Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2010 - X ZR 135/09

bei uns veröffentlicht am04.05.2010
vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 14/08, 13.10.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 135/09
vom
4. Mai 2010
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning, Dr. Berger,
Dr. Grabinski und Hoffmann

beschlossen:
Der Antrag der Klägerin, ihr für die Durchführung des Berufungsverfahrens Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:


1
Einer juristischen Person kann Verfahrenskostenhilfe über die in § 114 Satz 1, letzter Halbs. ZPO genannten Voraussetzungen hinaus unter anderem nur dann bewilligt werden, wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Nr. 2, 2. Alt. ZPO; § 132 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 PatG). Die Klägerin hat dazu vorgetragen , sie sei ein kleines Unternehmen mit sehr hohem Automatisierungsgrad - ihrem Internetauftritt zufolge beschäftigt sie neben zwei Geschäftsführern fünf Mitarbeiter -, das von seinen Spezialprodukten lebe und dem infolge der Inanspruchnahme aus dem Streitpatent die Einstellung des Geschäftsbetriebes und damit die Entlassung aller Arbeitnehmer drohe. Sie könne nur überleben und mit ihr die von ihr abhängigen Arbeitnehmer, wenn sie das vorliegende Verfahren durchstehen könne. Darüber hinaus bestehe ein gemeinschaftlicher Nachteil für die bislang von ihr belieferten zahlreichen deutschen Unternehmen, zu denen wichtige Automobilkonzerne wie …, …, … und … sowie Unternehmen wie M. , P. , F. M. , W. und andere gehör- ten. Sie, die Klägerin, sei das führende europäische Unternehmen für die Belieferung der deutschen Industrie mit Schneidwerkzeugen mit einem gelaserten "T. W. "-Profil. Bliebe das Streitpatent in Kraft, dürfe allein die bundesdeutsche Industrie nicht mit derartigen Werkzeugen beliefert werden, wohl aber die gesamte übrige Welt und insbesondere Unternehmen in der Europäischen Union. Es stellte einen wirtschaftlichen Nachteil dar, wenn sämtliche bundesdeutschen Betriebe Schneidwerkzeuge der neuesten Generation, wie von der Klägerin lieferbar, aufgrund eines zu Unrecht erteilten Patents nicht beziehen dürften , wohl aber alle Wettbewerber.
2
Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen im Sinne von § 116 Nr. 2 ZPO zuwiderlaufen würde.
3
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwider, wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen würde (BGHZ 25, 183; BGH, Beschl. v. 20.12.1989 - VIII ZR 139/89, NJW-RR 1990, 474). Bei einer juristischen Person des privaten Rechts wird eine unterbliebene beabsichtigte Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz des Unternehmens abhängt und an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer ein allgemeines Interesse besteht (vgl. BT-Drucks. 8/3068 S. 26 re. Spalte unten, 27; Stein/Jonas/Bork22., Komm. zur ZPO, § 116 Rdn. 27). Diese Voraussetzung ist im Streitfall, wie die Klägerin selbst nicht verkennt, nicht erfüllt. Aber auch andere Umstände von vergleichbarem Gewicht sind nicht dargetan.
4
Soweit durch die beabsichtigte Rechtsverfolgung Schaden von der deutschen Industrie abgewendet werden soll, indem durch Vernichtung des Streitpatents der Weg für die weitere Belieferung der von der Klägerin genannten Unternehmen mit T. -W. -Schneidwerkzeugen geebnet wird, ist nicht nachvollziehbar , inwieweit der Allgemeinheit bei unterbleibender Rechtsverfolgung Nachteile in einer Größenordnung drohen, die die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gebieten. Entsprechende Beeinträchtigungen lassen sich auch nicht, wie es aber im Vorbringen der Klägerin anklingt, damit begründen, dass die Beklagte das Streitpatent nicht durch eigene Erzeugung von nach seiner Lehre gefertigten Werkzeugen, sondern durch Lizenzvergabe zu verwerten beabsichtigt. Die Modalitäten der Schutzrechtsverwertung stehen grundsätzlich zur unternehmerischen Disposition des Patentinhabers. Ob eine abweichende Beurteilung geboten sein könnte, wenn die unternehmenspolitische Entscheidung eines Patentinhabers im Einzelfall bewirkt, dass die industrielle Produktion spürbar beeinträchtigt wird, bedarf keiner Entscheidung, weil nicht erkennbar ist, dass der Streitfall diese Dimension aufweist.
5
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe liegen somit unabhängig davon nicht vor, dass dies im Falle einer juristischen Person zusätzlich voraussetzt, dass die Kosten auch nicht von den wirtschaftlich Beteiligten, also namentlich den Gesellschaftern, aufgebracht werden können (§ 116 Nr. 2, 1. Alt. ZPO) und die Klägerin dazu keinerlei Vortrag gehalten hat.
6
Über den Antrag der Klägerin, ihr nach § 144 PatG Kostenbegünstigung zu gewähren, wird der Senat nach Anhörung der Beklagten entscheiden (§ 144 Abs. 2 Satz 4 PatG).
7
Der Senat geht nach den eingereichten Schriftsätzen im erstinstanzlichen Verfahren, den Rubren der eingereichten Entscheidungen aus dem Verletzungsprozess und der Vollstreckungsgegenklage und der entsprechenden Internetseite davon aus, dass die Bezeichnung des Unternehmens der Klägerin im Rubrum des angefochtenen Urteils (T. T. GmbH) auf einem Versehen beruht und die Firma der Klägerin vollständig "T. T. Werkzeugsysteme GmbH" lautet.
Scharen Gröning Berger Grabinski Hoffmann

