Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2019 - 4 StR 256/19

bei uns veröffentlicht am03.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 256/19
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 3. Juli 2019 einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 11. Dezember 2018 werden als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die insoweit in den Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die der Nebenklägerin und den Adhäsionsklägerinnen in den Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

ECLI:DE:BGH:2019:030719B4STR256.19.0 Ergänzend bemerkt der Senat zur Revision des Angeklagten R. : Der Angeklagte R. wurde nach der hier abgeurteilten Tat durch das Siauliu Apygardos Teismas (Litauen) am 3. Mai 2018 zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und zu einer Geldstrafe verurteilt; die Entscheidung wurde im Zentralregister als Gesamtstrafe zusammen mit einer Verurteilung vom 6. November 2014 erfasst. Zwar hat das Landgericht die Verurteilung vom 3. Mai 2018 weder unter dem Gesichtspunkt des Härteausgleichs noch des Gesamtstrafübels in der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten erwähnt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 1 StR 510/18; s. auch BGH, Beschluss vom 4. Juli 2018 – 1 StR 599/17); auch haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie die nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgten Vorverurteilungen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-171/16, Rn. 26; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 1 StR 508/18). Hieraus ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall kein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten: Die mit Urteil des Siauliu Apygardos Teismas vom 3. Mai 2018 abgeurteilte Tat hatte der Angeklagte am 20. Juni 2013 begangen. Nach den festgestellten Vorstrafen sind somit zuvor gegen den Angeklagten vier Verurteilungen ergangen, so unter anderem das Urteil desselben litauischen Gerichts vom 6. November 2014; aus drei dieser Vorverurteilungen liefen gegen ihn zur hiesigen Tatzeit offene Bewährungen. Unter diesen Umständen ist dem Angeklagten nicht allein dadurch, dass die der jetzt abgeurteilten Tat nachfolgende Verurteilung im Ausland erfolgt ist, die Wohltat einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB entgangen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2018 – 1 StR 599/17). Im Übrigen schließt der Senat angesichts des Tatbildes und der sehr moderat bemessenen Strafe aus, dass die Höhe der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe auf der unterbliebenen Berücksichtigung der litauischen Verurteilung vom 3. Mai 2018 beruht.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Bender Feilcke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

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Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2018 - 1 StR 599/17

bei uns veröffentlicht am 04.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 599/17 vom 4. Juli 2018 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Steuerhinterziehung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:040718B1STR599.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 1 StR 508/18

bei uns veröffentlicht am 18.12.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 508/18 vom 18. Dezember 2018 in der Strafsache gegen wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:181218B1STR508.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundes

