Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2009 - VIII ZB 66/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 5. Februar 2008 verurteilt worden, an die Klägerin 4.408,66 € nebst Zinsen zu zahlen. Gegen das ihm am 8. Februar 2008 zugestellte Urteil hat er am 7. März 2008 durch Schriftsatz seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage Berufung eingelegt. Diesen ist mit Rücksicht auf eine noch ausstehende Akteneinsicht über das für ihren Kanzleisitz zuständige Amtsgericht Erfurt eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Mai 2008 bewilligt worden. Nachdem die Akten am 20. Mai 2008 immer noch nicht bei dem Amtsgericht Erfurt eingetroffen waren, haben sie mit einem an das Amts- gericht Lichtenberg zu dessen Geschäftsnummer gerichteten Schriftsatz vom 20. Mai 2008 beantragt, "die gewährte Fristverlängerung zur Berufungserwiderung" noch einmal um zwei Tage ab Eingang der Gerichtsakten bei dem Amtsgericht Erfurt zu verlängern. Diesen Antrag nebst einer Abschrift des an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen deren Zustimmung zur weiteren Fristverlängerung gerichteten Schreibens haben sie per Post an das Amtsgericht Lichtenberg und zugleich als Telefax an den Telefaxanschluss "Justizbehörde Mitte", den gemeinsamen Telefaxanschluss des Landgerichts Berlin und des Amtsgerichts Berlin Mitte, übersandt. Das Amtsgericht Lichtenberg hat den am 21. Mai 2008 bei ihm unmittelbar eingegangenen Verlängerungsantrag an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo er am 23. Mai 2008 eingegangen ist.
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- Das Berufungsgericht hat die bei ihm am 23. Mai 2008 eingegangene Berufungsbegründung als verspätet angesehen und die Berufung mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Die daneben beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht versagt, weil der Beklagte die Fristversäumung durch rechtzeitige Beantragung einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte verhindern können und müssen. Dies habe er infolge der fehlerhaften Adressierung des Fristverlängerungsantrages versäumt, da der Antrag aus diesem Grunde erst nach Ablauf der Begründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen sei.
II.
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- Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist zulässig, weil die Rechtssache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Beklagten nicht als unzulässig verwerfen dürfen, weil der Antrag auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist recht- zeitig eingegangen ist und der Beklagte das Rechtsmittel vor Ablauf der Zeitspanne , für die die weitere Fristverlängerung beantragt worden war, begründet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - VII ZB 17/95, NJW 1996, 1350, unter II).
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- 1. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Fristverlängerungsantrag vom 20. Mai 2008 sei bei ihm wegen der unzutreffenden Adressierung nicht an diesem Tage, sondern erst am 23. Mai 2008 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist durch Eintreffen des Originals vom Amtsgericht Lichtenberg eingegangen. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zutreffend als rechtsfehlerhaft.
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- a) Für den rechtzeitigen Eingang eines einzureichenden Schriftstücks ist entscheidend, ob es vor Fristablauf tatsächlich an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt ist (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418, unter II 2). Das gilt entsprechend für den Eingang eines einzureichenden Schriftsatzes durch Telefax (BGH, Beschluss vom 10. Januar 1990 - XII ZB 141/89, NJW 1990, 990, unter II 2).