Vorinstanzen:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.10.2009 - 4 Ni 14/08 (EU) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 116 Partei kraft Amtes; juristische Person; parteifähige Vereinigung


Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag 1. eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten a

Patentgesetz - PatG | § 144


(1) Macht in einer Patentstreitsache eine Partei glaubhaft, daß die Belastung mit den Prozeßkosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht auf ihren Antrag anordnen, daß die Verpflichtung di

Patentgesetz - PatG | § 132


(1) Im Einspruchsverfahren (§§ 59 bis 62) erhält der Patentinhaber auf Antrag unter entsprechender Anwendung der §§ 114 bis 116 der Zivilprozeßordnung und des § 130 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 4 und 5 Verfahrenskostenhilfe. Hierbei ist nicht zu prüfen,

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2011 - X ZA 1/10

bei uns veröffentlicht am 10.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZA 1/10 vom 10. Januar 2011 in dem Prozesskostenhilfeverfahren Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und Hof

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(1) Im Einspruchsverfahren (§§ 59 bis 62) erhält der Patentinhaber auf Antrag unter entsprechender Anwendung der §§ 114 bis 116 der Zivilprozeßordnung und des § 130 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 4 und 5 Verfahrenskostenhilfe. Hierbei ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

(2) Absatz 1 Satz 1 ist auf den Einsprechenden und den gemäß § 59 Abs. 2 beitretenden Dritten sowie auf die Beteiligten im Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder in Zwangslizenzverfahren (§§ 81, 85 und 85a) entsprechend anzuwenden, wenn der Antragsteller ein eigenes schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht.

Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag

1.
eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2.
eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig ist, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.

(1) Macht in einer Patentstreitsache eine Partei glaubhaft, daß die Belastung mit den Prozeßkosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht auf ihren Antrag anordnen, daß die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem ihrer Wirtschaftslage angepaßten Teil des Streitwerts bemißt. Die Anordnung hat zur Folge, daß die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach diesem Teil des Streitwerts zu entrichten hat. Soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder soweit sie diese übernimmt, hat sie die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten. Soweit die außergerichtlichen Kosten dem Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, kann der Rechtsanwalt der begünstigten Partei seine Gebühren von dem Gegner nach dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben.

(2) Der Antrag nach Absatz 1 kann vor der Geschäftsstelle des Gerichts zur Niederschrift erklärt werden. Er ist vor der Verhandlung zur Hauptsache anzubringen. Danach ist er nur zulässig, wenn der angenommene oder festgesetzte Streitwert später durch das Gericht heraufgesetzt wird. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner zu hören.