Bundesgerichtshof Beschluss, 5. Apr. 2017 - IV AR (VZ) 2/16

ECLI:bgh
bei uns veröffentlicht am06.09.2021

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
Zusammenfassung des Autors

Der Bundesgerichtshof (IV AR(VZ)2/16) bekräftigte im vorliegenden Beschluss die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom Jahr 2014 und stellte fest, dass geschwärzte Urteile grundsätzlich jedem und ohne jedwede Anspruchsvoraussetzungen zustehen. Dies liegt vor allem daran, dass – etwa im Kontrast zur Akteneinsicht – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der einzelnen Betroffenen nicht berührt werde, denn die persönlichen Daten müssen vor der Herausgabe stets geschwärzt werden. Ein Anspruch auf Herausgabe anonymisierter Urteile besteht auch dann, wenn diese noch keine Rechtskraft erlangt haben.

Schon im Jahr 2015 hat das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 857/15) das Auskunftsrecht der Presse gestärkt und legte den Gerichten die Pflicht auf, Urteile in anonymisierter Form an die Presse herauszugeben – und dies auch vor Eintritt ihrer Rechtskraft. Eine solche Rechtspflicht zur Publikation von Urteilen folge schon aus der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Prinzip der Gewaltenteilung. Kommt die Justiz dem nicht nach, so verletzt sie die Presse in ihrem Grundrecht aus Art. 5 I 2 GG. 
 
Schließlich war der Bundesgerichtshof an der Reihe. Er schloss sich dieser Rechtsprechung an und bestätigte damit, dass Gerichte zivilrechtliche Entscheidungen in anonymisierter Form an die Öffentlichkeit herauszugeben haben. Vielmehr ging er sogar noch weiter und erklärte, dass ein solcher Anspruch auf Herausgabe einer anonymisierten Kopie letztlich an keinerlei Anspruchsvoraussetzungen gebunden sei.

Anwälte verlangen die Herausgabe der Kopie eines Beschlusses

Vorliegend begehrten einige Anwälte die Herausgabe der Kopie eines Hinweisbeschlusses durch das Landgericht Frankfurt. Ein solcher Beschluss erging in einem Verfahren wegen fehlerhafter Anlageberatung. Vielmehr hatte er zur Folge, dass die unterlegene Bank der ersten Instanz ihre Berufung zurückzog. Am Verfahren unbeteiligte Anwälte verlangten deshalb Akteneinsicht sowie die Herausgabe einer Kopie des Beschlusses, denn sie vertraten in vergleichbaren Fällen einige Mandanten. 
Während die Akteneinsicht ihnen verwehrt blieb, erhielten sie eine anonymisierte Urteilsabschrift.

Geschwärzte Urteile sollen jedem zugänglich sein – ohne jeglichen Anspruchsvoraussetzungen

Schlussendlich ist die Herausgabe einer anonymisierten Kopie eines Urteils nahezu unvergleichbar mit der Akteneinsicht, so der BGH. Die Akteneinsicht hätte nämlich immer einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der einzelnen Beteiligten zur Folge. Dies sei bei der Herausgabe einer anonymisierten Urteilskopie aber nicht der Fall, da die persönlichen Daten der Betroffenen stets geschwärzt werden.
Aus diesem Umstand folgerte der BGH schlussendlich, dass schlicht keine Anspruchsvoraussetzungen eines interessierten Bürgers erforderlich sind, um eine geschwärzte Kopie des Urteils zu erhalten:
 
„Der Bürger und alle anderen Interessierten haben einen Anspruch darauf, gerichtliche Entscheidungen in anonymisierter Form zu erhalten, damit sie sich mit der Rechtsprechung auseinandersetzen können. Der Versuch der Bank, dies zu verhindern, ist zu Recht gescheitert.“
 
Wie schon angesprochen bestätigt der Bundesgerichtshof hiermit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zum Thema Transparenz und betont, dass die genannten Leitsätze auch dann Geltung finden, wenn die einzelnen Entscheidung noch keine Rechtskraft erhalten haben. Auch solche sind von der Justiz – ohne jedwede Erfordernisse – herauszugeben. In der vorherigen Zeit hatten die Gerichte von den Journalisten immer „die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses an der Entscheidung“ abverlangt, § 299 II ZPO. Ein rein redaktionelles Interesse sollte hierfür nicht genügen. Der BGH stellte in diesem Beschluss nun klar, dass der § 299 ZPO nun nicht mehr anzuwenden sei.
 
