Bundesgerichtshof Urteil, 17. Aug. 2001 - 2 StR 167/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord, räuberischer Erpressung mit Todesfolge und mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen eingelegte , auf die Sachrüge gestützte und auf das Absehen von der Feststellung besonders schwerer Schuld des Angeklagten beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg. 1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am Abend des 9. Dezember 1995 zusammen mit drei Mittätern, mit denen zusammen er am 5. Dezember 1995 aus der Justizvollzugsanstalt Sch. in L. ausgebrochen war, nach K. , um dort eine Gaststätte zu überfallen, die dem An-geklagten bekannt war; hierbei war geplant, sich des Gastwirts zu bemächtigen und ihn zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen, mit dem die weitere Flucht, namentlich die Beschaffung falscher Papiere finanziert werden sollte. Der geplante Überfall konnte nicht durchgeführt werden, weil die Gaststätte bei Ankunft der Täter bereits geschlossen hatte. Der Angeklagte, der aufgrund seiner Erfahrung, Durchsetzungskraft und Entschlossenheit die Rolle des Anführers der Gruppe innehatte und von dem im wesentlichen sämtliche Initiativen ausgingen, ordnete daher an, daß nun von allen vier Tätern eine im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit der Gaststätte befindliche Diskothek überfallen werden solle, in der sich noch zahlreiche Gäste aufhielten. Der Angeklagte war mit einer Pistole Kaliber 9 mm bewaffnet, der Mittäter Ad. mit einer Pistole Kaliber 7, 65 mm, der Mittäter K. mit einem langen Messer und der Mitangeklagte C. mit einer Baseballkeule; alle Täter waren mit Masken und Handschuhen ausgerüstet; die Beteiligten waren sich vor dem Eindringen in die Diskothek darüber einig, daß bei Widerstand von den Waffen - auch unter Inkaufnahme tödlicher Verletzungen - Gebrauch gemacht werden solle und daß man sich keinesfalls festnehmen lassen werde. Alsbald nach dem Eintritt in die Diskothek schoß der Angeklagte in die Decke, zwang die zahlreichen Besucher der Diskothek, sich auf den Boden zu legen, und mißhandelte und bedrohte diejenigen, die seinen Befehlen nicht alsbald Folge leisteten. Er selbst hielt am Boden liegenden Personen die Pistole an den Kopf und forderte sie zur Herausgabe von Geld und Wertsachen auf. Die Mittäter überwältigten den Kassierer, bedrohten andere Gäste und Angestellte und sammelten von den Opfern herausgegebene Wertsachen und Geldbeträge ein. Der Mittäter K. stieß dem Kassierer H. sein Messer mit Tötungsvorsatz zweimal wuchtig in den Bauch. Als der Mittäter Ad. die schwangere Ehefrau des Nebenklägers, eine Angestellte der Diskothek, in einen Nebenraum zu ziehen versuchte, und diese
um Hilfe rief, eilte ihr der Nebenkläger zu Hilfe. Der Angeklagte schoß daraufhin von hinten auf den Nebenkläger - einen Tötungsvorsatz hat das Landgericht insoweit nicht festgestellt -, verfehlte ihn aber. Als der Nebenkläger nun in einen Kampf mit dem Mittäter Ad. verwickelt wurde, kam diesem der Mittäter K. zu Hilfe, der dem Nebenkläger mit Tötungsvorsatz sein Messer in den Oberbauch stieß. Etwa zehn Minuten nach Beginn des Überfalls flohen die Täter. Die gesamte Beute bestand aus etwa 2.500,-- DM Bargeld und einigen Schmuckstücken. Der Angestellte H. verstarb noch am Tatort an den Folgen der Messerstiche ; der Nebenkläger, der schwer verletzt war, konnte durch zwei Operationen gerettet werden. Er leidet bis heute an schweren psychischen Folgen der Tat. Auch mehrere andere Tatopfer waren durch die Geschehnisse langfristig erheblich beeinträchtigt. Die vier Täter trennten sich später, nachdem sie weitere Straftaten begangen hatten; einer von ihnen ist bis heute flüchtig. Der Angeklagte, der sich am 30. Januar 1996 seiner Festnahme unter Schußwaffeneinsatz gegen zwei Polizeibeamte entzog, entkam zunächst über Italien in seine Heimat in Montenegro. Dort wurde er im Mai 1996 wegen Diebstahls von zwei Pkw während seiner Flucht zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; vom Vorwurf des versuchten Mordes an einem Polizisten wurde er freigesprochen. Nach seiner vorzeitigen Entlassung im Dezember 1998 wurde er im Mai 1999 erneut in Sarajevo festgenommen und im Juli 1999 in die Bundesrepublik ausgeliefert. Im Dezember 2000, also nach dem Urteil in der vorliegenden Sache, ist er erneut mit einem anderen Häftling aus der Justizvollzugsanstalt in T. entwichen und seither flüchtig.
