Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2023 - IX ZB 24/22

published on 09/11/2023 16:11
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2023 - IX ZB 24/22
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
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Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Corona-Sonderzahlung gemäß § 63 a NBesG nicht als unpfändbare Erschwerniszulage betrachtet wird, selbst wenn ein Insolvenzverfahren vorliegt. Dieses Urteil stützt sich darauf, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Sonderzahlung nicht auf besondere Belastungen durch die Pandemie am Arbeitsplatz abzielen. Stattdessen berücksichtigt die Regelung das allgemeine und gesamtgesellschaftliche Ausmaß der COVID-19-Pandemie nicht in Bezug auf spezifische berufliche Belastungen.

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

BESCHLUSS

 

1. Besteht aufgrund einer abstrakt-generellen Regelung ein Anspruch auf eine Sonderzahlung, stellt dies nur dann eine Erschwerniszulage dar, wenn der Kreis der anspruchsberechtigten Personen in hinreichend bestimmter Weise von dem Kreis derer abgegrenzt ist, bei denen die tatsächlichen Verhältnisse, welche die Leistung veranlasst haben, zu keiner Erschwernis der Arbeitsleistung führen.

2. Eine gesetzliche Regelung, die allen zumindest an einem Tag in einem bestimmten Zeitraum beschäftigten Besoldungsempfängern eines Landes einen Anspruch auf eine Corona-Sonderzahlung einräumt, stellt keine Erschwerniszulage dar.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 10. Mai 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.300 € festgesetzt.

Gründe
I.

Auf den Eigenantrag des Schuldners eröffnete das Insolvenzgericht am 24. Mai 2018 das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen. Der Schuldner beantragte die Restschuldbefreiung und trat seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder auf an deren Stelle tretende laufende Bezüge für den Zeitraum von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an einen von dem Gericht zu bestimmenden Treuhänder ab. Das Insolvenzgericht hob das Insolvenzverfahren am 13. Mai 2019 auf und bestimmte den weiteren Beteiligten zum Treuhänder. Der Schuldner steht als beamteter Lehrer im Dienst des Landes Niedersachsen. Im März 2022 gewährte ihm sein Dienstherr eine einmalige Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.300 €.

Der Schuldner hat beantragt, den Pfändungsfreibetrag um die Corona-Sonderzahlung zu erhöhen. Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht den Pfändungsfreibetrag einmalig um 1.300 € erhöht. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Beteiligte die Wiederherstellung der Entscheidung des Insolvenzgerichts.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in NZI 2022, 751 veröffentlicht ist, hat gemeint, die Sonderzahlung nach § 63a des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes (NBesG) genieße nach § 850a Nr. 3 ZPO Pfändungsschutz. Anders als bei Sonderzahlungen auf arbeitsvertraglicher Grundlage brauche der Schuldner seine individuelle coronabedingte Erschwernis bei Ausübung seiner Tätigkeit nicht darzulegen. Denn der Landesgesetzgeber habe mit § 63a NBesG, wonach die Sonderzahlung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die COVID-19-Pandemie im Jahr 2021 gewährt werde, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass diese dem Ausgleich besonderer pandemiebedingter Belastungen der Bezügeempfänger diene. Damit habe er den Charakter als Erschwerniszulage gesetzlich festgeschrieben. Auf eine besondere gesundheitliche Gefährdung im Einzelfall komme es nicht an.