 

Der Bundesgerichtshof (IV AR(VZ)2/16) hat am 5. April 2017 folgendes beschlossen:
 
I. Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main, mit dem dieser den weiteren Beteiligten die Erteilung einer anonymisierten Abschrift des in einem Zivilprozess ergangenen Beschlusses bewilligt hat. 
 
Die Antragstellerin ist eine Bank. Sie war unterlegene Beklagte eines beim Landgericht und Oberlandesgericht Frankfurt am Main anhängigen Zivilprozesses, der einen Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Anlageberatung zum Gegenstand hatte. Nachdem das Berufungsgericht im dortigen Verfahren am 30. Januar 2013 einen Beschluss er- lassen und darin auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen hatte, nahm die Antragstellerin ihre Berufung zurück. 
 
Mit Schreiben vom 13. März 2015 beantragten die weiteren Beteiligten , bei denen es sich um Rechtsanwälte handelt, beim Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main die Gewährung von Einsicht in die Akten jenes Verfahrens, hilfsweise die Übersendung einer Kopie der dort ergangenen "Entscheidung". Sie führten eine Reihe von Verfahren , denen jeweils eine vergleichbare Fallgestaltung zugrunde läge. 
 
Die Antragstellerin widersetzte sich der Bewilligung von Akteneinsicht wie auch der Übersendung einer Abschrift des Hinweisbeschlusses des Berufungsgerichts. Ein rechtliches Interesse an der begehrten Akteneinsicht hätten die weiteren Beteiligten nicht dargetan; der Akteneinsicht und der Übersendung einer - auch anonymisierten - Entscheidungsabschrift stünden zudem überwiegende Geheimhaltungsinteressen der Antragstellerin entgegen. 
 
Mit Bescheid vom 2. Juni 2015 bewilligte der Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main den weiteren Beteiligten die Übersendung der hilfsweise begehrten anonymisierten Kopie des Beschlusses vom 30. Januar  2013.
 
Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das Oberlandesgericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. An die Erteilung der anonymisierten Abschrift einer gerichtlichen Entscheidung an einen Dritten seien geringere Anforderungen zu stellen als an die Gewährung der in ihren Wirkungen weitergehenden Akteneinsicht. Die Gerichte dürften und müssten veröffentlichungswürdige Entscheidungen unter Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen der Prozessparteien in anonymisierter Form der Öffentlichkeit ohne weiteres zur Verfügung stellen. Stehe die Überlassung unveröffentlichter Entscheidungen an einzelne interessierte Personen in Frage, lege eine derartige Einzelanfrage zugleich die Prüfung nahe, ob nicht ohnehin eine Veröffentlichung geboten sei. Einem Gesuch von Rechtsanwälten, die in einer ähnlichen Sache mandatiert seien, sei regelmäßig zu entsprechen, soweit nicht ausnahmsweise schutzwürdige Interessen entgegenstünden. Derartige Interessen der Parteien des Ausgangsverfahrens habe der Präsident des Landgerichts ermessensfehlerfrei verneint. Ohne Belang sei, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Entscheidung um einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO handele. Dass der Beschluss nicht in öffentlicher Sitzung verkündet werde, ändere daran nichts. 
 
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf vollständige Zurückweisung des Antrags der weiteren Beteiligten weiter. 
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere aufgrund der - für das Rechtsbeschwerdegericht nach § 29 Abs. 2 Satz 2 EGGVG bindenden - Zulassung gemäß § 29 Abs. 1 EGGVG statthaft, jedoch unbegründet. 
 
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 2015 verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. 
 
1. In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO unterliegt. 
 
a) Die Frage, welche rechtlichen Anforderungen für die Überlassung anonymisierter Entscheidungsabschriften an Dritte gelten, wird unterschiedlich beurteilt. 
 
