Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11

bei uns veröffentlicht am28.09.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 403/11
vom
28. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. September 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 28. März 2011, soweit es diesen Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug und – tatmehrheitlich – der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Computerbetrug zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erzwangen die Angeklagten B. und H. unter Drohung mit einer nicht nachweisbar echten und geladenen Pistole von dem Geschädigten He. die Herausgabe seiner ECKarte und die Nennung der PIN. Weil He. eine falsche PIN nannte, wurde die EC-Karte nach dreimaliger falscher Eingabe vom Geldautomaten eingezogen. Als der bei He. gebliebene Angeklagte B. dies erfuhr, schlug er dem Geschädigten mit der Pistole mit Wucht auf den Hinterkopf und trat ihm zudem mindestens einmal kräftig ins Gesicht, wobei er Arbeitsschuhe mit fester Sohle trug. Der Geschädigte erlitt u. a. einen Bruch des linken Jochbeins und eine Platzwunde am Hinterkopf.
3
2. Das Landgericht hat durch den Schlag mit der Pistole und den Tritt mit dem Arbeitsschuh ins Gesicht die Qualifikationen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3a StGB als erfüllt angesehen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Der Strafschärfungsgrund der gegenüber § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB erhöhten Qualifizierung des Absatzes 2 Nr. 1 liegt darin, dass es tatsächlich zum Einsatz eines mitgeführten Werkzeugs als Nötigungsmittel kommt. Dabei ist zu fordern, dass das gefährliche Tatmittel zur Verwirklichung der raubspezifischen Nötigung, also zur Ermöglichung der Wegnahme, verwendet oder - nach Vollendung des Raubes - als Mittel zur Sicherung des Besitzes an dem gestohlenen Gut eingesetzt wird (BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2008 – 3 StR 229/08, NStZ-RR 2008, 342 und vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376). Dies gilt auch für schwere Misshandlungen nach Vollendung einer Raubtat. Sie erfüllen den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB nur dann, wenn sie weiterhin von Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht getragen sind (BGH, Urteil vom 25. März 2009 – 5 StR 31/09, BGHSt 53, 234; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 – 4 StR 241/09, NStZ 2010, 150).
5
b) Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Schlag mit der Pistole und der Fußtritt erst erfolgten, nachdem der Angeklagte erfahren hatte, dass die genannte PIN falsch war und der Bankautomat die Karte eingezogen hatte, der Versuch mithin fehlgeschlagen und abgeschlossen war. Da die zuvor zur Erpressung der EC-Karte und der PIN eingesetzten Mittel die Qualifikation des § 250 Abs. 2 StGB nicht erfüllen, ist der Angeklagte der versuchten schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug und – tatmehrheitlich hierzu – der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB schuldig.
6
3. Der Schuldspruch war danach wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können. Danach ist über die Höhe der Strafen unter Beachtung von § 358 Abs. 2 StPO neu zu befinden.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 250 Schwerer Raub


(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Wider

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 4 StR 403/11 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2009 - 4 StR 241/09

bei uns veröffentlicht am 16.07.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 241/09 vom 16. Juli 2009 in der Strafsache gegen wegen schwerer Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Juli 2009 ge

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2008 - 3 StR 229/08

bei uns veröffentlicht am 08.07.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 229/08 vom 8. Juli 2008 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung de