2. Diese Beurteilung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Corona-Sonderzahlung des Landes Niedersachsen ist nicht als Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO anzusehen.

a) Nach § 287 Abs. 2 InsO in der hier gemäß Art. 103k Abs. 1 EGInsO maßgeblichen Fassung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) hat der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abzutreten. Der Pfändungsschutz für die abgetretenen Forderungen bestimmt sich nach § 292 Abs. 1 Satz 3, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO. Danach gelten die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850l, 851c, 851d, 899 bis 904, 905 Satz 1 und 3 sowie § 906 Abs. 2 bis 4 ZPO entsprechend.

b) Gemäß § 63a Satz 1 NBesG wird allen Besoldungsempfängerinnen und Besoldungsempfängern im Geltungsbereich des Gesetzes eine einmalige Sonderzahlung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Covid-19-Pandemie im Jahr 2021 gewährt. Die Sonderzahlung erhält, wer am 29. November 2021 in einem Dienstverhältnis des Landes Niedersachsen stand und mindestens an einem Tag zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 29. November 2021 einen Anspruch auf Bezüge hatte (§ 63a Satz 3 NBesG). Die Höhe der Sonderzahlung beträgt für alle Besoldungsgruppen 1.300 € (§ 63a Satz 2 Nr. 1 NBesG).

c) Bei der Corona-Sonderzahlung nach § 63a NBesG handelt es sich gemäß § 850 Abs. 2 Fall 1, Abs. 4 ZPO um Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 Abs. 1 ZPO, das nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO gepfändet werden kann. Nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind unter anderem Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.

d) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts handelt es sich bei der Corona-Sonderzahlung nach § 63a NBesG jedoch nicht um eine Erschwerniszulage. Die darin festgelegten Voraussetzungen für die Sonderzahlung genügen nicht den Anforderungen, die an eine Erschwerniszulage im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO zu stellen sind.

aa) Eine Erschwernis nach § 850a Nr. 3 ZPO setzt eine besondere Belastung bei der oder durch die Erbringung der Arbeitsleistung voraus. Es muss sich also um eine tatsächlich gegebene Erschwernis handeln. Diese muss weder berufsspezifisch noch dauerhaft mit der Erbringung der Arbeitsleistung verbunden sein. Der Begriff der Erschwerniszulage spricht als solcher für ein weites, nicht auf die der Ausübung der Arbeit an sich innewohnenden Belastungen begrenztes Verständnis. Es reicht vielmehr, wenn die Tätigkeit im Einzelfall nur vorübergehend mit Erschwernissen verbunden ist (vgl. BAG, BAGE 160, 57 Rn. 23; ZIP 2023, 205 Rn. 21).

In Anknüpfung daran hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 25. August 2022 (BAG, ZIP 2023, 205) entschieden, dass eine vom Arbeitgeber freiwillig gezahlte Corona-Prämie im Einzelfall als Erschwerniszulage gemäß § 850a Nr. 3 ZPO zu behandeln sein kann. Dies sei der Fall, wenn der Zweck der Leistung in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liege (vgl. BAG, aaO Rn. 20 ff). Die für den Pflegebereich getroffene spezialgesetzliche Regelung des § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI schließe dabei die Anwendbarkeit des § 850a Nr. 3 ZPO auf Prämien, die der Arbeitgeber freiwillig an seine Beschäftigten zahle, nicht aus (BAG, aaO Rn. 22 ff). Umgekehrt lasse sich aus dem Umstand, dass aufgrund der Corona-Krise erbrachte Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 € steuer- und sozialversicherungsfrei seien, kein Schluss auf ihre generelle Unpfändbarkeit ziehen (vgl. BAG, aaO Rn. 26 f). Zur Ermittlung des üblichen Rahmens im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO könne aber auf die in § 3 Nr. 11a EStG enthaltene Wertung zurückgegriffen werden (BAG, aaO Rn. 28).

bb) Zu beurteilen ist im Streitfall die Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung, die einem ganzen Personenkreis aufgrund einer abstrakt-generellen Regelung gewährt worden ist. Insoweit ergeben sich aus § 850a Nr. 3 ZPO bestimmte Anforderungen an die Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Regelung, wenn die Sonderzahlung die Voraussetzungen einer Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO erfüllen soll. Diese Voraussetzungen liegen im Fall von § 63a NBesG nicht vor.