Eine Ansicht sieht die Erteilung von Abschriften gerichtlicher Entscheidungen an Dritte als Unterfall der Akteneinsicht an (OLG Karlsruhe NStZ 1994, 50; Kissel/Mayer, GVG 8. Aufl. § 12 Rn. 119; jeweils m.w.N.) und hält daher die Bestimmung über die Akteneinsicht in § 299 Abs. 2 ZPO bzw. vergleichbare Regelungen der übrigen Verfahrensordnungen für unmittelbar anwendbar (BPatG GRUR 1992, 55; 1984, 342, 343; OLG München, Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 Ws 79/16, juris Rn. 14; OLGZ 1984, 477, 478; OLG Saarbrücken OLGR 2003, 54; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO4. Aufl. § 299 Rn. 38; BeckOK-ZPO/Bacher, § 299 Rn. 53 [Stand: 1. Dezember 2016]; Haertlein, ZZP 114 [2001], 441, 443). Einer anderen Auffassung zufolge ist über den Antrag nur in entsprechender Anwendung von § 299 Abs. 2 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden; eine Herausgabe soll dabei jedenfalls dann zulässig und im Regelfall auch geboten sein, wenn der Dritte ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht (Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 299 Rn. 59; ähnlich Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,  ZPO 75. Aufl. § 299 Rn. 25 - Ablichtung, Abschrift). Dagegen versteht eine weitere Ansicht den Antrag auf Überlassung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift als eine Auskunftsbitte eigener Art, der ohne Anwendung der Vorschriften über die Akteneinsicht und außerhalb eines förmlichen Akteneinsichtsverfahrens entsprochen werden kann (vgl. 
BPatG GRUR 1992, 53; GRUR 1992, 54; GRUR 1992, 434; OLG Celle NJW 1990, 2570; OLG Düsseldorf JurBüro 1970, 548; gegen die Anwendbarkeit von § 299 Abs. 2 ZPO auch Tiedemann, NVwZ 1997, 1187). 
 
b) Die letztgenannte Ansicht trifft zu. 
 
aa) Die Überlassung anonymisierter Entscheidungsabschriften ist keine Gewährung von Akteneinsicht und mit ihr auch nicht vergleichbar, so dass § 299 Abs. 2 ZPO weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung findet. Zwischen der in § 299 Abs. 2 ZPO geregelten Akteneinsicht und der Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften besteht ein sachlicher Unterschied. Gerichtsakten enthalten personenbezogene Daten der Parteien und anderer Beteiligter. Die Akteneinsicht ermöglicht es, von diesen Daten anhand des gesamten Sach- und Streitstandes eines Verfahrens unter Einschluss aller Unterlagen umfassende Kenntnis zu erlangen. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt daher einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung derjenigen dar, deren personenbezogene Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden (BVerfG NJW 2007, 1052). Daraus folgt eine Pflicht der Akteneinsicht gewährenden Stelle, die schutzwürdigen Interessen dieser Personen gegen das Informationsinteresse abzuwägen und den Zugang zu den Daten gegebenenfalls angemessen zu beschränken (BVerfG aaO). § 299 Abs. 2 ZPO erlaubt deswegen die Gestattung der Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien nur, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. 
Dagegen ist eine anonymisierte Entscheidungsabschrift kein Aktenbestandteil , sondern nur ein Auszug, bei dem essentielle Teile der Entscheidung, nämlich die Namen der Beteiligten und ggf. weitere individualisierende Merkmale fehlen (vgl. BPatG GRUR 1992, 53; zustimmend Schmieder, MittPat. 1991, 207, 210). Dritte erhalten auf diesem Wege keinen umfassenden Einblick in die geschützten privaten oder geschäftlichen Unterlagen der Parteien. Der Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ist dagegen - wie das Verfahren generell (§§ 169, 173 GVG) - öffentlich. Gerichtsentscheidungen unterliegen nicht der Geheimhaltung, soweit nicht ausnahmsweise unabweisbare höhere Interessen die Unterrichtung der Allgemeinheit oder einer einzelnen Person verbieten. Ein Verfahrensbeteiligter kann daher grundsätzlich nicht ausschließen, dass die ihn betreffende Entscheidung auch veröffentlicht wird (vgl. BPatG, GRUR 1992, 53, 54), auch wenn die Prozessparteien der Öffentlichkeit oder einzelnen Dritten trotz Anonymisierung bekannt sein mögen. 
 
