Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2011 - 5 StR 190/11

bei uns veröffentlicht am22.06.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 190/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2011

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 23. November 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen II.1 bis 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen II.1 bis 4 je zwei Jahre, im Übrigen je ein Jahr) und zu Gunsten der Neben- und Adhäsionsklägerinnen S. und F. T. auf Schmerzensgeldzahlungen erkannt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Die auf die Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe bezogenen Verfahrensrügen sind demnach unerheblich. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Senat bemerkt zu der ebenfalls erfolglos bleibenden Verfahrensrüge , die Vorschrift des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO sei verletzt, ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts das Folgende:
3
a) Der Rüge liegt zu Grunde:
4
Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2010 verlas die Vorsitzende der Jugendkammer ein ärztliches Attest, das der Zeugin M. L. bescheinigte, aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung nicht vor Gericht erscheinen zu können. Daraufhin traf die Vorsitzende folgende Verfügung:
5
„Weitere Termine zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wer- den bestimmt auf: Montag, den 01.11.2010, 9.00 Uhr (Schiebetermin) Freitag, den 19.11.2010, 9.00 Uhr Dienstag, den 23.11.2010, 9.00 Uhr Die Zeugin M. L. ist erneut zu laden auf den 19.11.2010, 9.00 Uhr.“
6
Am 1. November 2010 wurde in der Zeit von 9.02 Uhr bis 9.05 Uhr die Hauptverhandlung fortgesetzt. Es wurde der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen, der keinen Eintrag enthielt.
7
b) Bei dieser Verfahrensgestaltung hat am dritten Tag der Hauptverhandlung eine Sachverhandlung stattgefunden. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, BGHR StPO Sachverhandlung 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3StR 61/11). Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat den Beweisstoff um den für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Umstand erweitert, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077). Aus der von der Vorsitzenden am 13. Ok- tober 2010 vorgenommenen Qualifizierung der für den 1. November 2010 vorgesehenen Hauptverhandlung als „Schiebetermin“ folgt nichts Gegenteili- ges. Diese Bewertung war – weil der Inhalt der Hauptverhandlung vom 1. November 2010 offen geblieben ist – nur vorläufiger Natur und konnte im Blick auf die erfolgte Sachverhandlung keinerlei Bedeutung erlangen (anders der dem Beschluss des 3. Strafsenats vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 zugrunde liegende Sachverhalt).
8
2. Der Schuldspruch hat hinsichtlich der Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe keinen Bestand.
9
a) Das Landgericht hat sich aufgrund der Aussage der am 31. Mai 1981 geborenen Nebenklägerin Me. L. , der Tochter der Ehefrau des – die Taten bestreitenden – Angeklagten, davon überzeugt, dass der Angeklagte mit ihr zwischen dem 26. August 1993 und dem 30. Mai 1995 viermal den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeführt hat. Die Jugendschutzkammer hat die Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung , der Angeklagte habe sie bis ins Jahr 2007 vielfältig missbraucht , als glaubhaft bewertet und zur Begründung auf ein in der Hauptverhandlung erstattetes Gutachten einer Sachverständigen abgestellt. Diese habe „nachvollziehbar ausgeführt, dass die Geschädigte durchschnittlich in- tellektuell befähigt ist und eine uneingeschränkte Aussagefähigkeit besitzt. Die Sachverständige hat dargelegt, dass die Aussagequalität sehr oberflächlich sei und Angaben von Me. von Tathandlungen vor dem 18. Lebensjahr allein zu dürftig seien, als dass daraus allein auf deren Glaubwürdigkeit geschlossen werden könne. Zudem blieben Widersprüche bestehen und beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit der Aussage im Ganzen, so z. B. zur Fra- ge vom Geschlechtsverkehr während der Menstruation (…). Die Widersprü- che oder Ungereimtheiten seien mit einer Art Aggravation zu erklären. Das bedeute, dass es sich um keine bewusste Falschaussage handele, sondern das übertriebene Betonen eines grundsätzlich stattgefundenen Ereignisses, um sich glaubhafter zu machen. Die Widersprüche um Menstruation oder, ob Analverkehr in der Dachgeschosswohnung stattgefunden habe, seien jedoch nicht restlos aufklärbar. Zudem seien alle Realkennzeichen, die gefunden werden könnten, für den angeklagten Zeitraum nicht zu spezifizieren und auch nach dem 18. Lebensjahr möglich. Die Sachverständige hat schließlich nachvollziehbar festgestellt, dass Übereinstimmungen in den Schilderungen der Schwestern Me. und M. dazu führten, dass die angeklagten Tathandlungen im 12. und 13. Lebensjahr erlebnisbasiert seien und somit eine Nullhypothese nicht in Betracht komme“ (UA S. 10 f.).
10
b) Diese Erwägungen vermögen keine richterliche Überzeugung hinsichtlich 17 Jahre zurückliegender sexueller Handlungen des Angeklagten zu begründen, sondern belegen höchstens einen vagen Verdacht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235).