2. Die Ablehnung der Feststellung besonders schwerer Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, auf welche die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam beschränkt ist, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, daß "Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonders schweren Schuld nicht gegeben" seien (UA S. 288). Dem Revisionsgericht ist zwar bei der Nachprüfung der gemäß § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Entscheidung eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; zu prüfen ist aber, ob der Tatrichter die ihm obliegende Aufgabe erfüllt hat, die für die Beurteilung des Einzelfalls maßgeblichen Umstände umfassend zu bewerten und im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit eine Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorzunehmen (vgl. BGHSt 40, 360, 370; BGHSt 41, 57, 62; BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 10). Diese Prüfung ist dem Senat nicht möglich. Das Landgericht hat eine Vielzahl von Umständen festgestellt, auf welche es seine Charakterisierung des Angeklagten als "ungewöhnlich skrupellosen Menschen" stützt, "der sich ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz und auf die berechtigten Interessen anderer Menschen das nimmt, was er zu brauchen glaubt" (UA S. 186). Hierzu zählen unter anderem die festgestellten zahlreichen gravierenden Vorstrafen sowie die mehrfachen Ausbrüche und Fluchtversuche aus Haftanstalten, weiterhin der Umstand, daß der Angeklagte auch nach seiner neuerlichen Flucht seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch fortgesetzte Begehung von Straftaten auch der schweren Gewaltkriminalität bestritt. Die umfangreichen Feststellungen des Landgerichts zu den Einzelheiten der dem Tatgeschehen vorausgehenden und nachfolgenden Flucht zeigen, daß der Angeklagte - etwa bei Polizeikontrollen - bedenkenlos bereit war, sein Entkommen auch durch
gegebenenfalls tödlichen Einsatz von Schußwaffen zu erzwingen. Schwerwiegende , den Angeklagten belastende Gesichtspunkte ergeben sich auch aus den Umständen der verfahrensgegenständlichen Tat. Der Angeklagte hat nicht nur tateinheitlich die Tatbestände des vollendeten und des versuchten Mordes sowie der räuberischen Erpressung mit Todesfolge verwirklicht, sondern darüber hinaus durch sein ungewöhnlich brutales und rücksichtsloses Vorgehen gegen eine Vielzahl von Opfern, die teilweise langdauernde psychische Beeinträchtigungen erlitten haben, besonders gravierendes Unrecht verwirklicht, welches sich, wie der Generalbundesanwalt zutreffend hervorgehoben hat, von den gewöhnlich vorkommenden Fällen des Mordes deutlich abhebt. Die dem Nebenkläger Z. zugefügten schweren körperlichen und seelischen Schäden, die bis heute andauern, fallen hier ebenso gravierend ins Gewicht wie der Umstand , daß der Angeklagte bei der gesamten Tatausführung eine führende Rolle innehatte und daß sich die Mittäter von Anfang an einig waren, daß jeder Widerstand von Seiten der Opfer unter - unter Umständen tödlichem - Waffeneinsatz gebrochen werden müsse. Angesichts der Vielzahl der zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht fallenden Umstände und der ausführlichen Feststellungen des Landgerichts zu seiner weiter fortbestehenden besonderen Gefährlichkeit mußte sich eine umfassende Erörterung der besonderen Schuldschwere hier aufdrängen; die Erwägung , es lägen "keine Anhaltspunkte" vor, ist jedenfalls unrichtig und läßt nicht erkennen, ob der Tatrichter die maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und seine Entscheidung auf eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung gestützt hat. 3. Die Fassung des 292 Seiten umfassenden schriftlichen Urteils gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß die Urteilsgründe nicht die Aufgabe haben, den
Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung sowie das mit der abgeurteilten Tat nicht im Zusammenhang stehende Randgeschehen in allen Einzelheiten wiederzugeben (vgl. BGH NStZ 1995, 20; BGHR StPO § 267 Darstellung 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 267 Rdn. 1 und 12). Haben Zeugen oder Beschuldigte im Laufe des Verfahrens bei mehreren Vernehmungen unterschiedliche Angaben gemacht, so ist deren Darstellung in den Urteilsgründen auf die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu beschränken ; die Erörterung ist auf sachlich erhebliche Abweichungen zu konzentrieren. Eine bloße detaillierte Wiedergabe sämtlicher Aussageinhalte - hier unter anderem von zehn Vernehmungen des Mitangeklagten C. - ist regelmäßig nicht veranlaßt; sie kann die dem Tatrichter obliegende Darstellung der wesentlichen Entscheidungsgründe nicht ersetzen (vgl. BGH NStZ 1985, 184; 1997, 377; 1998, 51; NStZ-RR 2000, 293; vgl. auch Meyer-Goßner NStZ 1988, 532) und den Bestand des Urteils gefährden. Jähnke Detter Bode Otten Fischer
Annotations
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.