Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2016 - 5 StR 254/16

bei uns veröffentlicht am03.08.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 254/16
vom
3. August 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:030816B5STR254.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. August 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben; die Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrunde liegenden Taten bleiben jedoch aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Gründe:

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Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Be1 schuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Seine auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der Beschuldigte
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an zwei kurz aufeinanderfolgenden Tagen im September 2015 Überfälle auf Spielhallen (Fälle 1, 2 und 4) und einen Supermarkt (Fall 3). Dabei bediente er sich eines „Tricks“:Indem er sich eine Plastiktüte über die rechte Hand stülpte und den Arm in Richtung des jeweiligen Opfers streckte, erweckte er den An- schein, dass sich in seiner Hand eine Schusswaffe befinde. In den Fällen 2 und 4 erbeutete er jeweils 400 bis 500 €; in den Fällen 1 und 3 erlangte er kein Geld.
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Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass
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der Beschuldigte an einer „paranoiden Psychose aus dem schizophrenen For- menkreis“ leide, deren akute Symptomatik Anfang 2015begonnen habe. Zu- dem bestehe ein Alkoholabusus, jedoch keine Abhängigkeit von Alkohol. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung sei seine Steuerungsfähigkeit bei den Taten aufgehoben gewesen. Der im Tatzeitraum akut erkrankte, medikamentös nicht behandelte Beschuldigte habe derart unter Druck gestanden, sich Alkohol besorgen zu müssen, dass er diesem Druck nichts habe entgegensetzen können. In Situationen, in denen ein Bedarf zur Erlangung von Geldmitteln für Alkohol bestanden habe, habe er augenblicksverhaftet diesem Drang nachgeben müssen, ohne rational entgegensteuern zu können.
4
2. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung
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nicht stand.
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Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen
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Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies ist nicht hinreichend belegt.
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a) Während das Landgericht in den Feststellungen davon ausgeht, dass
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die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten „gänzlich aufgehoben“ war (UA S. 10), wird die Beurteilung des Sachverständigen, der sich das Landgericht anschließt, dahingehend wiedergegeben, dass eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit – lediglich – nicht auszuschließen sei (UA S. 19). Die Feststellung einer wenigstens sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Taten wird in dem angefochtenen Urteil an keiner Stelle ausdrücklich getroffen.
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b) Darüber hinaus steht die vom Landgericht übernommene Beurteilung
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des Sachverständigen, der Beschuldigte sei in seinem Denken, Handeln und Fühlen derart eingeengt gewesen, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, überhaupt in Abwägungsprozesse einzutreten (UA S. 20), mit den festgestellten Tatbildern nicht in Einklang. Der Beschuldigte hatte sich in allen Fällen maskiert und wandte zur Erlangung von Geld die oben genannte List an. Im Fall 3 hielt er sich zunächst vor dem Supermarkt auf, lief dort hin und her und tat so, als ob er auf den Bus warte; das Geschäft betrat er – nunmehr maskiert – erst kurz vor Ladenschluss. Als der Beschuldigte „erkannte, dass seine Täuschung durchschaut worden war“ (UA S. 12), flüchtete er.Im Anschluss an die nicht erfolgreiche Tat 3 überfiel er erneut die bereits im Fall 2 erfolgreich überfallene Spielhalle. Diese Feststellungen lassen zumindest ein gewisses Maß an rationalem Verhalten erkennen, mit dem sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt hat.
8
3. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Die
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Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind.
Schneider Dölp Bellay
Cirener Feilcke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.