11
aa) Das Landgericht ist der Bewertung der Sachverständigen gefolgt, dass die Aussage der Nebenklägerin solche Qualitätsmängel enthalte, die zur gänzlichen Untauglichkeit ihrer Angaben führen („Nullhypothese“, UA S. 11). Dieser Umstand verbietet sachlogisch eine – in anderen Fallkonstellationen freilich gebotene (vgl. Brause NStZ-RR 2010, 329, 330 f.) – Heranziehung belastender Indizien aus anderen Handlungen des Angeklagten. Es konnte vorliegend nicht darum gehen, den Beweiswert bewiesener belastender Umstände durch solche aus anderen Zusammenhängen zu verstärken. Wegen des vollständigen Ausfalls der Bekundungen der Nebenklägerin Me. L. waren belastende Umstände hinsichtlich sexueller Handlungen des Angeklagten mit dieser vor deren 18. Geburtstag gar nicht vorhanden.
12
bb) Darüber hinaus hat das Landgericht Missbrauchshandlungen des Angeklagten zu Lasten der Schwester der Nebenklägerin, M. L. , nicht fehlerfrei festgestellt.
13
Die Glaubhaftigkeit von deren Angaben wird nach dem im Urteil wiedergegebenen Sachverständigengutachten ohne Begründung angenommen. Soweit das Landgericht daneben auf vom Angeklagten gefertigte und am 1. Mai 2007 auf dessen Rechner aufgefundene Bilder von einem Geschlechtsverkehr mit M. L. abstellt, wobei diese „nicht glücklich ausgesehen habe“ (UA S. 9), vermag auch dieser Umstand die gebotene Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 506 mwN) nicht zu belegen. Nachdem der Angeklagte die Ausübung von Geschlechtsverkehr mit dieser Zeugin – ersichtlich nach Vollendung von deren 18. Lebensjahr (UA S. 6) – eingeräumt hat und der Zeitpunkt der auf den Bildern zu erkennenden Handlungen offen geblieben ist, besteht auch im Hinblick auf die Aussage der zur Zeit der Hauptverhandlung 30 Jahre alten Zeugin die Beweissituation „Aussage gegen Aussage“ mit den daraus abzuleitenden gesteigerten Darlegungserfordernissen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.), die unerfüllt geblieben sind.
14
3. Die Sache bedarf demnach insoweit neuer Aufklärung und Bewer- tung. Die bisher nur abstrakt dargestellten „Widersprüche oder Ungereimtheiten“ werdenzu näherer Betrachtung der Entwicklung sämtlicher Aussagen, auch derjenigen im Familienkreis, nötigen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – 5 StR 418/10 mwN).
15
4. Die Aufhebung der vier Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat hat auch die übrigen sieben ausgeurteilten Freiheitsstrafen von je einem Jahr aufgehoben, um dem neuen Tatgericht Gelegenheit zu einer vollständig neuen und notwendig differenzierteren Strafzumessung zu geben. Die Adhäsionsentscheidungen bleiben unberührt.
Raum Brause Schaal Schneider König

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 229 Höchstdauer einer Unterbrechung


(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden. (2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat. (3) Hat eine Hauptverhandlun

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Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StPO § 229 Abs. 1, 2, 4 Satz 1 StPO § 249 Abs. 2 Sachverhandlung durch Anordnung und Vollzug des Selbstleseverfahrens. BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12 Landgericht Hamburg –

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

5 StR 74/08

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 25. Juni und 11. Juli 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Professor
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 11. Juli 2008 für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten E. gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 22. Februar 2007 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten E. und S. auf Grund einer 29-tägigen Hauptverhandlung wegen Totschlags schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten S. hat es auf eine Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten erkannt und gegen den Angeklagten E. unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Geldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Über die Revision des Angeklagten S. hat der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO entschieden. Auch das Rechtsmittel des Angeklagten E. blieb nach dem Ergebnis der vom Generalbundesanwalt beantragten Revisionshauptverhandlung – auch dessen Antrag entsprechend – erfolglos.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Die Eheleute H. und S. sowie Hü. und V. K. waren bis 2004 befreundet. Die Nebenklägerin Hü. K.
brach im Spätsommer 2004 nach einer Auseinandersetzung mit S. die Beziehung zu ihrer Freundin H. S. ab. Sie vermutete, dass diese ein Verhältnis mit ihrem Ehemann V. unterhalte. H. S. trennte sich von ihrem Ehemann.
4
Am Abend des 3. Dezember 2005 entdeckten die Angeklagten die H. S. und den V. K. in dessen Geländewagen im Hafengebiet von Bremen. Der Angeklagte E. zerstach den vorderen linken Reifen dieses Fahrzeugs. V. K. fuhr in Richtung Innenstadt weiter. H. S. telefonierte währenddessen über Notruf mit der Polizei. Nach drei Kollisionen des von den Angeklagten zunächst benutzten Pkw mit dem Fahrzeug des V. K. setzten die Angeklagten mit dem Pkw des S. die Verfolgung fort. V. K. hielt 150 m vor dem Restaurant G. in der H. –B. -Straße auf dem Rad- und Gehweg an und fragte den Zeugen M. nach dem Standort, den H. S. telefonisch der Polizei durchgeben wollte. Die Angeklagten hielten links neben dem Fahrzeug des V. K. . Hierdurch behinderten sie dessen mögliche Weiterfahrt. Der Angeklagte S. lief zur Fahrerseite, der Angeklagte E. zur Beifahrerseite. Er zerstach jetzt den rechten Vorderreifen, beugte sich mit dem Oberkörper durch das offene Beifahrerfenster, schrie und stach mit dem Messer in den Innenraum des Wagens nach V. K. . Der Angeklagte S. versuchte, die verschlossene Fahrertür zu öffnen.
