Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2019 - 4 StR 260/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein des Angeklagten eingezogen und für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperre von zwei Jahren verhängt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils kann nicht bestehen bleiben , weil das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten nicht ausschließbar von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist. Die Strafkammer hat im Rahmen der Strafzumessung unter anderem strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte mit der von ihm bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast das Doppelte überschritten und darüber hinaus auch gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO verstoßen habe. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, die der Feststellung der angenommenen Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h zu Grunde liegt, hält indes unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN; Franke in Löwe /Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
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- 1. Die Strafkammer hat – sachverständig beraten – auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h sowie unter Berücksichtigung der nach den glaubhaften Bekundungen des Angeklagten und seines Beifahrers vor der Kollision noch erfolgten Bremsung des Fahr- zeugs eine vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrene Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h ermittelt. Ausgehend von der festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit, der ermittelten Ausgangsgeschwindigkeit bei Wahrnehmung des Geschädigten und der angenommenen Bremsverzögerung hat sie des Weiteren den nach der Wahrnehmung des Geschädigten für den Angeklagten zur Verfügung stehenden Anhalteweg auf 49,17 Meter berechnet. Sodann hat sie aus dem Anhalteweg von 49,17 Metern und der Ausgangsgeschwindigkeit von 93 km/h gefolgert, dass der Angeklagte bei Wahrnehmung des Geschädigten noch zwei Sekunden Zeit hatte, den Unfall zu vermeiden.
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- Bei ihren Schlussfolgerungen hat die Strafkammer aber übersehen, dass die Hochrechnung der vor der Bremsung gefahrenen Ausgangsgeschwindigkeit aus der feststehenden Kollisionsgeschwindigkeit von Ausmaß und Dauer der vor der Kollision noch erfolgten Bremsung abhängt und der Sachverständige bei seiner vom Landgericht übernommenen Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit von einer Wahrnehmungsdauer von zwei Sekunden abzüglich einer Vorbremszeit von einer Sekunde ausgegangen ist. Indem das Landgericht bei der Berechnung der vor der Bremsung gefahrenen Geschwindigkeit einen Berechnungsparameter – die Wahrnehmungsdauer von zwei Sekunden – berücksichtigt hat, den es seinerseits unter Heranziehung der erst noch zu belegenden Ausgangsgeschwindigkeit ermittelt hat, ist ihm ein Zirkelschluss unterlaufen (vgl. hierzu Joerden, Logik im Recht, 3. Aufl., Seite 316; Sander in Löwe /Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 44c mwN; Frisch in SK-StPO, 5. Aufl., § 337 Rn. 139 f. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564). Dies hat zur Folge, dass die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte sei bei Wahrnehmung des Geschädigten erheblich schneller als bei der nachfolgenden Kollision – d. h. mit einer die Kollisi- onsgeschwindigkeit von 75 km/h deutlich übersteigenden Geschwindigkeit – gefahren, einer tragfähigen Beweisgrundlage entbehrt.
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- 2. Dieser Fehler bei der Beweiswürdigung stellt den Schuldspruch des angefochtenen Urteils nicht in Frage. Denn weder die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB noch der Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs durch falsches Überholen gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB beruhen auf der Annahme einer die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h übersteigenden Ausgangsgeschwindigkeit des Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten.
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- 3. Das Fehlen einer tragfähigen Begründung für die festgestellte Ausgangsgeschwindigkeit von 93 km/h berührt indessen den vom Landgericht angenommenen Schuldumfang und entzieht daher dem Strafausspruch die Grundlage.