bb) Die Weitergabe anonymisierter Entscheidungsabschriften an Dritte ist daher kein Fall der Akteneinsicht, sondern Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte, Entscheidungen zu veröffentlichen (vgl. BPatG GRUR 1992, 54; Lames, Rechtsfortbildung als Prozesszweck, 1993, S. 45). Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht , dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt grundsätzlich eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen (BVerfG NJW 2015, 3708 Rn. 16, 20; BVerwGE 104, 105, 108 f.; ausführlich Walker, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen, 1998 S. 132 ff.). Der Bürger muss zumal in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist dies nicht möglich (BVerwGE 104, 105, 109). Zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich zu machen und zur Kennt- nis zu geben, bedarf es bei dieser Verfassungslage keiner speziellen gesetzlichen Regelung (BVerwG aaO). Diese Publikationspflicht hat ihre Grundlage daneben auch in dem leitenden Grundsatz des Prozessrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (§§ 169, 173 GVG), geht aber über diesen hinaus (BVerwG aaO 110). Die Befugnis zur Weitergabe von Urteilen und Beschlüssen beschränkt sich daher nicht auf Entscheidungen, die nach Ansicht des betreffenden Gerichts veröffentlichungswürdig sind, zumal entsprechende Anfragen aus der Öffentlichkeit regelmäßig ein öffentliches Interesse belegen (vgl. BVerwG aaO 111). 
 
cc) Zu Unrecht wendet die Beschwerde daher ein, die Veröffentlichung - und daher auch die Weitergabe an Dritte - eines nicht prozessbeendenden , nicht der Rechtskraft fähigen und nicht öffentlich verkündeten Hinweisbeschlusses nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO komme nicht in Betracht, weil ihm von vornherein keine präjudizielle Wirkung für andere Verfahren beizumessen sei. Vielmehr kann auch ein Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Orientierungshilfe und Maßstab für den Rechtsuchenden in einem Parallelfall sein. Zudem dient die Möglichkeit, eine Berufung abweichend vom Grundsatz der mündlichen Verhandlung im Beschlusswege nach Hinweiserteilung zurückzuweisen, der Verfahrensbeschleunigung und der sinnvollen Einteilung richterlicher Arbeitskraft (vgl. BT-Drucks. 14/3750 S. 68), nicht aber der Geheimhaltung oder dem Persönlichkeitsschutz der Parteien. Die Frage, ob eine Entscheidung der Rechtskraft fähig ist, ist dabei für ihre Veröffentlichungswürdigkeit von untergeordneter Bedeutung. Es ist - wie die Beschwerde einräumt - auch anerkannt, dass die Veröffentlichungspflicht nicht auf rechtskräftige Entscheidungen beschränkt ist (BVerfG NJW 2015, 3708 Rn. 20; OLG München OLGZ 1984, 477, 483; Putzke/Zenthöfer, NJW 2015, 1777, 1778; Albrecht, CR 1998, 373, 375). 
 
dd) Soweit ausnahmsweise überwiegende Rechte der Parteien durch die Weitergabe einer Abschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können, kann dem im Einzelfall durch die Schwärzung von Urteilspassagen , die über die übliche Anonymisierung hinausgeht, oder im äußersten Fall durch einen Ausschluss der Weitergabe von Abschriften - und dann auch der sonstigen Veröffentlichung - Rechnung getragen werden. Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass die Mitteilung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift in Ausnahmefällen verweigert werden kann. Dabei können begründete Bedenken gegen die Weitergabe von Abschriften aber noch nicht allein daraus abgeleitet werden, dass trotz Schwärzung von Namen und Bezeichnungen der mit dem Fall Vertraute feststellen kann, um welche Parteien und welchen Sachverhalt - hier: um welchen Fall der Anlageberatung - es sich handelt. Dies lässt sich wegen der grundsätzlichen Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens nicht ausschließen. Erforderlich wären vielmehr unabweisbare höhere Interessen, die eine Abweichung vom Grundsatz der Öffentlichkeit gebieten. Es obliegt den betroffenen Parteien, solche Interessen im Ausgangsverfahren vorsorglich im Hinblick auf eine künftige Veröffentlichung der Entscheidung oder die Erteilung von anonymisierten Abschriften an Dritte geltend zu machen und um Rechtsschutz im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG nachzusuchen. 
 