5
Entgegen der Aufforderung der H. S. , doch in dem Fahrzeug zu bleiben, verließ V. K. den Pkw und flüchtete zu Fuß. Die beiden Angeklagten holten ihn auf der Fahrbahn der H. –B. -Straße ein und griffen ihn an. V. K. wehrte sich unter Zuhilfenahme von Pfefferspray. Der Angeklagte E. stach V. K. mit bedingtem Tötungsvorsatz in dessen linke Brust durch den Herzbeutel und die Herzvorderwand , wodurch die linke Herzkammer eröffnet wurde. Der schwer verletzte Geschädigte flüchtete in das Restaurant, verfolgt von den Angeklagten.
Diese entfernten sich sodann vom Tatort. Der Angeklagte E. flüchtete zu Fuß zu einer nur 100 m entfernten Tankstelle, wo er mit geröteten und tränenden Augen festgenommen wurde. Der Angeklagte S. verließ mit seinem Pkw stadteinwärts fahrend den Tatort, kehrte aber alsdann zur gleichen Tankstelle zurück. Auch die Augen dieses Angeklagten waren gerötet und tränten.
6
V. K. verstarb trotz mehrerer Operationen am Folgetag an einem hämorrhagischen Schock.
7
2. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen, weil am 14. Verhandlungstag (29. September 2006) keine Sachverhandlung stattgefunden habe, versagt.
8
a) An diesem Sitzungstag wurden innerhalb einer halben Stunde ein nach dem vorangegangenen Sitzungstag gegen beide Angeklagte ergangener Haftbeschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts und ein früher gegen den Mitangeklagten ergangenes Strafurteil verlesen. Als das Gericht nach Unterbrechung der Hauptverhandlung feststellte, dass jenes Strafurteil an einem vorangegangenen Sitzungstag bereits verlesen worden war, wurde die Sitzung nach knapp vierzig Minuten fortgesetzt. Die Fortsetzung erfolgte nunmehr in Abwesenheit der Verteidiger, die sich trotz erfolgter Benachrichtigung über die vorgesehene Fortsetzung wegen angeblichen Zeitmangels und unter Berufung auf mangelnde Einhaltung der Ladungsfrist weigerten teilzunehmen. Erstmals wurde nun noch ein früher gegen den Mitangeklagten ergangener Strafbefehl verlesen; jene Verlesung wurde an einem späteren Sitzungstag in Anwesenheit der Verteidiger wiederholt.
9
b) Es kann dahinstehen, ob die Rüge überhaupt zulässig ist. Sie verhält sich nicht näher dazu, dass die Einführung des Prozessstoffes, der nunmehr von der Revision als eine Sachverhandlung nicht begründend bewertet wird, den Verfahrensbeteiligten vom Vorsitzenden vorab bekannt gegeben worden war, nachdem in Ansehung der Wünsche der Verteidiger Rechtsanwalt Ü. (Angeklagter E. ) und Rechtsanwalt Dö. (Angeklagter S. ) für den 14. Verhandlungstag eine Terminsdauer von 9.00 Uhr bis 9.30 Uhr vereinbart worden war; hiernach liegt nahe, dass auch die Auswahl der zu verlesenden Urkunden „vereinbart“ worden sein kann. Ob es danach weitergehenden vollständigen Vortrags zur umfassenden Prüfung der Verfahrensrüge , die auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwirkung zu bewerten ist (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5), bedurfte, braucht der Senat nicht zu vertiefen.
10
c) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Mindestens die Verlesung des zuvor weder den Schöffen noch gesichert den Angeklagten persönlich bekannt gegebenen Haftbeschwerdebeschlusses des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 31. August 2006 stellte, wie das Landgericht in dem den Aussetzungsantrag der Verteidigung zurückweisenden Beschluss vom 26. Oktober 2006 zutreffend erkannt hat, eine ausreichende Sachverhandlung dar. Ob dies auch für die – ersichtlich zunächst nicht bewusst – wiederholte Verlesung einer für die Rechtsfolgenbestimmung maßgeblichen Vorentscheidung gelten kann, welche die Erinnerung der Prozessbeteiligten an den Prozessstoff zu aktualisieren gleichfalls geeignet ist, kann dahinstehen.
11
Eine Sachverhandlung liegt stets vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5), das Verfahren mithin inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird (BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 7 und 8). Zwar hat die Verlesung dieses Beschlusses den bereits eingeführten Beweisstoff nicht erweitert. Er enthält indes vertiefende Ausführungen zu einer wesentlichen, wenn nicht gar prozessentscheidenden Verfahrensfrage (vgl. BGHR aaO Sachverhandlung 7), die – von der Verteidigung vehement bekämpfte – Zulässigkeit der Verwertung des polizeilichen Notrufs der H. S. aus dem Blickwinkel des § 252 StPO und in Bezug auf den Grundsatz des fairen Verfahrens wegen Behinderung des Fragerechts der Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK. Die Verlesung des Beschlusses trug somit – nicht anders als etwa eine rechtliche Stellungnahme eines der Prozessbeteiligten zu dieser Frage – zur Förderung der Klärung des im späteren Urteil zugrunde zu legenden Prozessstoffes bei (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5). Durch die Darlegung des Rechtsproblems wurde zudem der mit diesem verbundene zentrale Verfahrensstoff tatsächlich und rechtlich in Erinnerung gerufen. Dies gilt für die über die Haftfrage während laufender Hauptverhandlung entscheidungsbefugten Schöffen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 126 Rdn. 8; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 16a) in besonderem Maße (vgl. auch BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 4).