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- Auf Grund des Fehlers bei der Berechnung der vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Geschwindigkeit ist der von der Strafkammer neben zahlreichen weiteren Sorgfaltspflichtverletzungen bejahte und bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigte Verstoß des Angeklagten gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO nicht belegt. Zudem hat das Landgericht ebenfalls strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO um fast das Doppelte überschritten hat. Der Senat vermag auch angesichts der massiven anderweitigen Sorgfaltspflichtverletzungen des Angeklagten und der an sich maßvoll bemessenen Freiheitsstrafe von drei Jahren nicht auszuschließen , dass sich der Fehler bei der Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
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- 4. Der Strafausspruch kann mithin keinen Bestand haben. Der Senat hebt die Feststellungen zu der vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Geschwindigkeit, soweit diese die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h überstieg, sowie die Feststellungen zu dem für den Angeklagten nach der Wahrnehmung des Geschädigten zur Verfügung stehenden Anhalteweg auf. Die sonstigen, jeweils rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage der nunmehr bindend festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h die vom Angeklagten vor der Bremsung gefahrene Ausgangsgeschwindigkeit zu ermitteln haben.
Bender Feilcke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Auf Fahrbahnen, die so schmal sind, dass dort entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten, muss jedoch so langsam gefahren werden, dass mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.
(2) Ohne triftigen Grund dürfen Kraftfahrzeuge nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss behindern.
(2a) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
(3) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen
- 1.
innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h, - 2.
außerhalb geschlossener Ortschaften - a)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t bis 7,5 t, ausgenommen Personenkraftwagen, - bb)
Personenkraftwagen mit Anhänger, - cc)
Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t mit Anhänger sowie - dd)
Kraftomnibusse, auch mit Gepäckanhänger,
- b)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 t, - bb)
alle Kraftfahrzeuge mit Anhänger, ausgenommen Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t, sowie - cc)
Kraftomnibusse mit Fahrgästen, für die keine Sitzplätze mehr zur Verfügung stehen,
- c)
für Personenkraftwagen sowie für andere Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t 100 km/h. Diese Geschwindigkeitsbeschränkung gilt nicht auf Autobahnen (Zeichen 330.1) sowie auf anderen Straßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtungen getrennt sind. Sie gilt ferner nicht auf Straßen, die mindestens zwei durch Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) oder durch Leitlinien (Zeichen 340) markierte Fahrstreifen für jede Richtung haben.
(4) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt für Kraftfahrzeuge mit Schneeketten auch unter günstigsten Umständen 50 km/h.
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Wer im Straßenverkehr
- 1.
ein Fahrzeug führt, obwohl er - a)
infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder - b)
infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder - 2.
grob verkehrswidrig und rücksichtslos - a)
die Vorfahrt nicht beachtet, - b)
falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt, - c)
an Fußgängerüberwegen falsch fährt, - d)
an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt, - e)
an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält, - f)
auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder - g)
haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Auf Fahrbahnen, die so schmal sind, dass dort entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten, muss jedoch so langsam gefahren werden, dass mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.
(2) Ohne triftigen Grund dürfen Kraftfahrzeuge nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss behindern.
(2a) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
(3) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen
- 1.
innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h, - 2.
außerhalb geschlossener Ortschaften - a)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t bis 7,5 t, ausgenommen Personenkraftwagen, - bb)
Personenkraftwagen mit Anhänger, - cc)
Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t mit Anhänger sowie - dd)
Kraftomnibusse, auch mit Gepäckanhänger,
- b)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 t, - bb)
alle Kraftfahrzeuge mit Anhänger, ausgenommen Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t, sowie - cc)
Kraftomnibusse mit Fahrgästen, für die keine Sitzplätze mehr zur Verfügung stehen,
- c)
für Personenkraftwagen sowie für andere Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t 100 km/h. Diese Geschwindigkeitsbeschränkung gilt nicht auf Autobahnen (Zeichen 330.1) sowie auf anderen Straßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtungen getrennt sind. Sie gilt ferner nicht auf Straßen, die mindestens zwei durch Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) oder durch Leitlinien (Zeichen 340) markierte Fahrstreifen für jede Richtung haben.
(4) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt für Kraftfahrzeuge mit Schneeketten auch unter günstigsten Umständen 50 km/h.