Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2012 - 5 StR 505/11

published on 07/02/2012 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2012 - 5 StR 505/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 505/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Februar 2012 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil
des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2011 nach § 349
Abs. 4 StPO
a. im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die tateinheitliche
Verurteilung wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung (Fall II.2 a der Urteilsgründe)
entfällt,
b. im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das vorgenannte
Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung
der Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben
ist.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden
nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels des Angeklagten B. , an eine andere
Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten K.
Kosten und Auslagen des Rechtsmittels aufzuerlegen; er
hat jedoch die notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu
tragen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat die beiden Angeklagten sowie die Mitangeklagten
S. und H. , deren Revisionen der Senat durch Beschluss vom 11. Januar
2012 als unbegründet verworfen hat (§ 349 Abs. 2 StPO), und einen
Nichtrevidenten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen schuldig
gesprochen, den Angeklagten K. in einem Fall (II.2 a der Urteilsgründe)
in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Zusätzlich
hat es den Angeklagten B. wegen Diebstahls (Fall II.1 der Urteilsgründe
) sowie den Angeklagten K. wegen vorsätzlicher Körperverletzung,
Betruges und Diebstahls schuldig gesprochen. Den Angeklagten B. hat
es deswegen unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und zwei Monaten und den Angeklagten K.
zu einer einheitlichen Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revisionen
der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel
Erfolg.
2 1. Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen tateinheitlicher
versuchter schwerer räuberischer Erpressung zum Nachteil des D.
hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3 Soweit das Landgericht es für erwiesen erachtet hat, dass K.
von dem Nebenkläger D. jeweils zu Beginn und am Ende des gemeinschaftlichen
körperlichen Angriffs auf ihn – letztlich erfolglos – dessen
Handy herausverlangt hat, ist die dieser Feststellung zugrundeliegende Beweiswürdigung
lückenhaft. Die Jugendkammer folgt hier den Bekundungen
des Nebenklägers D. , die sie insoweit – anders als die Angaben
der beiden Nebenkläger und ihrer Begleiter zum Randgeschehen – für uneingeschränkt
glaubhaft hält. Sie stützt diese Bewertung darauf, dass der
Nebenkläger D. in diesem Zusammenhang „plastisch“ eigene Gefühle
und Empfindungen geschildert habe („…, dass er die erste Aufforderung
zur Herausgabe seines Handys durch die Gruppe der Angreifer zunächst
nicht ernst genommen und deshalb gelacht habe“, UA S. 29). Bei der
Beurteilung dieser Schilderungen als Realkennzeichen berücksichtigt die
Jugendkammer indes nicht, dass D. bei seinen Bekundungen zum
Randgeschehen die Fähigkeit zur Anreicherung seiner Aussage mit Einzelheiten
gezeigt hat, die nach der – nachvollziehbaren – Beurteilung des Land-
gerichts für eine vorsätzliche Lüge sprechen („…er habe die Gelegenheit
des Zugwechsels genutzt, um Müll in einen Abfalleimer zu werfen. Ke. habe
ihm ‚Komm!‘ zugerufen und ihm die Zugtür aufgehalten“, UA S. 25). Dies
hätte die Jugendkammer bei der Bewertung der Qualität der Bekundungen
des Nebenklägers hinsichtlich der angeblichen Forderung des Angeklagten
K. nach seinem Handy insbesondere deshalb berücksichtigen müssen,
weil sein von dem Geschehen unmittelbar mitbetroffener Begleiter, der Zeuge
Ke. G. , eine solche Forderung entsprechend der Wiedergabe
seiner Zeugenaussage im angefochtenen Urteil (UA S. 29) nicht bekundet
hat. Angesichts der Herausgehobenheit dieser Forderung aus dem Gesamt-
geschehen gleichsam als „Eröffnung“ des Angriffs, wäre dies jedoch grund-
sätzlich zu erwarten gewesen, zumal der Zeuge G. hinsichtlich des
Randgeschehens in der Hauptverhandlung zugunsten der Nebenkläger ausgesagt
und versucht hat, deren provozierendes Vorverhalten zu verschleiern.
4 Im Rahmen der Beweiswürdigung zieht die Jugendkammer zwar die
Bekundungen der unbeteiligten Zeugen S. und F. heran, wonach
die Geschädigten ihnen unmittelbar nach dem Tatgeschehen gesagt hätten,
„die Gruppe sei überfallen worden und ein Handy sowie eine Geldbörse seien
entwendet worden“ (UA S. 29).Sie sieht indes nicht, dass diese Bekundungen
diejenigen des Nebenklägers nicht ohne weiteres zu stützen vermö-
gen, denn auch nach seinen Angaben wurde das Handy letztlich gerade
nicht entwendet.
5 Der Senat schließt aus, dass weitere Feststellungen getroffen werden
können, die eine versuchte schwere räuberische Erpressung des Angeklagten
K. zum Nachteil des Nebenklägers D. belegen, und ändert
daher den Schuldspruch entsprechend ab. Das neue Tatgericht hat daher
lediglich über die Höhe der – angesichts rechtsfehlerfrei festgestellter
schädlicher Neigungen des Angeklagten sowie der Schwere der Schuld ohne
Zweifel auch ohne das entfallende Verbrechen gerechtfertigten – Jugendstrafe
zu entscheiden.
6 Angesichts der weitgehenden Bestätigung des Schuldspruchs kann
der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG und
§ 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits
jetzt treffen.
7 2. Hinsichtlich des Angeklagten B. hat die Nachprüfung des angefochtenen
Urteils aufgrund der Sachrüge zum Schuld- und Strafausspruch
keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
8 Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt jedoch darin, dass das Landgericht
– ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen – die Anordnung einer
Maßregel nach § 64 StGB abgelehnt hat. Nach den Feststellungen besteht
bei dem Angeklagten eine Kokainabhängigkeit, wobei „er sich zwischenzeitlich
selbständig bemüht hat, durch entsprechende Therapien (u.a. im Haus
Colligon) eine Heilung seiner Suchterkrankung zu erzielen“ (UA S. 38). Kurz
nach Beginn der Behandlung in dieser Einrichtung wurde der Angeklagte im
vorliegenden Verfahren vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem in
Haft. Das erbeutete Geld aus dem als Diebstahl (§ 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 StGB) abgeurteilten Automatenaufbruch (Fall II.1 der Urteilsgründe
) hat der Angeklagte zum Kauf von Kokain verwendet. Angesichts
dessen ist die Würdigung der Jugendkammer, auch diese Straftat gehe nicht
auf einen Hang des Angeklagten zurück, nicht nachvollziehbar.
9 Der Teilaufhebung steht nicht entgegen, dass § 64 StGB durch das
Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, 1327) von
einer Muss- in eine Sollvorschrift umgestaltet worden ist. Das Tatgericht
muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung
für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (vgl. BGH, Beschluss
vom 13. November 2007 – 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73 f.).
10 Der Senat kann ausschließen, dass die Freiheitsstrafe bei Anordnung
einer Maßregel milder ausgefallen wäre. Demnach wird das neue Tatgericht
unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nur noch die Maßregelfrage zu
prüfen haben.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.