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 599/17
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:040718B1STR599.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 4. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten G. und K. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. Juni 2017 jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 34 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und die Angeklagte K. wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Die Angeklagte K. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2
Allein der Ausspruch über die jeweilige Gesamtstrafe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und war daher mit den entsprechenden Feststellungen aufzuheben. Die Ausführungen der Strafkammer zu noch nicht eingetretener Rechtskraft der Verurteilung der Angeklagten vom 21. April 2016 durch ein französisches Gericht sind lückenhaft.
3
1. Zu dieser Vorverurteilung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte G. im Zusammenhang mit dem Betrieb sog. Terminwohnungen in Frankreich wegen „Zuhältereien in jeweils näher bezeich- neten besonders schweren Fällen, Menschenhandels unter Anwendung von Bedrohung, Zwang, Gewalt oder anderer Handlungen gegen Opfer oder dessen Umfeld, zum Nachteil mehrerer Personen, zum Nachteil einer besonders schutzbedürftigen Person, zum Nachteil einer Person nach deren direkten Eintreffen auf dem französischen Staatsgebiet und zum Nachteil einer Person außerhalb des französischen Staatsgebietes und wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren geahndet wird“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 EUR verurteilt wurde. Die Angeklagte K. wurde wegen derselben Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe in gleicher Höhe verurteilt. Dieses Urteil sei „– soweit bekannt – bislang nicht rechtskräftig“ (UA S. 13, 15).
4
2. Im Falle der Rechtskraft hätte das Landgericht die genannte Verurteilung bei der jeweiligen Gesamtstrafenbildung zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigen müssen.
5
Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13 Rn. 15, StV 2015, 353); liegen aber ansonsten – wie hier – die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter sie im Rahmen der Strafzumessung über den Gesichtspunkt des Härteausgleichs oder des Gesamtstrafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigen (vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1231 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aburteilung der Straftaten auch in Deutschland möglich gewesen wäre, weil entweder der Täter Deutscher war oder die Tat sich gegen ein international geschütztes Rechtsgut richtet (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13 Rn. 15, aaO und vom 27. Januar 2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677 f. mit ausführlicher Begründung und mwN; abweichend für den Fall, dass eine Verurteilung in Deutschland nur gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre, vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 386/08, NStZ 2010, 30 ff.). Dies ist vorliegend für beide Angeklagte gemäß § 6 Nr. 4 StGB und für die Angeklagte K. zudem gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der Fall.
6
Angesichts der vergleichsweise hohen Freiheitsstrafen, die durch das französische Gericht verhängt wurden, und des engen sachlichen Zusammenhangs der Taten – es ging jeweils um den Betrieb von Terminwohnungen, die teilweise in Frankreich und teilweise in Deutschland gelegen waren – wären die Auswirkungen der Kumulation der Strafen für das künftige Leben der Angeklagten besonders ins Gewicht gefallen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das mit der Verurteilung der Angeklagten verbundene Gesamtstrafübel wäre daher grundsätzlich zu erörtern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2010 – 5 StR 456/10, StV 2011, 225 und vom 2. September 1997 – 1 StR 317/97, NStZ 1998, 134). Voraussetzung wäre jedoch die Rechtskraft des französischen Urteils.
7
3. Das Landgericht hätte daher Feststellungen zu der Rechtskraft des französischen Urteils treffen müssen, da das Revisionsgericht sonst nicht beurteilen kann, ob die Strafkammer die durch das französische Gericht verhängten Strafen im Rahmen der Strafzumessung hätte berücksichtigen müssen. Darin, dass das Landgericht davon ausgeht, das Urteil sei – soweit bekannt – nicht rechtskräftig, ohne mitzuteilen, weshalb die entsprechenden Feststellungen zur Rechtskraft nicht getroffen wurden oder werden konnten, liegt ein Erörterungsmangel.
8
Dem steht die Rechtsprechung, wonach bei fehlenden oder nicht vollständigen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung grundsätzlich davon auszugehen sei, dass dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen zu den Vorverurteilungen und zu deren Vollstreckung nicht zugänglich gewesen seien, und dass das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu Recht dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen habe (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 369/03, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 Rn. 11 mwN), nicht entgegen. Denn vorliegend geht es nur um die Frage der Rechtskraft, die in der Regel auch bei ausländischen Verurteilungen durch die Beiziehung ausländischer Strafregisterauszüge (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1288) oder durch eine Nachfrage bei dem ausländischen Gericht schnell geklärt werden kann, so dass fraglich erscheint, ob die Annahme der zuvor genannten Vermutung – auch angesichts der aufgrund der Dauer der Hauptverhandlung in zeitlicher Hinsicht unproblematisch bestehenden Möglichkeit , die notwendige Information zu erlangen – überhaupt sachgerecht erscheint. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da die genannte Rechtsprechung für ausländische Verurteilungen keine Geltung beanspruchen kann, da für diese Konstellationen ein nachträgliches Verfahren entsprechend §§ 460, 462 StPO nicht vorgesehen ist und etwaigen Härten nur noch in engen Grenzen im Rahmen der Exequaturentscheidung gemäß § 54 IRG Rechnung getragen werden kann (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 54 Rn. 8c).
Raum Fischer Bär Hohoff Pernice

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 508/18
vom
18. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:181218B1STR508.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i. d. OPf. vom 16. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung , schweren Raubes und versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

I.

