Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2003 - IX ZB 596/02

Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.066.195,15
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt als Konkursverwalter von dem Beklagten aus dessen früherer Tätigkeit als Konkursverwalter und Sequester Schadenersatz. Die Klage hatte in der ersten Instanz teilweise Erfolg. Der Beklagte legte gegen das ihm am 29. Juli 2002 zugestellte Urteil am 29. August 2002 Berufung ein. Mit am 15. Oktober 2002 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom selben Tage beantragte er "hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels der Berufung" die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Frist zur Begründung der Berufung um zwei Monate zu verlängern. Zur Begründung führten die
Prozeßbevollmächtigten u.a. aus, daß sie erst am 1. Oktober 2002 (Dienstag) festgestellt hätten, daß der vorbereitete Verlängerungsantrag nicht fristgerecht eingereicht worden sei.
Mit Verfügung vom 16. Oktober 2002 beschied der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Antrag wie folgt:
"Über den Antrag des Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wird hiermit für den Fall, daß Wiedereinsetzung zu bewilligen ist, wie folgt entschieden:
Die Frist zur Begründung der Berufung des Beklagten wird verlängert bis 30. November 2002."
Durch Beschluß vom 11. November 2002 verwarf das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig; mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 2. Dezember 2002, der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist (Montag), begründete der Beklagte die Berufung.
Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags.
II.
Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 1 und 4 ZPO; vgl. BGHZ 21, 142, 147; Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. § 522
Rn. 14). Es ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschl. v. 21. Juni 1990 - IX ZR 227/89, VersR 1991, 122; v. 7. Juni 1999 - II ZR 25/98, DStR 1999, 1119 m. zust. Anm. Goette; jew. m.w.N.), die in Übereinstimmung mit der Judikatur anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes steht (vgl. BFH GrS BFHE 148, 414, 416 ff; BAG NJW 1996, 1365, 1366 m.w.N.) und auch vom Schrifttum überwiegend geteilt wird (vgl. MünchKommZPO /Feiber, 2. Aufl. § 236 Rn. 18; Musielak/Grandel, ZPO 3. Aufl. § 236 Rn. 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO 21. Aufl. § 236 Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 236 Rn. 8; a.A.: Ankermann, Alternativkommentar zur ZPO § 236 Rn. 6; Ganter NJW 1994, 164, 167; Vollkommer EWiR 1999, 1085), ist unter der nachzuholenden Prozeßhandlung im Sinne des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO bei Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht ein Fristverlängerungsantrag , sondern ausschließlich die Rechtsmittelbegründung selbst zu verstehen. Die Rechtsbeschwerde zeigt keine erheblichen neuen Gesichtspunkte auf, die eine weitere Grundsatzentscheidung zu diesem Themenkreis erforderlich machten. Mit Ausnahme der genannten Stellungnahme von Vollkommer, der im übrigen an eine eigene ältere Veröffentlichung anknüpft (DRiZ 1969, 244 ff), sind sämtliche Gegenstimmen vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 1999 (aaO) veröffentlicht worden. Der Rechtsmittelführer wird durch diese Rechtsprechung nicht übermäßig hart getroffen. Für den Fall, daß er ohne Verschulden gehindert ist die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten, ist ihm dagegen auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 233
ZPO). Im Streitfall ist weder ein solcher Antrag gestellt noch sind die Voraus- setzungen für eine schuldlose Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist dargetan.
2. Soweit die Rechtsbeschwerde die Auffassung vertritt, der Bundesgerichtshof habe in der Vergangenheit Ausnahmen von dem Grundsatz zugelassen , daß "nachzuholende Prozeßhandlung" nur die Rechtsmittelbegründung sein kann, mag dies zutreffen (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 4. Dezember 1964 - Ib ZR 151/63, NJW 1965, 585; Beschl. v. 7. Juni 1999 aaO). Die Rechtsbeschwerde rügt aber insoweit nur die Anwendung des Gesetzes in einem Einzelfall. Sie zeigt auch nicht auf, welche bisher noch nicht bedachten Besonderheiten gerade im Streitfall eine weitere Ausnahme rechtfertigen könnten.
Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 1999 (aaO) hat sich das Oberlandesgericht im einzelnen auseinandergesetzt. Danach konnte im Streitfall - anders als dort - die unter Umständen irreführende Verfügung des Senatsvorsitzenden im Blick auf die bereits abgelaufene zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO den Beklagten nicht mehr davon abhalten, das Rechtsmittel rechtzeitig zu begründen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 4. Dezember 1964 (aaO) betrifft - wie in den Entscheidungsgründen aus- drücklich hervorgehoben wird - Besonderheiten einer beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegten Revision, die hier ersichtlich nicht vorliegen.
Kreft Kirchhof Raebel
Kayser Bergmann

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(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.