Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Nov. 2000 - 4 StR 463/00

bei uns veröffentlicht am30.11.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 463/00
vom
30. November 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. November 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 29. Mai 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist sie – wie der Generalbundesanwalt zu den Verfahrensrügen und zur Beanstandung des Schuldspruchs in seiner Antragsschrift vom 19. Oktober 2000 zutreffend näher ausgeführt hat - unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen wollte die Ehefrau des Freundes des Angeklagten , mit der dieser - in Kenntnis des Ehemannes - ein intimes Verhältnis
hatte, den Angeklagten am Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hindern. Als dieser sich nicht aufhalten ließ, sie zu Boden stieß und mit seinem Rucksack und Taschen die Treppe herabgehen wollte, versetzte sie ihm einen kräftigen Stoß, wodurch er die Treppe hinabstürzte; "seine Nase und Lippe blutete" (UA 6). Es kam zu einer erneuten Auseinandersetzung. Der Angeklagte, "nicht so wortgewandt wie sie und der Situation nicht mehr gewachsen, fühlte sich gedemütigt. Er beschloß, sie zu vergewaltigen und dadurch seinerseits zu demütigen" (UA 7). Deshalb zwang er sie, indem er ihren Widerstand durch Würgen brach, zum Oralverkehr.
2. Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB entnommen und zur Begründung ausgeführt, die Tat weiche vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle nicht "so sehr" ab, daß es gerechtfertigt wäre, den Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB anzuwenden.
Diese Wertung wird den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar bedacht, daß der Angeklagte nur unerheblich vorbestraft ist, er die Tat ”aus dem Augenblick heraus” beging und die Geschädigte selbst (zu ergänzen ist: maßgeblich) zur Entstehung der Tatsituation beigetragen hatte. Wenn das Landgericht nicht deswegen schon das Vorliegen eines minder schweren Falles bejahen wollte, so hätte es zugunsten des Angeklagten weiter berücksichtigen müssen, daß zwischen ihm und der Geschädigten eine länger andauernde intime Beziehung bestanden hatte. Da das Landgericht diesen wesentlichen Umstand (vgl. BGH NStZ 1982, 26; StV 1998, 76; BGH, Beschluß vom 23. Mai 2000 – 4 StR 146/00; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 177 Rdn. 33) bei der Strafrahmenwahl nicht beachtet hat, muß die Strafe neu zugemessen werden. Hierbei wird der neue Tatrichter auch zu würdigen ha-
ben, ob der vom Angeklagten erzwungene Oralverkehr eine zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ungewöhnliche Sexualpraktik war.
Meyer-Goßner Kuckein Athing

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2000 - 4 StR 146/00

bei uns veröffentlicht am 23.05.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 146/00 vom 23. Mai 2000 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Mai 2000 gemäß § 349 A

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 146/00
vom
23. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 27. August 1999
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall II 5 der Urteilsgründe der Bedrohung schuldig ist,
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen Vergewaltigung in vier Fällen und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsanordnung getroffen.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit das Landgericht ihn in den Fällen II 1 bis 4 der Urteilsgründe jeweils der Vergewaltigung und im Fall II 5 der Bedrohung für schuldig befunden hat. Dagegen beanstandet die Revision mit Erfolg, daß das Landgericht den Angeklagten im Fall II 5 darüber hinaus auch wegen - tateinheitlich begangener - versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen zog der Angeklagte im Rahmen eines Streites um das Besuchsrecht bei der gemeinsamen Tochter ein Bajonett aus der Scheide, "drückte die Spitze der ca. 20 cm langen Klinge fest gegen den Bauch der Zeugin Sandra Sch. und äußerte dabei, daß ... er die Zeugin ... umbringen werde" (UA 12/13); diese Handlung wiederholte er zweimal. Sandra Sch. spürte deutlich die Spitze der Bajonettklinge, verletzt wurde sie jedoch nicht. Nachdem ihr eine Freundin zur Hilfe gekommen war und den Angeklagten mit einem Messer verletzt hatte, gelang es ihr schließlich, diesen zu beruhigen. Aus diesem objektiven Geschehen allein kann nicht auf einen bedingten Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten, den dieser in Abrede gestellt hat (UA 17), geschlossen werden (vgl. auch BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 3). Die Tatsache, daß es trotz mehrmaligen Ansetzens der äußerst spitzen Bajonettklinge an den Körper Sandra Sch. s z u keiner Verletzung kam, spricht vielmehr eher dafür, daß der Angeklagte seine frühere Freundin nur
bedrohen, nicht aber verletzen wollte. Der Senat schließt aus, daß in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen zur inneren Tatseite getroffen werden können; er ändert den Schuldspruch daher entsprechend ab.
2. a) Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der für den Fall II 5 verhängten Einzelstrafe.
b) Die für die vier Vergewaltigungstaten ausgesprochenen Einzelstrafen haben ebenfalls keinen Bestand. Das Landgericht hat diese Strafen jeweils dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB entnommen. Die Begründung, mit der die Strafkammer eine Ausnahme von der Regelwirkung dieser Vorschrift abgelehnt hat (UA 24/25), hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar gesehen, daß für die Prüfung der Frage, ob trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall verneint werden kann, eine Gesamtwürdigung aller für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommenden Umstände vorzunehmen ist. Es hat dann aber im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung einen wesentlichen strafmildernden Gesichtspunkt nicht erwähnt, nämlich die mehrjährige intime Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten. Daher ist zu besorgen, daß der Tatrichter diesen wesentlichen Umstand (vgl. BGH NStZ 1982, 26; StV 1997, 634; 1998, 76), der im übrigen auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung für die Einzelstrafen unerwähnt geblieben ist, bei der Strafrahmenwahl nicht berücksichtigt hat. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei fehlerfreier Gesamtwürdigung besonders schwere Fälle bereits ohne Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB verneint und sich
dies auf die Strafhöhe ausgewirkt hätte, zumal in den Fällen II 1 und 2 der Urteilsgründe die Gewaltanwendung den unteren Bereich nicht überstieg. 3. Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf; die rechtsfehlerfrei getroffenen Anordnungen der Unterbringung nach § 64 StGB und der Einziehung bleiben bestehen. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung die straferschwerende Erwägung, "daß der Angeklagte seine eigenen Interessen massiv über die Belange der Zeugin gestellt" hat (UA 25), mit Blick auf das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB unzulässig ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vergewaltigung 1, Sexualdelikte 4; BGH, Beschluß vom 30. Mai 2000 - 4 StR 80/00). Maatz Kuckein Athing Ernemann