12
Hinzu tritt, dass das Oberlandesgericht entgegen den Beschwerden der Verteidiger in der bisherigen Verfahrensweise des Landgerichts keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung erblickt hat (Revisionsbegründung B. S. 18). Die sich damit befassenden Darlegungen erlangten somit Bedeutung für die – wenn auch erst nach durchgeführter Beweisaufnahme – vorzunehmende Rechtsfolgenbestimmung (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13; BGH – GSSt – StV 2008, 133, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
13
Selbst nach der vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung für geboten gehaltenen einschränkenden Prämisse läge eine Sachverhandlung vor. Danach sei der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht als taugliche Grundlage für eine Sachverhandlung anzusehen, weil ihm zur Frage des Bestehens von Beweisverwertungsverboten keine weitergehenden , sondern lediglich die Rechtsansicht des Landgerichts bestätigende Rechtsausführungen zu entnehmen seien. Indes wäre vorliegend der Beschlussverlesung selbst nach dieser – durchaus zweifelhaften – Prämisse ein für ausreichend erachteter an die Verfahrensbeteiligten gerichteter Appell zum Überdenken ihrer bisher eingenommenen Rechtspositionen anzunehmen gewesen. Das Landgericht hat nämlich am 13. Verhandlungstag durch seinen Hinweis, „das Gericht geht davon aus, dass dieser Widerspruch aufrechterhalten bleibt, solange die Verteidigung nicht Gegenteiliges äußert“ (Revisionsbegründung B. S. 10) die Rechtslage insoweit als noch nicht endgültig geklärt angesehen. In diesem Zusammenhang wäre es unerheblich, dass nach der Beschlussverlesung nicht etwa eine vertiefende Erörterung mit den Verteidigern stattgefunden hat, weil diese ersichtlich auf eine solche verzichtet haben und stattdessen mit dem Vorsitzenden nach Beendigung der Verhandlung Probleme der Tätertrennung erörtert haben (Revisionsbegründung B. S. 54).
14
Der Senat schließt sich den vom 3. Strafsenat nach Änderung der Unterbrechungsfristen durch das 1. JuMoG in BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 7 dargelegten, gegen eine Verschärfung der Anforderungen an die Annahme einer fristwahrenden Verhandlung zur Sache sprechenden Erwägungen an. Auch die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nötigt zu keiner anderen Bewertung, weil vorliegend das Landgericht auch zur Wahrung des Rechts der Angeklagten auf Wahrnehmung der Verteidigung durch Rechtsanwälte ihrer Wahl bei der Dauer des Hauptverhandlungstermins den zeitlichen Verfügbarkeiten dieser Verteidiger Rechnung tragen durfte, ohne hierdurch das Verfahren erheblich zu verzögern (vgl. BVerfG – Kammer – StraFo 2007, 152, 155; vgl. auch BVerfG – Kammer – StV 2006, 81, 85; BVerfG – Kammer –, Beschluss vom 17. Juli 2006 – 2 BvR 1190/06 sub 3 b; BGH, Beschluss vom 6. März 2008 – 5 StR 617/07, Rdn. 11). Insoweit hat die Revision das landgerichtliche Verfahren auch nicht gerügt.
15
d) Demnach kommt es auf die weiteren Überlegungen des Generalbundesanwalts zum Zweck des Fristerfordernisses des § 229 Abs. 1 StPO nicht mehr an. Der Senat neigt dessen Auffassung zu, dass es nach den vom Gesetzgeber beschlossenen Fristverlängerungen von drei Tagen über zehn Tage auf jetzt geltende drei Wochen schwerlich in erster Linie Zweck der Vorschrift sein kann, die Erhaltung der Erinnerung an den Prozessstoff zu garantieren (vgl. BGHSt 33, 217, 218; vgl. aber auch BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 3; dagegen Verkündung 4 und 5). Ob hieraus zu schließen wäre, dass ein revisibler Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO überhaupt nur noch bei einer insgesamt im Blick auf Art. 6 Abs. 1 MRK nachhaltigen Vernachlässigung der Konzentrationsmaxime angenommen werden sollte, bedarf hier keiner Entscheidung.
16
Auch auf eine Bewertung der wegen Verstoßes gegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO bedenklichen weiteren Verhandlung vom gleichen Tag von 10.12 Uhr bis 10.25 Uhr kommt es nicht mehr an, was gegebenenfalls auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung der Revisionsrüge – nach Auffassung des Generalbundesanwalts bei der Beruhensprüfung – vertiefungswürdig gewesen wäre.
