Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2016 - VI ZR 201/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach zwei von dem Beklagten zu 2 im Klinikum der Beklagten zu 1 durchgeführten Koloskopien , die eine Notoperation durch den ehemaligen Beklagten zu 3 zur Folge hatten.
- 2
- Am 20. Oktober 2006 nahm der Beklagte zu 2 bei dem Kläger eine Koloskopie zu Vorsorgezwecken vor. Er fand dabei im Bereich des Sigmas einen etwa 2,5 cm großen Polypen und entfernte diesen. Weil die Koloskopie wegen nicht ausreichender Darmreinigung nicht vollständig durchgeführt werden konnte , wurde eine Wiederholung der Untersuchung für den 23. Oktober 2006 vereinbart. Bei der erneuten Koloskopie am 23. Oktober 2006 ergab sich kein Befund. Nach der Untersuchung traten bei dem Kläger starke Schmerzen auf, so dass wegen Verdachts auf eine Sigmaperforation noch am 23. Oktober 2006 eine Notoperation durchgeführt wurde, bei der sich ergab, dass bereits eine akute eitrige Peritonitis bestand. Da die Histologie des zuvor entfernten Polypen noch nicht vorlag, entschloss sich der Operateur zu einer Sigmaresektion unter onkologischen Kriterien. Der entfernte Teil des Dickdarms einschließlich Lymphsystem hatte eine Länge von etwa 30 cm. Zum Schutz der Anastomose erfolgte die Anlage eines Ileostomas.
- 3
- Die histologische Untersuchung des entfernten Polypen ergab ein im Gesunden entferntes tubulo-villöses Adenom ohne Zellatypien und ohne abnorme Zellformen. Am 28. Dezember 2006 erfolgte die Rückverlegung des Ileostomas. Der weitere Verlauf war nach ärztlicher Einschätzung komplikationslos, jedoch leidet der Kläger seiner Angabe nach seitdem unter dauerhaften starken Schmerzen, muss ständig Schmerzmittel einnehmen, ist Einschränkungen bei der Ernährung unterworfen und hat seinen Arbeitsplatz verloren.
- 4
- Der Kläger macht unter anderem geltend, er sei vor der Durchführung der zweiten Koloskopie nicht hinreichend aufgeklärt worden, weil ihm der Umstand , dass bei der ersten Koloskopie ein Polyp mit einer Größe von 2,5 cm entfernt worden sei, nicht mitgeteilt worden sei. Hätte er davon Kenntnis gehabt , hätte er die zweite Untersuchung nicht im Abstand von wenigen Tagen durchführen lassen.
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- Nach Klagerücknahme in Bezug auf den Beklagten zu 3 hat das Landgericht die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten und Anhörung der Sachverständigen sowie Zeugeneinvernahme abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers nach Anhörung des Sachverständigen Dr. F. zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu der Annahme gelangt, der Kläger habe über die Entfernung des Polypen nicht aufgeklärt werden müssen.
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- 1. Das Berufungsgericht hat - soweit hier erheblich - ausgeführt, da nach den Feststellungen des Landgerichts die Durchführung der Zweitkoloskopie im Abstand von drei Tagen zu einer Erstkoloskopie mit Polypektomie kein erhöhtes Perforationsrisiko mit sich bringe, habe der Kläger vor dem Eingriff am 23. Oktober 2006 hierüber auch nicht aufgeklärt werden müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit der erteilten Eingriffseinwilligung sei es auch nicht von Bedeutung, ob dem Kläger bereits vor der Zweitkoloskopie die Tatsache der Polypentfernung mitgeteilt worden sei, denn dies hätte zu der Entscheidung des Klägers, ob er die Zweitkoloskopie durchführen lassen oder sie zumindest zeitlich verschieben solle, unter medizinischen Gesichtspunkten nichts beizutragen vermocht. Die gegenteilige Argumentation des Klägers in der Beru- fungsbegründung unterstelle wiederum ein durch die Polypektomie verursachtes erhöhtes Perforationsrisiko, von dem aber gerade nicht auszugehen sei.