2
Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge gemäß § 275 Abs. 1, § 338 Nr. 7 StPO Erfolg.
3
Die Revision beanstandet zu Recht, dass das am 16. Mai 2018 am vierten Hauptverhandlungstag verkündete Urteil erst am 5. Juli 2018 – und damit nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist am 4. Juli 2018 – zu den Akten gebracht wurde.
4
An der Einhaltung der nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO geltenden Frist von sieben Wochen nach der Urteilsverkündung war das Landgericht nicht durch einen unvorhersehbaren und unabwendbaren Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gehindert. Ein solcher Umstand liegt insbesondere nicht darin, dass das Urteil, wie sich aus der dienstlichen Erklärung des Berichterstatters vom 16. August 2018 ergibt (SB IV, S. 1280 ff.), am 4. Juli 2018 wegen erheblicher anderweitiger dienstlicher Belastung des Berichterstatters und wegen Verzögerungen bei der Verschriftung seines Diktates noch nicht fertiggestellt und unterschrieben war. Denn weder eine (auch erhebliche) Belastung der Richter mit anderen Dienstgeschäften noch andere Gründe, die sich aus der gerichtsinternen Organisation ergeben, stellen – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen – unvorhersehbare unabwendbare Umstände i.S.d. § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO dar, die eine Fristüberschreitung rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteile vom 9. April 2003 – 2 StR 513/02, NStZ 2003, 564 f. und vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 436/91, NStZ 1992, 398, 399 jeweils mwN; Beschluss vom 26. Juli 2007 – 1 StR 368/07, NStZ 2008, 55).
5
Der aufgezeigte Mangel, der einen absoluten Revisionsgrund bildet, führt nach gesetzlicher Wertung zur Aufhebung des Urteils (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2007 – 1 StR 368/07, NStZ 2008, 55 mwN), so dass es auf das weitere Vorbringen der Revision nicht mehr ankommt.

II.

6
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer Verurteilung das Gesamtstrafübel genauer in den Blick zu nehmen sein wird, dass der Angeklagte durch die drohende Vollstreckung der in Tschechien (sechs Jahre) und in Österreich (ein Monat) verhängten Freiheitsstrafen zu erwarten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2017 – 1 StR 670/16, StraFo 2017, 375 mwN und vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13, juris Rn. 15 mwN). Wären diese Verurteilungen durch deutsche Gerichte ergangen, wäre eine Einbeziehung der Strafen nach § 55 StGB möglich und geboten gewesen. Bei der Bemessung der hiernach zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe wäre das nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB zulässige Höchstmaß von 15 Jahren zu beachten gewesen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-171/16, Rn. 26) kann im Ergebnis nicht anderes gelten, wenn es um frühere berücksichtigungsfähige Verurteilungen des Angeklagten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geht. Denn hiernach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen (vgl. EuGH aaO). Der Rechtsprechung, nach der bei Verurteilungen in derartigen Konstellationen ein Härteausgleich nicht zu gewähren sein soll, weil für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten kein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet gewesen wäre, so dass eine Aburteilung in einem einzigen Verfahren von vornherein nicht hätte erfolgen können (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 386/08), ist durch das vorgenannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Boden entzogen. Sollte eine angemessene Berücksichtigung des Gesamtstrafübels bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht möglich sein, so wäre das Ge- samtstrafübel bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 9. September 1997 – 1 StR 279/97, BGHSt 43, 216, 218).
Raum Jäger Bär
Hohoff Pernice