2. War der Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main hiernach grundsätzlich berechtigt, dem hilfsweise gestellten Antrag der weiteren Beteiligten stattzugeben, ohne dass dies weitergehenden rechtlichen Anforderungen unterlag, wäre die Mitteilung einer anonymisierten Entscheidung nur ausnahmsweise unzulässig gewesen, wenn die Antragstellerin trotz Anonymisierung in überwiegenden rechtlich geschützten Interessen erheblich verletzt worden wäre. Eine solche Rechtsverletzung ist in diesem Fall nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerde nicht geltend gemacht. Das Oberlandesgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die dort vorgetragenen allgemeinen Einwände zur Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, des Bankgeheimnisses und von Geschäftsgeheimnissen keine konkrete Beeinträchtigung der Antragstellerin in schützenswerten Rechtspositionen erkennen lassen. 
 

Kommentar des Autors

So wie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2014 (1 BvR 857/15) ein Meilenstein für die Transparenz der Justiz war, ist dieser Beschluss des Bundesgerichtshof ein weiterer, indem er die grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bekräftigt und geschwärzte Urteile jedermann zugänglich macht.
 
Jeder genießt nun das Recht, von den einzelnen Gerichten die Herausgabe anonymisierter Entscheidungen zu verlangen – eine Begründung oder irgendwelche Anspruchsvoraussetzungen sind hierbei nicht offenzulegen. Das ist auch richtig so. Schließlich hat jeder das Recht darauf, zu erfahren, welche Urteile vor Gericht gefällt werden und mit welcher Begründung dies geschieht. So hat der Bundesgerichtshof in klaren Worten zum Ausdruck gebracht, dass es sich um ein Informationszugangsrecht handelt, geschwärzte Urteile zu erhalten. 
Diese Erwägungen des höchstrichterlichen Gerichtes sollen insbesondere generelle Geltung beanspruchen. Das heißt, auch in Strafsachen soll ein solcher Anspruch bestehen. Besonders in Zeiten der Transparenz ist dies auch notwendig. 

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Bundesgerichtshof Beschluss, 5. Apr. 2017 - IV AR (VZ) 2/16 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 169


(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihre

Zivilprozessordnung - ZPO | § 299 Akteneinsicht; Abschriften


(1) Die Parteien können die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. (2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsich

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 173


(1) Die Verkündung des Urteils sowie der Endentscheidung in Ehesachen und Familienstreitsachen erfolgt in jedem Falle öffentlich. (2) Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann unter den Voraussetzungen der §§ 171b und 172 auch für die Ver

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Oberlandesgericht München Beschluss, 27. Jan. 2016 - 2 Ws 79/16

bei uns veröffentlicht am 27.01.2016

Gründe Oberlandesgericht München Az.: 2 Ws 79/16 Beschluss 27.01.2016 2. Strafsenat 12 Ws GStA 78/16 Generalstaatsanwaltschaft München, 25 Ns 111 Js 126317/13 Landgericht München I, 111 Js 126317/13 Staatsanwaltscha

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Parteien können die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.

(2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.

(3) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, gewährt die Geschäftsstelle Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akte wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Eine Entscheidung über einen Antrag nach Satz 3 ist nicht anfechtbar.

(4) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die zu ihrer Vorbereitung gelieferten Arbeiten sowie die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.

Gründe

Oberlandesgericht München

Az.: 2 Ws 79/16

Beschluss

27.01.2016

2. Strafsenat

12 Ws GStA 78/16 Generalstaatsanwaltschaft München, 25 Ns 111 Js 126317/13 Landgericht München I, 111 Js 126317/13 Staatsanwaltschaft München I

Leitsatz

In dem Strafverfahren

...

Gegen

M. J. St., geboren am ... in ... Staatsangehörigkeit: ... wohnhaft: ...

wegen Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

hier: Beschwerde von Rechtsanwalt M. P. ,

gegen die Zurückweisung des Antrags auf Übersendung einer anonymisierten Urteilsabschrift

erlässt das Oberlandesgericht München - 2. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 27.01.2016 folgenden

Beschluss

Die Beschwerde von Rechtsanwalt M. P. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 02.10.2015, Az. 25 Ns 111 Js 126317/13, wird kostenfällig als unbegründet verworfen.

Gründe:

I. Der Angeklagte M. St. wurde mit Urteil des Amtsgerichts München vom 03.10.2014, Az. 844 Cs 111 Js 126317/13, wegen Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen verurteilt. Dem lag eine Veröffentlichung im Jahr 2013 zugrunde, in der der Angeklagte den Islam mit einem Krebsgeschwür verglichen haben soll. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft München I Berufung eingelegt. Das Verfahren ist derzeit bei der 25. Strafkammer des Landgerichts München I anhängig. Die Berufungsverhandlung wurde noch nicht durchgeführt, das Urteil des Amtsgerichts München ist nicht rechtskräftig.