17
3. Auch die mit der Sachrüge geführten Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Schwurgerichts versagen.
18
Das Landgericht war sich bei seiner Würdigung der gegenüber Dritten gemachten Angaben der H. S. über eine unmittelbare Tatausführung des Angeklagten E. des geringeren Beweiswertes der nur zur Verfügung stehenden mittelbaren Belastungen bewusst, der aus dem Fehlen der Möglichkeit konfrontativer Befragung nach deren Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO resultierte (UA S. 41; vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2007, 204, 206 f.; BGH NJW 2000, 3505, 3510, insoweit teilweise nicht in BGHSt 46, 93 abgedruckt; BGHSt 51, 150, 157 Rdn. 26). Das Schwurgericht hat H. S. nicht einmal als ursprüngliche unmittelbare Tatzeugin angesehen, sondern angenommen, dass sie auch aus den von ihr wahrgenommenen Tatumständen auf die unmittelbare Tatausführung durch den Angeklagten E. geschlossen haben kann (UA S. 41).
19
Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist insoweit – im Gegensatz zur Auffassung der Revision – auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat die vereinzelt gebliebene zurückhaltende Äußerung der H. S. gegenüber der Cousine des Angeklagten E. über dessen Täterschaft (UA S. 40) mit nachvollziehbarer Würdigung als nicht in Widerspruch stehend zu anderen, den Angeklagten E. stärker belastenden Angaben angesehen (UA S. 54).
20
Das Landgericht hat es auch nicht unterlassen, ein sich aus den festgestellten Tatumständen etwa aufdrängendes Alternativgeschehen – Ausführung des tödlichen Messerstichs durch den Angeklagten S. – zu erörtern (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt ). Die auf zahlreiche Beweismittel und Wahrscheinlichkeiten gestützte Schlussfolgerung, nur E. komme als Messerstecher in Frage (UA S. 70), ist jedenfalls vor dem Hintergrund der jenseits der (mittelbaren) Aussage der H. S. bewiesenen Umstände sachlichrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGHSt 36, 1, 14).
21
Die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz bedurfte bei dem hier vorliegenden Herzstich keiner weitergehenden Begründung (vgl. BGHR StGB § 212 Vorsatz bedingter 57 m.w.N.).
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger
5 StR 520/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 12. Dezember 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Dezember 2001

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie sichergestellte Betäubungsmittel und drei Waagen eingezogen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den unerlaubten Betäubungsmittelhandel seines Onkels unter anderem dadurch gefördert , daß er Kokain in seiner Wohnung lagern ließ und transportierte. Be- sitz an dem gelagerten Kokain hatte er, weil er in Abwesenheit seines Onkels die alleinige Verfügungsgewalt über die Drogen hatte.
Der Angeklagte ist geständig, er habe seit Dezember 2000 gebilligt, daû eine Menge von etwa 100 g Kokain in seiner Wohnung gelagert wurde. Er bestreitet aber, Kenntnis von der Lagerung weiterer etwa fünf kg Kokain gehabt und am 4. Januar 2001 eine Menge von etwa 100 g Kokain transportiert zu haben.
1. Das Landgericht stützt seine Überzeugung, daû der Angeklagte Kenntnis von der Lagerung weiterer fünf kg Kokain hatte, auf folgende Indizien : Weil bei der polizeilichen Wohnungsdurchsuchung am 4. Januar 2001 die etwa fünf kg Kokain im Küchenschrank an derselben Stelle gefunden wurden, an der der Angeklagte nach seiner Einlassung im Dezember 2000 zwei Beutel mit insgesamt 100 g Kokain gesehen hatte, müsse er auch die übrigen Taschen und Beutel mit Kokain gesehen haben. Daû das Rauschgift erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Wohnung gebracht und dort gelagert worden sei, schlieût das Landgericht mit der Erwägung aus, es sei “nicht nachvollziehbar, daû der Onkel, der sich ja bereit erklärt hatte, die Kokainmenge von 100 g zu verkaufen und der sich im Dezember nicht mehr in der Wohnung aufgehalten haben soll – zumindest hat ihn der Angeklagte dort nach eigenen Angaben nicht angetroffen – am 4. Januar 2001 oder kurz zuvor eine erheblich gröûere Kokainmenge erneut in die Wohnung verbracht haben soll”.
Diese Indizien sind nicht aussagekräftig und bilden keine tragfähige Grundlage für die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten.
Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewiûheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluû erlauben, daû das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daû die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen , verstandesmäûig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schluûfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloûe Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH NJW 1982, 2882, 2883 m.w.Nachw.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7 und 26; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; BGHR StPO § 261 Vermutung 11; BGH, Beschl. vom 24.03.2000 ± 3 StR 585/99; Schäfer StV 1995, 147, 149).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten erschöpft sich insoweit in bloûen Vermutungen und in der Schilderung einer Verdachtssituation. Die im Urteil mitgeteilten Indizien lassen auch die Möglichkeit einer Einlagerung der etwa fünf kg Heroin erst im Januar 2001 zu. Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes der etwa fünf kg Kokain kann deshalb keinen Bestand haben.
2. Dagegen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit nicht zu beanstanden, als dem Angeklagten zur Last gelegt wird, 100 g Kokain unerlaubt besessen und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben auch hinsichtlich der weiteren etwa fünf kg Kokain geleistet zu haben. Der Angeklagte hatte keine Vorkehrungen (etwa durch Auswechseln des Türschlosses ) gegen einen weiteren, auch umfangreicheren Handel mit Betäubungsmitteln getroffen und zumindest billigend in Kauf genommen, daû sein Onkel bei einer Rückkehr neue Betäubungsmittel mitbringt.