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 229/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 8. Juli 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 24. Januar 2008 werden verworfen; jedoch werden die Schuldsprüche dahin neu gefasst, dass im Fall A. II. 1. der Urteilsgründe
a) der Angeklagte R. des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung und unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und
b) der Angeklagte D. des schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung schuldig ist.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2
Der näheren Erörterung bedarf nur der Schuldspruch gegen die Angeklagten im Fall A. II. 1. der Urteilsgründe. Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte R. bereits bei der Wegnahme der Geldbörse des Zeugen H. durch den Angeklagten D. die von ihm mitgeführte Schusswaffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet habe, obwohl sie zu Gunsten beider Angeklagter unterstellt hat, dass der Angeklagte R. erst danach eine Patrone in die Waffe einlegte. Die Drohung mit einer ungeladenen Schusswaffe erfüllt indes die an das Verwenden einer Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu stellenden Voraussetzungen auch dann nicht, wenn der Täter sie in wenigen Sekunden mit zwei oder drei schnellen Handgriffen hätte laden können (BGHSt 45, 249, 251 f.; Sander in MünchKomm-StGB § 250 Rdn. 63 m. w. N.).
3
Dies berührt den Bestand des Schuldspruchs gegen den Angeklagten R. jedoch nicht. Denn nach den Feststellungen lud dieser Angeklagte die Waffe spätestens im Anschluss an die Wegnahme und bedrohte den Zeugen H. damit, der sich seine Geldbörse von dem Angeklagten D. zurückholen wollte. Er setzte die geladene Waffe damit zur Beutesicherung - zwar nach der Vollendung des Raubs, aber noch vor dessen Beendigung - ein, was für ein Verwenden "bei der Tat" im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ausreichend ist (Fischer, StGB 55. Aufl. § 250 Rdn. 18 m. w. N.).
4
Dem Angeklagten D. hat das Landgericht - weil er erst durch die Abgabe des Schusses Kenntnis von der Schussbereitschaft der Waffe erhalten habe - das Verwenden der Schusswaffe für diese Tat nicht zugerechnet und insoweit zutreffend den Tatbestand des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB als erfüllt angesehen. Hinsichtlich der sich anschließenden räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen He. hat es hinge- gen im Ergebnis zutreffend auch bei dem Angeklagten D. die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB angenommen, die er im Wege der sukzessiven Mittäterschaft am Qualifikationstatbestand (vgl. Fischer aaO § 25 Rdn. 21 a) verwirklichte, indem er die durch den Schuss für den Zeugen He. entstandene Zwangswirkung erkannte und billigte und sich in Kenntnis des abgegebenen Schusses bis zum Verlassen des Tatorts am weiteren Tatgeschehen beteiligte.
5
Der Senat hat den Schuldspruch hinsichtlich beider Angeklagter zur Klarstellung neu gefasst, weil die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat eine Kennzeichnung der Qualifikation erfordert (BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4). Soweit jeweils zurechenbar , war wegen der Verwirklichung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch die Verwendung der Schusswaffe deshalb auf "besonders schwerer Raub" bzw.
"besonders schwere räuberische Erpressung" zu erkennen. Die Angabe mittäterschaftlicher Begehung ("gemeinschaftlich") ist bei der Fassung der Urteilsformel dagegen entbehrlich und hat aus Gründen der Übersichtlichkeit zu unterbleiben (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 260 Rdn. 24).
Becker Miebach Pfister von Lienen Sost-Scheible