Mit Schriftsätzen vom 12.06.2015 und vom 03.07.2015 beantragte Rechtsanwalt M. P. die Übersendung des anonymisierten Urteils mit der Begründung, er vertrete einen Mandanten, der in anderem Zusammenhang ebenfalls als „Krebsgeschwür“ bezeichnet und so verunglimpft worden sei. Insoweit bestehe berechtigtes Interesse an der Kenntnisnahme der rechtlichen Würdigung durch das Landgericht. Dieser Antrag wurde zunächst der Staatsanwaltschaft München I vorgelegt und von dort mit Verfügungen vom 01.07.2015 und 15.07.2015 unter Hinweis auf die mangelnde Rechtskraft des Urteils und die daraus folgende Unzuständigkeit der Staatsanwaltschaft abgelehnt und der zuständigen Berufungskammer des Landgerichts München I zur Entscheidung vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 13.08.2015 beantragte Rechtsanwalt P. daraufhin gerichtliche Entscheidung gem. § 478 Abs. 3 StPO analog gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft München I und führte zur Begründung aus, es bestehe immer dann eine Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung, wenn ein öffentliches Interesse an dieser Entscheidung nicht völlig ausgeschlossen sei. Dies gelte auch schon vor Rechtskraft des Urteils. Angesichts des Tatvorwurfs bestehe hier ein offensichtlicher öffentlicher Anspruch auf Publikation, hinter dem die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten ersichtlich zurücktreten müssten.

Mit Beschluss des Landgerichts München I vom 02.10.2015 wurde der Antrag zurückgewiesen. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, ein berechtigtes Interesse an der Übersendung einer Abschrift des nicht rechtskräftigen Urteils sei nicht ausreichend dargetan. Die Wahrnehmung eines Mandats mit dem vorgebrachten Inhalt sei nicht ausreichend, insbesondere sei nicht dargetan, dass es ebenfalls um den Tatvorwurf des § 166 StGB gehe.

Gegen diese Entscheidung legte Rechtsanwalt P. mit Schriftsatz vom 20.10.2015 Beschwerde ein.

Entgegen der Auffassung des Gerichts liege ein Fall des § 475 Abs. 1 StPO nicht vor, weswegen die Prüfung des berechtigten Interesses für die begehrte Urteilsüberlassung rechtsfehlerhaft sei. Zwar stellten auch Urteile Aktenbestandteile dar, aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung seien sie aber Akten sui generis, deren Veröffentlichung gerade nicht am Maßstab des berechtigten Interesses i. S. des § 475 Abs. 1 StPO zu messen sei. I.Ü. bestehe aber auch ein berechtigtes Interesse, da der Beschwerdeführer einen Unterlassungsrechtsstreit gegen den ehemaligen Vorsitzenden des..., Herrn Dr. Z., führe, in dem es auch um die Bezeichnung als „Krebsgeschwür“ gehe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 20.10.2015 Bezug genommen.

Das Landgericht München I hat der Beschwerde mit Verfügung vom 08.01.2016 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 12.01.2016 zur Nichtabhilfeentscheidung Stellung genommen und sein Beschwerdevorbringen ergänzt. Auf den Inhalt des Schriftsatzes wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Aktenvorlage beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 02.10.2015 ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers handelt es sich vorliegend nicht um einen Fall der Veröffentlichungspflicht einer Entscheidung nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG. In den insoweit maßgeblichen Entscheidungen (BVerwG vom 26.02.1997, Az. 6 C 3/96, BVerwGE 104 ff.; BVerwG vom 01.10.2014, Az. 6 C 35/13, juris; BVerfG vom 14.09.2015, Az. 1 BvR 857/15, juris), in denen jeweils eine Veröffentlichungspflicht (freilich jeweils erst nach pflichtgemäßer Ermessenabwägung der in Anspruch genommenen Gerichte) bejaht wurde, handelte es sich jeweils um presserechtliche Auskunftsansprüche. Insoweit wurde in den genannten Entscheidungen auch das Grundrecht der Pressefreiheit gegen die Interessen des Betroffenen (hier also des Angeklagten) abgewogen und im Grundsatz zugunsten der Pressefreiheit entschieden. Bei der Abwägung haben BVerwG und BVerfG darauf verwiesen, dass unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot grundsätzlich eine Rechtspflicht der Justiz zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen, u. U. auch schon vor Rechtskraft des betroffenen Urteils, folge (vgl. BVerfG vom 14.09.2015, a. a. O.). Veröffentlichungswürdig seien nach der vorzitierten Rechtsprechung des BVerwG alle Entscheidungen, an denen die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann, um eine öffentliche Meinungsbildung über bestimmte Gesetze und deren Anwendung durch die Gerichte zu ermöglichen und auf diese Weise eine effektive Kontrolle der Dritten Gewalt im Rahmen der Gewaltenteilung und ggf. die Fortentwicklung oder Änderung des Rechts durch öffentliche Diskussion zu erreichen.

