ausdrücklich gewürdigt, die sich aus der Zusammenschau des widerrufenen Geständnisses des Angeklagten und der Aussage der Zeugin S. ergibt. Diese erklärt möglicherweise die von der Strafkammer hervorgehobenen Differenzen zwischen den beiden Tatschilderungen und kann ihnen den beweismindernden Wert hinsichtlich der Bekundungen der Zeugin weitgehend nehmen.
Die Strafkammer hat offen gelassen, ob dem später widerrufenen Geständnis des Angeklagten ein wirkliches Ereignis zugrunde liegt. Einerseits hält sie es für wahrscheinlich, daß das Geständnis wegen der Detailliertheit und Konstanz der Angaben über einen längeren Zeitraum und mehrere Vernehmungen hinweg der Wahrheit entspreche. Sachverständig beraten führt sie andererseits aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß der Angeklagte ein
solches Geständnis „unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt abgelegt“ haben könnte. Wie bereits im ersten, aufgehobenen Urteil ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß das widerrufene Geständnis des Angeklagten deshalb fragwürdig sei, weil es in wesentlichen Punkten von den Angaben der Geschädigten abweiche. Insbesondere habe der Angeklagte den Ausgangspunkt, von dem aus und die Gehrichtung, in welcher er und sein Mittäter das Opfer verfolgten , anders als die Zeugin beschrieben. Differenzen bestünden darüber hinaus hinsichtlich der Schilderung der Kleidung des Opfers und der Täter sowie des Tathergangs in seinen Einzelheiten.
Das Geständnis des Angeklagten wäre jedoch nur dann ohne jeden Beweiswert , wenn davon auszugehen wäre, daß es erfunden war. Liegt ihm hingegen ein wahrer, wenn auch nicht der angeklagte Sachverhalt zugrunde, bestünde zwischen den Angaben der Zeugin hinsichtlich des Tathergangs und der geständigen Einlassung des Angeklagten möglicherweise kein wirklicher Widerspruch, weil beide dann verschiedene, aber reale Geschehensabläufe beschrieben haben könnten. Die vom Landgericht hervorgehobenen Differenzen hinsichtlich der Schilderungen etwa zur Kleidung des Opfers (Hose oder Rock, roter Slip) verlören dann weitgehend ihre Bedeutung für die Würdigung der Aussage der Zeugin S. und deren Wiedererkennung des Angeklagten. Das Landgericht hätte sich deshalb die Frage vorlegen müssen, ob das später widerrufene, aber detailreiche und von Konstanz gekennzeichnete Geständnis des Angeklagten zwar eine andere Tat betraf, er aber dennoch auch die - von ihm dann nicht gestandene - Tat zum Nachteil der Zeugin S. begangen hat. Es hätte in Betracht ziehen müssen, ob der Angeklagte aufgrund der veröffentlichten Täterbeschreibung nach Begehung einer zweiten Tat zunächst nach seiner Gestellung nur Anlaß sehen konnte, lediglich eine der
Taten zu gestehen. Auf diese Möglichkeit könnte hindeuten, daß innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums an demselben Ort zwei Vergewaltigungen mit derselben Vorgehensweise von jeweils zwei Tätern begangen worden sein könnten. Dabei hätte jeweils einer der Täter nach den insoweit übereinstimmenden Angaben sowohl der Zeugin als auch des Angeklagten eine Tätowierung mit dem Motiv einer Spinne aufgewiesen. Der zweite Täter, der die Tat zum Nachteil der Zeugin S. mit begangen hat, hätte dann ebenso wie der Angeklagte , der die Tat zum Nachteil des unbekannten Opfers gestanden und beschrieben hätte, eine Narbe am Auge. Würde das Landgericht also beide Schilderungen - das frühere Geständnis des Angeklagten, aber auch die Tatschilderung der Zeugin S. - unter diesen Umständen für nicht widersprüchlich und für glaubhaft halten, müßte es sich fragen, ob es sich auf solcher Grundlage davon überzeugen kann, daß der Angeklagte auch die von ihm nicht gestandene Tat zum Nachteil der Nebenklägerin begangen hat. Die Abweichungen in den Tatschilderungen könnten dann nicht mehr gegen eine solche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall zum Nachteil der Nebenklägerin ins Feld geführt werden. Der Identifizierungsleistung der Zeugin käme dann für die Wiedererkennung in der Hauptverhandlung und auch in bezug auf die Wahllichtbildvorlage möglicherweise ein höherer Beweiswert zu.
Daß der Angeklagte von dem Vorwurf der zweiten Vergewaltigung zum Nachteil des unbekannten Opfers rechtskräftig freigesprochen ist, hindert nicht dessen Erörterung und etwaige indizielle Bewertung im Blick auf den noch in Rede stehenden Anklagevorwurf. Der rechtskräftige Freispruch verbraucht die Strafklage und steht fortan einer Sanktionierung wegen der nämlichen Tat ent-
gegen. Eine Tatsachenbindung gehört aber nicht zum Wesen der Rechtskraft (vgl. BGHSt 43, 106, 108 f.; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. Einl. Rdn. 170, 188).

III.


Auf diesen sachlich-rechtlich erheblichen Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei ihrer Vermeidung die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.

IV.


Die Sache muß somit neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat verweist sie an ein anderes Landgericht zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. im übrigen Bd. III Bl. 713 ff. der Strafakten).
Nack Boetticher Schluckebier Herr Richer am BGH Hebenstreit Elf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.