Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2008 - IV ZB 5/08

published on 02/07/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2008 - IV ZB 5/08
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Amtsgericht Neuss, 75 C 6927/05, 31/07/2007
Landgericht Düsseldorf, 20 S 215/07, 04/01/2008

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 5/08
vom
2. Juli 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Geschäftsraumeigenschaft im Sinne der Zustellungsvorschriften der
§§ 178 Abs. 1 Nr. 2, 180 ZPO nach Inhaftierung des Geschäftsführers einer
GmbH.
BGH, Beschluss vom 2. Juli 2008 - IV ZB 5/08 - LG Düsseldorf
AG Neuss
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch
am 2. Juli 2008

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Januar 2008 wird auf Kosten der Beklagten verworfen.
Streitwert: 825,14 €

Gründe:


1
I. Die erstinstanzlich anwaltlich nicht vertretene beklagte GmbH ist vom Amtsgericht zur Zahlung von 825,14 € verurteilt worden. Gegen das ausweislich der Zustellungsurkunde am 6. August 2007 durch Einlegung in den zu ihrem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellten Urteil hat ihr danach beauftragter Prozessbevollmächtigter am 30. November 2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung der zugleich wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat sie darauf verwiesen, dass ihr Geschäftsführer vom 14. Juni bis 26. November 2007 in Untersuchungshaft gewesen sei und sie deswegen nicht für eine regelmäßige Leerung des Briefkastens habe sorgen können.
2
Landgericht Das hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Beklagte sei als ein am Wirtschaftsleben beteiligtes Unternehmen gehalten gewesen, für die Leerung des Briefkastens Vorsorge zu treffen, zumal sie mit einer Entscheidung des Gerichts habe rechnen müssen. Sie habe nicht einmal ansatzweise dargelegt, welche Anstrengungen sie diesbezüglich unternommen habe.
3
Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
4
II. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung unter Divergenzgesichtspunkten eine Entscheidung des Beschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
5
1. Die Beschwerde misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob die Inhaftierung des Geschäftsführers einer GmbH dazu führt, dass deren Räumlichkeiten die Eigenschaft als Geschäftsräume im Sinne der Zustellungsvorschriften der §§ 178 Abs. 1 Nr. 2, 180 ZPO verlieren entsprechend den für die Inhaftierung eines Wohnungsinhabers und seine Wohnung von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen.
6
a) Grundsatzbedeutung hat eine Rechtssache indes nur, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291 und ständig). Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde mit ihrer Fragestellung nicht darlegen können. Insoweit fehlt es bereits an den notwendigen Ausführungen, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist (vgl. BGH aaO).
7
b) Der von ihr allein in Bezug genommene Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1998 (7 W 6/98 - OLGR Düsseldorf 1998, 273 f. = juris Tz. 5) gibt dafür nichts her. Er befasst sich insbesondere nicht damit, inwieweit die Anerkennung einer Räumlichkeit als Geschäftslokal einer GmbH voraussetzt, dass - wie die Beschwerde annehmen möchte - ihr Geschäftsführer dort auch (stets) erreichbar sein muss. Vielmehr ist darin lediglich in Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung ausgeführt, dass ein besonderes Geschäftslokal vorhanden ist, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und damit die GmbH dort erreichbar ist (OLG Düsseldorf aaO; vgl. ferner nur BGH, Urteil vom 19. März 1998 - VII ZR 172/97 - VersR 1999, 381 f.; MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl. § 178 Rdn. 21; Zöller/Stöber, 26. Aufl. § 178 Rdn. 15, jeweils m.w.N.). Welcher Einfluss allein der zwischenzeitigen Inhaftierung eines Geschäftsführers auf die bis dahin von seiner Gesellschaft benutzten Geschäftsräume als Geschäftslokal im Sinne der Zustellungsvorschriften zukommen kann, wird vom Oberlandesgericht Düsseldorf und auch sonst - soweit ersichtlich - nicht behandelt. Diese Fragestellung dürfte auch ei- ner näheren abstrakt-generellen Beantwortung kaum zugänglich sein. Sie betrifft eine weitgehend vom Tatrichter anhand der Einzelfallumstände vorzunehmende Abklärung nach den vorgenannten in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht umstrittenen Voraussetzungen für ein Geschäftslokal.
