Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2011 - 5 StR 397/11
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht – Jugendkammer – hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in zwei Fällen sowie wegen je zweier Fälle des vollendeten und versuchten Diebstahls – jeweils in Tateinheit mit Amtsanmaßung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit einer Beweisantragsrüge Erfolg.
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- 1. Gegenstand der Verurteilung waren je zwei erfolgreiche und zwei erfolglose Trickdiebstähle am 11. und 12. April 2010, mit denen sich die Täter nach amtsanmaßend durchgeführten Verkehrskontrollen in den Besitz hochwertiger Kraftfahrzeuge brachten bzw. bringen wollten. Zentrales Beweismittel zu Lasten des Angeklagten K. war die Zeugenaussage seines schwerkriminellen Jugendfreundes Ka. , dem K. von diesen Taten berichtet hatte. Gleiches gilt hinsichtlich der Verurteilungen wegen mittäterschaftlich begangener Raubüberfälle vom 12. April 2010 auf Mitarbeiter einer Postbankfiliale und vom 29. April 2010 auf einen Juwelier. Der auf dem Überwachungsfilm des Juweliergeschäfts identifizierte und wegen Raubes bereits rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilte Ka. hatte neben dem später geständigen S. den Angeklagten K. als weiteren Mittäter benannt. Hinsichtlich des Banküberfalls hatte Ka. bekundet, K. habe sich ihm gegenüber der Begehung dieser letztlich erfolglosen Tat berühmt.
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- Ka. hatte im Laufe der Hauptverhandlung seine ursprüngliche Zeugenaussage hinsichtlich der Mitwirkung des K. bei dem Überfall auf den Juwelier widerrufen.
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- Eine Stütze der belastenden Aussage des Ka. hat das Landgericht darin gefunden, dass K. am 14. April 2010 den am 9./10. Februar 2010 gestohlenen Pkw Peugeot 307 fuhr, in dem einen Tag später Indizgegenstände gefunden worden waren, die zur Begehung des Postbanküberfalls und der Trickdiebstähle naheliegend verwendet worden waren und weitere Gegenstände, die aus der Postbankfiliale stammten. Ferner hatte eine Postmitarbeiterin den Angeklagten K. als mittäglichen auffälligen Kunden der Postbank fast sicher wiedererkannt (UA S. 29).
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- Zu dem Täterfahrzeug hatte Ka. bekundet, I. und K. hätten ihm erzählt (UA S. 32), dass I. die Schlüssel entwendet und an K. weitergegeben hätte. Ferner hätte K. ihm gesagt, dass er den Peugeot für den Postbanküberfall und die Trickdiebstähle benutzt hätte (UA S. 33).
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- 2. Angesichts dieser, fast ausschließlich auf die – zum Teil sogar widerrufenen – Aussagen des Ka. gestützten Beweisführung hätte das Landgericht einen gegen die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Ka. gerichteten Antrag nicht – wie geschehen – ohne inhaltliche Begründung als bedeutungslos zurückweisen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1990 – 1 StR 13/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit
11).
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- a) Dass es sich bei dem auf die Wiedergabe selbst erlebten Geschehens durch den Zeugen R. gerichteten Antrag um einen Beweisantrag handelt, versteht sich von selbst. Dieser Zeuge sollte bekunden, am 5. Mai 2010 Beifahrer in einem von Ka. gesteuerten und aus dessen Sorge vor einer Polizeikontrolle wegen zu schneller Fahrt verunfallten Pkw gewesen zu sein. Hierdurch werde die nach der Festnahme des Ka. getätigte polizeiliche Aussage, er sei Beifahrer und K. der Fahrer gewesen, als (weitere) Falschbelastung des K. durch Ka. belegt.
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- b) Mit der vom Landgericht gewählten einzigen Ablehnungsbegründung , es handele sich um eine Indiztatsache und die Strafkammer werde den nur möglichen Schluss nicht ziehen, Ka. habe bezüglich der Belastung des K. (im Übrigen) gelogen, wird eine tatsächliche Bedeutungslosigkeit im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht dargelegt. Es ermangelt der gebotenen Einfügung und Würdigung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2007 – 5StR 451/07, StV 2008, 121, 122). Das Landgericht hat – auch im Blick auf die weiteren von der Revision beanstandeten und mit identischer Begründung abgelehnten Anträge, die indes zum Teil wegen fehlender Anschriften der Zeugen und nicht dargelegter Konnexität keine Beweisanträge sind – letztlich gar nicht auf die Bedeutungslosigkeit der behaupteten Beweistatsache abgestellt, sondern hat jenseits davon eine tatsächliche Beeinflussung des Beweisergebnisses durch die beantragte Beweiserhebung ausschließen wollen. Darin liegt eine unzulässige Beweisantizipation (vgl. BGH aaO).
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- 3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Da sich das Verfahren nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten K. richtet, ist eine allgemeine Strafkammer für zuständig zu erklären (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 5 StR 44/11 mwN).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat Erfolg. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- 1. Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den Urteilsfeststellungen indessen Anlass, weil vom Opfer unmittelbar vor der Tat beträchtliche Provokationen ausgegangen sind (UA S. 4 f., 13). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB a.F. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; sie- he auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2). Im Hinblick auf die dem Angeklagten zugebilligte alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit ist nach allgemeinen Regeln eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB denkbar.
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- Trotz beträchtlicher, den Angeklagten belastender Umstände kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die Schwurgerichtskammer bei zutreffender Beurteilung eine mildere Strafe verhängt hätte.
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- 2. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auch im Hinblick darauf mit auf, dass die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts gleichfalls durchgreifenden Bedenken begegnet und dem neu entscheidenden Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessungsentscheidung ermöglicht werden muss. Rechtsfehlerhaft hat es die Schwurgerichtskammer unterlassen, eine – hier mögliche – Berechnung der Blutalkoholkonzentration vorzunehmen und deren Ergebnis ins Verhältnis zu den sonstigen – nach Lage des Falls eher nicht nach einer Annahme des § 21 StGB drängenden – Ergebnissen der Beweisaufnahme zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258 mwN). Zudem hätte ein Sachverständiger hinzugezogen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 – 5 StR 24/11 mwN). Dieser sollte sich bei der Untersuchung des psychischen Zustands des Angeklagten auch mit dessen Vorleben, insbesondere Alkoholgewohnheiten und etwaiger -beeinflussung bei seinen Vortaten sowie dissozialen Verhaltensmustern, auseinandersetzen.
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- 3. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305, insoweit in BGHSt 40, 251 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 354 Rn. 42). Denn der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung ist in Rechtskraft erwachsen, womit der die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründende Tatvorwurf des versuchten Totschlags weggefallen ist.