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 241/09
vom
16. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Juli 2009 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum – große auswärtige Strafkammer Recklinghausen – vom 19. März 2009
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wir die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3; Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 2 a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verur- teilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos bleiben, hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der eine sog. Drückerkolonne leitete und dessen Lebensgefährtin ein Kind erwartete , mit der Geschädigten, die in seiner Kolonne arbeitete, eine sexuelle Beziehung aufgenommen, in deren Verlauf er sie zunehmend körperlich misshandelte. Auch am Abend der Tat, von einer Kneipentour vorzeitig zurückgekehrt, versetzte er der Geschädigten in der gemeinsamen Wohnung zunächst mehrere heftige Schläge in den Bauch und auf den Kopf, die als "Bestrafung" dafür gedacht waren, dass sie seine schwangere Lebensgefährtin seiner Anweisung zuwider während seiner Abwesenheit alleingelassen hatte. Nachdem sich die Geschädigte, die bereits aus der Nase blutete, weil sie durch die Schläge eine Nasenbeinfraktur erlitten hatte, mit Erlaubnis des Angeklagten zu Bett begeben hatte, folgte er ihr kurze Zeit später, legte sich neben sie und forderte sie auf sich auszuziehen. Als die Nebenklägerin dies unmissverständlich ablehnte, griff ihr der Angeklagte mit der rechten Hand an den Hals und würgte sie. Daraufhin zog sich die Geschädigte aus Angst vor dem Angeklagten aus und führte nach seiner Anweisung mit ihm Oralverkehr und weitere sexuelle Handlungen bis zum Samenerguss aus. Im Anschluss daran drohte der Angeklagte der Geschädigten , er werde sie "arm machen"; sie müsse den Bus, für den sie unterschrieben habe, bezahlen. Die Nebenklägerin forderte ihn daraufhin auf zu verschwinden und erklärte, sie werde ihn ins Gefängnis bringen. Der Angeklagte kniete sich daraufhin über sie, hielt sie fest und schlug ihr mit der Faust heftig auf Kopf und Nase.
3
2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen (besonders) schwerer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 a StGB nicht.
4
a) Die Urteilsgründe belegen zwar das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der schweren körperlichen Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 2 a StGB. Ausreichend dafür ist eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Opfers; heftige, mit erheblichen Schmerzen verbundene Schläge, wie hier auf die bereits gebrochene Nase der Nebenklägerin, genügen (BGH NJW 2000, 3655). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts sind dem angefochtenen Urteil jedoch keine ausreichenden Feststellungen dafür zu entnehmen, dass die schwere körperliche Misshandlung der Geschädigten "bei der Tat" erfolgt ist.
5
Dass der Angeklagte die sexuellen Handlungen mit den Faustschlägen erzwungen oder sie als Mittel dieser Handlungen selbst eingesetzt hat, ist nach den Urteilsfeststellungen auszuschließen. Zwar erfasst die Qualifikation, wie die Formulierung "bei" belegt, darüber hinaus auch solche Gewalttätigkeiten, die nicht final auf die Möglichkeit der sexuellen Handlung gerichtet sind (vgl. MünchKommStGB/Renzikowski, § 177 Rn. 84). Ob insoweit, wie der Generalbundesanwalt unter Berufung auf Stimmen im Schrifttum meint (LK/Laufhütte, StGB 11. Aufl. § 176 Rn. 24; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 177 Rn. 27; § 176 Rn. 14; a. A. Renzikowski aaO), ein zeitlichräumlicher Zusammenhang zwischen einer vollendeten Vergewaltigung und einer nachfolgenden schweren Misshandlung – etwa wenn der Täter sein Opfer nach den sexuellen Handlungen durch Schläge zum Schweigen bringen will – für die Annahme des Merkmals "bei der Tat" ausreicht, bedarf hier keiner Entscheidung ; für den insoweit gleich lautenden § 250 Abs. 2 Nr. 3 a StGB hat der Bundesgerichtshof dies im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit § 252 StGB jüngst verneint (BGH JR 2009, 297, 298 m. Anm. Mitsch; vgl. auch BGHSt 51, 276; Renzikowski aaO). Jedenfalls reicht im Hinblick auf die deutlich angehobene Strafrahmenuntergrenze für einen solchen Zusammenhang das bloße Übergehen zur schweren körperlichen Misshandlung nur bei Gelegenheit einer bereits vollendeten Tat nicht aus (BGH JR 2009, 297, 298). Eine Anwendung des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 4 Nr. 2 a StGB kommt namentlich dann nicht in Betracht, wenn die schwere Misshandlung nur das Mittel einer auf einem neuen Tatentschluss beruhenden Bedrohung war (so vgl. schon BGH NStZ-RR 2007, 12, 13). So liegt der Fall hier.
6
b) Nach den Feststellungen erfolgte die Drohung des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin, er werde sie "arm machen", nach Abschluss der sexuellen Handlungen und bezog sich erkennbar darauf, dass der Angeklagte und die Mitglieder der Drückerkolonne seit einiger Zeit mit einem gemieteten Pkw unterwegs waren, für den die Zahlung des Mietzinses noch ausstand. Das Verhalten des Angeklagten war ersichtlich darauf gerichtet, der Geschädigten bei dieser Gelegenheit zu verdeutlichen, dass sie den Geldbetrag zu zahlen habe und beruhte daher auf einem neuen Tatentschluss. Vor diesem Hintergrund fügt sich auch die nachfolgende Misshandlung der Nebenklägerin durch Faustschläge auf Kopf und gebrochene Nase in das vom Landgericht – losgelöst von der abgeurteilten Tat – festgestellte Bild einer allgemein von Gewalt seitens des Angeklagten geprägten Beziehung. So misshandelte der Angeklagte die Geschädigte schon im Sommer 2008, als sie die Kolonne verlassen wollte. Einige Zeit später kam es anlässlich eines Gaststättenbesuchs zu einem weiteren Übergriff des Angeklagten, als er die Geschädigte gemeinschaftlich mit einem anderen Mitglied der Drückerkolonne würgte, ihr ins Gesicht sowie ihren Kopf auf die Erde schlug.
7
c) Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug. Der insoweit anlässlich der schweren Vergewaltigung verwirklichte Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 StGB tritt hier jedoch nicht hinter § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB zurück (BGH bei Miebach NStZ 1995, 224).
8
3. Der Schuldspruch war danach wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können. Danach ist über die Höhe der Strafen unter Beachtung von § 358 Abs. 2 StPO neu zu befinden. Maatz Athing Solin-Stojanović Ernemann Franke

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.