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 599/17
vom
4. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:040718B1STR599.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 4. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten G. und K. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. Juni 2017 jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 34 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und die Angeklagte K. wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Die Angeklagte K. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2
Allein der Ausspruch über die jeweilige Gesamtstrafe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und war daher mit den entsprechenden Feststellungen aufzuheben. Die Ausführungen der Strafkammer zu noch nicht eingetretener Rechtskraft der Verurteilung der Angeklagten vom 21. April 2016 durch ein französisches Gericht sind lückenhaft.
3
1. Zu dieser Vorverurteilung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte G. im Zusammenhang mit dem Betrieb sog. Terminwohnungen in Frankreich wegen „Zuhältereien in jeweils näher bezeich- neten besonders schweren Fällen, Menschenhandels unter Anwendung von Bedrohung, Zwang, Gewalt oder anderer Handlungen gegen Opfer oder dessen Umfeld, zum Nachteil mehrerer Personen, zum Nachteil einer besonders schutzbedürftigen Person, zum Nachteil einer Person nach deren direkten Eintreffen auf dem französischen Staatsgebiet und zum Nachteil einer Person außerhalb des französischen Staatsgebietes und wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren geahndet wird“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 EUR verurteilt wurde. Die Angeklagte K. wurde wegen derselben Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe in gleicher Höhe verurteilt. Dieses Urteil sei „– soweit bekannt – bislang nicht rechtskräftig“ (UA S. 13, 15).
4
2. Im Falle der Rechtskraft hätte das Landgericht die genannte Verurteilung bei der jeweiligen Gesamtstrafenbildung zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigen müssen.
5
Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13 Rn. 15, StV 2015, 353); liegen aber ansonsten – wie hier – die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter sie im Rahmen der Strafzumessung über den Gesichtspunkt des Härteausgleichs oder des Gesamtstrafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigen (vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1231 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aburteilung der Straftaten auch in Deutschland möglich gewesen wäre, weil entweder der Täter Deutscher war oder die Tat sich gegen ein international geschütztes Rechtsgut richtet (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13 Rn. 15, aaO und vom 27. Januar 2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677 f. mit ausführlicher Begründung und mwN; abweichend für den Fall, dass eine Verurteilung in Deutschland nur gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre, vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 386/08, NStZ 2010, 30 ff.). Dies ist vorliegend für beide Angeklagte gemäß § 6 Nr. 4 StGB und für die Angeklagte K. zudem gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der Fall.
6
Angesichts der vergleichsweise hohen Freiheitsstrafen, die durch das französische Gericht verhängt wurden, und des engen sachlichen Zusammenhangs der Taten – es ging jeweils um den Betrieb von Terminwohnungen, die teilweise in Frankreich und teilweise in Deutschland gelegen waren – wären die Auswirkungen der Kumulation der Strafen für das künftige Leben der Angeklagten besonders ins Gewicht gefallen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das mit der Verurteilung der Angeklagten verbundene Gesamtstrafübel wäre daher grundsätzlich zu erörtern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2010 – 5 StR 456/10, StV 2011, 225 und vom 2. September 1997 – 1 StR 317/97, NStZ 1998, 134). Voraussetzung wäre jedoch die Rechtskraft des französischen Urteils.
7
3. Das Landgericht hätte daher Feststellungen zu der Rechtskraft des französischen Urteils treffen müssen, da das Revisionsgericht sonst nicht beurteilen kann, ob die Strafkammer die durch das französische Gericht verhängten Strafen im Rahmen der Strafzumessung hätte berücksichtigen müssen. Darin, dass das Landgericht davon ausgeht, das Urteil sei – soweit bekannt – nicht rechtskräftig, ohne mitzuteilen, weshalb die entsprechenden Feststellungen zur Rechtskraft nicht getroffen wurden oder werden konnten, liegt ein Erörterungsmangel.
8
Dem steht die Rechtsprechung, wonach bei fehlenden oder nicht vollständigen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung grundsätzlich davon auszugehen sei, dass dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen zu den Vorverurteilungen und zu deren Vollstreckung nicht zugänglich gewesen seien, und dass das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu Recht dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen habe (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 369/03, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 Rn. 11 mwN), nicht entgegen. Denn vorliegend geht es nur um die Frage der Rechtskraft, die in der Regel auch bei ausländischen Verurteilungen durch die Beiziehung ausländischer Strafregisterauszüge (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1288) oder durch eine Nachfrage bei dem ausländischen Gericht schnell geklärt werden kann, so dass fraglich erscheint, ob die Annahme der zuvor genannten Vermutung – auch angesichts der aufgrund der Dauer der Hauptverhandlung in zeitlicher Hinsicht unproblematisch bestehenden Möglichkeit , die notwendige Information zu erlangen – überhaupt sachgerecht erscheint. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da die genannte Rechtsprechung für ausländische Verurteilungen keine Geltung beanspruchen kann, da für diese Konstellationen ein nachträgliches Verfahren entsprechend §§ 460, 462 StPO nicht vorgesehen ist und etwaigen Härten nur noch in engen Grenzen im Rahmen der Exequaturentscheidung gemäß § 54 IRG Rechnung getragen werden kann (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 54 Rn. 8c).
Raum Fischer Bär Hohoff Pernice