3. Der Senat schlieût aus, daû zum Schuldumfang weitere Festste llungen möglich wären und läût den Schuldspruch bestehen.
Dagegen hat der Strafausspruch wegen des beträchtlich geringeren Schuldumfangs hinsichtlich des nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB strafrahmenbestimmenden Verbrechens des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand. Der Aufhebung von Feststellungen zur Strafe bedarf es nicht. Der neue Tatrichter hat lediglich eine neue Bewertung vorzunehmen. Ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen zur Strafe sind möglich.
Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal
5 StR 418/10

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt B.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 26. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate), wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafe vier Jahre), wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafe drei Jahre), wegen weiterer vier Fälle des sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafen zweimal sechs Monate und zweimal ein Jahr) sowie wegen Zugänglichmachens pornographischer Schriften (Einzelfreiheitsstrafe vier Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der niemals strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte hatte den Beruf des Krankenpflegers erlernt und viele Jahre ausgeübt. Er war zu den Tatzeiten 64 bis 67 Jahre alt, über 40 Jahre verheiratet und Vater von fünf erwachsenen Söhnen. In der DDR war er zuletzt erfolgreicher Altstoffhändler. Er ließ sich wegen wachsender gesundheitlicher Probleme verrenten. Im Jahr 1994 wurde ihm als Folge schwerer Durchblutungsstörungen ein Bein oberhalb des Knies amputiert. Es besteht eine erektile Dysfunktion, die es dem Angeklagten schon im Tatzeitraum unmöglich machte, vaginalen Geschlechtsverkehr auszuüben, seine Fähigkeit zur Vornahme der abgeurteilten Handlungen jedoch nicht ausschloss.
4
b) Die am 18. Juli 1991 geborene J. W. , die Nebenklägerin, ist die Enkelin des Angeklagten. Sie wuchs in einem Zustand recht weitgehender persönlicher Vernachlässigung durch ihre Eltern auf. Bei dem Angeklagten fand sie mit ihrem Anlehnungsbedürfnis ein hohes Maß an Gegenliebe. Er wählte sie unter seinen Enkelkindern zu seinem erklärten Liebling. Mit dem Einsetzen der Pubertät seiner Enkelin begann der Angeklagte, auch ein körperlich-sexuelles Interesse an ihr zu entwickeln.
5
c) Als sich seine Ehefrau im Dezember 2003 länger in Kliniken aufhalten musste, ließ sich der Angeklagte zu dem ersten körperlichen Übergriff auf seine damals zwölf Jahre alte Enkelin hinreißen. Mit großer Regelmäßigkeit und Häufigkeit, in der Erinnerung der Nebenklägerin beinahe täglich, kam es anschließend bis März 2007 bei allmählich sich steigernder Intensität zu sexuellen Übergriffen, von denen acht angeklagt und sieben abgeurteilt worden sind:
6
Im Dezember 2003 schlug der Angeklagte den Büstenhalter der Enkelin nach oben. Er streichelte und knetete ihre Brüste.
7
Nach dem 14. Geburtstag der Nebenklägerin veranlasste der Angeklagte seine Enkelin in zwei Fällen zu Manipulationen an seinem Penis bis zum Samenerguss und drang einmal mehrere Minuten lang mit einem Finger in ihre Scheide ein. Außerdem steckte er ein weiteres Mal den Finger in die Scheide seiner Enkelin und ließ sich von ihr mit der Hand befriedigen.
8
Vermutlich im Sommer 2006 fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin in den Wald. Dort veranlasste er sie, den Oralverkehr bei ihm durchzuführen , und umfasste dabei ihren Kopf so fest, dass sie den Samenerguss in den Mund dulden und sein Sperma schlucken musste.
9
Im gleichen Tatzeitraum entkleidete der Angeklagte seine Enkelin und leckte an ihrer Scheide. Dabei hielt er den Stuhl fest, auf dem sie saß. Deshalb misslang es ihr, den Kopf des Angeklagten wegzudrücken.
10
d) Nachdem die Nebenklägerin im Laufe der Zeit die Erkenntnis gewonnen hatte, dass ein Großvater derartiges mit seiner Enkelin nicht tun dürfe (UA S. 10), verweigerte sie sich im März 2007 dem Angeklagten, der sie immer unter dem Vorwand, sie möge ihm am Computer helfen, in seine Nähe gerufen hatte. Ihre Offenbarung des Geschehens führte bei ihren Eltern zu keinen Konsequenzen. Ende März 2007 verfasste sie einen Brief an einen ihr nahe stehenden Mitschüler, in dem sie schilderte, ihr Großvater habe sie angefasst und unsittlich berührt. Von diesem Brief nahm die Direktorin der Schule der Nebenklägerin Kenntnis; sie verständigte das Jugendamt. Auf dessen Initiative verließ die Mutter der Nebenklägerin mit ihren beiden Töchtern das Familienanwesen und zog in ein Frauenhaus, später in eine eigene Wohnung.