(1) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, der Landesgesetzgeber habe die Behandlung der Corona-Sonderzahlung als Erschwerniszulage gesetzlich festgeschrieben. Nachdem der Bundesgesetzgeber mit der Zivilprozessordnung und namentlich mit § 850a Nr. 3 ZPO von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) erschöpfend Gebrauch gemacht hat, ist - entgegen dem Beschwerdegericht - allein sein Verständnis von den an die Einordnung von Teilen des Arbeitseinkommens als Erschwerniszulage zu stellenden Anforderungen maßgeblich. Eine die - durch den Bund bereits abschließend normierte - Materie auch nur ergänzende oder unter neuen Gesichtspunkten regelnde Landesgesetzgebung wäre von vornherein unstatthaft (Sperrwirkung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 138, 261 Rn. 43 ff mwN).

(2) Für die somit ausschließlich zu beachtenden Vorstellungen des Gesetzgebers der Zivilprozessordnung von dem Begriff der Erschwerniszulage ist kennzeichnend, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen vom 7. Dezember 1951 zunächst von einer Ausdehnung der Unpfändbarkeit auf die Erschwerniszulage mit der Begründung absah, dass es zu schwierig sei, Erschwerniszulagen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend vom Lohn abzugrenzen (vgl. BT-Drucks. 1/2917, S. 4). Die Erschwerniszulage fand erst aufgrund des Änderungsvorschlags des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 18. März 1952 Eingang in § 850a Nr. 3 ZPO (vgl. BT-Drucks. 1/3209, S. 3).

(a) Sinn und Zweck des § 850a Nr. 3 ZPO ist die Besserstellung belastender Tätigkeiten (vgl. BAG, BAGE 160, 57 Rn. 38). Dem Schuldner soll ein ökonomischer Anreiz zu ihrer Ausübung verbleiben (vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 14. Aufl., § 850a Rn. 1; Meller-Hannich, NZI 2022, 702, 703). Allein die besondere Belastung rechtfertigt ein Zurücktreten der berechtigten Befriedigungsinteressen der Gläubiger hinter die schützenswerten Interessen des Schuldners. Ist eine spezielle Arbeitssituation bereits durch den vereinbarten höheren Lohn abgegolten, kommt eine Unpfändbarkeit von Teilen dieses Lohns nach § 850a Nr. 3 ZPO nicht in Betracht (vgl. MünchKomm-ZPO/Smid, 6. Aufl., § 850a Rn. 14; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850a Rn. 24). Erschwerniszulagen sind demgemäß von solchen Zahlungen abzugrenzen, die Bestandteil des allgemeinen Lohnes sind.

(b) Für den Pfändungsschutz bedeutet dies, dass die tatsächlichen Verhältnisse, welche die Zulage veranlassen, konkret bezeichnet sein müssen, um eine Abgrenzung zum sonstigen Lohn zu ermöglichen. Erst damit lässt sich beurteilen, ob eine den Pfändungsschutz rechtfertigende Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO gegeben ist. Auf die gewählte Bezeichnung als Zulage oder die Verwendung des Begriffs Erschwernis oder eines sinngleichen Begriffs kann dabei nicht entscheidend abgestellt werden; der Begriff der Erschwernis in § 850a Nr. 3 ZPO ist vielmehr autonom und losgelöst von einer beispielsweise tarifvertraglichen Einordnung zu verstehen (vgl. BAG, NJW 2017, 3675 Rn. 28; Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 14).