- 8
- 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei diesen Ausführungen den Kern des Vorbringens des Klägers nicht berücksichtigt hat.
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- a) Der Kläger hat sowohl in erster als auch in zweiter Instanz vorgetragen , in Kenntnis des Umstands, dass ihm bei der ersten Darmspiegelung ein (großer) Polyp entfernt worden sei, hätte er die zweite Untersuchung, für die unstreitig keine medizinische Notwendigkeit bestanden habe, sondern mit der ohne weiteres hätte zugewartet werden können, erst später durchführen lassen. Er hat zudem auf den sich aufdrängenden Widerspruch zwischen dem von den Gutachtern Dr. B., Dr. E. und Prof. Dr. W. angesichts des histologischen Befunds für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich gehaltenen Geschehensablauf - Schwächung der Darmwand durch die elektrothermische Abtragung des Polypen am 20. Oktober 2006, wodurch es bei der zweiten Koloskopie am 23. Oktober 2006 durch die Einbringung von Luft letztendlich zu einer Perforation gekommen sei - und den Annahmen des Sachverständigen Dr. F. - insbesondere der Aussage, nach 72 Stunden sei die Perforationsgefahr vorüber - hingewiesen.
- 10
- b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Sachvortrag des Klägers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
- 11
- aa) Sowohl der Sachverständige Prof. Dr. W. als auch der Sachverständige Dr. F. gehen davon aus, dass noch am Untersuchungstag eine (therapeutische ) Aufklärung über die durchgeführte Polypektomie hätte erfolgen müssen. Vor diesem Hintergrund hätte das Berufungsgericht einen Anspruch des Klä- gers nicht ohne jede Auseinandersetzung mit seinem Vortrag, er hätte eine zweite Untersuchung in Kenntnis der Polypektomie nicht zeitnah durchführen lassen, verneinen dürfen. Das Berufungsgericht stellt lediglich auf die Frage ab, ob eine Kenntnis des Klägers zu seiner Entscheidung in Bezug auf die Durchführung der Zweitkoloskopie unter medizinischen Gesichtspunkten hätte beitragen können. Damit verfehlt es indes - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend rügt - den Kern des klägerischen Vortrags.
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- bb) Hinzu tritt ferner, dass das Berufungsgericht den sich aufdrängenden und von ihm selbst für klärungsbedürftig angesehenen Widerspruch zwischen den Aussagen der Gutachter bei seinen Ausführungen zu einem etwaigen Aufklärungsfehler vollständig aus dem Blick verloren und damit auch insoweit den Kern des klägerischen Vortrags nicht ausreichend berücksichtigt hat. Es hat letztlich vergeblich versucht, den Widerspruch zwischen dem von den Gutachtern Dr. B., Dr. E. und Prof. Dr. W. angesichts des histologischen Befunds für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich gehaltenen Geschehensablauf und den Annahmen des Sachverständigen Dr. F. zu klären, und hat selbst gemeint, es verwundere, dass eine kurz zuvor durchgeführte Polypektomie eine weitere Koloskopie in kurzem zeitlichen Abstand nicht kontraindiziere. Für die Frage des Behandlungsfehlers war eine Klärung des Widerspruchs - wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt - letztlich nicht erforderlich. Bei der Prüfung des Aufklärungsfehlers hat das Berufungsgericht den von ihm selbst für klärungsbedürftig angesehenen Widerspruch indes aus dem Blick verloren. Es legt seinen Ausführungen unter Verweis auf die Feststellungen des Landgerichts zugrunde, dass die Durchführung einer Zweitkoloskopie im Abstand von drei Tagen nach einer Erstkoloskopie mit Polypektomie kein erhöhtes Perforationsrisiko beinhalte , obwohl es sich davon selbst nicht hatte überzeugen können.
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- d) Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht, wenn es den Vortrag des Klägers in der gebotenen Weise berücksichtigt hätte, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Galke Offenloch Oehler Roloff Klein
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 11.06.2015 - 4 O 8835/09 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 29.04.2016 - 5 U 1216/15 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.