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- Das ist hier zwar für das Original des unmittelbar bei dem Amtsgericht Lichtenberg eingereichten Fristverlängerungsantrages zu verneinen, weil dieser erst am 23. Mai 2008 bei dem Landgericht Berlin eingegangen ist, nachdem das Amtsgericht Lichtenberg die falsche Adressierung erkannt und den Schriftsatz weitergeleitet hatte. Anders verhält es sich dagegen mit dem vorab durch Telefax übermittelten Fristverlängerungsantrag, der unter der angegebenen Telefaxnummer zur Posteingangsstelle der Justizbehörde Mitte I gelangt ist, bei der auch die für das Landgericht Berlin bestimmten Schriftstücke entgegengenommen werden. Zwar ist ein Schriftstück, das bei einer gemeinsamen Einlaufstelle für mehrere Gerichte eingeht, bei dem Gericht eingereicht, an das es gerichtet ist, da nur dieses Gericht durch den Eingang die zur Kenntnisverschaf- fung vom Inhalt des eingereichten Schriftstücks erforderliche tatsächliche Verfügungsgewalt erlangt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 1990, aaO; BAG, NJW 2002, 845, 846 m.w.N.). Anders verhält es sich, wenn in solch einem Fall die Falschadressierung sogleich erkannt und der Schriftsatz deshalb unmittelbar an das zuständige Gericht weitergeleitet wird; in diesem Fall ist das Schriftstück trotz der Falschadressierung sogleich bei dem zuständigen anderen Gericht der gemeinsamen Einlaufstelle eingegangen (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG, AnwBl 2001, 72). Angesichts der Offenkundigkeit der tatsächlich gemeinten Adressierung des Schriftstücks wandelt sich in diesem Fall ein zunächst gegebener Mitgewahrsam aller an der gemeinsamen Einlaufstelle beteiligten Gerichte umgehend in einen für den Zugang ausreichenden Alleingewahrsam des zuständigen Gerichts, so dass für eine einzuhaltende Frist auf den Zugang des Schriftstücks bei der gemeinsamen Einlaufstelle abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2004 - II ZB 18/03, FamRZ 2004, 1480, unter II 2). Entsprechendes gilt schließlich, wenn das bei einer gemeinsamen Einlaufstelle eingegangene Schriftstück überhaupt nicht adressiert ist. In diesem Fall besteht für das Personal der gemeinsamen Einlaufstelle von vornherein Anlass zu der Prüfung, welchem der angeschlossenen Gerichte das Schriftstück zugeordnet werden soll. Den für einen Zugang erforderlichen Alleingewahrsam erlangt hier sogleich das Gericht, für das das Schriftstück nach dem Ergebnis der vorzunehmenden Prüfung aufgrund seines Inhalts ersichtlich bestimmt ist (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1997 - VI ZB 28/96, NJW-RR 1997, 892, unter II 1; vgl. ferner Beschluss vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91, NJW 1992, 1047, unter II).
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- b) Der letztgenannten Fallgestaltung steht der hier zu beurteilende Fall gleich. Nach seiner Adressierung war der Fristverlängerungsantrag für keines der an die Telefaxeingangsstelle angeschlossenen Gerichte bestimmt. Es war deshalb bei Eingang zu prüfen, ob der Schriftsatz an eines der angeschlosse- nen Gerichte auszufolgen oder an das Amtsgericht Lichtenberg weiterzuleiten war. Bei dieser Prüfung war wiederum sofort zu erkennen, dass es inhaltlich um die Verlängerung einer Frist in einem laufenden Berufungsverfahren ging, wobei in dem beigefügten Schreiben das Landgericht Berlin und das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens angegeben waren. Es war mithin sofort erkennbar, dass das bei der gemeinsamen Telefaxeingangsstelle eingegangene Schriftstück dem Landgericht als Empfänger zuzuordnen war, so dass dieses mit dem Eingang den für eine wirksame Schriftsatzeinreichung erforderlichen Alleingewahrsam an dem Fristverlängerungsantrag erlangt hat.
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- 2. Der Beklagte hat dadurch, dass sein Fristverlängerungsantrag rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das hierüber zur Entscheidung berufene Landgericht Berlin gelangt ist, die Fristverlängerung rechtzeitig beantragt. Unschädlich ist, dass im Antrag selbst fälschlich von einer Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist die Rede ist. Denn die Auslegung von Prozesshandlungen , die freier revisionsrechtlicher Nachprüfung unterliegt, hat sich an dem Grundsatz zu orientieren, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (Senatsbeschluss vom 10. Juni 2003, aaO m.w.N.). Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es dem Beklagten nur um eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegangen ist.
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- Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht die Berufung nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen, wenn der Antrag des Beklagten auf Verlängerung dieser Frist durch den Vorsitzenden der Berufungskammer abgelehnt worden wäre (BGH, Beschluss vom 5. April 2001 - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931, unter II; Beschluss vom 3. Februar 1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581, unter II). Die Entscheidung über diesen Antrag steht aber noch aus. Dem entsprechend stellt sich die Frage einer Fristversäumung und damit des Erfordernisses einer Wiedereinset- zung in den vorigen Stand erst, wenn die rechtzeitig beantragte Fristverlängerung abgelehnt werden sollte (BGH, Beschlüsse vom 5. April 2001 und vom 3. Februar 1988, aaO). Ball Dr. Wolst Hermanns Dr. Milger Dr. Achilles
AG Berlin-Lichtenberg, Entscheidung vom 05.02.2008 - 8 C 297/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 17.07.2008 - 48 S 33/08 -
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.