Vor diesem Hintergrund ist zur Abgrenzung der Erschwerniszulage von allgemeinen Lohnbestandteilen bei einer landesrechtlichen, abstrakt-generellen Regelung ein Kriterium erforderlich, das eine ausreichende Verknüpfung zwischen der besonderen Belastung und der konkreten Arbeitstätigkeit für die vorgesehenen Empfänger der Sonderzahlung enthält. Insofern muss der Kreis der anspruchsberechtigten Personen in hinreichend bestimmter Weise von dem Kreis derer abgegrenzt sein, bei denen die tatsächlichen Verhältnisse, welche die Leistung veranlasst haben, von vornherein zu keiner Erschwernis der Arbeitsleistung führen. Eine Regelung, die einem Personenkreis unterschiedslos und unabhängig von der Verschiedenheit der Arbeitsverhältnisse und Arbeitsausübung einen Anspruch auf eine Zulage einräumt, obwohl die tatsächlichen Verhältnisse, welche die Zulage begründen, von vornherein nur bei einzelnen Arbeitsverhältnissen und dort nur nach Art der konkreten Tätigkeit tatsächlich Erschwernisse der Arbeitsausübung auslösen können, begründet keine Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO. Denn eine Zulage, auf welche unabhängig von einer tatsächlichen Erschwernis der Arbeitsleistung ein Anspruch besteht, stellt sich nur als allgemeiner Lohnbestandteil dar und kann den Zweck einer Kompensation einer Erschwernis der Arbeitsleistung nicht erreichen. Sieht eine abstrakt-generelle Regelung für alle Beschäftigten eine Sonderzahlung vor, handelt es sich daher allenfalls dann um eine Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO, wenn nach Art der von der abstrakt-generellen Regelung erfassten Arbeitstätigkeiten die den Anlass der Sonderzahlung bietenden tatsächlichen Verhältnisse bei allen Beschäftigten zu einer über das übliche und bereits vergütete Maß der Tätigkeit hinausgehenden besonderen Belastung führen.

(3) Gemessen daran genügt die in § 63a NBesG geregelte Corona-Sonderzahlung den Anforderungen an eine Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO nicht. Die in § 63a Satz 3 NBesG gewählten Kriterien für die Sonderzahlung sind als vom Lohn abgrenzende Erschwerniskriterien im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO ungeeignet. Auf die Frage, ob der niedersächsische Landesgesetzgeber mit § 63a NBesG überhaupt (auch) den Ausgleich coronabedingter Erschwernisse gerade bei der Verrichtung des Dienstes, mithin im engeren Sinne einer Erschwerniszulage gemäß § 850a Nr. 3 ZPO, bezweckt hat und ob der Schuldner im Referenzzeitraum tatsächlich solchen Erschwernissen ausgesetzt gewesen ist, kommt es daher nicht an.

(a) § 63a Satz 3 NBesG verlangt für den Erhalt der Sonderzahlung lediglich das Bestehen eines Dienstverhältnisses zum Stichtag und einen Anspruch auf Dienstbezüge an mindestens einem Tag im Referenzzeitraum. Die Vorschrift gewährt damit pauschal und unabhängig von der Art oder dem Umfang einer konkret-individuellen Belastung allen Empfängern von Bezügen eine Sonderzahlung. Derjenige, der an einem Tag im Referenzzeitraum einen Vergütungsanspruch hat, erhält eine Prämie ebenso wie derjenige, der einen Vergütungsanspruch während des ganzen Referenzzeitraums hat. Derjenige, der seinen Dienst ohne zusätzliche coronabedingte Erschwernisse verrichtet hat, erhält eine Sonderzahlung ebenso wie derjenige, der in seinem Dienst - etwa aufgrund häufigen Kontakts mit Dritten - coronabedingt Risiken und Erschwernissen ausgesetzt war. § 63a NBesG umfasst erkennbar auch alle Fälle, bei denen ausgeschlossen ist, dass der Empfänger nach den tatsächlichen Verhältnissen besonderen Belastungen bei der Verrichtung des Dienstes ausgesetzt gewesen ist. Allen Empfängern der Sonderzahlung ist folglich nur diejenige Belastung gemeinsam, der in Zeiten der Covid-19-Pandemie die gesamte Bevölkerung ausgesetzt gewesen ist. Die allgemeinen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie haben jedoch keinen Bezug zum Dienst und seiner Verrichtung (so auch LAG Berlin-Brandenburg, ZVI 2022, 277, 282; LG Lübeck, NZI 2022, 699 Rn. 20; Ahrens, NZA, 2022, 152, 153 f; ders., ZVI 2023, 106, 110; kritisch auch Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Aufl., § 850a Rn. 5b) und sind deshalb als Erschwerniskriterium im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO untauglich.