11
Anschließend fiel die Nebenklägerin in einem von ihr besuchten Jugendtreff durch stark sexualisiertes Verhalten auf. Sie nahm zwischen Ende Juli 2007 und April 2008 an 20 Gesprächen mit einem an einem Beratungszentrum tätigen Psychologen teil, dem sie im Schwerpunkt orale Missbräu- che schilderte, mit denen sie sehr intensive Gefühle wie Ekel, Angst und Wut verband. Der Psychologe nahm Selbstverletzungen („Ritzen“) der Nebenklägerin wahr, bewertete ihre ärztlich behandelten Unterleibsbeschwerden als psychosomatisch verursacht und diagnostizierte eine traumatische Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch.
12
Die Nebenklägerin hatte erst am 23. August 2007 die Kraft zur Anzeigeerstattung gegen ihren Großvater und zu einer Vernehmung – in Anwesenheit ihrer Mutter – aufgebracht; zuvor war sie davor zurückgescheut, weil sie sicher war, dass ihr niemand glauben würde.
13
e) Das Landgericht hat sich allein aufgrund der Aussage der Nebenklägerin von der Schuld des die Vorwürfe bestreitenden Angeklagten überzeugt. Deren Bekundungen hat es auch unter Würdigung der Aussage des als sachverständigen Zeugen vernommenen behandelnden Psychologen und eines in der Hauptverhandlung erstatteten Glaubhaftigkeitsgutachtens einer Diplompsychologin für uneingeschränkt glaubhaft befunden.
14
2. Die vom Landgericht in seinen Wertungen maßgeblich berücksichtigten sachverständigen Darlegungen sind indes in mehrfacher Hinsicht für das Revisionsgericht nicht hinreichend nachvollziehbar (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 178). So entfällt ein in der hier gegebenen Konstellation „Aussage gegen Aussage“ auf Grund erheblicher Inkonstanz im Aussageverhalten der einzigen Belastungszeugin regelmäßig gebotenes gewichtiges, die Glaubhaftigkeit der Aussage im Übrigen stützendes Indiz (vgl. Schmandt, StraFo 2010, 446, 447 mN). Dies begründet hier auch eingedenk des Beurteilungsspielraums des Tatgerichts bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage die Revision (vgl. Brause, NStZ 2007, 505, 507).
15
a) In Frage steht in erster Linie die im Urteil akzeptierte gutachterliche Bewertung der Aussagen der Nebenklägerin zum Kerngeschehen des als Vergewaltigungstat mit der Einsatzfreiheitsstrafe von vier Jahren geahndeten Geschehens im Wald.
16
Hierzu hatte die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung in Anwesenheit ihrer Mutter ausgeführt, der Angeklagte habe auf den Boden ejakuliert, so dass sie sein Sperma nicht habe schlucken müssen. In den Explorationsgesprächen und in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin bekundet, nur bei dieser Gelegenheit habe der Angeklagte in ihren Mund ejakuliert. Im Widerspruch zu anderweit mehrfach – zentral gegenüber dem Psychologen – bekundetem vielfachen Oralverkehr hat die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung beharrlich erklärt, der Übergriff im Wald sei zugleich auch der einzige Fall von Oralverkehr mit dem Angeklagten gewesen. Das Landgericht hat dies als durchaus auffälligen Bruch in der Aussagekonstanz bewertet, der indes nach den Erläuterungen der Sachverständigen plausibel erklärt werde. Dies trifft nicht zu.
17
aa) Es begegnet schon Bedenken, dass die Strafkammer der Erklärung der Sachverständigen gefolgt ist, die hochgradig gehemmte Nebenklägerin sei durch die Anwesenheit ihrer Mutter davon abgehalten worden, alle negativ gefühlsbesetzten Einzelheiten während ihrer polizeilichen Vernehmung zu offenbaren. Mangels Darlegung der Umstände und Einzelheiten der polizeilichen Vernehmung erscheint diese Wertung eher als Plausibilitätsvermutung ; sie steht in einem Spannungsverhältnis gegenüber Angaben zu dem – offensichtlich in ähnlichem Umfang negativ gefühlsbesetzten – Lecken des Angeklagten an der Scheide der Nebenklägerin und zu dem – wenn auch möglicherweise als geringfügig weniger belastend empfundenen – vielfachen Oralverkehr, was indes beides ersichtlich in Anwesenheit der Mutter bekundet worden ist.
18
Zudem bleibt unklar, ob der Umstand in die Sachverständigenbewertung einbezogen worden ist, dass nicht nur ein bloßes ursprüngliches Verschweigen einer Tatsache in Frage stand, sondern es auch galt, einen den Angeklagten stärker als bislang belastenden Aussagewechsel in der Hauptverhandlung hinsichtlich einer möglichen Belastungstendenz zu würdigen.
19
bb) Soweit das Landgericht der Sachverständigen auch darin gefolgt ist, dass früher von der Nebenklägerin bekundete Oralverkehrshandlungen als unbewusstes Vermeidungsverhalten in der Hauptverhandlung verdrängt und in Abrede gestellt worden seien, um nähere Nachfragen zu den Einzelheiten dieses Oralverkehrs zu ersparen, sind Widersprüche zu anderen Erwägungen unbeachtet geblieben. Es wird nicht abgehandelt, weshalb ein Verdrängen unter diesem Aspekt nicht gleichermaßen für die in der Hauptverhandlung mit einer noch stärkeren Belastung verbundene Schilderung eines Oralverkehrs mit einem Samenerguss in den Mund zu erwarten gewesen wäre.
