Bundesgerichtshof Beschluss, 16. März 2010 - 4 StR 612/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Adhäsionsentscheidung. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es zu Gunsten einer der Geschädigten eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
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- Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
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- Ohne Erfolg wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall II. 1 der Urteilsgründe.
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- 1. Die insoweit erhobenen Verfahrensrügen greifen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. Januar 2010 nicht durch. Soweit der Angeklagte die Verletzung von § 261 StPO darin sieht, dass sich das Landgericht in den Urteilsgründen nicht mit dem Inhalt des in der Hauptverhandlung verlesenen Schreibens der Vertreterin der früheren Nebenklägerin P. vom 1. September 2008 auseinandergesetzt habe, bemerkt der Senat ergänzend :
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- Zwar ist der Tatrichter zur erschöpfenden Würdigung der Beweise verpflichtet. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Gericht Umstände , die geeignet sind, die Entscheidung zugunsten oder zu ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Erwägungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 29, 18, 20; BGH, Beschluss vom 18. August 1987 – 1 StR 366/87, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 7). Eine Verletzung von § 261 StPO kommt daher grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tatrichter den Inhalt einer Urkunde, die durch Verlesung zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ist, bei seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt hat, obwohl deren Bedeutsamkeit auf der Hand lag (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 3 StR 481/07, NStZ 2008, 475). Dem bereits mehrere Monate vor Beginn der Hauptverhandlung zu den Sachakten gelangten und allen Verfahrensbeteiligten bekannten Schriftsatz der ehemaligen Nebenklägervertreterin kann jedoch im vorliegenden Fall durch den Gang der Hauptverhandlung, insbesondere durch die Vernehmung der Nebenklägerin selbst, jegliche erörterungsbedürftige Bedeutung genommen worden sein, zumal das Landgericht in deren Aussage "deutliches Entlastungsstreben“ erkannt hat.
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- 2. Auch die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II.
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- Soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Geschädigten E. verurteilt wurde, hat seine Revision mit der Rüge der Verletzung von § 247 Satz 4 StPO Erfolg.
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- 1. Der Senat schließt sich dem Generalbundesanwalt an, der in seiner Antragsschrift vom 21. Januar 2010 insoweit u.a. ausgeführt hat: "Das Landgericht hat - wie die Revision richtig und vollständig vorträgt - am zweiten Verhandlungstag, dem 27. Januar 2009, für die Dauer der Vernehmung der Geschädigten E. gemäß § 247 StPO die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal angeordnet (RB S. 21). Die Vernehmung der Geschädigten E. , die etwa drei Stunden dauerte, wurde an diesem Sitzungstag nicht abgeschlossen (RB S. 23). Am nächsten Verhandlungstag, dem 30. Januar 2009, hat das Landgericht neun andere Zeugen in Anwesenheit des Angeklagten vernommen (RB S. 53-59). Am vierten Verhandlungstag , dem 9. Februar 2009, hat es nach Vernehmung eines weiteren Zeugen - und nunmehr wiederum unter Entfernung des Angeklagten - die Vernehmung der Geschädigten fortgesetzt und beendet (RB S. 79-81). Erst danach unterrichtete der Vorsitzende den Angeklagten über den Inhalt der von der Geschädigten E. in beiden Vernehmungen gemachten Bekundungen (RB S. 81).
Vor diesem Hintergrund hätte am 3. Verhandlungstag die weitere Beweisaufnahme erst fortgesetzt werden dürfen, nachdem der jetzt wieder zugelassene Angeklagte vom wesentlichen Inhalt der (bisherigen) Aussage der Geschädigten E. unterrichtet worden war. Dass eine solche unterblieben ist, belegt die fehlende Eintragung im Sitzungsprotokoll. Denn die Unterrichtung nach § 247 S. 4 StPO gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten, die nach § 273 Abs. 1 StPO im Hauptverhandlungsprotokoll zu beurkunden sind (vgl. BGHSt 1, 346,
350; Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 17). Für eine etwaige Berichtigung des Protokolls bestand nach der dienstlichen Stellungnahme der Kammervorsitzenden vom 04. November 2009 (Bd. VIII, Bl. 12 d.A.) insoweit keine Veranlassung".
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- Auf dem gerügten Verfahrensverstoß kann das Urteil hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Geschädigten E. auch beruhen.
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- Da sich für den Angeklagten aus § 240 Abs. 1 StPO kein Anspruch auf Befragung unmittelbar im Anschluss an einen bestimmten Teil einer Zeugenaussage ergibt, verlangt § 247 Satz 4 StPO regelmäßig auch keine abschnittsweise Unterrichtung (BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002 – 3 StR 484/01, BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 9). Jedoch wurde dem Angeklagten im vorliegenden Fall die Möglichkeit genommen, den nach der Vernehmung der Geschädigten und vor seiner Unterrichtung über deren (Teil-)Aussage vernommenen weiteren Zeugen Fragen zu stellen oder Vorhalte zu machen, wenn Widersprüche zu den Angaben der Geschädigten aufgetreten waren. Dies betrifft die Angaben der Zeugen W. , H. und L. , die das Landgericht für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten herangezogen hat, ebenso wie die der Zeugen Ha. , Sch. , S. und B. , auf die es sich zur Widerlegung der bestreitenden Einlassung des Angeklagten gestützt hat.
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- 2. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils in Fall II. 2. Die Teilaufhebung des Urteils zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
Franke Mutzbauer
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.
(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.
(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.
(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.
(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.
(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.
(1) Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richtern auf Verlangen zu gestatten, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen.
(2) Dasselbe hat der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger sowie den Schöffen zu gestatten. Die unmittelbare Befragung eines Angeklagten durch einen Mitangeklagten ist unzulässig.
Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.