Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 6 7 / 1 3
vom
5. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Sitzung vom
5. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 19. März 2013 mit Ausnahme der Feststellungen zu dem objektiven Tatgeschehen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache durch Beschluss des Senats vom 29. März 2012 - 2 StR 575/11 - hat es den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richten sich die Revision des Angeklagten und das zuungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Die Revisionen haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die Zeugen T. und H. am 28. Dezember 2010 morgens bei dem Angeklagten auf, um gemeinsam Alkohol zu konsumieren. Dann suchten alle das spätere Tatopfer S. in dessen Zimmer in einer Obdachlosenunterkunft auf. Bis 12.00 Uhr tranken sie gemeinsam Wodka, dann gingen die Zeugen T. und H. nach Hause. Der Angeklagte begab sich zu einer Tankstelle, erwarb dort Bier und kehrte in der Zeit zwischen 13.30 Uhr und 14.00 Uhr zu S. zurück, den er aus unbekannten Gründen ins Gesicht schlug. Danach ergriff der Angeklagte ein Fleischermesser und stach vielfach mit Wucht auf Kopf und Oberkörper des Opfers ein, bis die Klinge abbrach, und fügte dem Opfer danach mit einem anderen Messer weitere Verletzungen zu, worauf es verblutete.
3
Zur Tatzeit litt der Angeklagte an einer hirnorganischen Störung infolge langjährigen Alkoholmissbrauchs; ferner lag eine Persönlichkeitsstörung vor. Außerdem war der Angeklagte erheblich alkoholisiert.

II.

4
Die Revisionen sind jeweils mit der Sachrüge begründet und führen zur Urteilsaufhebung mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf. Die Verfahrensrügen des Angeklagten haben dagegen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 28. Oktober 2013 genannten Gründen keinen Erfolg, so dass die Feststellungen auch insoweit Bestand haben können.
5
Das Landgericht hat ausgeführt, die Fähigkeit des Angeklagten, „das Unrecht seines Handelns einzusehen“, sei zur Tatzeit erheblich eingeschränkt ge- wesen. Darauf kommt es für die Anwendung von § 20 oder § 21 StGB nicht an. Eine reduzierte Einsichtsfähigkeit ist erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. Dann aber ist die Schuldfähigkeit aufgehoben, so dass § 20 StGB zur Anwendung kommt, sofern dem Täter der Mangel der Unrechtseinsicht zur Tatzeit nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (BGH, Urteil vom 17. November 1994 - 4 StR 441/94, BGHSt 40, 341, 349). Der fehlerhafte rechtliche Ansatz des Landgerichts bei seinen Feststellungen wird auch nicht in der Beweiswürdigung geheilt. Diese befasst sich nicht mehr mit der Frage der Unrechtseinsicht, sondern sie geht nur auf die Verminderung der Steuerungsfähigkeit ein.
6
Infolge der widersprüchlichen oder zumindest unklaren Urteilsgründe kann der Senat weder ausschließen, dass das Landgericht § 21 StGB zutreffend angewendet, noch dass es § 20 StGB zu Recht ausgeschlossen hat. Daher müssen der Schuldspruch, der Strafausspruch und die Maßregelanordnung entfallen. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. März 2012 - 2 StR 575/11

bei uns veröffentlicht am 29.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 575/11 vom 29. März 2012 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. März 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 575/11
vom
29. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. März 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 12. August 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich seine Revision, die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützt ist. Das Rechtsmittel ist bereits mit der Sachrüge begründet, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich T. und H. am 28. Dezember 2010 morgens beim Angeklagten auf, um Alkohol zu konsumieren. Dann suchten alle das Tatopfer S. in dessen Zimmer in einer Obdachlosenunterkunft auf. Bis 12.00 Uhr tranken die vier Personen gemeinsam Wodka, dann gingen T. und H. nach Hause. Der Angeklagte begab sich zu einer Tankstelle, erwarb dort gegen 13.10 Uhr Bier und ging zu der Unterkunft zurück. Er wollte zuerst ein Zimmer im Erdgeschoss aufsuchen , in dem sich die Zeugen E. , A. , M. und Y. aufhielten, jedoch wurde er dort nicht hereingelassen. Er ging die Treppe hinauf zu dem Zimmer von S. im ersten Obergeschoss, wobei er entschlossen war, diesen zu töten. Er schlug S. überraschend und unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit ins Gesicht. S. verlor dadurch drei Schneidezähne und wurde bewusstlos. Unmittelbar darauf ergriff der Angeklagte ein Fleischermesser und stach mehrfach mit Wucht auf Kopf und Oberkörper des auf dem Rücken am Boden liegenden Opfers ein, bis die Klinge abbrach. Dann nahm er ein anderes Messer und stach S. nochmals in die Brust. Das Tatmotiv des Angeklagten konnte nicht geklärt werden.
3
Der Angeklagte hat im Ermittlungsverfahren die Tatbegehung bestritten; in der Hauptverhandlung hat er nicht ausgesagt. Das Landgericht hat sich jedoch von seiner Täterschaft überzeugt. Blutspuren an der Kleidung des Angeklagten deuteten auf seine Täterschaft hin, ebenso Spuren an den bei der Tat verwendeten Messern, die nach der DNA-Analyse dem Angeklagten zuzuordnen seien. Zwei der ausgeschlagenen Zähne hätten sich im Mund des Opfers befunden; sie seien von diesem weder ausgespuckt noch verschluckt worden. Daraus sei zu entnehmen, dass der Schlag ins Gesicht zur Bewusstlosigkeit des Opfers geführt habe. Blutspuren am Boden und das Fehlen von Abwehrverletzungen deuteten darauf hin, dass es bei den nachfolgenden Stichen reglos auf dem Rücken gelegen habe. Der Angeklagte habe bereits bei dem Schlag mit Tötungsabsicht gehandelt. Dies folge aus der Wucht des Schlages, ferner aus der Tatsache, dass der Angeklagte "unmittelbar im Anschluss an den Schlag das erste Messer ergriff". Der enge zeitliche Zusammenhang sei einerseits daraus zu erkennen, dass das Opfer die ausgeschlagenen Zähne weder ausgespuckt noch heruntergeschluckt habe, andererseits aus der Aussage der Zeugin N. , die einen kurzen Schrei des S. gehört zu haben "glaubte" und kurz danach den Angeklagten im Eingangsbereich beim Verlassen des Wohnheims gesehen habe. Für einen Vorsatzwechsel zwischen Schlag und Messerstichen seien keine Anhaltspunkte erkennbar.

II.

4
Diese Beweiswürdigung zum Heimtückemord ist zu beanstanden, weil das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, dass der tödlichen Verletzung des Opfers durch Messerstiche ein nur von Verletzungsvorsatz getragenes Handeln infolge eines Streits, einer wirklichen oder vermeintlichen Provokation vorausgegangen sein kann. Dieser Geschehensablauf, der einer Annahme von Heimtücke entgegenstehen könnte, wäre jedoch zu erwägen gewesen , weil ein Tötungsmotiv nicht festgestellt wurde und das objektive Geschehen von Handlungen mit zunehmender Gefährlichkeit geprägt war. Eine von Anfang an von Tötungsvorsatz getragene Mehrzahl von Tathandlungen, die mit dem Bewusstsein der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers einhergingen, liegt bei dieser Sachlage ferner als ein anfängliches Handeln mit Verletzungsvorsatz, dem ein Vorsatzwechsel zum Tötungsverbrechen gefolgt ist. Die vom Landgericht als Indiz gegen einen Vorsatzwechsel betrachtete Feststellung einer unmittelbaren Abfolge aller Tathandlungen ist nicht tragfähig begründet worden. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass die Annahme, die Zeugin N. habe kurz vor der Wahrnehmung des Angeklagten beim Verlassen der Wohnung einen "Schrei" des Opfers gehört, kaum mit dessen sofortiger Bewusstlosigkeit infolge des überraschenden Schlages ins Gesicht vereinbar ist. Die weitere Indiztatsache, dass das Opfer die ausgeschlagenen Zähne nicht ausgespuckt oder verschluckt hat, kann der Bewusstlosigkeit geschuldet gewesen sein und besagt ebenfalls nichts über den zeitlichen Abstand zwischen dem Schlag und den Messerstichen.
5
Ist eine zeitliche Zäsur zwischen dem Schlag des Angeklagten ins Gesicht des Opfers mit der Folge von Bewusstlosigkeit und den Messerstichen nicht auszuschließen, dann kann auch ein Vorsatzwechsel in der Zwischenzeit nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil kein Anhaltspunkt erkennbar ist, der positiv dafür spricht.

III.

6
Das neue Tatgericht wird auch die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus genauer als bisher zu erörtern haben. Sollte es zu der Annahme gelangen, dass die Maßregelanordnung nicht in Frage kommt, so könnte § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO zu berücksichtigen sein.
Ernemann Fischer RiBGH Dr. Berger befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Krehl Eschelbach

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.