20
Die Annahme eines Verdrängens der früher insbesondere gegenüber dem behandelnden Psychologen als zentralen Missbrauch bekundeten Oralverkehrshandlungen steht zudem in einem Spannungsverhältnis zu der von der Sachverständigen gefundenen und vom Landgericht nachvollzogenen Aussagestruktur der Nebenklägerin. Diese habe nämlich die Abläufe des Tatgeschehens als Schemata abgespeichert, weshalb es ihr auch nicht gelungen sei, sich an einzelne Ereignisse innerhalb der Schemata konkret zu erinnern. Nach dieser Einordnung wäre eine grundlegende Veränderung der Aussage zu den lediglich schematisch erinnerten und auf diese Weise reproduzierten Oralverkehrshandlungen eher nicht zu erwarten gewesen.
21
b) Die auf dem Gutachten der Sachverständigen aufbauende Beweiswürdigung bleibt überdies den Beleg für die behauptete Anzahl und die Qualität der für eine erlebnisfundierte Aussage notwendigen Realkennzeichen schuldig. Solche führt das Landgericht nicht aus. Es teilt lediglich abstrakt wertende Äußerungen der Sachverständigen mit.
22
Zwar kann eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses eines Gutachtens beschränkte Darstellung der Überzeugungsbildung des Tatgerichts ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, StV 2011, 8 mwN). Hierzu gehört indes ein stets höhere Anforderungen stellendes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164). Bei beurteilungsrelevanten Divergenzen zwischen den verschiedenen belastenden Aussagen sind auch die Anknüpfungstatsachen der Sachverständigen darzulegen , um deren Bewertung nachvollziehbar zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10; BGH, Beschluss vom 21. September 2005 – 2 StR 311/05, NStZ 2007, 538).
23
c) Das Landgericht hat es schließlich unterlassen, den von dem sachverständigen Zeugen erst in der Hauptverhandlung bekundeten Umstand der Selbstverletzungen der Nebenklägerin auf einen möglichen Zusammenhang mit einer etwaigen psychischen Störung hin zu untersuchen (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 2010 – 2 StR 185/10). Zwar gibt es weder den Erfahrungssatz , dass selbstverletzendes Verhalten typische Folge eines erlittenen Missbrauchs ist (vgl. Schwenn, StV 2010, 705, 710), noch denjenigen, dass es sich dabei regelmäßig um den Ausdruck einer krankhaften seelischen Störung handelt. Auch dieser Aspekt wäre indes in den Blick zu nehmen gewesen , da Anlass für die Klärung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Selbstverletzung und Persönlichkeitsstörung hätte bestehen können (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10).
24
Das Unterlassen solcher Prüfung lässt insbesondere auch besorgen, dass die von der Sachverständigen und dem sachverständigen Zeugen gestellte , vom Landgericht übernommene – und von diesem ersichtlich auch als die Glaubhaftigkeit der qualitätsgeminderten Aussage der Nebenklägerin steigernder Umstand herangezogene – Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung auf einem Wertungsfehler beruhen kann. Auf geltend ge- machte grundsätzliche Bedenken hinsichtlich einer zirkulären Argumentationsweise bei einer mit dieser Diagnose maßgeblich begründeten Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage kommt es bei dieser Sachlage nicht einmal an. Sie wäre indes für das weitere Verfahren zu bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 – 5 StR 319/10; Steller in NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer, 2002, S. 69, 71).
25
3. Der Mangel der Beweiswürdigung erfasst die vom Landgericht angenommene Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 157/10). Allein aufgrund der – freilich verbliebenen – deutlichen Hinweise auf ein Missbrauchsgeschehen können Teile des Schuldspruchs nicht aufrechterhalten bleiben.
26
4. Für die neu erforderliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
27
a) Das neu berufene Tatgericht wird angesichts der divergierenden Bekundungen der Nebenklägerin die Entwicklung sämtlicher Aussagen, auch derjenigen im Familienkreis, zu betrachten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02 mwN; BGH, Beschluss vom 24. November 2004 – 5 StR 480/04, StV 2005, 253) und ihre Schilderungen gegenüber dem sachverständigen Zeugen auch inhaltlich näher darzustellen haben. Es wird ferner zu prüfen haben, ob die Nebenklägerin im Hinblick auf die festgestellten Umstände in ihrer Person auch von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2002 – 1 StR 5/02, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 18).
28
b) Im Falle eines Schuldspruchs wird angesichts des Alters des Angeklagten zur Tatzeit, seines Gesundheitszustands und seiner weiteren Lebensumstände zu prüfen sein, ob hirnorganisch bedingte Wesensveränderungen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in einem für die Anwendung des § 21 StGB bedeutsamen Umfang beeinträchtigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 1998 – 1 StR 338/98, NStZ 1999, 297 mwN; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 583/06, NStZ 2007, 328; Kröber, NStZ 1999, 298).
29
Nicht abgeurteilte Straftaten werden nur dann strafschärfend berücksichtigt werden dürfen, wenn sie prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – 3 StR 251/09, NStZ-RR 2009, 306; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 41a).
Basdorf Raum Brause Schaal Schneider