Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2011 - V ZA 29/10

bei uns veröffentlicht am23.05.2011
vorgehend
Amtsgericht Eisenhüttenstadt, 23 XIV 74/10, 04.09.2010
Landgericht Frankfurt (Oder), 15 T 112/10, 18.10.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZA 29/10
vom
23. Mai 2011
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2011 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinsichtlich der behördlichen Ingewahrsamnahme keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Rechtsbeschwerde gegen eine vorläufige richterliche Haftanordnung ist gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht statthaft. Nichts anderes gilt für die behördliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Vorführung vor den Richter (§ 428 Abs. 2 FamFG; Senat, Beschluss vom 12. Mai 2010 - V ZB 135/10). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht ist aus diesem Grunde verfahrensfehlerhaft und bindet das Rechtsbeschwerdegericht nicht.
Krüger Stresemann Roth Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Eisenhüttenstadt, Entscheidung vom 04.09.2010 - 23 XIV 74/10 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 18.10.2010 - 15 T 112/10 -

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 428 Verwaltungsmaßnahme; richterliche Prüfung


(1) Bei jeder Verwaltungsmaßnahme, die eine Freiheitsentziehung darstellt und nicht auf richterlicher Anordnung beruht, hat die zuständige Verwaltungsbehörde die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Ist die Freiheitsentziehung nicht

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Mai 2011 - V ZB 135/10

bei uns veröffentlicht am 12.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 135/10 vom 12. Mai 2011 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG § 70 Abs. 4, § 428 Abs. 2 Wendet sich der Betroffene gegen die vorläufige Ingewahrsamnahme durch d
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2011 - V ZA 29/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2013 - V ZB 44/12

bei uns veröffentlicht am 16.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 44/12 vom 16. Mai 2013 in der Abschiebungshaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja EGRL 115/2008 Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 59 Die Androhung der Abschiebung enthält die nach der Richtlinie

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - V ZB 119/16

bei uns veröffentlicht am 09.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 119/16 vom 9. März 2017 in der Zurückweisungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG § 70 Abs. 4; AufenthG § 15 Abs. 6 Satz 2 Sieht die Behörde den Transitaufenthalt eines Ausländers n

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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Bei jeder Verwaltungsmaßnahme, die eine Freiheitsentziehung darstellt und nicht auf richterlicher Anordnung beruht, hat die zuständige Verwaltungsbehörde die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des ihr folgenden Tages durch richterliche Entscheidung angeordnet, ist der Betroffene freizulassen.

(2) Wird eine Maßnahme der Verwaltungsbehörde nach Absatz 1 Satz 1 angefochten, ist auch hierüber im gerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften dieses Buches zu entscheiden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 135/10
vom
12. Mai 2011
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wendet sich der Betroffene gegen die vorläufige Ingewahrsamnahme durch die
Behörde nach § 428 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG, ist die Rechtsbeschwerde
nicht statthaft (§ 70 Abs. 4 FamFG).
BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 135/10 - LG Lüneburg
AG Winsen (Luhe)
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2011 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Rinkler beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 29. April 2010 wird als unzulässig verworfen.
Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.500 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein kosovarischer Staatsangehöriger, war bereits mehrfach unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach der letzten Einreise hielt er sich in Berlin, dem Zuständigkeitsbereich der Beteiligten zu 2, auf. Danach tauchte er unter. Nachdem er sich am 16. Dezember 2009 anlässlich einer im Bezirk der Beteiligten zu 3 durchgeführten Personenkontrolle mit gefälschten italienischen Papieren ausgewiesen hatte, wurde er gegen 15.30 Uhr nach § 127 Abs. 2 StPO in Polizeigewahrsam genommen. Hiervon informierte die Polizei am nächsten Morgen zunächst die Beteiligte zu 3, die um 7.40 Uhr Kontakt mit der Beteiligten zu 2 aufnahm. Die um 8.25 Uhr von der Festnahme in Kenntnis gesetzte Staatsanwaltschaft teilte der Polizei umgehend mit, dass sie keinen Antrag auf Erlass eines Untersuchungshaftbefehls stellen werde. Danach ersuchte die Beteiligte zu 2 die Beteiligte zu 3, im Wege der Amtshilfe die Abschiebungshaft zu beantragen. Auf deren Antrag ordnete das Amtsgericht gegen 15 Uhr nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung an.
2
Soweit hier von Interesse hat der Betroffene bei dem Amtsgericht erfolglos beantragt, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in der Zeit vom 16. Dezember 2009, 18 Uhr bis zur Anordnung der Abschiebungshaft am 17. Dezember 2009 festzustellen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht ausgesprochen, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zum 17. Dezember 2009, 7.40 Uhr, rechtswidrig gewesen ist; das weitergehende Rechtsmittel hat es zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter, soweit dieser erfolglos geblieben ist.

II.

3
Soweit das Beschwerdegericht die Beschwerde zurückgewiesen hat, steht es auf dem Standpunkt, die vom 17. Dezember 2009 ab 7.40 Uhr vollzogene Haft sei nach § 62 Abs. 4 AufenthG gerechtfertigt gewesen. Von diesem Zeitpunkt an habe die Aufrechterhaltung der Haft zur Vorbereitung der Abschiebungshaft gedient. Eine schuldhafte Verzögerung der Abläufe sei nicht ersichtlich , weil die Beteiligte zu 3 notwendige Informationen erst noch habe beschaffen müssen.

III.

4
Das Rechtsmittel ist nicht statthaft.
5
1. § 428 Abs. 2 FamFG ordnet an, dass über die Anfechtung behördlich angeordneter Freiheitsentziehungen im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG "auch nach den Vorschriften dieses Buches" zu entscheiden ist, und macht damit deutlich, dass der gerichtliche Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen den Regelungen folgen soll, die für die Anfechtung gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehungen gelten. Zu diesen Normen gehört u.a. die Vorschrift des § 427 FamFG, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Vorschrift des § 70 Abs. 4 FamFG zu sehen ist, wonach die Rechtsbeschwerde ausgeschlossen ist in Verfahren, in denen über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung befunden worden ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, S. 209). Dass hierzu - verfassungsrechtlich unbedenklich - auch Entscheidungen über vorläufige Haftanordnungen gehören, die von einem Richter nach § 427 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 1 bis 3 AufenthG angeordnet worden sind, hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 128/10, juris Rn. 6; vgl. auch Beschluss vom 11. November 2010 - V ZB 123/10, juris Rn. 3 f.). Jedenfalls für die der richterlichen Beschlussfassung vorgelagerte Möglichkeit der Behörde, einen Ausländer unter strengen Voraussetzungen für einen kurzen Zeitraum vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, um diesen unverzüglich dem Richter vorzuführen (§ 428 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 4 AufenthG), gilt nichts anderes (aA Bahrenfuss/Grotkopp, FamFG, § 428 Rn. 6: Rechtsbeschwerde statthaft bei Zulassung durch das Beschwerdegericht; zur Beschränkung der Rechtskontrolle auf zwei Instanzen nach § 310 Abs. 2 StPO, wenn ein nach § 127 Abs. 2 StPO vorläufig Festgenommener ohne Vorführung vor den Richter wieder freigelassen wird, vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2010, 22). Dass es den Ländern nach Art. 99 GG freisteht, bei in ihren Kompetenzbereich fallenden (vorläufigen) freiheitsentziehenden Maßnahmen ein Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof zu eröffnen, steht dem nicht entgegen. Der von einer vorläufigen Anordnung nach der bundesrechtlichen Regelung des § 62 Abs. 4 AufenthG Betroffene kann die Maßnahme in zwei Instanzen zur richterlichen Überprüfung stellen. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu stellen sind, ist damit genügt.
6
2. Die Erledigung der Haftanordnung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Möglichkeit, die durch die Behörde nach § 428 Abs. 2 FamFG angeordnete vorläufige Freiheitsentziehung mit einem Antrag nach § 62 FamFG zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen, eröffnet nicht ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel, sondern besteht nur innerhalb des für die jeweilige Verfahrensart vorgesehenen Instanzenzuges. Dieser ist mit der Beschwerdeentscheidung erschöpft (vgl. Senat, Beschluss vom 11. November 2010 - V ZB 123/10, juris Rn. 4).

IV.

7
Der Senat hat die Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 16 KostO (dazu Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 81 Rn. 20) angeordnet, weil die Einlegung des nicht statthaften Rechtsmittels durch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegerichts veranlasst worden ist. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 84 FamFG. Krüger Schmidt-Räntsch Roth Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Winsen (Luhe), Entscheidung vom 29.01.2010 - 14 XIV B 1994 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 29.04.2010 - 2 T 17/10 -