(b) Da nicht alle in Betracht kommenden Besoldungsempfänger des Landes gleichermaßen besonderen coronabedingten Belastungen bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt waren, könnte § 63a NBesG den Anforderungen an eine Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO nur dann genügen, wenn der engere Kreis der besonders belasteten Besoldungsempfänger in hinreichender Weise von dem weiteren Kreis derjenigen Besoldungsempfänger abgegrenzt wäre, die nicht besonders belastet waren. Eine solche Abgrenzung hat der niedersächsische Landesgesetzgeber nicht vorgenommen. § 63a NBesG fehlt es schon im Ausgangspunkt an dienstbezogenen Kriterien, die den belasteten Personenkreis von dem unbelasteten Personenkreis abgrenzen. Allein die Bezugnahme auf den Dienst an mindestens einem Tag in einem bestimmten Zeitraum und das von dem Landesgesetzgeber gemäß § 63a Satz 1 NBesG erklärtermaßen verfolgte Bestreben, eine pandemiebedingte zusätzliche Belastung abzumildern, reichen nicht aus, um den Charakter einer Erschwerniszulage gemäß § 850a Nr. 3 ZPO zu begründen (aA Meller-Hannich, NZI 2022, 702, 703; wohl auch LG Hannover, NZI 2022, 867 Rn. 12 f).

cc) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 2022 (BAG, ZIP 2023, 205 ff) ist mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Soweit das Bundesarbeitsgericht die von einem Arbeitgeber gezahlte Corona-Unterstützung als Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO eingeordnet hat, betraf dies eine Corona-Prämie, die auf der Grundlage einer Individualzusage freiwillig von einem Arbeitgeber an eine bestimmte Beschäftigte zum Zweck der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei ihrer Arbeitsleistung gezahlt worden ist (BAG, aaO Rn. 20 ff, 30 f).

III.

Der angefochtene Beschluss erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die getroffenen Feststellungen lassen keinen Schluss auf die Unpfändbarkeit der Sonderzahlung nach § 63a NBesG aus anderen Gründen zu. Ob dem Schuldner indes ein Teil seiner Besoldung nach § 850f Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zu belassen ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Hierzu sind weitere Feststellungen erforderlich.

1. Die Sonderzahlung ist nicht nach § 850a Nr. 2 Fall 2 ZPO unpfändbar. Danach sind Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses unpfändbar, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Unter den Begriff der Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses fallen Sonderleistungen, die der Arbeitgeber nicht regelmäßig, sondern aus einem bestimmten, besonderen Anlass, zum Beispiel einem Betriebsjubiläum oder einem ganz außergewöhnlichen Erfolg des Betriebes gewährt (BAG, ZVI 2008, 525 Rn. 30). Ein besonderer Anlass kann auch das Überwinden eines negativen Betriebsereignisses sein (LAG Berlin-Brandenburg, ZVI 2022, 277, 281). Bei der Sonderzahlung anlässlich der Covid-19-Pandemie, welche die Bevölkerung weltweit und alle Arbeits- und Dienststätten betroffen hat, handelt es sich nicht um ein singulär auf die Dienststätte des Schuldners bezogenes Ereignis (vgl. BAG, ZIP 2023, 205 Rn. 16; LAG Berlin-Brandenburg, aaO).

2. Die Sonderzahlung unterfällt nicht als Treuegeld im Sinne des § 850a Nr. 2 Fall 3 ZPO einem Pfändungsschutz. Treuegelder sind die einem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aus Anlass langjähriger Betriebszugehörigkeit gewährten Zuwendungen, insbesondere Zahlungen anlässlich eines Jubiläums (BAG, ZVI 2008, 525 Rn. 23). Die dem Schuldner gewährte Sonderzahlung steht in keinem Zusammenhang zu der Dauer seines Dienstes als Landesbeamter.

