Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 220/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 7. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO in den Einzelstrafaussprüchen für die Taten 1 bis 6 und 10 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in sieben Fällen , in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung sowie wegen versuchten Betruges in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Einzelstrafaussprüche zu den Taten 1 bis 6 und 10 sowie der Gesamtstrafausspruch können nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat bezüglich der Taten 1 und 3 bis 5, denen es jeweils einen Schaden von 20 bzw. 300 € (Fall 5) zugrunde gelegt hat, Einzelfreiheitsstrafen von sechs (Fall 1) bzw. acht Monaten verhängt. In den Fällen 2, 6 und 10, in denen es jeweils nur zum Betrugsversuch gekommen war, hat es Einzelfreiheitsstrafen von acht Monaten (Fall 2) bzw. sechs Monaten ausgeurteilt. Strafmildernd hat die Strafkammer dabei unter anderem berücksichtigt, „dass die Höhe des eingetretenen Schadens in der Gesamtsumme trotz der Vielzahl der Taten relativ gering geblieben ist“ (UA S. 25). Differenzierungen zu den jeweiligen Schadensbeträgen der Einzeltaten finden sich nicht. Insbesondere eine Gesamtschau mit den Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen 8 und 9 (jeweils neun Monate), denen die Strafkammer ein Mehrfaches an Schaden und zusätzlich eine gewerbsmäßige Begehungsweise zugrunde gelegt hat, lässt besorgen, dass das Tatgericht bei den beanstandeten Fällen den äußerst geringen Schadensbetrag als bestimmenden Zumessungsgesichtspunkt aus den Augen verloren hat.
3
2. Bereits die Aufhebung der genannten Einzelfreiheitsstrafen bedingt die Aufhebung des auch im Übrigen unausgewogen erscheinenden Gesamtstrafausspruchs. Der Senat weist insofern darauf hin, dass sich in Fällen des – wie vorliegend – äußerst engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs die Gesamtstrafenbildung regelmäßig an der Einsatzstrafe zu orientieren hat. In die Gesamtstrafenbildung wird das neue Tatgericht gegebenenfalls die Strafen aus dem im Zeitpunkt der letzten Hauptverhandlung noch nicht rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 30. April 2010 einzubeziehen haben.
4
3. Aufgrund der vorliegenden Wertungsfehler bedurfte es keiner Aufhebung der Feststellungen (vgl. indes zu der den Angeklagten nicht be- schwerenden Behandlung des § 21 StGB: BGH, Beschluss vom 21. Februar 2006 – 5 StR 8/06). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bislang getroffenen nicht widersprechen.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2011 - 5 StR 220/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2011 - 5 StR 220/11

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2011 - 5 StR 220/11 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2011 - 5 StR 220/11 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2011 - 5 StR 220/11 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2006 - 5 StR 8/06

bei uns veröffentlicht am 21.02.2006

5 StR 8/06 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 21. Februar 2006 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2006 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird da

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 8/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 21. Februar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2006