So liegt der Fall hier aber nicht. Weder ist der Beschwerdeführer Medienvertreter, noch begehrt er die Veröffentlichung einer Entscheidung. Vielmehr fordert er die Überlassung eines nicht rechtskräftigen strafrichterlichen Urteils, um daraus für ein von ihm betriebenes Zivilverfahren, das zu dem Strafurteil in keinerlei Zusammenhang steht, Erkenntnisse zu ziehen. Schon durch diese Begründung macht der Beschwerdeführer mithin deutlich, dass es ihm gerade nicht um Information der Öffentlichkeit im Sinne der vorgenannten Entscheidungen geht, sondern dass ausschließlich seine Partikularinteressen betroffen sind.

Zur Überzeugung des Senats sind jedoch auf einen solchen Fall die von BVerwG und BVerfG in den genannten Entscheidungen aufgestellten Grundsätze des weitgehend voraussetzungslosen Anspruchs auf Veröffentlichung eines Urteils gerade nicht anwendbar. Denn nicht die möglichst breite öffentliche Information ist Ziel des Beschwerdebegehrens, sondern die individuelle Information ausschließlich des Beschwerdeführers, die jedoch von einem etwaigen Veröffentlichungsanspruch ausdrücklich nicht geschützt wird.

Diese Überzeugung wird gerade im hier vorliegenden Fall, in dem es um die Überlassung eines nicht rechtskräftigen Strafurteils geht, aus Sicht des Senats noch von einer weiteren Überlegung gestützt: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 14.09.2015 (a.a.O.) darauf verwiesen, dass die Frage des Umgangs mit dem überlassenen nicht rechtskräftigen Urteil durch die Medien grundsätzlich in deren eigener Verantwortung liege, und dass insoweit gesteigerte Sorgfaltspflichten bestehen könnten, die sich aus medienrechtlichen Grundsätzen ergeben, wie den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung oder der Pflicht zur Zurückhaltung bei Berichten, die die Resozialisierung von Straftätern beeinträchtigen.

Insoweit hat das BVerfG also klargestellt, dass die Überlassung von nicht rechtskräftigen Strafurteilen an Medienvertreter auch deshalb möglich ist, und eine Ermessensausübung daher regelmäßig zugunsten des Informationsanspruchs ausfallen kann, weil die Medien besondere Sorgfalt im Umgang mit den so erhaltenen Informationen walten lassen müssen. Diese Pflichten treffen freilich Privatleute nicht in gleicher Weise. Abgesehen von den für alle geltenden hohen Hürden des Strafrechts unterliegt der private Anspruchsteller keinen besonderen Beschränkungen bei der Verarbeitung und Weitergabe der erhaltenen Informationen. Namentlich in Fällen, in denen - wie hier - der Angeklagte dem Anspruchsteller namentlich bekannt ist, und in denen mithin auch eine Anonymisierung keine hinlängliche Datenschutzfunktion entfalten kann, ergeben sich daher gegenüber den höchstrichterlich entschiedenen Fallkonstellationen wesentliche Unterschiede, die aus Sicht des Senats die vorgenannten Entscheidungen des BVErfG und des BVerwG auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar machen.

2. Mithin ist die vom Beschwerdeführer begehrte Urteilsüberlassung auch aus Sicht des Senats am Maßstab des § 475 Abs. 1 StPO zu messen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass auch Urteile Aktenbestandteile sind und somit den Akteneinsichtsregelungen der §§ 474 ff. StPO unterliegen, soweit es nicht um den bereits unter Ziffer 1 verneinten Veröffentlichungsanspruch geht. Somit kommt eine Urteilsüberlassung vorliegend nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse daran geltend machen kann. Ein solches besteht vorliegend jedoch nicht.