3. Die Corona-Sonderzahlung nach § 63a NBesG ist keine Aufwandsentschädigung im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO. Der Pfändungsschutz für Aufwandsentschädigungen hat seinen Grund darin, dass die Aufwandsentschädigung in Wirklichkeit kein Entgelt für eine Arbeitsleistung darstellt, sondern den Ersatz für tatsächlich entstandene Auslagen, für die der Empfänger der Vergütung bereits seine Gegenleistung aus seinem Vermögen erbracht hat oder noch erbringen muss. Der Schuldner soll davor geschützt werden, dass ihm der Gegenwert für seine tatsächlichen Aufwendungen durch die Pfändung noch einmal entzogen und dass ihm damit letztlich die Fortführung seiner Tätigkeit unmöglich gemacht wird, weil er die dafür erforderlichen Auslagen nicht mehr aufbringen kann. Die Aufwandsentschädigungen werden mithin für Aufwendungen gezahlt, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit notwendig werden und die nicht mit dem eigentlichen Entgelt für die Tätigkeit bereits abgegolten sind (BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - IX ZB 40/16, ZIP 2017, 976 Rn. 10 mwN). Mit der gewährten Corona-Sonderzahlung bezweckt der Dienstherr nicht den Ausgleich tatsächlich entstandener Auslagen der Besoldungsempfänger, sondern - bereits nach dem Wortlaut des § 63a NBesG - die Abmilderung zusätzlicher pandemiebedingter Belastungen.

4. Entsprechend der Erschwerniszulage steht auch der Bewertung als Gefahrenzulage nach § 850a Nr. 3 ZPO der Umstand entgegen, dass § 63a NBesG die pauschale Zahlung an alle Besoldungsempfänger vorsieht, ohne abgrenzende Kriterien zu formulieren, welche die besondere Gefahrensituation bestimmen.

5. Nach den getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht abschließend beurteilen, ob dem Schuldner pandemiebedingt ein Teil seiner Besoldung nach § 850f Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zu belassen ist. Danach ist dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und § 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens ein Teil zu belassen, wenn besondere Bedürfnisse des Schuldners aus beruflichen Gründen dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen. Die Vorschrift greift nur ein, wenn der Schuldner wegen seiner Mehraufwendungen keine Aufwandsentschädigung im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO bezieht (Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 850f Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Smid, 6. Aufl., § 850f Rn. 6). Coronabedingte Mehraufwendungen können zum Beispiel die Anschaffung von Schutzmasken oder Desinfektionsmitteln sein, soweit sie erforderlich waren und nicht vom Dienstherrn gestellt wurden, aber auch erforderliche Mehraufwendungen etwa aufgrund gesundheitlicher Beschwerden und Beeinträchtigungen.

IV.

Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache wird, weil nicht zur Endentscheidung reif, zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Schoppmeyer

Röhl

Selbmann

Harms

Weinland

Author’s comment

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Pfändbarkeit der Corona-Sonderzahlung gemäß § 63 a NBesG ist von großer Bedeutung und wirft wichtige rechtliche Fragen auf. Der BGH hat klargestellt, dass diese Sonderzahlung nicht als unpfändbare Erschwerniszulage anzusehen ist, selbst wenn ein Insolvenzverfahren vorliegt. Die Begründung des Gerichts basiert auf dem Fehlen von gesetzlichen Anforderungen an die Arbeitnehmer, um den Anspruch auf diese Zahlung geltend zu machen, die auf besondere pandemiebedingte Belastungen bei der Dienstausübung hinweisen. Die Entscheidung betont, dass die Regelung das allgemeine und gesamtgesellschaftliche Ausmaß der COVID-19-Pandemie nicht in Bezug auf spezifische berufliche Belastungen berücksichtigt. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung der Pfändbarkeit solcher Sonderzahlungen und wird sicherlich in zukünftigen Rechtsstreitigkeiten und Diskussionen eine Rolle spielen.

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