Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gegenstandswert: 357.200 €
Gründe:
- 1
- 1. Die Beklagte hat durch ihren (früheren) Prozessbevollmächtigten gegen das diesem am 21. Januar 2010 zugestellte erstinstanzliche Urteil fristgerecht am 3. Februar 2010 Berufung eingelegt. Am 20. April 2010 hat sich der Vorsitzende des Berufungsgerichts telefonisch bei der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach dem Verbleib der Berufungsbegründung erkundigt. Bei Gericht eingehend per Telefax am 22. April 2010 hat der Prozessbevollmächtigte die Berufung begründet und zugleich beantragt, der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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- Berufungsgericht Das hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 28. Mai 2010 zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten.
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- Die 2. Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft; sie ist aber nicht zulässig, weil die Rechtssache weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht gegen das Rechtsstaatsgebot oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Auch weitere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich, vielmehr ist der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung lediglich aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles zu versagen.
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- a) Die Beklagte macht geltend, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, soweit das Berufungsgericht ihrem früheren Prozessbevollmächtigten vorhalte, er habe hier aus Anlass einer verspäteten Aktenvorlage die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch seines Büros persönlich kontrollieren müssen. Bisher habe es der Bundesgerichtshof demgegenüber genügen lassen, wenn sich ein Rechtsanwalt allein aufgrund der in seiner Handakte befindlichen Vermerke von der ordnungsgemäßen Fristennotierung überzeuge (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533 m.w.N.; 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - VersR 2007, 520 Rn. 6).
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- Darauf b) kommt es hier aber nicht an, weil die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag anderweitig nicht ausreichend begründet hat. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei, dass ein - ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - persönliches Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der am Montag, dem 22. März 2010 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist ausscheidet.
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- Losgelöst von der Frage einer ordnungsgemäßen Fristnotierung im Fristenkalender und der Wahrung der Vorfrist war die Handakte dem Rechtsanwalt jedenfalls mit Blick auf den aus der Handakte ersichtlichen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und gemessen an der vorgetragenen Büroanweisung im Ergebnis pünktlich zwei Wochenenden vor Fristablauf zur Bearbeitung vorgelegt worden. Ist es dem Rechtsanwalt auch grundsätzlich gestattet, die Fristenkontrolle seinem Büropersonal zu überantworten, so setzt die persönliche Verantwortung des Rechtsanwalts für die Fristwahrung jedenfalls dann wieder ein, wenn ihm die Handakten zeitnah zum Fristablauf zur Erledigung der fristgebundenen Prozesshandlung wieder vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - VersR 2003, 1460 unter 2 m.w.N.; 22. September 1971 - V ZB 7/71 - NJW 1971, 269 unter 1 und 3). Insoweit ist dem früheren Prozessbevollmächtigten der Beklagten der Vorwurf zu machen, dass er die Akten hier nochmals aus der Hand gab und infolgedessen offenbar binnen sehr kurzer Zeit aus dem Blick verlor, anstatt lediglich die für die Weiterbearbeitung erforderliche Parallelakte hinzu zu ziehen und die bereits begonnene Bearbeitung der Berufungsbegründung fortzusetzen. Die Anweisung, die Akten "zur Hauptfrist" wieder vorzulegen, war geeignet, die Büromitarbeiter zu irritieren, denn nach der behaupteten internen Büroanweisung war die Handakte gemessen an der notierten Vorfrist bereits eine Woche zu spät vorgelegt worden (darin unterscheidet sich der Fall vom Beschluss des VI. Zivilsenats des BGH vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1252) und auch der Zeitpunkt für eine Vorlage zur Hauptfrist (Freitag, der 12. März 2010) bereits überschritten. Vor diesem Hintergrund konnte diese Fristverfügung den Anschein erwecken, als stehe dieser Termin noch aus, so dass die Akte nochmals "auf Frist" gelegt werden könne. Der Rechtsanwalt hätte hier deshalb zumindest eine sofortige oder exakt datierte Wiedervorlage verlangen müssen.
Felsch Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 14.01.2010 - 19 O 200/08 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 28.05.2010 - 12 U 15/10 -
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.