Der Beschwerdeführer bringt insoweit vor, er benötige die amtsgerichtliche Entscheidung, da er in einem anderen Verfahren die Q. F. A. vertrete, die einen Unterlassungsanspruch gegen den ehemaligen Vorsitzenden , Dr. Z., geltend mache, weil dieser im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2022 geäußert habe, Katar sei ein „Krebsgeschwür des Weltfußballs“. Schon aus diesem Vorbringen wird deutlich, dass ein berechtigtes Interesse an der nicht rechtskräftigen Entscheidung des Amtsgerichts München in einem strafrechtlichen Verfahren nicht bestehen kann. Denn weder geht es um einen Rechtsstreit zwischen ganz oder teilweise identischen Parteien, noch handelt es sich bei dem vom Beschwerdeführer angeführten Verfahren um einen (zivilrechtlichen) Ausfluss aus dem strafrechtlichen Verfahren, wie es etwa bejaht werden könnte, wenn die vom Beschwerdeführer vertretene Mandantin gegen den Angeklagten zivilrechtliche Schadenersatz- oder Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der erstinstanzlich abgeurteilten Straftat geltend machen würde.

Liegt somit schon ersichtlich kein persönlicher oder sachlicher Zusammenhang vor, ist im vorliegenden Fall aber sogar jede Vergleichbarkeit der Sachverhalte zu verneinen. Denn in dem vom Beschwerdeführer angeführten und von ihm vertretenen Fall geht es um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen der Bezeichnung eines Sportverbandes als „Krebsgeschwür“, mithin also um eine Beleidigung. Dem amtsgerichtlichen Urteil lag hingegen die Bezeichnung einer Religion als „Krebsgeschwür“ zugrunde, was nach Auffassung des Amtsgerichts den Tatbestand des § 166 StGB erfüllt. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 166 StGB sind jedoch von denen des § 185 StGB verschieden, insbesondere setzt § 166 StGB als Tathandlung ein „Beschimpfen“ voraus, während § 185 StGB bei Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung eines Anderen erfüllt ist. Mithin können aus der Beurteilung einer Äußerung als Beschimpfen im Sinne des § 166 StGB zur Überzeugung des Senats keine tragfähigen juristischen Argumente für einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen einer (behaupteten) Beleidigung abgeleitet werden, namentlich dann, wenn sowohl die Äußerungsformen als auch die von der Äußerung Betroffenen und die Situationen, in denen die Äußerung jeweils fiel, in den betreffenden Fallkonstellationen vollkommen verschieden sind und das einzige einende Element zwischen beiden Fällen die Bezeichnung „Krebsgeschwür“ ist.

Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Entscheidung, deren Überlassung beantragt wurde, um ein nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts handelt, dessen Bewertung (selbst wenn sie, wie hier nicht, auf den Sachverhalt auch nur theoretisch anwendbar wäre) für das im Fall des Beschwerdeführers angerufene Gericht keinerlei Bindungswirkung hätte.

Nach alledem liegt ein berechtigtes Interesse des Beschwerdeführers an der Überlassung der verfahrensgegenständlichen Entscheidung nicht vor.

Die Beschwerde erwies sich daher als unbegründet.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 473 Abs. 1 StPO.

(1) Die Parteien können die Prozessakten einsehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.

(2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.

(3) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, gewährt die Geschäftsstelle Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akte wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Eine Entscheidung über einen Antrag nach Satz 3 ist nicht anfechtbar.

(4) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die zu ihrer Vorbereitung gelieferten Arbeiten sowie die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.

(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig. Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Satz 2 entsprechend.

(2) Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise untersagt werden. Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden. Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einem Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen durch das Gericht zu löschen.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden.

(4) Die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen 1 bis 3 sind unanfechtbar.

(1) Die Verkündung des Urteils sowie der Endentscheidung in Ehesachen und Familienstreitsachen erfolgt in jedem Falle öffentlich.

(2) Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann unter den Voraussetzungen der §§ 171b und 172 auch für die Verkündung der Entscheidungsgründe oder eines Teiles davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

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(2) Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann unter den Voraussetzungen der §§ 171b und 172 auch für die Verkündung der Entscheidungsgründe oder eines Teiles davon die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.