Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juli 2015 - X ARZ 201/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben. In der gegen die "S. AG" gerichteten Klageschrift fordert die Klägerin eine "sofortige Stromzuschaltung sowie Schadensersatz". Zur Begründung verweist sie u.a. auf fehlerhafte Abrechnungen, eine damit zusammenhängende Stromabschaltung und daraus resultierende Schäden. Das Sozialgericht hat die Klage an die "Stadtwerke AG" zustellen lassen und die Parteien darauf hingewiesen , dass die Klage in die Zuständigkeit des Amtsgerichts Görlitz falle. In ihrer Stellungnahme zum gerichtlichen Hinweis ist die Klägerin einer Verweisung an das Amtsgericht entgegen getreten und hat zur Zuständigkeit des Sozialgerichts u.a. ausgeführt, das "J. G. " habe Mitwirkungspflichten verletzt und sei in die Klage zu "involvieren". Das Sozialgericht hat daraufhin die Klage als gegen den "Landkreis G. , J. " gerichtet angesehen, das Passivrubrum in den Verfahrensdaten entsprechend geändert und als eigentliches Klagebegehren Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung angenommen. Mit Beschluss vom 15. Januar 2015 hat es den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Görlitz verwiesen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 17. März 2015 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und diesen an das Sozialgericht zurückverwiesen. Es ist der Auffassung, die gerichtsseitige Änderung des Passivrubrums sei vom klägerischen Begehren nicht gedeckt, weshalb der Verweisungsbeschluss objektiv willkürlich sei und daher keine Bindungswirkung entfalte.
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- Das Sozialgericht hat eine Rücknahme des Verfahrens abgelehnt. Das Landgericht hat die Akten daraufhin dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zulässigen Rechtswegs vorgelegt.
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- II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
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- 1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Eine Zuständigkeitsbestimmung ist im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es - wie vorliegend - innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung einer Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 4 mwN).
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- 2. Das Landgericht Görlitz ist zur Fortführung des Verfahrens und weiteren Entscheidung des Rechtsstreits aufgerufen. Seine Rechtswegzuständigkeit beruht auf § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.
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- a) Die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Sozialgerichts, mit dem dieses den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechts- streit zwischen der Klägerin und dem Landkreis als Beklagtem an das Landgericht verwiesen hat. Da weder die Klägerin noch der Landkreis den Verweisungsbeschluss mit der Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG in Verbindung mit § 172 SGG angegriffen haben, ist der Beschluss des Sozialgerichts formell unanfechtbar und bindend geworden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 9).
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- b) Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, verbleibt neben der gesetzlich eröffneten Überprüfung der Rechtswegzuständigkeit im Rechtsmittelzug jedenfalls grundsätzlich kein Raum (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 12). Sie kommt, wenn überhaupt, allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht.
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- Ein solcher Verstoß liegt im Streitfall nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Sozialgerichts, die Klage sei von Anfang an gegen den Landkreis gerichtet gewesen, jedenfalls aber sei die erste Stellungnahme der Klägerin als gewillkürter Parteiwechsel auf Beklagtenseite anzusehen , im Ergebnis zutreffend ist. Auch wenn dies zu verneinen und als Beklagter ein privatrechtlich organisierter Stromversorger anzusehen wäre, fehlte es an der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten. Öffentlich-rechtliche Beziehungen, die die Zuständigkeit des Sozialgerichts begründen könnten, sind auch unter dieser Prämisse aus dem Klagevorbringen nicht ersichtlich. Schon deshalb ist es weder geboten noch zweckmäßig, die Sache an das Sozialgericht zurückzugeben.
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- Sollte das Landgericht bei der weiteren rechtlichen Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Klage zivilrechtliche Ansprüche zum Gegenstand hat, die keine Amtshaftungsansprüche sind, ist es an einer Weiterverweisung an ein örtlich und sachlich zuständiges Amtsgericht nicht gehindert. Eine Verweisung an ein Gericht eines anderen Rechtswegs ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG - anders als eine Verweisung gemäß § 281 ZPO (dazu BGH, Beschluss vom 26. November 1997 - XII ARZ 34/97, NJW 1998, 1219) - nur hinsichtlich des Rechtswegs bindend (vgl. BAG, Beschluss vom 1. Juli 1992 - 5 AS 4/92, BAGE 70, 374, 379, 380; BAG, Beschluss vom 20. September 1995 - 5 AZB 1/95, NJW 1996, 742).
Hoffmann Deichfuß
Vorinstanz:
LG Görlitz, Entscheidung vom 16.04.2015 - 1 O 59/15 -
Annotations
(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei; - 3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist; - 4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist; - 5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.
(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.
(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.
(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.
(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.
(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.
(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen
- 1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte, - 2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn - a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, - b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder - c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
- 3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193, - 4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.
(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.
(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.
(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.
(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.
(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.