Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juli 2004 - X ZB 45/03

bei uns veröffentlicht am27.07.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 45/03
vom
27. Juli 2004
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Wenn der Rechtsbeschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in
seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt worden ist, liegt ein Zulassungsgrund
im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO vor.
BGH, Beschl. v. 27. Juli 2004 - X ZB 45/03 - LG Hamburg
AG Hamburg-Harburg
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2004 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterinnen
Ambrosius und Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der ihre Berufung verwerfende Beschluß des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 4, vom 13. Oktober 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:


I. Nachdem gegen die Klägerin im ersten Rechtszug Versäumnisurteil ergangen war und sie hiergegen Einspruch eingelegt hatte, im Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch aber erneut niemand für die Klä-
gerin erschienen war, hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg durch Zweites Versäumnisurteil vom 22. April 2003 ihren Einspruch verworfen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Mai 2003 rechtzeitig Berufung eingelegt. In demselben Schriftsatz hat sie ausführlich dargelegt, daß ihr Prozeßbevollmächtigter sowohl den Verhandlungstermin, in dem das erste Versäumnisurteil erging, als auch den Termin zur Verhandlung über den Einspruch ohne sein Verschulden versäumt habe.
Das Landgericht Hamburg als Berufungsgericht hat durch Beschluß vom 13. Oktober 2003 die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen mit der Begründung, daß die Berufungsfrist nach gewährter Verlängerung am 30. Juli 2003 abgelaufen, eine Berufungsbegründung aber nicht eingegangen sei. Gegen diesen ihr am 23. Oktober 2003 zugestellten Beschluß hat die Klägerin am 19. November 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Mit Recht rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG). In einem solchen Fall ist ein Zulassungsgrund im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO immer gegeben.
Der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör folgt aus der unrichtigen Feststellung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe keine Berufungsbegründung eingereicht.

Die Klägerin hatte bereits in ihrer Berufungsschrift vom 30. Mai 2003 eine Begründung gegeben. Die Kombination von Berufungsschrift und Berufungsbegründung ist im Gesetz ausdrücklich anerkannt (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die Begründung in der Berufungsschrift entsprach auch inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO; sie bezeichnete insbesondere die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben soll (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Ein Zweites Versäumnisurteil unterliegt der Berufung nur insoweit, als sie auf fehlendes Verschulden an der Versäumung gestützt wird (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierzu enthält die Berufungsbegründung ausführliche Darlegungen.
Wenn das Berufungsgericht gleichwohl vom Fehlen einer Berufungsbegründung ausgegangen ist, so läßt dies nur den Schluß zu, daß es - möglicherweise irregeführt durch den späteren Antrag des klägerischen Prozeßbevollmächtigten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - die schon in der Berufungsschrift der Klägerin enthaltene Berufungsbegründung nicht zur Kenntnis genommen hat. Darin liegt ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör.
Infolge dieses Grundrechtsverstoßes ist die Rechtsbeschwerde nicht nur zulässig, sondern zugleich begründet.
Der angefochtene Verwerfungsbeschluß ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Berufung an das Landgericht Hamburg zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Der Verzicht auf Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren erfolgt wegen der unrichtigen Sachbehandlung durch das Berufungsgericht (§ 8 Abs.1 Satz 1 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung).
Melullis Scharen Ambrosius
Mühlens Meier-Beck

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

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(1) Ein Versäumnisurteil kann von der Partei, gegen die es erlassen ist, mit der Berufung oder Anschlussberufung nicht angefochten werden. (2) Ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung oder

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Ein Versäumnisurteil kann von der Partei, gegen die es erlassen ist, mit der Berufung oder Anschlussberufung nicht angefochten werden.

(2) Ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung oder Anschlussberufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. § 511 Abs. 2 ist nicht anzuwenden.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

In Strafsachen werden die Kosten, die dem verurteilten Beschuldigten zur Last fallen, erst mit der Rechtskraft des Urteils fällig. Dies gilt in gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten entsprechend.