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 2. September 2005 mit den Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen , die bestehen bleiben. Insoweit wird die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts Görlitz zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt zur weitgehenden Aufhebung des Urteils.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am Abend des 10. Juni 2002 mit der Straßenbahn nach Hause, wobei er ein Klappmesser mit einer 10 cm langen Klinge mit sich führte. Zu dieser Zeit bestiegen auch der später geschädigte N. M. sowie die Zeugen K. und Kr. die Straßenbahn und nahmen – getrennt durch den Mittelgang – schräg gegenüber dem Angeklagten Platz. Der Angeklagte erkannte M.
als Bruder eines ihm flüchtig bekannten Mannes, gegen den er seit Jahren Groll hegte. Kr. , der den Angeklagten noch aus DDR-Zeiten kannte, begrüßte ihn mit dessen Spitznamen, den der Angeklagte früher immer mit „einigem Stolz“ vernommen hatte. Der Angeklagte, der ohnehin gereizter Stimmung war, geriet in Wut und beschimpfte die drei Männer als „Fotzen“. M. forderte ihn daraufhin in ruhigem Ton auf, ihn nicht „anzumachen“. Der Angeklagte wiederholte jedoch seine beleidigende Äußerung und öffnete unbemerkt sein Klappmesser. Wenige Minuten später erhob sich der Zeuge M. , weil er aussteigen wollte. In diesem Moment sprang der Angeklagte auf und rammte dem Zeugen das Messer wuchtig in den Bauch. Die Klinge durchstieß die Bauchdecke und verursachte eine stark blutende Wunde, verletzte jedoch keine inneren Organe. Der Geschädigte musste operiert und insgesamt zwei Wochen stationär behandelt werden.
3
Am 26. Juni 2004 war der Angeklagte zu Fuß unterwegs, wobei er einsatzbereit zwei Dosen Reizgas-Spray in der Jackentasche mit sich führte. Als ihm der Zeuge S. und dessen Sohn entgegenkam, sagte der Angeklagte laut: „Scheißpack“ und sprühte das Spray aus nur wenigen Zentimetern Entfernung in das Gesicht des Zeugen. Alsdann setzte er seinen Weg fort und rief wiederholt: „Judenpack, Scheißjudenpack!“
4
Die Strafkammer hat hinsichtlich des Messereinsatzes einen Tötungsvorsatz verneint und insbesondere auch unter Berücksichtigung der von ihr zugebilligten erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB angenommen sowie die gefundene Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer nach Art. 6 EMRK um sechs Monate verringert. Im zweiten Fall der Körperverletzung gemäß § 223 StGB ist die Strafe nach Maßgabe der §§ 21, 49 StGB gemildert worden.
5
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – die Überzeugung gewonnen , dass der Angeklagte an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, schizoiden und antisozialen Zügen leide. Davon ausgehend hat die Strafkammer – auch darin der Sachverständigen folgend – angenommen, dass in beiden Fällen die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Handelns erheblich vermindert gewesen sei. Gleichwohl habe er aber noch zutreffend erkannt, dass er sich nicht in einer Notwehrlage befunden habe. Die Anordnung der Maßregel begründet die Strafkammer – auch insoweit in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Gutachten – mit der fehlenden Krankheitseinsicht und der hieraus resultierenden Gefährlichkeit des Angeklagten, der sich seine Opfer beliebig aussuche mit der Folge, dass sich seine Aggressionen zukünftig gegen eine unüberschaubare Zahl weiterer Personen richten könne. Die zu erwartenden Taten hätten auch beträchtliches Gewicht, wenn der Angeklagte naheliegend wieder gefährliche Werkzeuge verwenden würde.
6
2. Die Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten lassen besorgen , dass die Strafkammer von einem rechtsfehlerhaften Verständnis der Vorschriften der §§ 20, 21 StGB ausgegangen ist. Sie war offensichtlich der Auffassung, mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit sei bereits die Voraussetzung des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB gegeben. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (BGHSt 21, 27, 28 f.; 34, 22, 25 ff.; BGHR StGB § 21 StGB Einsichtsfähigkeit 2, 3, 4, 5, 6; BGH NStZ-RR 2004, 38). Der Täter, der – wie hier vom Landgericht angenommen – trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist – sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist – voll schuldfähig. In einem solchen Fall ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 26 f.). Die Vorschrift des § 21 StGB kann in Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit nur dann angewendet werden, wenn die Einsicht gefehlt hat, dies aber dem Täter vorzuwerfen ist. Kann ihm die infolge verminderter Einsichtsfähigkeit fehlende Unrechtsein- sicht dagegen nicht zum Vorwurf gemacht werden, so greift § 20 StGB ein mit der Folge, dass eine Bestrafung ausscheidet (vgl. BGHSt 40, 341, 349).
7
Dem Urteil ist auch nicht sicher zu entnehmen, dass der Tatrichter in Wirklichkeit nicht an eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit, sondern an eine hier möglicherweise näher liegende erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit gedacht hat. Dagegen spricht die wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und auch der Umstand, dass die Strafkammer der vor allem die Steuerungsfähigkeit berührenden alkoholischen Beeinträchtigung des Angeklagten in beiden Fällen keine wesentliche Bedeutung beigemessen hat. Der Senat sieht sich deshalb nicht in der Lage, die Feststellungen entgegen ihrem klaren Wortlaut umzudeuten.
8
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Sie erstreckt sich auch auf den Schuldspruch, weil nicht von vornherein auszuschließen ist, dass der Angeklagte schuldunfähig ist. Immerhin musste der Angeklagte seit 1978 mehrfach in psychiatrischen Krankenhäusern stationär behandelt werden, wobei die Ärzte durchgängig von einer schizophrenen Erkrankung ausgegangen sind. Auch wird die Einlassung des Angeklagten zu den Beweggründen seines aggressiven Verhaltens, das er offenbar als eine Art präventive Notwehr und im ersten Fall zugleich als Ausgleich für früher erlebte Kränkungen durch den Bruder des Geschädigten für erlaubt gehalten hat, eingehender zu würdigen sein. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird insgesamt über die Frage der Schuldfähigkeit nach Anhörung eines forensisch erfahrenen Sachverständigen erneut zu befinden haben. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang können in beiden Fällen bestehen bleiben. Sie sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen.
9
Sollten wiederum die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bejaht werden, wird bei Prüfung der Gefährlichkeitsprognose mehr als bisher zu bedenken sein, dass der inzwischen 52-jährige Angeklagte in der Vergangenheit trotz bestehender Erkrankung offensichtlich keine weiteren rechtswidrigen Taten begangen hat und dass zwischen den hier in Rede stehenden Taten ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren liegt, in denen der Angeklagte auf freiem Fuß war; auch ist er seit der Tat vom 26. September 2004 bis zu seiner einstweiligen Unterbringung am 2. September 2005 offenbar nicht auffällig geworden. Zudem werden mögliche Therapieerfolge während der bisherigen Unterbringung zu berücksichtigen sein. Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal