Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2006 - X ZB 31/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Streitwert: 3.325,-- âŹ.
GrĂŒnde:
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- I. Der KlÀger verlangt von der Beklagten die teilweise Erstattung eines bezahlten Reisepreises, hilfsweise die Erteilung eines Reisegutscheins.
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- In der Klageschrift hat der KlÀger die Beklagte, eine auslÀndische Gesellschaft , wie folgt bezeichnet: "Firma S. , International Ltd., vertreten durch den Vorsitzenden der GeschÀftsleitung L. M. C. ".
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- Das Amtsgericht hat seine Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem KlĂ€ger am 3. Januar 2005 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2005, eingegangen am 1. Februar 2005, hat der KlĂ€ger Berufung beim Landgericht eingelegt. In der Folgezeit wurde die BerufungsbegrĂŒndungsfrist verlĂ€ngert. Innerhalb der laufenden Frist zur BerufungsbegrĂŒndung teilte der Berichterstatter der ProzessbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers telefonisch mit, dass Bedenken hinsichtlich der ZustĂ€ndigkeit des Landgerichts fĂŒr die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil bestĂŒnden. Auf weiteren telefonischen Hinweis, dass eine Beendigung des vor dem Landgericht betriebenen Berufungsverfahrens durch Abgabe an das Oberlandesgericht nicht möglich sei, nahm der KlĂ€ger mit Schriftsatz seiner ProzessbevollmĂ€chtigten vom 17. MĂ€rz 2005 die Berufung beim Landgericht zurĂŒck.
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- Mit Schriftsatz seiner ProzessbevollmĂ€chtigten vom 8. MĂ€rz 2005, eingegangen beim Oberlandesgericht am 10. MĂ€rz 2005, hatte der KlĂ€ger zuvor Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt und zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die VersĂ€umung der Berufungs- und BerufungsbegrĂŒndungsfrist gestellt.
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- Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht durch den angefochtenen Beschluss zurĂŒckgewiesen und die Berufung des KlĂ€gers gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 30. Dezember 2004 als unzulĂ€ssig verworfen. Hiergegen wendet sich der KlĂ€ger mit der Rechtsbeschwerde.
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- II. Die Rechtsbeschwerde ist zulĂ€ssig, aber nicht begrĂŒndet.
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- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemÀà § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 ZPO auch zulÀssig.
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- 2. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Beschluss des Oberlandesgerichts sei schon deshalb aufzuheben, weil er keine Darstellung des fĂŒr die Entscheidung maĂgeblichen Sachverhalts enthalte.
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- Insoweit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Der Beschluss verweist auf den Hinweis des Berichterstatters, der den Parteien ĂŒbermittelt worden ist. Diesem Hinweis ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Berufungsfrist am 3. Februar 2005 abgelaufen ist und einen Tag zuvor, am 2. Februar 2005, Berufung beim Landgericht eingelegt worden ist. Ferner ist dem Hinweis zu entnehmen, dass die Akten sodann angefordert und am 4. Februar 2005 beim Landgericht eingegangen sind. AuĂerdem ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung selbst, dass sodann die Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist. Danach ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit , dass die Berufungsfrist versĂ€umt worden ist. Damit ist der zu beurteilende Sachverhalt hinreichend erkennbar.
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- 3. Auch soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es sei im Rechtsmittelverfahren auch dann von einem inlĂ€ndischen allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten auszugehen, wenn in erster Instanz die tatsĂ€chlichen Voraussetzungen fĂŒr das Bestehen eines besonderen Gerichtsstands von keiner Partei vorgetragen und auch nicht vom Gericht festgestellt worden seien, ist das Rechtsmittel nicht begrĂŒndet.
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- Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass der KlĂ€ger als BerufungsfĂŒhrer die funktionelle ZustĂ€ndigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen hat (BGH, Beschl. v. 28.01.2004 - VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828; Beschl. v. 28.03.2006 - VIII ZB 100/04, BGH-Rep. 2006, 925). Hiervon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.
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- Allerdings haben der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs und ihm folgend der XI. Zivilsenat entschieden, dass bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG im Berufungsverfahren regelmĂ€Ăig der im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht unangegriffen gebliebene inlĂ€ndische bzw. auslĂ€ndische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer NachprĂŒfung durch das Rechtsmittelgericht grundsĂ€tzlich entzogen ist (BGH, Urt. v. 28.01.2004 - VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828; Urt. v. 15.02.2005 - XI ZR 171/04, NJW-RR 2005, 780; Beschl. v. 28.03.2006 - VIII ZB 100/04, BGH-Rep. 2006, 925). Dies setzt allerdings voraus , dass in erster Instanz der inlĂ€ndische oder auslĂ€ndische Gerichtsstand unstreitig geblieben ist oder dass er zwar streitig war, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat. In letzterem Fall kann es dem Gegner verwehrt sein, seinen Vortrag zu Ă€ndern (BGH, Beschl. v. 28.03.2006, aaO). Wird indessen in erster Instanz hierzu nichts vorgetragen und liegt demzufolge ein unbestrittener Vortrag zur Frage der ZustĂ€ndigkeit nicht vor, so kann dies nicht gleichermaĂen gelten.
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- Die Bezeichnung der Beklagten im Rubrum der Klageschrift ist nicht eindeutig. Aus ihr ergibt sich nicht, ob damit behauptet werden sollte, die Beklagte habe ihren Sitz im Inland oder die Beklagte unterhalte im Inland eine Zweigniederlassung (§ 21 ZPO). Abgesehen von der Bezeichnung der Beklagten im Rubrum der Klageschrift hat der KlĂ€ger in erster Instanz nichts zur ZustĂ€ndigkeit vorgetragen. Er hat weder geltend gemacht, dass die Beklagte ihren Sitz im Inland habe noch dass sie im Inland eine Zweigniederlassung unterhalte. Der Einlassung der Beklagten auf die gegen sie erhobene Klage kann daher auch nichts zu dieser Frage entnommen werden, insbesondere nicht, dass sie damit nicht habe bestreiten wollen, dass sie ihren Sitz im Inland habe. Ist zu dieser Frage aber ein unstreitiger Sachverhalt nicht zu ermitteln, so verbleibt es bei dem oben dargelegten Grundsatz, wonach der BerufungsklĂ€ger die funktionelle ZustĂ€ndigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen hat. Das bedeu- tet, dass der BerufungsklĂ€ger die Voraussetzungen fĂŒr die ZustĂ€ndigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat.
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- Das Amtsgericht hatte auch nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, Veranlassung den KlÀger aufzufordern, hierzu vorzutragen, denn es hatte zu Recht keine Zweifel an seiner ZustÀndigkeit.
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- 4. Die Berufung beim Oberlandesgericht war daher unzulĂ€ssig, weil sie verspĂ€tet eingelegt worden ist. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nicht vor. Der KlĂ€ger konnte, wie dies im Ăbrigen nach dem entsprechenden Hinweis des Landgerichts auch geschehen ist, ohne Schwierigkeiten ermitteln, welches der Sitz der Beklagten war und damit ohne weiteres erkennen, dass die Berufung gegen das angegriffene Urteil beim Oberlandesgericht einzulegen war. Diese PrĂŒfung oblag ihm, weil er die Prozessvoraussetzungen darzulegen hat.
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- Wiedereinsetzung ist dem KlĂ€ger auch nicht deshalb zu bewilligen, weil das Landgericht erst verspĂ€tet auf Bedenken hinsichtlich der ZustĂ€ndigkeit fĂŒr die Berufung hingewiesen hat. Die Berufungsfrist lief am 3. Februar 2005 ab. Die Berufung zum Landgericht ist dort am 1. Februar 2005 eingegangen; am 2. Februar 2005 hat der Vorsitzende die Akten angefordert, die am 4. Februar eingegangen sind. Ohne Akten konnte das Landgericht seine ZustĂ€ndigkeit, insbesondere die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht prĂŒfen. Erst recht war ihm die PrĂŒfung darauf hin, ob nach den von der Rechtsprechung aufgestellten GrundsĂ€tzen hier trotz des Sitzes der Beklagten im Ausland der Beklagten die Möglichkeit abgeschnitten war, sich hierauf zu berufen , nicht möglich, denn dazu war Voraussetzung, dass dies in erster Instanz unstreitig geblieben war. Nach dem Akteneingang war die Berufungsfrist jedoch bereits abgelaufen. Eine rechtzeitige fristwahrende Abgabe an das zustĂ€ndige Oberlandesgericht oder ein rechtzeitiger Hinweis, der eine fristwahrende Berufungseinlegung beim Oberlandesgericht ermöglicht hĂ€tte, waren danach ausgeschlossen.
Asendorf Kirchhoff
Vorinstanzen:
AG Rostock, Entscheidung vom 30.12.2004 - 42 C 124/04 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 31.08.2005 - 1 U 21/05 -
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prĂŒfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begrĂŒndet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulĂ€ssig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzĂŒglich zurĂŒckweisen, wenn es einstimmig davon ĂŒberzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsÀtzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mĂŒndliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem BerufungsfĂŒhrer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulĂ€ssig wĂ€re.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrĂŒcklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den FÀllen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulÀssig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsÀtzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den FĂ€llen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der BegrĂŒndungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschlieĂen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begrĂŒnden. Die AnschlieĂung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurĂŒckgenommen oder als unzulĂ€ssig verworfen wird.
(1) Hat jemand zum Betrieb einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von der aus unmittelbar GeschÀfte geschlossen werden, so können gegen ihn alle Klagen, die auf den GeschÀftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, wo die Niederlassung sich befindet.
(2) Der Gerichtsstand der Niederlassung ist auch fĂŒr Klagen gegen Personen begrĂŒndet, die ein mit Wohn- und WirtschaftsgebĂ€uden versehenes Gut als EigentĂŒmer, NutznieĂer oder PĂ€chter bewirtschaften, soweit diese Klagen die auf die Bewirtschaftung des Gutes sich beziehenden RechtsverhĂ€ltnisse betreffen.