8
Die von der Beschwerde herangezogenen Grundsätze zur Aufhebung der Wohnungseigenschaft, wenn der Wohnungsinhaber in Untersuchungshaft genommen wird (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Häublein aaO Rdn. 8 m.N.), betreffen eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Der Verlust der Wohnungseigenschaft ist Folge einer Verlagerung des räumlichen Lebensmittelpunktes an einen anderen Ort (so bereits BGH, Urteil vom 24. November 1977 - II ZR 1/76 - NJW 1978, 1858 f. und ständig; vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein aaO Rdn. 6 ff. m.w.N.), die mit dem Haftantritt - je nach Dauer - verbunden sein kann. Die Inhaftierung eines Geschäftsführers allein kann indes eine Verlagerung des Geschäftsortes seiner Gesellschaft nicht bewirken.
9
Dass hier die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit in den von ihr bis zur Verhaftung ihres Geschäftsführers genutzten Räumen vollständig eingestellt oder sie gar an einen anderen Ort verlagert haben könnte, um sie nach dessen Entlassung an alter Stelle wieder aufzunehmen, wird zudem nicht einmal von ihr selbst behauptet; dafür besteht auch sonst kein Anhalt.
10
Mit der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage ist mithin ein Zulassungsgrund insgesamt nicht dargetan.
11
2. Die Annahme des BG, die Beklagte habe für eine Leerung des Briefkastens Vorsorge treffen müssen, begründet keine Divergenzzulassung.
12
Vorkehrungen zu Fristwahrungen werden grundsätzlich auch verlangt , wenn die Abwesenheit nicht vorhersehbar war. Das gilt zumal für juristische Personen, die als Unternehmen - etwa bei Unglücksfällen oder gefährlichen Erkrankungen vertretungsberechtigter Personen - grundsätzlich Sorge tragen müssen, dass Posteingänge weiter bearbeitet werden, anderenfalls ihnen ein grobes Organisationsverschulden anzulasten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1986 - VII ZB 11/86 - VersR 1987, 561; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl. § 233 Rdn. 37).
13
von Der der Beschwerde herangezogenen Rechtsprechung, die Erkrankungen von Prozessparteien betrifft, lässt sich - worauf bereits die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist - ein Rechtssatz nicht entnehmen , dass bei unvorhersehbarer Abwesenheit keine entsprechenden Vorkehrungen verlangt werden können. Allenfalls in Ausnahmefällen ist bei nicht aus eigener Kraft behebbaren Erschwernissen im Verkehr mit der Außenwelt unverschuldete Behinderung denkbar (vgl. MünchKommZPO /Gehrlein aaO Rdn. 39). Dass die Beklagte durch die Inhaftierung ihres Geschäftsführers bei äußerster, nach Lage der Dinge zuzumutender Sorgfalt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 1976 - VIII ZB 34/76 - VersR 1977, 257 f.) außerstande gewesen sein sollte, fristwahrende Vorkehrungen zu treffen, hat der Tatrichter indes in nicht zu beanstandender Weise verneint.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
AG Neuss, Entscheidung vom 31.07.2007 - 75 C 6927/05 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.01.2008 - 20 S 215/07 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden1.in der Wohnung einem erwachsenen Familienang
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published on 22/10/2009 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 248/08 vom 22. Oktober 2009 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 180 Bei bereits aufgegebenen Geschäftsräumen kann eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten
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Annotations

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1.
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner,
2.
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person,
3.
in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1.
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner,
2.
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person,
3.
in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.